Hiobs Botschaft: Was nicht wirklich hilft

 

 

 

Liebe Freunde!

 

In meiner letzten Predigt über Hiob habe ich die Fragen gestellt: Was und wie ist der Mensch? Und: Wer und wie ist Gott? Damit habe ich schon eine Brücke geschlagen zur der heutigen dritten Predigt über Hiob. Denn wenn wir uns die langen Vorträge der drei Freunde anschauen und die Antworten von Hiob betrachten und sehen, wie sie miteinander ringen, dann erkennen wir auf den zweiten Blick, dass es immer um genau diese beiden Fragen geht: Wer und wie ist Gott? Und was muss der Mensch leisten, damit dieser Gott ihn mit einem guten Leben belohnt?

 

Schauen wir uns aber zunächst mal die Ausgangssituation der drei Freunde an. Wir lesen über sie:

 

Hiob hatte drei Freunde: Elifas aus Teman, Bildad aus Schuach und Zofar aus Naama. Als sie erfuhren, welches Unglück über ihn hereingebrochen war, beschlossen sie gemeinsam, ihn zu besuchen. Sie brachen aus ihren Heimatorten auf, um Hiob ihre Anteilnahme zu zeigen und ihn zu trösten. Doch als sie Hiob von Weitem sahen und ihn nicht wiedererkannten, brachen sie in Tränen aus. Laut klagend zerrissen sie ihre Kleider und warfen sich Staub über den Kopf. Dann saßen sie sieben Tage und Nächte lang bei Hiob auf dem Boden. Keiner sagte ein Wort zu ihm, denn sie sahen, dass sein Leid zu groß war für Worte.

 

Das ist beeindruckend! Die Ortsangaben machen deutlich, dass die drei Männer jeweils eine lange Anreise hatten. Sie wollen Hiob ihre Anteilnahme zeigen und ihn trösten. Aber angesichts des Leides, das sie an Hiob sehen, sind sie zutiefst erschüttert. Was sollen sie denn sagen? Sie sind völlig verunsichert, sprachlos. Darum tun sie zunächst etwas, was vielen von uns kaum denkbar erscheint: sie sitzen sieben Tage lang bei ihm, und wenn sie ihre Stimme erheben, dann nur um mit ihm zu weinen.

 

Mit Trauernden zu schweigen ist sicher allemal besser als leere Phrasen zu dreschen („Das wird schon wieder“ – „Ich kann dich gut verstehen“ – „Du musst nach vorne blicken“). Aber irgendwann braucht der Betroffene in seiner Trauer und seinem Leid auch das tröstende Wort, den Zuspruch von Gott. Viele von uns wissen, dass es gar nicht so leicht ist, dann den passenden Zugang zum Trauernden und die richtigen Worte zu finden. Es ist nicht allen gegeben, mit der nötigen Geduld und Einfühlungsvermögen den Menschen zu begegnen. Das ist schon eine Gabe und eine Kunst.

 

Das aber gelingt den Freunden leider nicht. Sie wollen trösten, tun es aber nicht. Das griechische Wort für „trösten“ heißt „parakaleo“, herbeirufen. Nicht herbeizitieren und fertigmachen, sondern an der Seite des Trostbedürftigen stehen und mit ihm, der Beistand benötigt, ins Licht der Gegenwart Gottes gehen. In diesem Sinne heißt trösten, den lebendigen Jesus Christus vergegenwärtigen. Parakaleo, herbeirufen, ins Licht der Gegenwart Gottes rufen, das wäre die Aufgabe der drei Freunde bei Hiob.

 

Nachdem sie sieben Tage mit Hiob geschwiegen haben, ergreift der Leidgeplagte das Wort. Im alten Israel war es üblich, dass der Trauernde selbst das Gespräch eröffnet. Was wir nun von ihm zu hören bekommen ist bittere Klage: „Ausgelöscht soll der Tag meiner Geburt sein und auch die Nacht, in der man sagte: `Ein Junge wurde empfangen.´ (…) Warum starb ich nicht bei meiner Geburt, gleich als ich aus dem Leib meiner Mutter kam? (…) Warum wurde ich nicht begraben wie ein tot geborenes Kind, wie ein Säugling, der das Licht der Welt nicht erblickt?“ (siehe Hiob 3).

 

 

Wie soll man darauf antworten? Elifas, wahrscheinlich der Älteste, darf und muss als erster reden. Er beginnt zurückhaltend: „Darf ich mit dir reden, oder wirst du dann böse? Ist es dir lästig, wenn man mit dir spricht?“ Aber Elifas kann sich nicht mehr zurückhalten. Er erinnert Hiob an seine eigenen Erkenntnisse und tröstenden Hilfestellungen. „Du hast so viel Erfahrung, du bist so fromm und gottesfürchtig. Und du weißt auch genau, dass man dann zuversichtlich und voller Hoffnung sein kann, wenn man ein untadeliges Leben führt, nicht wahr? Von daher sage ich dir nichts Neues“, so argumentiert Elifas.

 

Gerade wenn bewährte und verdienstvolle und gestandene Persönlichkeiten in Leid, Trauer, Verzweiflung fallen, schütteln manche ratlos den Kopf. Also dass so jemand in solch eine unsagbare Lage gerät und darin schier verzweifelt, das hätte ich ja nicht gedacht. Wenn wir so denken, dann verfallen wir in den Fehler von Elifas. Bewahrung und Unerschütterlichkeit scheinen so was wie selbstverständlicher Lohn und zu erwartender Verdienst eines frommen Lebens zu sein. Aber das stimmt ja nicht. Sondern gerade im Alter erleben wir vermehrt Zumutungen, die uns vieles abverlangen. Und wenn wir dann anfangen uns zu fragen, womit wir das verdient haben, dann stürzen wir ins Bodenlose. Elifas stürzt Hiob in bodenlose Verzweiflung. „Denk einmal darüber nach: Kann denn der Schuldlose zugrunde gehen? Wann wurde der Aufrichtige je vernichtet? Aus Erfahrung weiß ich: Wer Unheil plant und Böses sät, der wird auch Unheil und Böses ernten“ (Hiob 4,7-8). Mit anderen Worten: Was der Mensch sät, das wird er auch ernten. Und wenn du nun mal Unheil und Leid erntest, dann ist doch klar, dass du selbst Unheil und Leid gesät hast. Denn Gott ist gerecht. Er belohnt die Frommen und die Braven und er bestraft die Frevler und die Bösewichte. Und wo er offensichtlich bestraft, da gibt es auch gute Gründe. Denk mal drüber nach!

 

Wie sehr ist das auch unser Denken!? Angeblich ist ein jeder seines eigenen Glückes Schmied. Wenn du anständig und fleißig bist, dann wird Gott das mit einem glücklichen Leben belohnen. Denn Gott ist gerecht. So meinen wir. Und wer krank ist oder im Leben gescheitert ist, der ist selbst schuld. Und der Volksmund ist der Überzeugung, dass der liebe Gott die kleinen Sünden sofort bestraft. Die Strafe folgt also auf den Fuß. So meinen wir. Und Gott ist dabei in den Augen vieler ein Prinzipienreiter, ein kleinlicher Pedant, der erbarmungslos bestraft. Das ist das festgefügte Bild und die manifestierte Grundüberzeugung, die viele Menschen über Gott haben. Und wenn dann aber die Wirklichkeit dieser Grundüberzeugung nicht entspricht, was dann? Wenn die Realität nicht in unser Schema, nicht in unser System passt, was dann? Dann werfen viele Gott über Bord, anstatt sich von ihren verkehrten Vorstellung von Gott zu trennen!

 

Natürlich hat Elifas insofern recht, als dass Gott uns seinen Willen, seine Gebote und seine Prinzipien gegeben hat. Und wir tun gut daran, danach zu leben. Aber wir können von Glück reden, dass Gott nicht nur gerecht, sondern auch gnädig und barmherzig ist. Denn wenn er uns unsere Sünden und Ungerechtigkeiten andauernd vorhalten würde, dann würden wir buchstäblich vergehen. „Wenn du, Herr, Sünden anrechnen willst, Herr, wer wird bestehen? Denn bei dir ist die Vergebung, dass man dich fürchte“ (Psalm 130,3-4).

 

Auch den anderen Gedanken will ich nochmal hervorheben. Leider geschieht es, dass fromme und gerechte, untadelige und vorbildliche Menschen leiden! In der Bibel gibt es etliche Beispiele, in der Kirchengschichte und bis heute leiden Christinnen und Christen, weil sie an Gott glauben, weil sie zu Jesus gehören, weil sie sich vom Heiligen Geist leiten und gebrauchen lassen. Aber das alles hat nicht die Macht, uns von Gott zu trennen. Im Gegenteil: Gerade wenn wir ein zerschlagenes Gemüt haben, wenn wir ein zerbrochenes Herz haben, ist Gott bei uns, er steht zu uns.

 

 

Der zweite Freund ist der Bildad. Seine Fähigkeit zu trösten ist noch geringer ausgeprägt als bei Elifas. Die Argumentation ist aber ganz ähnlich wie die seines Vorredners. Nachdem Hiob auf die Worte von Elifas ausführlich und einigermaßen frustriet geantwortet hat, ergreift Bildad das Wort. Hören wir doch mal rein in seine erste Rede:

 

„Wie lange willst du solche Reden führen? Wann hörst du auf, hier so viel Wind zu machen? Denkst du im Ernst, dass Gott das Recht verdreht? Meinst du, er hält sich nicht an sein Gesetz? Nein, deine Kinder haben sich versündigt, drum hat er sie bestraft, wie sie's verdienten. Du solltest dich bemühen, Gott zu suchen, ihn, den Gewaltigen, um Gnade bitten. Denn wenn du wirklich rein und schuldlos bist, wird er dir ganz gewiss zu Hilfe kommen und dir Besitz und Kinder wiedergeben. Was früher war, wird dir gering erscheinen, wenn du am Ende Gottes Segen siehst.“

 

Also wenn es Bildads Absicht war, Hiob zu trösten, dann ist ihm das gründlich misslungen. Er beklagt nicht das Leid, sondern verklagt den Leidenden. Zunächst fordert er Hiob auf, das - seiner Meinung nach nutzlose und gefährliche - Klagen zu lassen.

 

Aber das ist doch gerade das tröstliche, wenn wir im Licht der Gegenwart Gottes sind, dass wir dann klagen dürfen. „Schüttet euer Herz vor ihm aus!“ So werden wir im Psalm 62 ermutigt. Der angefochtene David schreit im Psalm 13 zu Gott: „Wie lange verbirgst du dein Antlitz vor mir?“ Wir dürfen klagen! Und wir sollen es den Trauernden nicht verbieten.

 

Und dann ist dieser fromme Mann aus Schuach so unfassbar taktlos, dass er den Tod der Kinder Hiobs eiskalt damit begründet, dass die gegen Gott gesündigt haben. Furchtbar. Schließlich versteigt er sich zu der Überzeugung, dass Hiob sich die Gnade Gottes mit einem frommen Leben verdienen muss. Hören wir nochmal auf seine Worte: Du solltest dich bemühen, Gott zu suchen, ihn, den Gewaltigen, um Gnade bitten. Denn wenn du wirklich rein und schuldlos bist, wird er dir ganz gewiss zu Hilfe kommen und dir Besitz und Kinder wiedergeben.

 

Das Ganze klingt sehr nach Goethe: „Wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen!“ Streng dich an, entdecke die Kraft des Guten und deine Tugendhaftigkeit, sei stets edel, hilfreich und gut, und dann wird Gott gnädig und zufrieden sein.

 

Das ist uns alles so bekannt und so vertraut. Das kennen wir. Und so denken wir doch auch manchmal, oder? Aber damit sind wir bei einem humanistisch gefärbten Prinzip der Leistungsreligion. Was hierbei völlig unter den Tisch fällt ist der eigentliche Aspekt der Gnade. Gott macht seine Zuwendung zu uns Menschen nicht davon abhängig, wie fromm wir sind. Gott schenkt uns seine Liebe nicht erst deswegen, weil wir so engagiert für ihn leben. Und Gott schüttet seinen Zorn in Form von Krankheiten oder Schicksalsschlägen nicht über alle Menschen aus, die mit ihm nichts zu tun haben wollen. „Gott lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und lässt regnen oder Gerechte und Ungerechte“ (Matthäus 5,45). Gott sei Dank ist Gott nicht so, wie Bildad sich das vorstellt! Gottes Gnade dagegen ist es, dass er uns auch im Leid beisteht. Gnade ist es, dass wir nicht an ihm verzweifeln und in der Beziehung zu ihm Schiffbruch erleiden, wenn wir ihn nicht verstehen. Gnade ist sein Geschenk an uns, dass wir sagen können: „Wenn mir auch Leib und Seele verschmachtet, so bist du doch, Gott, allezeit meines Herzens Trost und mein Teil“ (Psalm 73,26).

 

 

Kommen wir noch zum dritten Gesellen, der sich zu Hiob gesellt, um ihm beizustehen. Zofar ist der Jüngste und der ungeduldigste und der, der besonders dreist auftritt. Nach Hiobs Reaktion auf die Rede des Bildad platzt dem Zofar der Kragen:

 

„Soll dieser Unsinn ohne Antwort bleiben? Hat einer Recht, nur weil er dauernd redet? Meinst du, dass dein Geschwätz uns mundtot macht, wir auf dein Spotten nichts erwidern können? Du hast behauptet, was du sagst, sei wahr, vor Gottes Augen seist du ohne Schuld.“ Wir vergegenwärtigen uns gerade nochmal, dass der leidgeplagte Hiob vor den drei Männer hockt, krank, schrecklich mitgenommen, Kinder und Herden, Häuser und Hirten verloren. Wie kann man da auf diese Weise mit einem Leidtragenden reden? Zofar und die beiden anderen tun das, weil sie mit ihren religiösen Konstrukten und Systemen an ihre Grenzen stoßen. Zofar wie auch schon Bildad und Elifas hält Gott für einen teilnahmslos über dem Geschehen schwebenden Richter, der alles und alle unerbittlich richtet. Dem Hiob wirft er Überheblichkeit vor, weil der sich angeblich für sündlos hält (was übrigens ein hinterhältiges Missverständnis ist). Aber was dem Hiob nach Meinung von Zofar fehlt, das ist die rechte religiöse Leidenschaft.

 

„Wenn aber du dein Herz auf ihn richtest und deine Hände zu ihm ausbreitest, wenn du den Frevel in deiner Hand von dir wegtust, dass in deiner Hütte kein Unrecht bliebe: so könntest du dein Antlitz aufheben ohne Tadel und würdest fest sein und dich nicht fürchten. Dann würdest du alle Mühsal vergessen, und dein Leben würde aufgehen wie der Mittag, und das Finstre würde ein lichter Morgen werden, und du dürftest dich trösten, dass Hoffnung da ist, würdest rings um dich blicken und dich in Sicherheit schlafen legen, würdest ruhen und niemand würde dich aufschrecken, und viele würden deine Gunst erbitten.“

 

Hiob, tu den ersten Schritt. Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott. Und wenn Gott dir hilft, dann kannst du alle Mühsal vergessen. Glaub genug, dann wirst du gesund. Sei fromm genug, dann bist du erfolgreich. Sei mutig und entschlossen, dann hast du Mut und Hoffnung, Reichtum und Wohlergehen schon hier und heute. Aber dieses Religionssystem von Zofar ist grundfalsch. Denn Gott tut doch immer wieder den ersten Schritt auf uns zu. Er kommt uns entgegen, er bietet sich uns an. Und wenn wir realisieren, wie sehr er uns in seinem Sohn Jesus Christus entgegenkommt, dann ist es so tröstlich, ihn auch in unser Leid hinein zu lassen.

 

 

Hiobs Freunde wollen mit aller Gewalt das Leid erklären. Denn dann, so meinen sie, wird es doch bestimmt erträglicher. Ich meine, dass wir bis heute ganz ähnlich denken. Wir wollen immer wissen, woher etwas kommt und warum etwas passiert. Denn dann wissen wir, wer schuld ist und wer dafür zur Rechenschaft gezogen werden kann. Ich bezweifle allerdings, ob und das tatsächlich immer weiterhilft.

 

Aber mit ihren langen Reden pressen die drei Freunde Gott und den Menschen in ihr System. Gott ist der unbestechliche Richter, und der Mensch muss sich abmühen, fromm und gut und gerecht zu sein. Gott sei Dank ist Gott nicht so. Gerecht ist er, ja. Aber auch gnädig und barmherzig. Gerecht ja, aber auch so, dass er gerecht macht, wer ihm vertraut. Gnädig und barmherzig ist er. Und das müssen und können wir uns nicht verdienen.

 

Und der Mensch? Der ist von sich aus nicht gerecht, nicht fromm, nicht strebsam genug. Nein. Aber von Gott geliebt und wertgeachtet. So wertvoll, dass er seinen Sohn Jesus für uns einsetzt, damit wir Kinder Gottes werden können in alle Ewigkeit.

 

AMEN