Predigt über Philipper 2,12-13

 

 

 

Ich lese uns den Predigttext aus dem Brief des Apostels Paulus an die christliche Gemeinde in Philippi vor.

 

12 Also, meine Lieben, – wie ihr allezeit gehorsam gewesen seid, nicht allein in meiner Gegenwart, sondern jetzt noch viel mehr in meiner Abwesenheit – schaffet, dass ihr selig werdet, mit Furcht und Zittern. 13 Denn Gott ist's, der in euch wirkt beides, das Wollen und das Vollbringen, nach seinem Wohlgefallen.

 

 

 

Liebe Freunde,

 

der Predigttext ist kurz und knapp, herausfordernd und brisant. Denn da stehen einige Begriffe drin, über die sich manche trefflich aufregen können. Und wenn wir uns etwas genauer und intensiver mit den Aussagen befassen, dann tauchen mehr Fragen als Antworten auf. Als erstes begegnet uns das Reizwort „Gehorsam“. Das klingt nach Regeln und Normen, nach Verhaltensvorschriften und Gesetzen. Und darauf reagieren die meisten ziemlich allergisch. Dann lesen wir, dass wir uns mit Furcht und Zittern um unser Heil bemühen sollen. Das klingt nach Werkgerechtigkeit, und das widerspricht so ziemlich allem, was wir über die Rettung und Erlösung zum ewigen Leben allein aus Gnade gehört und gelernt haben. Und schließlich sind wir gänzlich verwirrt, weil im Vers 13 auf einmal steht, dass Gott alles schafft und macht und bewirkt. Ja, was denn nun???

 

Nach diesem ersten Eindruck von dem Bibeltext will ich noch eine weitere Beobachtung beschreiben. Die genannten Reizworte und Inhalte treffen nämlich auf weit verbreitete Meinungen in unseren Tagen über das Christsein und den Glauben an Gott. Und zwar verbinden nach meinem Eindruck viele den christlichen Glauben hauptsächlich mit Gefühl und Stimmung. Zum Beispiel liefert doch das christliche Weihnachtsfest ganz viel für die Stimmung und die Atmosphäre. Oder das Erntedankfest, das hat was Volkstümliches, das gehört irgendwie zu unserer Kultur. Und wenn es einem schlecht geht, dann kann man beten und findet darin Trost und Beistand, Hilfe und Wohlergehen. Liebe und Erbauung, Barmherzigkeit und Seligkeit, das sind doch Stichworte, die viele mit Glauben in Beziehung setzen. Und das wird dann zusammen gebracht mit der Vorstellung vom lieben Gott, der spätestens am Ende der Tage alles gut macht und der uns alle zu sich in den Himmel holt. Schließlich und endlich steht über allem die Gnade und Barmherzigkeit Gottes. Denn es heißt doch, dass wir allein aus Gnade selig werden können.

 

Da passt die Rede vom Gehorsam bei Paulus so überhaupt nicht ins Konzept. Außerdem muss ja noch geklärt werden, wem wir gehorchen sollen! Meint Paulus etwa, dass die Christen in Philippi ihm gehorchen sollen? Und heißt das für uns heute, dass wir dem Pfarrer, der Pfarrerin, dem Pastor, der Gemeinde- oder Kirchenleitung? Nein, da stellen sich vielen die Nackenhaare, denn gerade in geistlichen Angelegenheiten lassen sich viele nichts sagen. Sie stricken sich lieber ihren eigenen religiösen Entwurf und da lassen sie sich auch nichts vorschreiben und nicht reinreden. Gehorsam und Glaube sind für viele also unvereinbare Gegensätze.

 

Folglich stoßen auch die folgenden Worte von Paulus auf geradezu erbitterten Widerstand, dass wir uns um unser Heil bemühen sollen. Das kann doch gar nicht sein! Wir haben doch dankbar gelernt und begriffen, dass wir alle „ohne Verdienst gerecht werden aus seiner Gnade durch die Erlösung, die durch Christus Jesus geschehen ist“ (Römer 3,24). Und „So halten wir nun dafür, dass der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben“ (Römer 3,28)! Darauf beruht doch die ganze Gewissheit unseres Heils. Und nun werden hier aufgefordert, unsere ewige Erlösung zu erarbeiten. Wie kann Paulus das sagen? Damit stößt er doch alles um, was wir sonst bei ihm gelernt haben! Und was meint er überhaupt damit, wie soll das aussehen, was sollen wir tun, um uns das Heil zu erarbeiten?

 

Dass der Zusatz „mit Furcht und Zittern“ uns sowieso absolut unpassend erscheint, muss ich wohl kaum noch extra erwähnen. Immerhin steht 365-mal in der Bibel, dass wir uns nicht fürchten sollen.

 

Schließlich macht es uns komplett ratlos, dass Paulus im nächsten Vers plötzlich schreibt, dass Gott es ist, der wirkt, der in uns sowohl das Wollen als auch das Vollbringen bewirkt. Aber immerhin gefällt uns von der Reformation geprägten Evangelischen dieser Vers, weil er das festhält, was der Liederdichter Philipp Friedrich Hiller so ausgedrückt hat:

 

„Du musst ziehen, mein Bemühen ist zu mangelhaft. Wo ihr’s fehle, fühlt die Seele; aber du hast Kraft, weil dein Wort das Leben bringt und dein Geist das Herz durchdringt. Dort wird’s tönen bei dem Krönen: Gott ist’s, der es schafft.“

 

Und die Worte von Jesus zeigen in die gleiche Richtung, wenn er sagt, dass niemand zu ihm kommen und an ihn glauben kann, wenn nicht Gott, der Vater, diese Menschen zu Jesus hinbringt.

 

Also: die beiden Bibelverse in unserem Predigttext sind für uns wie Feuer und Wasser, wie menschliche Werkgerechtigkeit und göttliches Gnadenwirken, wie Gesetz und Evangelium. Wir empfinden ein unvereinbares Entweder/Oder. Entweder ich muss mir meine Rettung selbst erarbeiten, oder Gott wirkt und bewirkt alles.

 

Ich vermute, dass es nicht wenige unter uns gibt, die genau diese Schwierigkeiten mit dem Text haben, wie ich sie skizziert habe. Dabei haben aber die allermeisten das kleine Schlüsselwort des Textes überlesen oder seine entscheidende Bedeutung nicht verstanden. Und das Schlüsselwort lautet „DENN“! Das erste Wort im Vers 13 besagt, dass nun die Begründung für vorhergehenden Aussagen kommt. Wenn wir mal den Satz ein wenig umbauen und mit der Begründung anfangen, dann klingt das so:

 

„Weil Gott in euch das hilfreiche Wollen und auch das richtige Tun und Vollbringen bewirkt (und das will er unbedingt tun), darum seid und bleibt ihm gehorsam und setzt alles mit ganzer Leidenschaft daran, in diesem Heilszustand zu bleiben, darin zu leben und ihn zu bewahren.“

 

Was bedeutet das nun für das Verständnis dieses Textes? Wir stellen ihn endlich vom Kopf auf die Füße. Dabei stellen wir fest, dass die Grundlage für alles Glauben und Vertrauen nicht bei uns und unserer Frömmigkeit und Religiosität liegt. Sondern Gott muss erstmal die Voraussetzungen schaffen, dass wir überhaupt mit ihm zu tun haben wollen. Gott muss so an unseren Herzen arbeiten, dass wir überhaupt nach ihm fragen. Gott muss sich uns erstmal vorstellen und bekannt machen, damit wir mit ihm in Verbindung und Beziehung treten können. Denn der Mensch ist in sich selbst verkrümmt, so hat es Martin Luther zutreffend formuliert. Der von Gott distanzierte Mensch ist gar nicht in der Lage, von sich aus zu glauben. Gott muss also in uns bewirken und uns dazu in die Lage versetzen, dass wir erkennen, wozu wir ihn brauchen. Es ist tatsächlich so, wie Jesus es gesagt hat: „Es kann niemand zu mir kommen, es sei denn, der Vater zieht ihn zu mir!“ „Du musst ziehen, mein Bemühen ist zu mangelhaft!“ Genau das sagt der Apostel Paulus in dem Vers 13. Und sogar das Glauben und Vertrauen ist ein gnädiges Geschenk, das Gott uns macht. Der Kirchenvater Augustin hat in dem Zusammenhang von der vorlaufenden Gnade Gottes gesprochen, die uns fähig macht glauben zu wollen und Glauben zu können.

 

Und wenn wir das nun so festgehalten haben, ahne ich schon, dass manche jetzt daraus schließen, dass wir ja gar nichts machen können. Die zucken mit der Schulter und sagen: „Gnade muss es sein, Gnade ganz allein.“ Und wir sind wie tote Gefäße, in das Gott seine Gnade einfüllt. Aber meint ihr allen Ernstes, dass Gott uns wie tote Gefäße betrachtet und behandelt? Nein, er achtet und schätzt uns als lebendige Personen. Er will, dass wir tatsächlich und bewusst seine Liebe und Vergebung wollen. Und er versetzt uns sogar in die Lage, dass wir mit ihm zu tun haben wollen. Darum kann er uns auch auffordern, dass wir nun auch wirklich mit ihm leben wollen. Ich sage es mit der bildhaften Redewendung: „Gott hat dir ein Gesicht gegeben, lächeln musst du selbst!“ Dieses irische Sprichwort sagt aus, was gemeint ist. Ich will aber noch einen Vergleich heranziehen. Niemand von uns hat sich selbst die Augen gemacht sich somit das Sehen ermöglicht. Sondern die sehenden Augen sind Gottes wunderbare Gabe. Aber weil Gott dich nun mit sehfähigen Augen ausgestattet hat, sollst du sie auch gebrauchen. Du sollst die Augen aufmachen, du sollst sehen. Das ist deine eigene und unabdingbare Verantwortung, dass du mit deinen Augen siehst. Und auch wie du mit ihnen umgehst, was du dir anschaust und wie du mit dem umgehst, was du siehst, das ist deine ureigenste Verantwortung.

 

So ist es auch mit dem Glauben und dem Christsein. Gerade weil es herrliche Gabe Gottes ist und nicht dein eigenes Machwerk, darfst du nicht passiv und schnodderig und nachlässig damit umgehen. Gerade deswegen sollst du nicht lässig und bequem und hemdsärmlich deinen Glauben praktizieren. Gerade deswegen sollst du auf Gottes Wort horchen und ihm gehorchen. Gerade deswegen sollen wir immer mehr und tiefer erkennen, wie Gott ist und was er von uns will und was wir tun sollen. Gerade deswegen, weil die Gotteskindschaft sein Geschenk an uns ist, sollen wir lernen, als Kinder Gottes zu leben. Das nennt die Bibel Gehorsam.

 

In diesem Sinn meint der Apostel Paulus, dass wir uns mit aller Leidenschaft (mit Furcht und Zittern) um unsere „Seligkeit“ bemühen sollen. Um es noch einmal in aller Deutlichkeit zu sagen: Paulus meint nicht, dass wir uns aus eigenem Vermögen die Befreiung aus der Schuld, der Sünde, dem Tod und der Vergänglichkeit erarbeiten könnten oder sollten. Sondern das, was Gott uns schenkt und was wir als heilige Gabe empfangen und in Anspruch genommen haben, das sollen wir bewusst und aktiv in die Tat umsetzen. Wir sollen es praktizieren. An anderer Stelle heißt es, dass wir Täter des Wortes sein sollen und nicht nur Hörer.

 

Nun habe ich gegen Ende der Auslegung dieses Textes in meinem inneren Ohr die frechen Fragen gehört: Und was passiert denn, wenn ich mich nur auf die Gnade und das heilswirksame Handeln Gottes berufe und darauf ausruhe? Was ist, wenn ich nicht horchen und gehorchen will, wenn ich keine Lust auf gelebte Glaubenspraxis habe? Und was passiert, wenn ich zwar die Gaben und den Zuspruch des Evangeliums gern annehme, aber die daraus resultierenden Aufgaben und den Anspruch nicht erfüllen mag? Lasst mich das anhand des vorhin schon verwendeten Bildes und Beispiels vom Auge beantworten. Was passiert denn, wenn du die sehenden Augen nicht gebrauchst? Was ist, wenn du die Augen verschließt und die Schönheit des Lebens und die Gefahren des Alltags nicht sehen kannst? Was passiert, wenn du dich trotz gesunder Augen blind stellst und auch so benimmst? Du verpasst so unendlich viel. Aber nicht nur das. Du bleibst hinter deinen Möglichkeiten zurück! Du verlierst nicht nur den Durchblick, sondern du rennst dir andauernd den Kopf an und bringst dich in eine lebensbedrohliche Gefahr.

 

Ich denke doch, dass wir in der Lage sind, die genannten Konsequenzen des Beispiels mit dem Auge auf die geistliche Glaubensebene zu übertragen können, oder? Jakobus sagt, dass wir uns selbst betrügen, wenn wir nur Hörer, nicht aber Täter des Wortes sind. Paulus sagt, dass nicht die gerettet werden, die das Wort Gottes nur kennen, sondern die das Wort Gottes tun. Und Jesus sagt, dass derjenige, der sein Wort nur hört und nicht danach handelt, einem Menschen gleicht, der sein Haus auf Sand baut.

 

Liebe Freunde, der Predigttext ist kurz und knapp, aber auch notwendigerweise herausfordernd. Denn wir können darüber dankbar staunen, dass Gott so an uns arbeitet und handelt, dass wir das wollen können, was er will. Und weil er uns das Handeln ermöglicht, darum können wir auch mit Liebe und Leidenschaft ihm gehorchen und entsprechend leben.

 

Und dann wird auch der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus bewahren.

 

AMEN