Osterpredigt am 12. April 2020

 

 

 

Meine lieben Freunde!

 

 

 

Was sich am Ostermorgen damals in Jerusalem zugetragen hat, das berichten die vier Evangelisten sehr anschaulich. Dabei ergänzen sich die Erzählungen ganz wunderbar. Wir wollen unser Augenmerk auf den Bericht legen, den Johannes, der Freund und Jünger von Jesus, festgehalten hat. Demnach war Maria von Magdala die erste, die das leere Grab entdeckt hat. Auch Petrus und Johannes rennen zur Grabstätte und sehen, dass sie leer ist. Danach hat Maria das Vorrecht, als erste den Auferstandenen zu sehen. Mit dieser Erfahrung und Gewissheit geht sie zu den Jüngern und sagt: „Ich habe den Herrn gesehen!“

 

Wir lesen nun im Johannesevangelium im Kapitel 21 die Verse 19-20:

 

„Am Abend aber dieses ersten Tages der Woche, als die Jünger versammelt und die Türen verschlossen waren aus Furcht vor den Juden, kam Jesus und trat mitten unter sie und spricht zu ihnen: Friede sei mit euch! Und als er das gesagt hatte, zeigte er ihnen die Hände und seine Seite. Da wurden die Jünger froh, dass sie den Herrn sahen.“

 

Wie gehen die Männer mit der Information um, dass das Grab nachweislich leer ist und dass Maria Jesus leibhaftig begegnet ist? Ich spüre bei der Truppe eine große Verunsicherung. Sie begeben sich in selbst gewählte Isolation, in Quarantäne. Das tun sie aber nicht ganz freiwillig. Sondern sie tun es aus Angst. Nein, es ist keine Angst vor einer Ansteckung. Sondern sie tun es aus Angst vor einer Anklage. Nachdem die Juden und die Römer den mutmaßlichen Rädelsführer Jesus eliminiert haben, könnten sie sich nun seine Schüler und Nachfolger vorknöpfen. Außerdem hatten die Hohenpriester und Pharisäer vorsorglich das Grab bewachen lassen, damit die Jünger nicht den Leichnam stehlen und dann die Auferstehung Jesu vortäuschen würden. Und nun machte genau dieses Gerücht in Jerusalem die Runde (siehe Matthäus 27,62-68 und 28,11-15).

 

Nehmen wir es den Jüngern nun übel, dass sie sich verkriechen? Halten wir einfach mal fest, dass die Gefahrenlage und die Bedrohung sehr groß waren. Halten wir auch fest, dass der Zeugenbericht einer Frau damals leider nichts galt. Und halten wir fest, dass es sowas wie eine Auferstehung eines Gekreuzigten aus einem streng bewachten Felsengrab noch nicht so oft gegeben hat. Bei dieser Gemengelage hatten die Männer nicht besonders viel Mut, fröhlich singend und tanzend durch Jerusalem zu laufen und zu singen: „Der Herr ist auferstanden, er ist wahrhaftig auferstanden. Halleluja!“

 

Wie gehen wir in unserer Zeit, in unserer Gesellschaft, mit der Osterbotschaft um? Was macht die Information mit uns, dass Jesus nicht dem Tod von der Schippe gesprungen ist, sondern dass er dem Tod ein Schnippchen geschlagen hat. Er ist wirklich und tatsächlich und echt gestorben. Er war tot. Und er war im Totenreich. Aber der Tod mit seiner lebensfeindlichen und unbezwingbaren Macht wurde durch die Auferstehung Jesu bezwungen, überwunden, besiegt, übersiegt. Das klingt in den Ohren von vielen heutzutage wie ein Märchen. Die Glaubwürdigkeit der Kirchen ist auch nicht sonderlich hoch in der Gesellschaft. Selbst manche Theologen und Kirchenvertreter scheinen nicht so sehr davon überzeugt zu sein, dass Jesus wirklich auferstanden ist.

 

Aber was die Menschen auch davon halten, wie sie zu Jesus und seiner Auferstehung auch immer stehen mögen, das alles ändert ja überhaupt nichts an der Tatsache, dass das Grab leer ist, dass Jesus wirklich auferstanden ist und dass er zu seinen Jüngern in den verschlossenen Raum gekommen ist. Jeder logisch denkende Mensch wird hier den Kopf schütteln und sagen, dass es sowas nur in Phantasiebüchern und Hollywood Filmen gibt. Aber ist es nicht zwingend logisch, dass Jesus den Gesetzen der Materie enthoben ist, wenn er den Tod und die Sterblichkeit besiegt hat? Die Jünger können ihn auf alle Fälle eindeutig identifizieren. Denn seine Wund- und Sterbemale sind deutlich sichtbar. Das bleiben sie übrigens bis in alle Ewigkeit. Wer - wie auch immer - dem auferstandenen Jesus begegnet, wird ihn immer als den erkennen, der für uns gestorben und wieder auferstanden ist. So gab sich Jesus damals, so gibt er sich heute zu erkennen. Weil er nicht mehr an Raum und Zeit gebunden ist, weil ihn die Naturgesetze nicht mehr einschränken, deswegen kann er auch uns allen heute begegnen.

 

Stell dir vor, er tritt in dein Leben. Stell dir vor, er spricht dich an. Stell dir vor, er ist auf einmal da. Das erste, was du dann von ihm hörst, sind die Worte: „Friede sei mit euch!“

 

Keine Vorwürfe, keine Beschuldigungen, sondern „Friede sei mit euch“. Jesus tadelt seine Jünger nicht für ihr Versagen, er rechnet nicht mit ihnen ab. Sondern er spricht ihnen Frieden zu. Auch dir präsentiert er nicht die Bilanz über dein bisheriges Leben. Sondern er spricht dir seinen Frieden zu.

 

Das sind herrlich positive, Mut machende und befreiende Worte. Sie sind wie ein Scheck. Wenn wir einen Scheck überreicht bekommen, dann sind zwei Dinge unabwendbar nötig. Das eine ist, dass der Scheck auch gedeckt ist. So ist das auch mit den befreienden Worten. Hinter der Zuwendung, hinter dem Zuspruch muss eine Wirklichkeit stehen. Jesus spricht seinen Leuten nicht nur den Frieden zu, sondern er zeigt ihnen auch die Wirklichkeit, die diesen Frieden gewährleistet. Er zeigt ihnen seine Wund- und Sterbemale. In einem prophetischen und zugleich erklärenden Text steht im Alten Testament beim Propheten Jesaja: „Er wurde blutig geschlagen, weil wir Gott die Treue gebrochen hatten; wegen unserer Sünden wurde er durchbohrt. Er wurde für uns bestraft - und wir? Wir haben nun Frieden mit Gott! Durch seine Wunden sind wir geheilt“ (Jesaja 53,5). Hier sehen wir den unmittelbaren Zusammenhang zwischen Jesu Wunden und dem Frieden, den er uns zusichert. Weil er für uns starb und weil er für uns den Tod übersiegt hat, deswegen haben wir den Frieden mit Gott, der unserem Leben Halt und Inhalt, Grund und Perspektive, Fundament und ewige Hoffnung gibt.

 

Das zweite, was bei einem Scheck unabwendbar nötig ist: wir müssen den Scheck einlösen. Wir haben zwar gesehen, dass der Scheck gedeckt ist. Aber was nutzt es, wenn wir ihn auf den Wohnzimmertisch zu einem schönen Strauß mit Osterglocken legen. Ich hoffe, ihr versteht, was ich damit sagen will. Die Zusage, den Zuspruch des Friedens gilt es anzunehmen. Die Zusage einlösen, das meint, sie in Anspruch nehmen. Die Friedenszusage ist untrennbar verbunden mit dem Zuspruch der Vergebung und der Einladung zur Versöhnung mit Gott. Vergebung und Versöhnung in Anspruch nehmen, das ist die Einladung an diesem Osterfest.

 

Von den Jüngern wird hier nur noch kurz und knapp berichtet: „Da wurden die Jünger froh, dass sie den Herrn sahen.“ Johannes entfaltet nicht, wie sich die Freude ausgedrückt hat. Das macht aber auch nichts. Denn für uns ist es nun dran, der Freude über Jesus und seine Auferstehung, der Freude über den zugesicherten Frieden und die Vergebung und die Versöhnung mit Gott Ausdruck zu verleihen. Diese Freude möge unser Leben prägen.

 

Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.

 

AMEN

 

Karfreitag 2020 über 2. Korinther 5,19-21

 

 

 

Meine lieben Freunde,

 

neben ganz vielen Auswirkungen und Einschränken, hervorgerufen durch die Corona Pandemie, tritt etwas zutage, was mich sehr erschüttert. In etlichen Familien und Beziehungen nehmen Konflikte und Auseinandersetzungen und häusliche Gewalt zu. Ehepartner und Kinder und Eltern leben zum Teil in beengtem Raum zusammen. Irgendwann gehen sie sich auf den Geist. Hier und da liegen die Nerven blank. Konflikte entstehen und eskalieren unter Umständen. Da sind Unterstützung, Hilfen, Verhaltensregeln nötig und hilfreich.

 

Aber wenn in solchen Situationen keine Vergebung zugesprochen wird, wenn dann Versöhnung nicht praktiziert wird, dann kann das gefährlicher und riskanter sein als eine Krankheit oder die Infektion mit dem Virus. Denn Unversöhnlichkeit ist ein ganz gefährliches, ein geradezu tödliches Virus.

 

Von der Versöhnung ist zentral in dem Bibeltext die Rede, der uns am heutigen Karfreitag beschäftigen soll (2. Korinther 5,19-21):

 

Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selber und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung. So sind wir nun Botschafter an Christi statt, denn Gott ermahnt durch uns; so bitten wir nun an Christi statt: Lasst euch versöhnen mit Gott! Denn er hat den, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm die Gerechtigkeit würden, die vor Gott gilt. 

 

Bei dem Wort „Versöhnung“ entdecke ich widersprüchliche Empfindungen. Einerseits sehe ich eine starke Sehnsucht nach Versöhnung, nach Frieden, nach Lösung von bestehenden Konflikten. Das Verlangen nach Klärung und Bereinigung, nach Vergebung und Versöhnung ist sehr groß. Andererseits aber habe ich den Eindruck, dass sich viele Menschen dagegen sträuben. Denn wir alle wissen genau, dass es bei der Versöhnung nicht nach dem Motto gehen kann: „Wasch mich, aber mach mich nicht nass!“ Es funktioniert nicht, wenn wir sagen: „Ich will zwar (meinen!) Frieden, aber mit dir will ich nichts zu tun haben. Lass mich in Ruhe!“

 

In zerrütteten Beziehungen, in zerstrittenen Familien gibt es in der Regel mindestens eine Person, der ganz viel an Vergebung und Versöhnung liegt. Wie mühsam, wie anstrengend, wie schrecklich ist es aber, wenn diese Bemühungen auf taube Ohren und harte Herzen stoßen!

 

In unserer Beziehung zu Gott gibt es auch eine tiefgreifende Störung. Das Misstrauen Gott gegenüber ist uns regelrecht in Fleisch und Blut übergegangen. Das nennt die Bibel übrigens Sünde. Oder um es mit dem momentan allgegenwärtigen Bild auszudrücken: wir sind vom tödlichen Sündenvirus befallen, infiziert, krank geworden. Und Gott will mit uns Frieden schließen, er will uns heilen, vergeben, will sich mit uns versöhnen. Gott hat eine unfassbar große Sehnsucht nach Versöhnung. Aber wir haben ja schon festgestellt, dass zum Versöhnen immer zwei gehören. Gott will die Versöhnung. Aber wie sieht das bei uns diesbezüglich aus?

 

Auch hier entdecke ich widersprüchliche Haltungen bei uns Menschen. Die eine ist eine eklatante Gleichgültigkeit. So unfassbar vielen Menschen ist der Streit mit Gott völlig egal. Denn ihnen ist Gott egal. Frieden mit Gott, Vergebung und Versöhnung sind für sie überhaupt kein Thema. Sie zucken müde mit den Schultern und gehen ihrer Wege. Wenn es ihnen überhaupt einen Gedanken wert ist, dann meinen sie, dass der liebe Gott sich nicht so anstellen soll. Und falls er Lust hat, kann er ja vergeben, dann ist alles ok und wir können weitermachen wie bisher.

 

Die andere Haltung ist viel ernsthafter. Dabei spüren Menschen, dass sie Gott was schuldig geblieben sind, dass das Misstrauen nicht so gut ist und dass die Übertretungen als Majestätsbeleidigung angesehen werden könnten. Sie merken, dass Gott zornig ist. Darum wollen sie Gott beschwichtigen, sie wollen ihn besänftigen, seinen Zorn mildern. Sie tun allerhand Gutes und sagen dann: „Gell, lieber Gott, jetzt musst du nicht mehr böse sein!“ Sie wollen Gott versöhnlich stimmen. Sie wollen Gott umstimmen. Wollen Gott verändern, wollen seine Einstellung und Haltung der Sünde und den Sündern gegenüber umformen. Aber Gott ist keiner, der sämtliche Augen zudrückt, der „Fünf gerade sein lässt“. Bei der Frage nach der Versöhnung mit Gott werden wir auch keinen Kompromiss mit ihm aushandeln können.

 

Deswegen können auch nicht wir Menschen die Initiative zur Versöhnung ergreifen. Wir haben keine Handlungsmöglichkeiten. Der Apostel Paulus hat festgehalten: „Aber das alles von Gott, der uns mit sich selbst versöhnt hat durch Christus“ (Vers 18). Gott hat die Initiative ergriffen. Er die Sünden, die den Konflikt verursacht haben, den Menschen nicht angerechnet. Wenn Gott die Übertretungen sieht und auflistet und uns in Rechnung stellt, dann ist keine Versöhnung möglich. Es ist auch keine Versöhnung möglich, wenn Gott uns nur einen Zahlungsaufschub gewährt. Gott stundet uns nicht die Schuldenrückzahlung. Er gibt uns auch keinen zinslosen Kredit. Nein. Er rechnet sie uns nicht an, er erlässt sie uns, er behandelt sie, als seien sie gar nicht geschehen.

 

Also ein bedingungsloser Schuldenerlass! Das ist sehr großzügig! Aber Gott belässt es nicht bei einer großzügigen Geste. Sondern er macht Nägel mit Köpfen, er erlässt nicht nur die Schuld, sondern er tilgt sie! Er übernimmt die Schulden, er bezahlt. Er sühnt selbst. Denn Versöhnung hat sprachlich und inhaltlich mit Sühne zu tun. Wie Gott das gemacht hat, das steht im Vers 21: „Gott hat den, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht.“ Jesus ist der Sündlose. In ihm fand die Sünde keinen einzigen Angriffspunkt. In der Bibel steht, dass Jesus zur Sünde versucht worden ist in allem genau wie wir, dass er aber dennoch sündlos geblieben ist. Dieser Jesus wurde für uns zur Sünde in Person. Martin Luther hat in einer Auslegung gesagt, dass „Christus der größte Räuber, Mörder, Ehebrecher, Dieb, Tempelschänder, Lästerer etc. sei, der durch keinen Verbrecher in der Welt je übertroffen wird. Da geht‘s nicht um seine Person selbst, nicht darum, dass er von der Jungfrau Maria geboren ist als Sohn Gottes. Da ist er der Sünder, der hat und trägt die Sünde (zum Beispiel) des Paulus, der ein Lästerer, Verfolger und gewaltsamer Mensch gewesen ist. Da trägt er (beispielsweise) die Sünde des Petrus, der Christus verleugnet hat, oder die Sünde Davids, der ein Ehebrecher gewesen ist, ein Mörder. Alles in allem, Christus ist der, der hat und trägt an seinem Leibe alle Sünden aller Menschen. Nicht als hätte er sie selbst begangen, aber er hat die von uns begangenen Sünden aufgenommen an seinem Leibe, um dafür mit seinem eigenen Blute genug zu tun.“

 

Soweit die Gedanken und Erläuterungen von Martin Luther.

 

Und das alles von Gott, der in Christus gehandelt hat und Versöhnung ermöglicht. Was den Konflikt mit Gott ausgelöst hat, was die Beziehung zu Gott belastet und unmöglich macht, das hat Gott getilgt. Jesus ist für meine Sünde gestorben, hat meine Sünden mit seinem Tod getötet, hat bezahlt, endgültig, ein für alle Mal!

 

Wir haben eben schon einmal festgestellt, dass zum Versöhnen immer zwei gehören. Gott bietet uns die Versöhnung an. Wir werden mit Nachdruck aufgefordert: Lasst euch versöhnen mit Gott.

 

Denn dann bekommen wir ein Leben, das Gott gefällt. Dann leben wir für den, der für uns gestorben und auferstanden ist (Vers 15). Und die Dankbarkeit für die Versöhnung mit Gott wird uns prägen und bestimmen. Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, wird unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn, bewahren.

 

AMEN