Predigt über Markus 10,35-45

 

 

 

Liebe Gemeinde,

 

wer auch immer in irgendeiner Weise mit Kindern zu tun hat, kennt eine solche oder ähnliche Situation. Das Kind kommt zum Papa und sagt: „Papi, versprichst du mir was?“ „Ja, was denn?“ „Dass ich bekomme, was ich mir wünsche!“ „Und was wünschst du dir?“ „Versprich mir erst, dass ich auch kriege, was ich mir wünsche!“

 

Auf der einen Seite ist das ziemlich dreist von dem Kind. Aber andererseits ist es auch ein Ausdruck von Zutrauen und Vertrauen. „Egal, was ich mir wünsche: Papa kann mir meinen Wunsch erfüllen und er hat mich so lieb, dass er mir keinen Wunsch abschlagen wird.“

 

Wir wissen natürlich, dass das kindlich naiv gedacht ist. Denn selbst wenn der Papa jeden Wunsch erfüllen könnte, würde er es nicht tun, weil ein Kind die Konsequenzen seiner Hoffnungen und Erwartungen nicht überblicken kann.

 

Im Bibeltext aus dem Markusevangelium begegnen uns zwei junge Männer, die mit einem ganz ähnlichen Anliegen zu Jesus kommen. Wir lesen Markus 10,35-45.

 

35 Da gingen zu ihm Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, und sprachen: Meister, wir wollen, dass du für uns tust, um was wir dich bitten werden. 36 Er sprach zu ihnen: Was wollt ihr, dass ich für euch tue? 37 Sie sprachen zu ihm: Gib uns, dass wir sitzen einer zu deiner Rechten und einer zu deiner Linken in deiner Herrlichkeit. 38 Jesus aber sprach zu ihnen: Ihr wisst nicht, was ihr bittet. Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinke, oder euch taufen lassen mit der Taufe, mit der ich getauft werde? 39 Sie sprachen zu ihm: Ja, das können wir. Jesus aber sprach zu ihnen: Ihr werdet zwar den Kelch trinken, den ich trinke, und getauft werden mit der Taufe, mit der ich getauft werde; 40 zu sitzen aber zu meiner Rechten oder zu meiner Linken, das steht mir nicht zu, euch zu geben, sondern das wird denen zuteil, für die es bestimmt ist.

 

41 Und als das die Zehn hörten, wurden sie unwillig über Jakobus und Johannes. 42 Da rief Jesus sie zu sich und sprach zu ihnen: Ihr wisst, die als Herrscher gelten, halten ihre Völker nieder, und ihre Mächtigen tun ihnen Gewalt an. 43 Aber so ist es unter euch nicht; sondern wer groß sein will unter euch, der soll euer Diener sein; 44 und wer unter euch der Erste sein will, der soll aller Knecht sein. 45 Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und sein Leben gebe als Lösegeld für viele.

 

Wie geht es Ihnen mit dem Wunsch von Johannes und Jakobus? Ist das für Sie unverschämt, frech, „wie können die nur“? Oder ist das nachvollziehbar, weil ihr Ansinnen ganz menschlich ist? Ich will in einem ersten Gedankengang den gar zu menschlichen Aspekt betrachten.

 

1.             Ganz menschlich!

 

Die Jünger haben sich immer wieder gefragt, was sie davon haben, wenn sie mit Jesus leben. Was bringt es mir ein, was springt für mich dabei raus? Kurz vorher können wir lesen, dass sich Petrus vertrauensvoll an Jesus wendet und ihm sagt: „Du weißt, wir haben alles stehen und liegen lassen und sind dir gefolgt. Was haben wir davon?“ (Matthäus 19,27; Parallelstelle von Markus 10,28). Jesus verspricht ihm und den anderen, dass sie schon hier und erst recht in der zukünftigen Welt Gottes reichlichen Gewinn und Segen erhalten werden. In Matthäus 19,28 steht: „Ich versichere euch: Wenn Gott die Welt erneuert und der Menschensohn auf seinem Herrscherthron Platz nimmt, dann werdet auch ihr, die ihr mir gefolgt seid, auf zwölf Thronen sitzen und über die zwölf Stämme Israels Gericht halten.“

 

Das ist doch mal eine Perspektive für die Männer in der damaligen Zeit, die etwa drei Jahre mit Jesus unterwegs gewesen sind.

 

Die meisten von uns werden nicht sonderlich scharf darauf sein, in der Ewigkeit eine Richterfunktion auszuüben. Aber wir wollen auch wissen, was wir davon haben, wenn wir Jesus vertrauen, wenn wir an ihn glauben, wenn wir für ihn leben wollen. Wir wünschen uns eine Bestätigung für unseren Glauben. So weit, so gut.

 

Aber was Jakobus und Johannes hier im Sinn haben, das geht noch deutlich zu weit. Sie wollen nicht nur gut belohnt werden, sie wollen besser belohnt werden. Sie wollen nicht nur einen Platz im Himmel haben, auch nicht einfach nur einen guten Platz, sondern sie wollen die beiden besten Plätze bekommen. Es geht ihnen um ein Höchstmaß an Ehre, Einfluss und Macht.

 

Jesus macht ihnen deutlich, dass sie mit ihrer Bitte übers Ziel hinausschießen. Denn wenn sie die besten Plätze beanspruchen wollen, dann müssen sie auch dem Anspruch genügen, der sie für diese Positionen qualifiziert. Was Jesus genau mit dem Kelch und der Taufe meint will ich im zweiten Teil der Predigt erläutern. Aber an der Reaktion von den beiden jungen Männern wird deutlich, wie sehr sie sich selbst überschätzen. „Natürlich können wir genauso heldenhaft leiden wie du!“ Diese Selbstüberschätzung ist leider auch viel zu menschlich. Bei den anderen Jüngern war es ja nicht anders. Allen voran Petrus, der Stein und Bein geschworen hat, Jesus niemals zu verleugnen. Und die anderen, die Jesus hoch und heilig versprochen haben, immer treu zu ihm zu stehen. Auch wir denken vielleicht manchmal, dass wir stark und leidensbereit und kompetent und fit und begabt sind und dass wir wer weiß was alles tun und leisten können. Aber damit überschätzen wir uns allzu oft.

 

Ich finde es sehr spannend, wie menschlich, ja allzu menschlich es damals auch in der Truppe der Jünger zu- und herging. Mit solchen menschlichen Menschen hat Jesus zu tun. Im zweiten Schritt sehen wir auf Jesus. Und er denkt und handelt ganz göttlich.

 

2.             Ganz göttlich!

 

Jesus fragt nicht: Was habe ich davon? Sondern er fragt: Was haben die Menschen davon? So denkt und handelt er. Er stellt fest, dass seine Schüler, seine Nachfolger, hoch hinaus wollen. Er aber will ganz tief runter. Er will nicht für sich das größte Prestige, den hoheitsvollsten Ehrenplatz, die höchste Auszeichnung. Er will nicht das Bad in der Menge. Sondern er weiß, dass der tödliche Hass der Menschen ihn wie Wasserfluten überrollen und umbringen werden. Er will nicht, dass die Leute ihm mit Schampus zuprosten, sondern er weiß, dass er den Gerichtsbecher, den Kelch des Leides, leertrinken muss.

 

Hier zeigt sich, dass Jesus, der Sohn Gottes, kann, was wir Menschen nicht können. Er kann es zulassen, dass er verworfen wird, dass er erniedrigt und verachtet wird. Er kann das, ohne dadurch in Minderwertigkeitsgefühle zu fallen. Er muss weder sich noch anderen beweisen, dass er groß und mächtig ist. Sondern seine Größe und Macht zeigt sich gerade in der Niedrigkeit und der Bereitschaft, sich selbst als Lösegeld zu opfern. Wenn wir dieses Leiden des Menschensohnes verstehen, haben wir Gott verstanden. Genau dort sehen wir Gott ins Herz.

 

Jesus umschreibt sein Leiden mit drei Begriffen, die ich etwas entfalten möchte. Der Kelch, von dem Jesus sagt, dass er ihn leertrinken muss, ist ein symbolisches Bild der Bibel für das göttliche Gericht. Im Garten Gethsemane betet Jesus ja, Gott möge diesen Kelch von ihm nehmen. Denn er weiß, dass ihn dieses Gericht umbringen wird. Aber er trinkt ihn, damit wir ihn nicht trinken müssen, obwohl wir ihn verdient haben. Dann spricht Jesus von der Taufe, mit der er getauft werden muss. Das Wort „Taufe“ bedeutet ursprünglich einfach nur „untertauchen“. Jesus weiß, dass die Wellen, die Fluten des Hasses über ihm zusammenschlagen und ihn töten werden. Aber er stellt sich dem. Und schließlich spricht er davon, dass er sein Leben als Lösegeld gibt. Hier verwendet er einen Begriff, den seine Zeitgenossen damals gut gekannt haben. Das Lösegeld ist der Preis, der zum Loskauf eines Sklaven oder Kriegsgefangenen gezahlt wird. Damit wir Menschen wieder bei Gott sein können, muss der Preis für unsere Schuld und Sünde gezahlt werden. Jesus zahlt durch seinen stellvertretenden Opfertod dieses Lösegeld und kauft damit die, die den Tod verdient hätten, aus der Gottlosigkeit frei.

 

Und dazu war auch nur er und nur er einzig und allein in der Lage. Denn ein Mensch, der selbst Dreck am Stecken hat, der selbst Schuld auf sich geladen hat, kann weder für sich noch einen anderen die Schuld abtragen oder Sühne leisten. Das kann nur der sündlose Sohn Gottes. In dem letzten Vers bezeichnet er sich selbst als der „Menschensohn“. In der Bibel ist der Menschensohn derjenige, dem Gott alle Macht und Herrschaft und die Autorität für das Weltgereicht gegeben hat. Das ist seine Identität, das ist sein Selbstbewusstsein. Diese Größe besitzt er, die kann ihm niemand nehmen, deswegen kann er sich mit seinem ganzen Leben für uns einsetzen. Und darum fragt Jesus nicht: Was habe ich davon? Sondern er fragt: Was haben die Menschen davon?

 

Mit dieser Haltung dient Jesus seinen Menschen und er will, dass seine Leute diese dienende Haltung auch an den Tag legen.

 

Darum der dritte Punkt:

 

3.             Ganz dienlich!

 

Nicht dienstlich, nicht nach Vorschrift, nicht, weil wir dazu verdonnert worden sind. Sondern weil Jesus es uns vorgemacht hat und wir in der Unmittelbarkeit der Jesusnachfolge ebenso leben und handeln sollen. Er ist nicht gekommen, um sich bedienen zu lassen. Jesus ist kein Pascha, der die Puppen für sich tanzen lässt. Jesus ist kein Guru, der die Menschen für seine Zwecke einspannt. Jesus ist kein Rattenfänger, der die Leute ins Verderben führt. Sondern er dient. Nicht weil er es nötig hätte, sondern weil er es kann. Und weil wir es nötig haben. Mit seinem Dienst schenkt uns Jesus eine Würde und eine Wertschätzung, eine Anerkennung und eine Ehre, die nicht zu toppen sind. Wir haben es gar nicht nötig, groß rauszukommen, indem wir andere klein machen. Das passiert viel zu oft in dieser Welt und in unserer Gesellschaft. Die Großen wollen immer größer werden auf Kosten der Kleinen und Kleineren. Die Reichen werden immer reicher auf Kosten der Armen und Ärmeren.

 

Eine dienende Haltung, die das Wohl und das Glück des anderen im Blick und zum Ziel hat, gibt es viel zu selten. Aber dazu ruft Jesus uns auf. Dass wir einander fördern und ermutigen. Dass wir uns helfen und befähigen. Dass wir uns unterstützen und begleiten. Dass wir einander vergeben und nicht einander die Fehler nachtragen. Denn er hat uns vergeben, damit hat er uns befähigt, es ebenfalls zu tun. Es gilt fortan nicht mehr das Sprichwort: „Wie du mir, so ich dir“, sondern „Wie Gott mir, so ich dir!“

 

Wenn wir so miteinander umgehen, dann fragen wir nicht danach, was wir davon haben, sondern wir fragen danach, was Gott davon hat. Denn diese Art und Weise des Miteinanders macht Gott alle Ehre. Wir dienen auf diese Weise nicht nur unseren Mitmenschen, sondern wir dienen damit in erster Linie Gott.

 

Halten wir fest, dass auch wir ganz schön menschliche Menschen sind. Und dass wir auf den göttlichen Dienst der Vergebung und Versöhnung von Jesus angewiesen sind und bleiben. Und dass wir immer mehr von ihm geprägt und durchdrungen werden sollen.

 

AMEN