Predigt über Johannes 19,16-30

 

 

 

Schluss! Aus und vorbei. Das war’s. Es ist - zu Ende.

 

Das, liebe Gemeinde, ist den Jüngern damals durch den Kopf und das Herz gegangen. So haben sie gedacht und empfunden. So stehen sie fassungslos und entsetzt und zutiefst enttäuscht vor diesem unsagbar schrecklichen Geschehen, können es nicht begreifen. Das darf ja alles gar nicht wahr sein.

 

Sicher, Jesus hatte davon gesprochen, dass er leiden und sterben müsse. Aber wer hat das schon ernst genommen? Wer wollte das überhaupt hören und akzeptieren? Nein, die Jünger wollten davon nichts wissen. Es durfte ganz einfach nicht sein, was nicht sein sollte. Jesus sollte nicht leiden, er sollte erst recht nicht sterben. Denn er hat ja doch in göttlicher Vollmacht geredet und gehandelt. Mit seinen Predigten und seinen Wundern, seiner Art und seinem Umgang mit den Menschen hat er bewiesen, dass er göttliche Autorität besitzt. Er war mächtiger als die Krankheiten und Belastungen der Menschen. Mit wirksamen Worten und Gesten hat er Leute gesund gemacht. Er war mächtiger als seine Feinde, die ihn mit Unterstellungen, Anfeindungen und Hass zu Fall bringen wollten. Er war mächtiger als die dunklen Mächte des Teufels, mächtiger als die Dämonen. Bösen Geistern hat er Befehle erteilt und sie mussten weichen. Jesus hat sogar die Macht gehabt, anderen die Vergebung der Sünden zuzusprechen. Und er hat schon ein paarmal unter Beweis gestellt, dass er stärker ist als der Tod. Er hat Tote wieder lebendig gemacht. Und bei alledem hat er selbst nie gesündigt. Als er seine Gegner mal gefragt hat: „Kann mir einer von euch auch nur eine einzige Sünde nachweisen?“, da konnte niemand etwas benennen.

 

Und nun das! Machtlos, schutzlos, dem Hass und der Gewalt ausgeliefert. Verspottet und verhöhnt wie ein dummer Trottel. Hingestellt als Lügner, als Hochstapler, als Scharlatan.

 

Er wird gefoltert und in einem Justizskandal sondergleichen zum Tode verurteilt und direkt im Anschluss daran hingerichtet. Die Boshaftigkeit der Menschen hat es geschafft, den Sohn Gottes aus dem Weg zu schaffen. Die Sünde hat gesiegt. Der Tod hat auch Jesus umgebracht. Es ist - zu Ende. So endet der Bericht aus dem Johannesevangelium, den wir eben gehört haben.

 

Es ist vollbracht. Im griechischen Urtext steht dafür nur ein Wort: Tetelestai. Es ist vollbracht. Es kann aber auch die Bedeutung haben: Es ist zu Ende. So haben es die Jünger gehört. Aber war es wirklich zu Ende? Jesus hatte davon gesprochen, dass er gekommen ist, um zu dienen und sein Leben zu einer Erlösung für viele zu geben. Ist das hier also nicht das Ende, sondern eine Erlösung für ganz viele? Hat Jesus sein Leben freiwillig geopfert? Und Jesus hatte auch davon geredet, dass ein Weizenkorn nur dann Frucht bringt, wenn es in die Erde fällt und stirbt. Hat sein Sterben weitreichende Lebenswirkungen und nachhaltige Ewigkeitskonsequenzen? Und Jesus hatte auch gesagt, dass er der gute Hirte ist, der sein Leben für die Schafe lässt. Stirbt er für seine Leute, für die Menschen? Ja, und seine drei Leidensankündigungen haben immer auch den Hinweis enthalten, dass er nach drei Tagen wieder auferstehen wird.

 

Ist es wirklich zu Ende, wenn Jesus am Kreuz stirbt, oder hat Jesus sein Heilswerk vollendet, vollbracht?

 

Wenn wir die Hohenpriester auf die Kreuzigung Jesu angesprochen hätten, dann hätten die gesagt: Tetelestai. Es ist endlich geschafft. Endlich haben wir ihn ein für alle Mal mundtot gemacht. Der kommt uns nicht mehr in die Quere, der wird nicht mehr unsere Gesetze und Ordnungen infrage stellen. Lange genug hatte es gedauert, bis die Pharisäer und die Hohenpriester und die Sadduzäer ihre Tötungsabsicht in die Tat umsetzen konnten. Aber dann hatte sich einer der Jünger Jesu bereit erklärt, Jesus zu verraten. Und dann konnten sie auch Pontius Pilatus überzeugen, dass Jesus aus dem Weg geräumt werden musste. Und ihre Manipulationsmasche hat funktioniert. Das Volk, das vor ein paar Tagen Jesus noch zugejubelt hat, war umgeschwenkt und hat geschrien: Kreuzig ihn!

 

Die Hohenpriester haben gesagt: Tetelestai: Es ist endlich geschafft. Aber ist es wirklich geschafft? Da ist diese seltsame Beziehung zu den alten Schriften der Propheten und der Psalmen. „Fürwahr, er trug unsre Krankheit und lud auf sich unsre Schmerzen. Wir aber hielten ihn für den, der geplagt und von Gott geschlagen und gemartert wäre. Aber er ist um unsrer Missetat willen verwundet und um unsrer Sünde willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt.“ Und der Bezug zum Psalm 22 ist nicht zu übersehen: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Meine Kräfte sind vertrocknet wie ein Scherbe, und meine Zunge klebt mir am Gaumen, und du legst mich in des Todes Staub. Sie teilen meine Kleider unter sich und werfen das Los um mein Gewand.“

 

Haben’s die Hohenpriester wirklich geschafft, wenn Jesus am Kreuz stirbt? Oder hat Jesus das vollgültige Opfer ein für alle Mal dargebracht? Hat Jesus die Weissagungen aus den alten Schriften vollendet, erfüllt und vollbracht?

 

Wenn wir Pontius Pilatus auf die Kreuzigung angesprochen hätten, dann hätte er geantwortet: Tetelestai. Endlich ist dieses Theater vorbei. Was haben ihn die Juden genervt. Notorisch, penetrant, geradezu erpresserisch haben sie darauf gedrungen, dass er Jesus kreuzigen lässt. Sie hatten ihm gedroht: „Wenn du diesen Jesus wieder frei lässt und nicht ans Kreuz bringst, dann bist du nicht mehr der Freund des Kaisers.“ Dann hätten sie sich wieder mal beim Kaiser in Rom über den Statthalter beschwert. Aber auch Pilatus hat gestichelt und geärgert. Wie das zum Passahfest üblich war, wollte er auch in diesem Jahr einen Gefangenen freigeben. Das Volk sollte auswählen. Entweder einen fiesen miesen Meuchelmörder namens Barabbas oder Jesus. Und das manipulierte Volk wählt Barabbas. Pilatus stichelt weiter: „Und was soll ich mit Jesus machen? Soll ich etwa euren König kreuzigen lassen?“ Das war ein persönlicher Triumph für Pilatus, als daraufhin die Hohenpriester geantwortet haben: „Wir haben keinen König als den Kaiser.“ Nach diesem Erfolg über die stolzen Juden hat er den Befehl zur Kreuzigung erteilt. Auf einen mehr oder weniger kam es ihm nun auch nicht mehr an.

 

Pilatus hat gesagt: Tetelestai, endlich ist das vorbei. Aber ist es wirklich vorbei? Den Pilatus hat das alles nicht in Ruhe gelassen. Dieser Jesus stand so königlich und so furchtlos vor ihm. Ja, er hatte tatsächlich eine Ausstrahlung und eine Würde wie ein König. Deswegen hat Pilatus ein Schild anfertigen lassen, auf dem stand: „Jesus von Nazareth, der König der Juden.“ Aber wenn Jesus wirklich der König der Juden ist, wenn er der König des Gottesvolkes ist, wenn hier wirklich der König stirbt, dann ist das alles noch lange nicht vorbei. Dann wird das ein Nachspiel haben.

 

Wenn wir die Soldaten auf die Kreuzigung angesprochen hätten, dann hätten die geantwortet: Tetelestai. Wir haben unseren Job erledigt. Die vom Exekutionstrupp haben ihre Arbeit gemacht. Wenn die Gekreuzigten tot waren, dann war ihre Aufgabe erfüllt. Und bei diesem Jesus ging es einfacher und schneller als befürchtet. Von seinen Jüngern war nichts zu sehen und nichts zu hören. Die beiden anderen waren sowieso Einzelkämpfer. Aber die Freunde von dem Jesus haben keinen Befreiungsversuch unternommen, keinen Aufstand gemacht. Von denen war nichts zu befürchten. Sie haben ihren Lehrer im Stich gelassen. Und schon nach drei Stunden war Jesus gestorben. Das letzte, was sie von Jesus gehört haben, war „Tetelestai“. Es ist vollbracht. Die Soldaten haben auch gesagt: Tetelestai: Arbeit erledigt, diesen Gekreuzigten haben wir auch erledigt.

 

Aber war Jesus wirklich erledigt, war’s das?

 

Nein, auch den Soldaten war es nicht entgangen, wie sich Jesus um seine Mutter kümmert und sorgt und wie er mit seinem Freund redet. Jesus spricht außerdem mit dem beiden Verbrechern rechts und links neben ihm. Dem einen verspricht er sogar ein versöhntes und gesegnetes, ewiges Leben nach dem Tod im Paradies. Die Finsternis drei Stunden lang, das Erdbeben, nachdem Jesus gestorben war, das alles war schon sehr außergewöhnlich. Haben die Soldaten wirklich nur ihren Auftrag erledigt, oder hat Jesus mit seinem Sterben auf ganz eigenartige Weise seinen Auftrag erledigt, hat er etwas ganz Besonderes erreicht und vollbracht?

 

Jesus rief aus: Es ist vollbracht, aber es ist noch lange nicht zu Ende, auch nicht für die Jünger.

 

Jesus rief aus: Es ist vollbracht, aber die Hohenpriester haben nicht geschafft, was sie schaffen wollten.

 

Jesus rief aus: Es ist vollbracht, aber es ist noch lange nicht vorbei, auch nicht für Pilatus.

 

Jesus rief aus: Es ist vollbracht, aber die Soldaten haben ihn nicht erledigt.

 

Es ist vollbracht. Tetelestai. Was hat Jesus geschafft, was hat er vollbracht?

 

Bis zum Ende hat es Jesus geschafft, sich nicht zu versündigen. Bis zum Ende ist er weder an Menschen noch an seinem himmlischen Vater schuldig geworden. Beim Verrat des Judas, bei der Verleugnung des Petrus, bei dem Verhör vor dem Hohen Rat, bei der Folter durch römische Soldaten, beim Gerichtstermin vor Pontius Pilatus, als der den Kreuzesbalken tragen musste, als ihm die Nägel durch die Handgelenke und die Füße getrieben wurden, als er am Kreuz hing, als die Vorübergehenden ihn verlacht und verspottet haben. Er hat sich an keiner Stelle versündigt. Deswegen, weil er frei von eigener Schuld war, konnte er stellvertretend unsere Schuld begleichen.

 

Darum rief Jesus: Es ist vollbracht. Was hat Jesus vollbracht?

 

Er hat die Schuld beglichen, die wir bei Gott hatten. Denn wir stehen nun mal bei Gott in der Schuld. Wir bleiben Gott so vieles schuldig. Und wir haben keine Möglichkeit, wie wir diese Schulden wieder loswerden können. Wir sind darauf angewiesen, dass uns von außen geholfen wird. Helfen kann aber nur einer, der selbst keine Schulden hat. Dieser eine ist Jesus. Und damit keiner fragen und grübeln und zweifeln muss, ob denn nun wirklich alle Schuld beglichen ist, zahlt Jesus mit einem Lösegeld, das nicht zu überbieten ist. Er zahlt mit seinem eigenen, sündlosen Leben.

 

Darum rief Jesus: Es ist vollbracht. Was hat Jesus vollbracht?

 

Er hat ein Opfer gebracht, das ein für alle Mal wirksam ist. Jesus hat ein ewig gültiges Opfer dargebracht. Und das genügt in jeglicher Hinsicht. Es genügt für alle meine Schuld. Und es genügt für die Schuld aller Menschen. Es genügt sogar für alle Menschen zu allen Zeiten. Und wenn in der Bibel steht, dass es genügt, dann auch in der Weise, dass wir nichts zuzahlen müssen. Bei etlichen Versicherungen gibt es immer noch eine Selbstbeteiligung in Höhe von 150 oder 200 Euro. Bei dem, was Jesus für uns vollbracht hat, gibt es keine Selbstbeteiligung, keine Zuzahlung.

 

Darum rief Jesus: Es ist vollbracht. Was hat er vollbracht?

 

Er hat mit all dem seinen Auftrag erfüllt. Seine Mission auf der Erde war, die Menschen wieder mit Gott in Verbindung zu bringen. Diese Verbindung hat Jesus hergestellt. Er hat die trennende Schuld aus dem Weg geräumt. Er hat die Beziehung zwischen Gott und Menschen wieder ermöglicht. Jesus hängt zwischen Himmel und Erde am Kreuz und ist somit die Verbindung zwischen und uns Gott. Er ist der eine Weg und die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater als nur durch ihn.

 

Das hat Jesus vollbracht. Tetelestai.

 

AMEN.