Auf der Spur des Glücks Shalom-Menschen vergeben

 

 

 

Liebe Freunde!

 

Während wir letzten Sonntag darüber gesprochen haben, dass Menschen, die im Shalom Gottes leben, gebende Menschen sind, füge ich heute dem Thema nur noch drei Buchstaben hinzu, und schon haben wir was Anderes, was Neues: Shalom-Menschen
ver-geben. Und diese drei Buchstaben der Vorsilbe prägen die fünf Stichworte, die ich mit euch heute betrachten will:

 

  • Vergeben
  • Verzichten
  • Vergessen
  • Versöhnen
  • Vertrauen

 

Fangen gleich mit dem ersten Stichwort an. Vergeben. Dazu werden wir in der Bibel mit allem Nachdruck aufgefordert und ermahnt. Wir sprechen das Thema immer aus, wenn wir das Vater-unser zusammen beten: „Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.“ Und wenn wir dann die nächsten Bitten und den Schluss mit dem Lobpreis gebetet haben, sagen wir AMEN. Nach dem Amen schließt Jesus aber noch ein PS an. „Denn wenn ihr den Menschen ihre Verfehlungen vergebt, so wird euch euer himmlischer Vater auch vergeben. Wenn ihr aber den Menschen nicht vergebt, so wird euch euer Vater eure Verfehlungen auch nicht vergeben.“ Ich will heute mal nicht zuerst aufzeigen, wie gut und beglückend, wie segensreich und erbaulich es ist, wenn wir vergeben. Sondern ich will den Ernst dieses Themas und die Dringlichkeit unterstreichen. Henry Cloud hat in dem Zusammenhang in seinem Buch auch klare Aussagen gemacht, die ich hier gern zitieren will.

 

„Wir machen einen großen Fehler, wenn wir denken, dass wir Gottes Vergebung in Anspruch nehmen können, ohne dass wir selber unseren Mitmenschen vergeben. Gott stellt uns vor eine klare Wahl: »Was willst du haben: Gnade oder Gerechtigkeit? Wenn du für dich selbst Gnade willst, kannst du von deinen Mitmenschen nicht Gerechtigkeit fordern. Wenn du für sie Gerechtigkeit willst, bekommst du selber auch Gerechtigkeit, und das bedeutet, dass du für deine Sünden bezahlen musst, so, wie du von den anderen verlangst, dass sie für ihre Sünden gegen dich bezahlen.« Ich weiß nicht, wie es bei Ihnen ist, aber ich wähle hier lieber die Gnade!“

 

Soweit das Zitat von Henry Cloud.

 

Neben der theologischen Dringlichkeit führt der Psychologe auch noch den Aspekt ein, der die Wechselwirkung zwischen unserer aktiven Vergebungswilligkeit und der Notwendigkeit, passiv die Vergebung Gottes in Anspruch zu nehmen. Cloud schreibt: „Wenn wir unseren Mitmenschen gegenüber kritisch und nachtragend sind, fällt es uns schwer, Gottes Vergebung zu spüren. Tun Sie sich also was Gutes und vergeben Sie!“

 

Lasst mich das bitte nochmal entfalten. Wenn ich mich weigere, meinem Nächsten zu vergeben, verhärte ich mein Herz und mache mich unempfänglich für die Vergebung Gottes. Und wenn ich nicht offen bin für die Vergebung Gottes in meinem Leben, dann werde ich mich schwer damit tun, anderen zu vergeben.

 

Was aber ist das eigentlich? Vergeben. Vergeben heißt eine Schuld löschen. Wenn mir jemand etwas Böses getan hat, zum Beispiel schlecht über mich geredet hat, mich in Verruf gebracht, üble Nachrede, falsch Zeugnis über mich gegeben hat (Formulierung des achten Gebots), dann ist dieser jemand mein Schuldner. Das hätte der andere nicht tun dürfen. Die Gerechtigkeit verlangt aber, dass der entstandene Schaden (mein Ruf wurde beschädigt) wieder gut gemacht wird. Es schreit alles nach Wiedergutmachung.

 

In meinem Beispiel ist das in befriedigender Weise kaum möglich. Und auch sonst ist es schwierig, mühsam und nicht zielführend, wenn wir nach dem Motto handeln: „Dafür musst du bezahlen!“

 

Darum bedeutet Vergebung, dass ich auf diese Wiedergutmachung verzichte. Ich schenke, ich erlasse dem anderen das, was mir von ihm zusteht. Wenn ich vergebe, heißt das, dass der andere mir nichts mehr schuldet. Schuldenerlass kennen wir aus dem Bankwesen und dem Wirtschaftsleben. Der Schuldner wird vom Gläubiger aus der Zahlungsverpflichtung entlassen. So geschieht es auch, wenn wir Schuld vergeben: Wir löschen in unseren Büchern die Schuld und setzen das Schuldenkonto auf Null.

 

Wenn wir vergeben, dann verzichten wir auf die Forderung nach Wiedergutmachung. Im Fall der üblen Nachrede verzichten wir auf die Forderung nach einer Gegendarstellung in der Zeitung. Wir verzichten auch auf eine angemessene Entschädigung in Form eines Schmerzensgeldes oder einer Schachtel Pralinen. „Ja, aber der an mir schuldig geworden ist, der muss doch in Sack und Asche angekrochen kommen. Nur dann kann ich auch vergeben, nur dann geht’s mir wieder gut, nur dann bin ich ihm wieder gut!“ Wenn wir wirklich vergeben, sollen wir sie nicht an solche Bedingungen knüpfen!

 

Wenn wir vergeben, dann verzichten wir auch auf den Gegenschlag. Der hat mich vor allen schlecht gemacht? Das kann ich auch. Kennt ihr das Bedürfnis, es dem anderen mit der gleichen Münzen heimzuzahlen? Wenn ich den anderen auch vor aller Welt bloßgestellt habe und er spürt, wie das ist, wenn man durch den Dreck gezogen wird, dann, dann kann ich ihm vergeben (vielleicht). Es ist sehr anstrengend und darum auch wieder nicht zielführend, wenn wir nach dem Motto leben: „Wie du mir, so ich dir!“ Aber wenn wir vergeben, dann hören wir auf, ständig darüber nachzugrübeln, wie wir uns rächen können.

 

Wenn wir vergeben, dann verzichten wir auch darauf, dem anderen sein Versagen, seine Schuld immer wieder neu unter die Nase zu reiben. „Aber damals hast du schlecht über mich geredet ….“ Darin steckt die unverhohlene Drohung, diese Angelegenheit wie eine Waffe gegen meinen Widersacher zu verwenden. Wer vergibt verzichtet aber darauf, sich ein Waffenarsenal anzulegen, mit dem ich gelegentlich zurückschlagen kann.

 

Dieser dreifache Verzicht bedeutet, dass ich Hauptnutznießer des Vergebens bin! Denn ich werde frei. Ja, die Vergebung schenkt mir die Freiheit von der Person, die mich verletzt hat. Ich gehe nämlich auf Distanz zum anderen. Ich löse mich von der negativen Bindung, von der Abhängigkeit. Der Psychologe Henry Cloud berichtet von einer Frau, die von ihren Eltern psychisch und pädagogisch sehr verletzt wurde. Aber Susan hat ihrer Mutter und besonders ihrem Vater vergeben, sie hat ihnen nichts mehr vorgehalten. Und im Laufe der Zeit ist sie frei davon geworden, wie sie damals behandelt wurde. Wer Susan ist und wie sie ihr Leben gestaltet wird nicht mehr vom Verhalten ihrer Eltern bestimmt. Mit anderen Worten: Ihre Eltern haben keine Macht mehr über sie.

 

Gerade wenn wir dieses letzte Beispiel bedenken, aber auch immer dann, wenn über die Notwendigkeit der Vergebung geredet wird, kommt in der Regel die Frage: „Soll das etwa heißen, dass ich das, was dieser Mensch mir angetan hat, einfach vergeben und vergessen soll?“ Nein, das heißt es nicht! Ich weiß gar nicht, wo das herkommt. „Vergeben und vergessen“ werden ja wie siamesische Zwillingen behandelt. Aber wir können unsere Vergessen kaum steuern. Wenn wir was vergessen, dann ist das eher unangenehm. Aktiv vergessen? Das können wir nicht. Und im Zusammenhang mit der Vergebung ist es auch gar nicht nötig, dass wir vergessen, was der andere uns angetan hat. Nötig ist, dass wir aus der Erinnerung keine negativen Gefühle und Gedanken und Herzenshaltungen mehr züchten. Wir können uns nicht zwingen zu vergessen, aber wir können uns disziplinieren und es uns verbieten, dass sich die Erinnerung auf unserer Festplatte unauslöschlich einbrennt.

 

Das gilt übrigens auch für das, was wir uns selbst verzeihen müssen. Nicht nur andere werden an uns schuldig. Wir werden auch immer mal wieder an uns selbst schuldig. Und wer kennt nicht die Formulierung: „Das kann ich mir nicht verzeihen, das ist unverzeihlich, was ich da gemacht habe.“ Solche Gefühle sind bitter, die Erfahrungen sind schmerzhaft und sehr demütigend. Aber wenn wir es nicht lernen, uns selbst zu vergeben, dann definieren wir uns immer nur und ausschließlich über unser Scheitern und unser Versagen. Ich muss nicht großartig ausführen, dass uns das ganz sicher nicht glücklich macht. Im Übrigen wären wir dann unbarmherziger als Gott selbst. Denn wenn Gott uns vergibt, dann hält er uns nichts mehr vor, dann trägt er uns auch nichts mehr nach. Wieso sollten wir das dann nicht im Anspruch nehmen und so auch mit uns umgehen?

 

 

 

Drei der fünf Stichworte mit der Vorsilbe „ver“ haben wir schon betrachtet. Die beiden verbleibenden sind mir aber auch noch sehr wichtig. Als nächstes geht es ums Versöhnen. Das berührt jetzt nicht mehr nur meine Haltung zu meinem Gegenüber, sondern hier geht es ums Miteinander. Was ein anderer Mensch dir auch immer getan hat, du kannst es vergeben. Zum Vergeben braucht es nur eine Person, und die bist du. Versöhnung dagegen erfordert, dass der andere das, was er oder sie getan hat, zugibt, um Verzeihung bittet, den ehrlichen Wunsch nach einer erneuerten Beziehung hat und mit dem Fehlverhalten aufhört. Wenn ihr euch gemeinsam auf diesen Weg begebt, dann kann Versöhnung gelingen.

 

Das gleiche gilt natürlich auch umgekehrt. Angenommen, ich bin in einem Konflikt nicht der Geschädigte, sondern der Bösewicht. Ich hab’s versaut, ich hab’s verbockt. Ich habe das auch erkannt und zugegeben, ich gestehe meine Schuld ein und ich bitte um Entschuldigung. Ich will’s auch wirklich nicht wieder machen und habe den ehrlichen Wunsch, dass es wieder gut ist zwischen mir und dem anderen. Aber der andere oder die andere will einfach nicht. Meine ausgestreckte Hand mit der Bitte um Vergebung wird ausgeschlagen. Ich bekomme nicht den Zuspruch, dass ich dem anderen nichts mehr schuldig bin. Und nun? Ich muss unter Umständen Vergeltung und andauernde Vorwürfe befürchten. Was tun? In dem Fall muss ich ernsthaft fragen, ob und wie ich den von mir verursachten Schaden wieder gut machen kann. Und dann darf mit aufrichtigem Herzen sagen, dass ich mich zwar ernsthaft bemüht habe. Aber wenn der andere mir die Sache immer wieder nachträgt, dann ist er derjenige, der sich damit abmüht und daran aufreibt.

 

Wir sehen also sehr deutlich, dass Vergebung eine Voraussetzung für Versöhnung ist und damit ein wesentlicher Schlüssel für gesunde Beziehungen. Aber Vergebung ist keine Garantie für Versöhnung, weil zur Versöhnung der andere immer dazu gehört.

 

Schließlich und endlich ist Vertrauen dann noch einmal was anderes. Ich kann jemandem das, was er in der Vergangenheit gemacht hat, vergeben. Ich kann mich mit ihm in der Gegenwart versöhnen. Und trotzdem ist es unter Umständen angebracht, vorsichtig zu sein, wenn es darum geht, ihm in der Zukunft zu vertrauen. Warum? Weil Vertrauen etwas sehr Kostbares ist, das wir nicht jedem einfach mal so schenken. Denn Vertrauen kann man nur verschenken. Wir vertrauen unser Herz oder unseren Besitz nur solchen Menschen an, die sich als vertrauenswürdig erwiesen haben. Und darum sollten wir ruhig in beiderseitigem Interesse das Vertrauen wieder behutsam aufbauen.

 

Vieles von dem, was ich bisher gesagt habe, beziehen wir auch auf unsere Beziehung zu Gott. Denn wir können nur dann Vergebung gewähren, wenn wir selbst Vergebung von Gott erfahren haben. Vergeben heißt eine Schuld löschen. Wir haben Gott viel Böses angetan. Wir haben ihm nicht gehorcht, haben ihm misstraut, haben den großen Gott degradiert. Das hätten wir nicht tun dürfen. Darum stehen wir in seiner Schuld. Und jetzt aber verlangt die Gerechtigkeit, dass der entstandene Schaden wieder gut gemacht wird. Es schreit alles nach Wiedergutmachung. Wie sollen wir das bewerkstelligen? Das haut nicht hin. Das schaffen wir einfach nicht. Deswegen hat Gott es geschafft. Für uns. Er vergibt, weil er selbst bezahlt. Und weil der Schaden so unermesslich groß ist, deswegen sorgt Gott selbst mit dem Leben seines sündlosen Sohnes für Gerechtigkeit, für Wiedergutmachung, für Sühne.

 

Auf dieser Grundlage, weil der große, vollkommene Gott uns so großzügig vergibt, weil wir seine Vergebung und seine Versöhnung annehmen können, weil wir mehr und mehr Vertrauen zu ihm fassen, deswegen sind wir glücklich zu nennen, wenn wir auch vergeben.

 

Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn.

 

AMEN