Predigt über die Freude an der Schöpfung

 

Vorbemerkung:

Ihr Lieben,

mit dem Gottesdienst, in dem ich diese Predigt halte, eröffnen wir die so genannte Allianzgebetswoche. In der nächsten Woche gibt es einige Gebetsandachten, in denen es jeweils um einen Aspekt des Themas „Freude“ geht.

Die Liedangaben beziehen sich auf das "Gemeinschaftsliederbuch" Jesus unsere Freude.

Herzliche Grüße,

Frank Wachsmuth

 

Liebe Freunde!

Das ist schon eine wohltuende und ganz wichtige Herausforderung, dass wir uns in der Allianzgebetswoche mit der Freude auseinandersetzen sollen und wollen. Die Verantwortlichen, die diese Woche vorbereitet haben, setzen damit ein ganz starkes Signal in einer Zeit, in der Ängste oder Sorgen eher oben aufliegen als das Thema der Freude. In diesen trüben Tagen – und das meine ich sowohl mit Blick auf die Wetterlage als auch auf die Nachrichten – leuchtet „Freude“ als Kontrast auf. Und diesen leuchtenden Kontrast können wir auch sehr gut gebrauchen. Denn schon der alte Kirchenvater Augustin hat geschrieben: „Die Seele nährt sich von dem, woran sie sich freut.“ Wir leben von der Freude. Wir brauchen Freude so nötig wie das tägliche Brot. Das wird uns besonders dann bewusst, wenn sie uns verloren geht. Längere Zeit ohne Freude leben zu müssen, zermürbt einen und ist anstrengend. Was vorher leicht von der Hand ging, geht jetzt nur noch mühsam. Manchmal geht gar nichts mehr, einfach weil die Energie der Freude fehlt. Wir brauchen sie, und haben die Freude doch nicht als sicheren Besitz gepachtet.

Da lohnt sich ein Blick in die Bibel. Denn in ihr wird Freude ganz groß geschrieben. In der Lutherbibel erscheint das Hauptwort fast 200-mal, das Tätigkeitswort „freuen“ findet sich in der Lutherübersetzung 206-mal. Und dabei ist nicht zuerst von dem Gefühlszustand des Menschen die Rede. Wir lesen nicht nur die bekannten Aufforderungen, dass wir uns an unserem Gott allezeit freuen sollen oder dass die Freude an Gott unsere Stärke ist. Sondern häufig steht da etwas von der Freude Gottes, zum Beispiel in Psalm 16,11: „Du tust mir kund den Weg zum Leben: Vor dir ist Freude die Fülle und Wonne zu deiner Rechten ewiglich.“ Und in 1. Chronik 16,27 singt und bekennt König David: „Majestät und Pracht gehen von dem Herrn aus, seine Stärke und Freude erfüllen den Ort, wo er wohnt.“ Das alles sind aktive Eigenschaften Gottes. Mit der Freude Gottes ist es wie mit dem Licht der Sonne. Die Sonne ist Licht, sie leuchtet einfach. So hat Gott Freude in sich, er freut sich einfach. Bei uns Menschen dagegen ist Freude in aller Regel eine Reaktion auf angenehme Situationen oder Erlebnisse oder Erinnerungen. Bei Gott ist Freude der grundlegende, der fundamentale und beglückende Zustand seiner Existenz. Bei uns aber braucht die Freude immer einen Grund, eine Ursache, einen Anlass. Darum fordert uns die Bibel auf, in Gott selbst unseren Anlass zur Freude zu suchen und bei ihm zu finden. So lesen wir in Psalm 34,6: „Die auf ihn sehen, werden strahlen vor Freude, und ihr Angesicht soll nicht schamrot werden.“ Das Licht der göttlichen Freude strahlt uns an wie die Sonne und wir können die Freude Gottes reflektieren wie der Mond. In Jesaja 61,10 ist von einer überwältigenden Freude die Rede, die durch das heilmachende Wirken Gottes ausgelöst wird: „Ich freue mich im HERRN, und meine Seele ist fröhlich in meinem Gott; denn er hat mir die Kleider des Heils angezogen und mich mit dem Mantel der Gerechtigkeit gekleidet.“ Und wenn Gottes Hilfe und Heilung und Erlösung und Nähe bei uns ankommen und uns erfüllen, dann freut sich wiederum Gott, ja dann freut sich der ganze Himmel! Durch den Propheten Zephania erfahren wir, dass Gott sich über uns freut: „Der Herr, euer Gott, ist in eurer Mitte; er ist stark und hilft euch! Von ganzem Herzen freut er sich über euch. Weil er euch liebt, redet er nicht länger über eure Schuld. Ja, er jubelt, wenn er an euch denkt!“

Lied: In dir ist Freude (GL 507)

Es lohnt sich, in den nächsten Tagen bei den Gebetsandachten diesen und anderen Anlässen zur Freude nachzugehen. Heute starten wir mit der Freude an der Schöpfung. Es ist Freude daran, dass es das Leben, die unbelebte und die belebte Materie und uns überhaupt gibt. Ich halte es hier mit der Überzeugung, die der Verfasser des Hebräerbriefes so formuliert hat: „Durch Glauben erkennen wir, dass die Welt durch Gottes Wort ins Dasein gerufen worden ist“ (Hebräer 11,3). Lasst uns auf Erkundungsreise gehen und uns an den freuen, was wir in der Schöpfung entdecken. Die Größe und die Genialität des Weltalls, des Kosmos ist faszinierend. Unendlich groß und weit, tief und unfassbar. Und doch sinnvoll und nötig für das Leben hier auf der Erde. Ich staune darüber und freue mich daran, dass unser Planet in unserem Sonnensystem die besten Bedingungen hat, damit es hier Leben gibt. Und alles hat eine besondere Schönheit. Die Sterne am Firmament, der Mond und die Sonne, die Berge und das Meer. Die unbelebte Materie ruft eine Freude in uns hervor, weil wir sie auf eine spezielle Weise schön finden. Das setzt sich fort und wird noch gesteigert, wenn wir uns die belebte Materie anschauen. Alles, was wachsen und sich reproduzieren kann, übt eine Faszination auf uns aus. Blumen in ihrer Farbenpracht und Vielfalt erfreuen uns. Deswegen legen wir Gärten an oder stellen uns Pflanzen jeglicher Art in unsere Wohnungen. Während ich mich in der vergangenen Woche auf diese Predigt vorbereitet habe, haben meine Frau und ich bei einem älteren Ehepaar einen Geburtstagsbesuch gemacht. Sie haben uns von ihrem eigenen Apfelsaft zu trinken gegeben. Dabei hat der 94-jährige von den Äpfeln geschwärmt und sich über deren Form und Farbe und Geschmack gefreut. „Durch diesen kleinen Stiel wurde der Apfel am Baum versorgt. Können Sie sich das vorstellen?“ Der Mann hatte so viel Freude daran! Und seine Frau hat uns die Blumen und die Pflanzen auf den Fensterbänken vorgestellt und beschrieben und sich über die Blütenvielfalt und das gute Wachstum und Gedeihen gefreut, dass es eine Freude war, der 89-jährigen zuzuhören. Die Freude an der Schöpfung tut so gut! Aber es geht ja noch weiter. Wir beobachten die Vögel, die kleinen und die großen, die zierlichen und die gewaltigen Landtiere, die Fische, riesengroß und farbenfroh wie ein Regenbogen. Das alles hat Gott geschaffen. Ja, das ist alles sinnvoll und nützlich und erforderlich und hilfreich. Aber es ist auch einfach nur da, damit wir uns daran freuen. Und damit wir mit der Schöpfung den Schöpfer loben.

Lied: Alles, was atmet, alles, was lebt (GL 606)

Wenn wir den Schöpfungsbericht lesen, dann können wir etwas von der freudigen Ausgelassenheit spüren, die der Schöpfer da hineingelegt hat. Gott selbst freut sich offensichtlich auch daran, wenn der biblische Bericht feststellt: Und Gott sah, dass es gut war. Das liest sich nicht nüchtern, sachlich, faktisch: gut. Sondern das klingt nach Freude, Begeisterung, Euphorie: „Hej, das ist super geworden; jippie, das ist mir echt gelungen; wow, wie genial ist das denn.“ Ich muss immer schmunzeln, wenn ich im Psalm 104 lese, dass Gott die großen Fische gemacht hat, um mit ihnen zu spielen (Ps 104,26).

Gott will, dass wir an seiner Schöpfungsfreude teilhaben. Denn wir dürfen uns an dem freuen, was er uns gibt. Es soll ja leider fromme Menschen geben, die verbieten sich solche Freuden. Irdische Freuden sind in ihren Augen tabu. Sondern einzig und allein die Freude am Wort Gottes und an unserem Herrn Jesus ist die rechte Freude. Er allein ist die rechte Freudensonn. Aber wir ehren Gott nicht, wenn wir die geschöpfliche Freude aus unserem Leben ausgrenzen. Denn Gott hat sie uns ja auch dazu gegeben, damit uns an seiner Schöpfung freuen.

Ich habe im letzten Herbst eine Predigtreihe darüber gehalten, dass wir Gott mit unseren geschöpflichen, natürlichen Sinnen erfahren und genießen können. Ich will die fünf Sinnesorgane unter dem Blickwinkel noch einmal kurz benennen.

Wir dürfen den weichen Stoff und die streichelnde Hand auf der Haut spüren und uns an der Berührung freuen. Was ist das für ein beglückendes Erleben, über die zarte Babyhaut unserer sechs Wochen alten Enkelin zu streichen. Die Freude darüber macht mich unserem Schöpfer gegenüber unendlich dankbar.

Wir dürfen den Duft der Rosen und des Grases, das Aroma des Waldes und das Bouquet eines gutes Rotweines in uns aufsaugen. Die salzige Luft am Meer und der Zitronen-Melisse Aufguss in der Sauna sind ein Erlebnis. Daran können wir uns freuen und darüber den Schöpfer preisen.

Wir dürfen unsere Geschmacksknospen im Mund verwöhnen und reichlich bedienen. Das Brot und die Butter (oder die Margarine), der Honig und die Marmelade, der Kaffee oder Tee, der Saft und der Wein, das Obst und das Gemüse, Wurst und Fleisch und Käse und Quark, das alles und noch so unendlich viel mehr dürfen wir uns schmecken lassen. Denn das ist ein Gabe Gottes. Im alttestamentlichen Weisheitsbuch namens Prediger steht: „Da merkte ich, dass es nichts Besseres gibt als fröhlich sein und sich gütlich tun in seinem Leben. Denn ein Mensch, der da isst und trinkt und hat guten Mut bei all seinem Mühen, das ist eine Gabe Gottes.“

Wir dürfen hören, genau hinhören. Auf die Vögel, wenn sie Gottes Lob zwitschern. Auf die Menschen, wenn sie uns hilfreiche und gute Worte zusprechen. Auf die Musik mit den verschiedenen Stilen und Richtungen. Und wenn wir Schönes hören, dann sollen wir Gott dafür danken, dass er uns Ohren gegeben hat.

Und schließlich sollen und dürfen wir sehen. Die Blumen und die Bäume, die Schauspiele in der Natur und auf der Bühne oder im Fernsehen. Die Wolken und den Schnee, die Täler und die Hügel, Sonnenaufgänge und Sonnenuntergänge. Die vielen Tiere und die vielen Menschen. Das alles sollen wir sehen, und uns daran freuen, weil Gott es auch uns zur Freude geschaffen hat.

Zusammenfassend steht es im Psalm 104,24 so: „Herr, wie sind deine Werke so groß und viel! Du hast sie alle weise geordnet, und die Erde ist voll deiner Güter!“

Lied: Lasst uns loben unser Gott und Vater (GL 615)

Und wenn wir schon darauf schauen, dass es so viele unterschiedliche Menschen gibt, die Gott geschaffen hat, dann wollen wir nicht übersehen, dass er uns auch geschaffen hat. Ich kann mich noch an den Moment und das Gefühl erinnern, als ich mir meiner selbst bewusst geworden bin. Keine Ahnung, wie alt ich da war, vielleicht 5 oder 6, vielleicht auch erst 10 oder 12. Ist ja auch egal. Aber ich war in meinem Zimmer, stand auf meinem Bett, habe die Arme soweit es ging von mir ausgestreckt und wusste: Ich bin. Ich ein Mensch, eine Persönlichkeit, ich existiere, ich lebe, ich bin was und ich kann was. Es gibt mich. Heute würde ich den Moment mit den Worten von König David ausdrücken: „Ich danke dir dafür, dass ich wunderbar gemacht bin!“ Und ich freue mich darüber, dass ich lebe, dass es mich gibt. Ich meine gar nicht, dass alle Menschen sich freuen müssen, dass es mich gibt. Aber ich freue mich, dass ich bin. Matthias Claudius hat sich übrigens auch darüber gefreut, dass er lebt. Seine Worte der Freude klingen so:

„Ich danke Gott, und freue mich wie 's Kind zur Weihnachtsgabe,

dass ich bin, bin! und dass ich dich, schön menschlich Antlitz! habe;

dass ich die Sonne, Berg und Meer, und Laub und Gras kann sehen,

und abends unterm Sternenheer und lieben Monde gehen,

und dass mir denn zumute ist, als wenn wir Kinder kamen,

und sahen, was der heil'ge Christ bescheret hatte, Amen!“

Ich habe die Erkenntnis gewonnen, dass Gott unsere Freude will. Aber Freude ist bei uns kein Selbstläufer. Wir brauchen etwas, worüber wir uns freuen, einen Anlass, einen Impuls. Und deswegen liegt es schon auch ein stückweit an uns, ob und wie sehr wir uns freuen. Denn Gründe sich zu freuen, gibt es bei Lichte betrachtet wahrlich genug. Aber kennt ihr auch Menschen, denen man nichts Gutes tun kann? Denen willst du helfen, und sie sagen, dass sie es auch allein schaffen. Denen willst du eine Freude machen, und die lassen sich nicht drauf ein. Und das ist so traurig, das ist so schade. Ich habe das Gefühl, dass es Gott mit den Menschen so gehen muss. Er hat ihnen das Leben gegeben, damit sie sich daran freuen. Er hat ihnen so viele Gründe gegeben, froh und fröhlich und glücklich und dankbar zu sein. Und die Leute kapieren es nicht oder wollen es nicht verstehen. Und vor allem bringen sie das alles nicht mit Gott in Verbindung. Darum schmoren manche freudlos vor sich hin.

Ich wünsche uns von Herzen, dass wir wieder neu und wieder etwas mehr die Freude an der Schöpfung empfinden und das Schöne darin entdecken. Und dass wir über der Freude an der Schöpfung auch Freude über den Schöpfer erfahren. Denn er ist Sonne der Freude, die uns mit ihren vielfältigen Strahlen beleuchten und erfreuen will.

AMEN

 

Lied: Himmel, Erde, Luft und Meer (GL 614,1-3)