Predigt über „Ein feste Burg ist unser Gott“

 

 

Liebe Freunde,

 

zum Reformationstag veröffentliche ich euch meine Predigt über Psalm 46, bzw vor allem über das Lied "Ein feste Burg ist unser Gott". Diese beiden Texte, den Psalm und das Lied, solltet ihr in Verbindung mit der Predigt neben euch liegen haben.

 

 

Herzliche Grüße,

 

Frank

 

 

 

Liebe Gemeinde!

 

„Ein feste Burg ist unser Gott“ – dieses Lied gehört zum Reformationstag dazu wie „Oh du fröhliche“ zu Weihnachten gehört. Luthers Lied ist keins, das wohlige Gefühle in uns auslöst, kein Lied, bei dem man vor Andacht schmachtet. Ein Bekenntnis ist dieses Lied von Luther, der nicht nur den Text, sondern auch die dazu passende Melodie geschrieben hat. Es ist einander zugesungenes, zugesprochenes Gottvertrauen. Aber es ist doch auch ein kämpferisches Lied. Immerhin ist vom „altbösen Feind“ die Rede, dem Gott mit Wehr und Waffen entgegentritt; von einer grausamen Rüstung auf der einen Seite und dem Herrn Zebaoth auf der anderen Seite, dem der Sieg nicht mehr zu nehmen ist. Zum Schluss wird das Reich besungen, das uns doch bleiben muss – womit übrigens, gegen manche Fehlinterpretationen und Missbräuche, nicht das Deutsche Reich, sondern das Gottesreich gemeint ist. Dass ich in den Herrschaftsbereich Gottes gehöre, das kann ich nicht verlieren. So meint Luther das.

 

Ich mag das Lied, es ist voller Gottvertrauen und bewundernswerter Zuversicht. Aber ich gestehe auch, dass es mir nicht immer leichtfällt ist, diese Strophen zu singen. Manches kann ich mir nicht so einfach zu eigen machen, es erscheint mir sehr aus der damaligen Situation heraus verfasst zu sein. Beim „altbösen Feind“ hatte Luther vielleicht nicht nur an den Teufel gedacht, sondern wahrscheinlich hatte er damals auch den Papst und seine Kirche vor Augen. Wer von uns wollte das heute mit gutem Gewissen noch so verstehen, trotz aller Unterschiede zwischen den Konfessionen? Und wer kann schon ohne weiteres die vierte Strophe singen (sie wird deshalb gerne auch ausgelassen). Wer kann mit Blick auf „Weib und Kind“ schon leichtfertig sagen: „Lass fahren dahin, sie haben’s kein Gewinn!“?

 

Das Lied ist übrigens 10 Jahre nach den Ereignissen des 31. Oktober 1517 entstanden, also deutlich nach der Veröffentlichung jener 95 Thesen, die nicht nur eine religiöse, sondern bald auch eine soziale Revolution auslösen sollten. In den 10 Jahren war viel passiert, Verwerfungen, Konflikte, Kriege. Und für Luther selbst auch: der mutige Auftritt vor Kaiser und Fürsten 1521 in Worms, die Flucht auf die Wartburg, die Neuordnung der Kirche in den reformatorischen Gebieten, der Streit auch unter seinen Schülern. Die Welt schien in Flammen, sie war in kurzer Zeit eine ganz andere geworden.

 

Und dann wütet zu all dem auch noch die Pest in Wittenberg. Martin und Käthe Luther öffnen ihr Haus für Freunde und Schüler, pflegen Kranke, müssen Frauen und Kinder zu Grabe tragen. Das Leid passierte eben nicht in fernen Weltgegenden, sondern ist mitten um sie herum präsent.

 

Luther schrieb auch theologische Traktate in dieser Zeit, geprägt durch die Erfahrung von Seuche und Pest. So entstand auch das kleine Büchlein unter dem Titel „Ob man vor dem Sterben fliehen möge“, in dem er die Frage zu beantworten versucht, wie man sich angesichts des Ausbruchs der Pest zu verhalten habe. Das ist gar nicht so weit weg von den Covid-19-Eindämmungsverordnungen unserer Tage:

 

Wenn Gott tödliche Seuchen schickt, will ich Gott bitten, gnädig zu sein und der Seuche zu wehren. Dann will ich das Haus räuchern und lüften, Arznei geben und nehmen, Orte meiden, wo man mich nicht braucht, damit ich nicht andere vergifte und anstecke und ihnen durch meine Nachlässigkeit eine Ursache zum Tode werde. Wenn mein Nächster mich aber braucht, so will ich weder Ort noch Person meiden, sondern frei zu ihm gehen und helfen. Siehe, das ist ein gottesfürchtiger Glaube, der nicht tollkühn und dumm und dreist ist und Gott nicht versucht.“

 

Die Distanz wahren, aber trotzdem die Nähe bewahren, da wo sie solidarisch wie seelsorgerlich nötig ist – das ist keine schlechte Regieanweisung für eine Pandemie.

 

Aber neben dieser theologischen Klarheit, dem Versuch, helfende Hinweise zu geben, Ruhe zu bewahren und eine funktionierende Bekämpfung der Pest zu organisieren, steht die eigene Zerrissenheit. Es ist ja nicht so, dass das alles an Luther einfach so vorbeiging. So schreibt er in einem Brief an Nikolaus von Amsdorf am 1. November 1527, wie ihm zumute ist: „Draußen sind Kämpfe, inwendig Schrecken, und zwar herbe; auswendig Streit – inwendig Furcht.“

 

Auswendig Streit, inwendig Furcht. Mit diesen Gefühlen hat Luther zu kämpfen. Und mit diesen Gefühlen schreibt er vermutlich in genau dieser Zeit das Lied von der festen Burg. Dabei nimmt er die Bilder aus dem 46. Psalm auf, denkt aber vielleicht auch an seine Zeit auf der Wartburg. Ja, Gott als Fels, als Burg, die Schutz bietet. Luther schreibt sich mit diesem Bild seinen eigene Angst von der Seele, er schreibt und singt sich mit der Melodie Mut und Zuversicht zu. Kein Kampflied, sondern ein Trostlied versucht Luther zu schreiben.

 

Vielleicht bekommt in unseren Zeiten das Lied nochmal eine neue und tiefe Bedeutung für uns. Vielleicht wird es uns auch zum Trostlied, zum Mutmachlied.

 

Wie zu Luthers Zeiten geht es manchen von uns auch. Auswendig Streit – inwendig Furcht. Denn die Tiefenkrise der Pandemie zeigt die Verwundbarkeit unserer Sicherheit und unserer Ordnung. Manches geht wieder, weil wir mittlerweile eine relativ hohe Impfquote haben. Aber die Infektionszahlen steigen, auch die so genannte Hospitalisierungs-Inzidenz geht nach oben. Nach wie vor herrscht große Unsicherheit. Ich muss hier nicht ausführen, welche Auswirkungen die Tiefenkrise der Corona-Pandemie hat.

 

Nein, ich meine ich nicht, dass das Virus ein Teufelswerk ist. Aber es tut etwas, was in der christlich-jüdischen Tradition Eigenschaft des Teufels, des „Diabolos“, des „Durcheinanderbringers“ ist: es bringt die Dinge durcheinander, verwirrt die Begriffe, die ethischen Vorstellungen und stiftet so Unheil und Chaos. Rechthaberei und Besserwisserei, Lieblosigkeit und Arroganz, Überheblichkeit und Ängstlichkeit sind Untugenden, die wie Giftpilze, wie Spaltpilze aufsprießen. Das ist die gefährliche Rüstung, mit der der Feind uns schädigen will. Und vor diesen Angriffen müssen wir uns alle immer wieder in die Abhängigkeit unseres Gottes begeben.

 

Wir wissen, dass Martin Luther sich angesichts seiner Sorgen und Ängste in das Wort Gottes geflüchtet hat wie in eine Burg. In seiner Not, in seiner Ängstlichkeit stößt Martin Luther auf jenen Psalm, den wir vorhin gemeinsam gesprochen haben, nämlich Psalm 46:

 

„Gott ist unsere Zuversicht und Stärke, eine Hilfe in großen Nöten, die uns getroffen haben. Darum fürchten wir uns nicht, wenngleich die Welt unterginge…“ Diese Worte sind Balsam für eine angefochtene Seele. Und so setzt sich Martin Luther hin und dichtet diesen Psalm neu, wie so etliche Psalmen zur Zeit der Reformation neu gedichtet werden, so dass die Gemeinde sie singen kann.

 

In der ersten Strophe klärt Luther die Fronten. Er schreibt, dass Gott unsere Schutzburg ist. Bei ihm sind wir vor dem Feind geborgen und bewahrt.

 

Sehr ernüchternd stellt Luther in der zweiten Strophe fest, dass wir mit unserer Macht nichts nachhaltig Hilfreiches ausrichten können. Das bedeutet ja nicht, dass wir passiv die Hände in den Schoß legen und Däumchen drehend warten, bis irgendwas passiert. Ich erinnere noch einmal an das, was Luther angesichts der Tod bringenden Seuche zu tun gedenkt: „Beten, das Haus räuchern und lüften, Arznei geben und nehmen, Orte meiden, wo man ihn nicht braucht, hingehen und helfen, wo es nötig und zuträglich ist.“

 

Gleichwohl gibt es so viele banale und alltägliche Situationen, in denen wir sagen müssen: Mit unsrer Macht ist nichts getan. Ein Beispiel: Der Sturm reißt Äste von den Bäumen, die auf der Oberleitung der Tramlinie landen und den Bahnverkehr lahmlegen. Der Schienenersatzverkehr kann nicht schnell genug eingerichtet werden und meine Frau kommt nicht pünktlich zur Arbeit, weil unser Auto in der Werkstatt ist. Denn da ist ein Kabel altersbedingt porös geworden und kaputt, die Elektronik funktioniert nicht mehr. Ähnliche Erfahrungen kennt ihr alle auch. Aber das ist ja Pillepalle im Gegensatz zu dem, was Luther erlebt hat. Er war auf dem Reichstag in Worms 1521 für vogelfrei erklärt worden. Auf den folgenden Reichstagen 1524, 1526 und 1529 wurde das Edikt jeweils bekräftigt! Freunde und Kinder sind ihm während der Pest 1527 gestorben. „Mit unsrer Macht ist nichts getan, wir sind gar bald verloren.“

 

Wir sind ohnmächtig und hilflos. Christen in Nepal und Bhutan werden massiv unter Druck gesetzt. Sie sollen hinduistische oder buddhistische Ordnungen befolgen und dem Glauben an Jesus absagen. „Mit unsrer Macht ist nichts getan, wir sind gar bald verloren.“ Auch wir können so vieles nicht verhindern und auch nicht verändern. Es gibt Leid und Tod und Katastrophen. Unsere Mittel, sie abzuwehren, sind begrenzt, sie sind endlich. Aber wir halten daran fest, dass Gott das Leben will, nicht den Tod. Die Bilder, die der Glaube dazu bereithält, sind Kreuz und Auferstehung. Darauf besinnt sich Luther. Es ist bemerkenswert, dass Martin Luther den Psalm auf Jesus Christus hindeutet. Im Unterschied zum alttestamentlichen Original in der Bibel, in dem von Jesus ja noch gar nicht die Rede ist, macht Luther deutlich: Gottes Hilfe in Anfechtung geschieht, indem er uns Jesus Christus an die Seite stellt, der nicht mit uns(!), sondern an unserer Stelle, für uns(!) streitet. An den glauben wir, oft mit Zweifeln versehen und eigenen Fragen und Schmerzen. Aber dieser Glaube an Jesus ist uns Trost und Halt, weil er uns tröstet und festhält.

 

In der dritten Strophe prallen ein lebensbedrohliches Szenario und eine heitere Gelassenheit aufeinander. Ja, es gibt Bedrohungen, bei denen geht es uns an den Kragen. Es gibt Anfechtungen, die uns verschlingen und um den Verstand bringen. Und wir sind mitten im Leben vom Tod umgeben. Aber es bedarf nur eines Wortes, genau genommen braucht es nur ein „Wörtlein“, um dem Feind Paroli zu bieten. Es ist das eine Wort „Jesus“. Denn Jesus lebt. Jesus hat den Teufel und den Tod überwunden.

 

Vielleicht steckt ja hinter dieser Formulierung von dem Wörtlein die Erfahrung, dass gerade in den Krisenzeiten des Lebens ein Trostwort der Bibel uns erreicht. Ein einziges Trostwort, das die Kraft hat, dem Düsteren, dem Bösen seine scheinbar alles beherrschende Macht zu nehmen. Da ist vielleicht jemand, der von Selbstzweifeln geplagt wird, der nicht glauben kann, dass man ihn liebt, weil er sich als Versager sieht, vielleicht auch weil er sich schuldig fühlt. Und dann hört diejenige Person den Zuspruch Gottes: „Ich habe dich je und je geliebt!“ Und auf einmal kann er diese Worte glauben, kann er glauben, dass diese Worte für ihn gesprochen sind.

 

Werfen wir noch einen Blick auf die 4. Strophe und versuchen, sie etwas besser zu verstehen. Dieses Wort und überhaupt das Wort vom Evangelium sollen die Gegner Gottes und die Feinde seiner Kinder nicht antasten. Luther hat dazu mal gesagt: „Es ist dem Teufel sonderlich viel daran gelegen, wie er uns vom Wort reißen und außer dem Wort auf eigene Gedanken führen möge.“ Darum hat er später gedichtet: „Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort!“ Die sehr merkwürdige Formulierung „und kein‘ Dank dazu haben“ meint so viel wie: „ob sie wollen oder nicht“. Gott ist allemal auf dem Plan. Er steht uns bei und ist durch den Heiligen Geist ständig gegenwärtig.

 

Tja, und dann sind da noch die beiden letzten Zeilen, die mir bislang immer Bauchschmerzen bereitet haben. Aber diese Worte bringen noch einmal die unsägliche Bedrohung zum Ausdruck. Verfolgung, die auch Jesus im Evangelium ankündigt, geht so weit, dass Leib, Gut, Ehr, Kind und Weib gefährdet sind. Und dabei ist das „Dahinfahrenlassen“ keine Gleichgültigkeit. Es betont einfach noch mal mehr die menschliche Machtlosigkeit, diese irdischen Bezüge und Bindungen halten zu können. Zweimal kommt ja das Wörtchen „sie“ vor. „Nehmen sie, die Feinde Gottes, der Teufel und seine Gesellen, den Leib, …“ Und genau die sind auch gemeint, wenn es heißt: „sie, die Feinde Gottes, sie werden nicht siegen, sie werden gegen Gott keinen Gewinn davontragen“.

 

Ich will mit drei Einladungen zusammenfassen:

 

Nehmen wir es getrost wahr: Gott ist unsere Schutz- und Trutzburg, bei ihm können wir uns bergen.

 

Nehmen wir es gelassen an: Mit unsrer Macht ist nichts getan.

 

Nehmen wir es zuversichtlich in Anspruch: Jesus Christus hat den altbösen Feind überwunden. Amen.