Jesaja 8,23-9,6

 

 

 

Textlesung:

 

8,23 Das Land, wo jetzt Bedrängnis herrscht, wird nicht umnachtet bleiben. Wie die frühere Zeit Schmach über das Land Sebulon und über das Land Naphthali gebracht hat, so wird die Folgezeit die >Straße am See<, das >Land jenseits des Jordans<, diesen Bezirk der Heiden, zu Ehren bringen.

 

9,1 Denn das Volk, das in der Dunkelheit lebt, sieht ein helles Licht. Und über den Menschen in einem vom Tode überschatteten Land strahlt ein heller Schein.

 

2 Du vermehrst das Volk und schenkst ihm große Freude. Es freut sich über dich wie ein Volk zur Erntezeit, wie jubelnde Menschen, die Beute unter sich aufteilen.

 

3 Denn wie am Tage Midians zerbricht Gott das Joch, das sein Volk drückte und den Stock auf seinem Nacken, die Peitsche seines Treibers.

 

4 Alle dröhnend marschierenden Stiefel und blutgetränkten Mäntel werden verbrannt werden und den Flammen zum Opfer fallen.

 

5 Denn uns wurde ein Kind geboren, uns wurde ein Sohn geschenkt. Auf seinen Schultern ruht die Herrschaft. Er heißt: wunderbarer Ratgeber, starker Gott, ewiger Vater, Friedensfürst.

 

6 Seine Herrschaft ist groß und der Frieden auf dem Thron Davids und in seinem Reich wird endlos sein. Er festigt und stützt es für alle Zeiten durch Recht und Gerechtigkeit. Dafür wird sich der Herr, der Allmächtige, nachhaltig einsetzen.

 

 

 

Liebe Gemeinde!

 

Dunkle Momente und finstere Stunden, schrecklich Augenblicke, die endlos scheinen. Tage, Wochen, Monate, vielleicht sogar Jahre, in denen der Schrecken und das Elend nicht enden wollen. Vielen ist das nicht unbekannt. Wenn sich die Krebserkrankung schmerzhaft lang hinzieht und keine Besserung oder Heilung in Sicht ist. Wenn die Leiden wegen der Corona-Infektion chronisch geworden sind und definitiv bleiben werden. Wenn die Gemütsverfassung trübsinnig ist und sich die depressive Grundstimmung partout nicht aufhellen will. Solch Schicksale erleiden einzelne Menschen oder Familien. Aber so etwas gab es und gibt es auch bei ganzen Völkern. Aktuell denke ich an Syrien oder an Somalia, an den Sudan oder den Jemen. Die Lage in diesen Ländern ist mit den Begriffen Dunkelheit und Finsternis treffend zu umschreiben.

 

Unser Bibeltext spricht von genau solch einer Dunkelheit, von einem Volk in der Finsternis. Die Besatzung durch die Weltmacht der Assyrer liegt wie eine schwere Jochstange auf den Schultern. Stiefelgedröhn der feindlichen Soldaten hallt durch das Land, die Soldatenmäntel sind durch das Blut der Verwundeten und Gefallenen verschmiert. Als erste hat es die Gebiete der nördlichen Stämme Naftali und Sebulon im Königreich Israel erwischt. Der Assyrerkönig Tilgat-Pileser III. hatte diese Landstriche bei einem Feldzug 734 v.Chr. annektiert. Wir erfahren im Text sogar die Provinznamen, die die Assyrer diesen Gebieten verpasst haben: >Straße am See< und >Land jenseits des Jordans<. Was für eine Schmach und Schande, dass diese Gebiete zum Bezirk der Heiden degradiert werden. Es ist kein Licht am Ende des Tunnels zu erkennen, es gibt keinen Hoffnungsschimmer für die betroffenen Menschen und das Land. In den Versen vor unserem Abschnitt beschreibt und kritisiert Jesaja, dass das Volk über Wahrsagerei oder andere okkulte Praktiken Licht in die aussichtslose Finsternis bringen wollte.

 

Liebe Gemeinde, hier will ich einen ersten Zwischenstopp in der Betrachtung des Textes einlegen. Wie wir gesehen haben, ähnelt die prekäre Lage, die Jesaja beschrieben hat, so mancher Situation einzelner Menschen und ganzer Völker. Leider sind auch die Lösungsansätze damals wie heute einander sehr ähnlich. Viele strengen sich an, hoffen, dass ihnen eine Erleuchtung kommt und ein Licht aufgeht, warten auf einen Geistesblitz, sehnen sich nach einem lichten Moment. Dunkelheit und Finsternis sollen endlich weichen. Und manche versuchen tatsächlich, die beängstigende Finsternis mit okkulten, also dunklen Praktiken zu vertreiben. Damit aber wollen sie buchstäblich den Teufel mit dem Beelzebub vertreiben. Und damit kommen sie auch im wahrsten Sinn des Wortes in Teufels Küche.

 

Kommen wir wieder zurück zum Text. Jesaja kündigt großspurig und vollmundig an, dass die Dunkelheit der Angst und die lebensbedrohende Finsternis vergehen werden. „Es wird nicht dunkel bleiben über denen, die in Angst sind. … Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über denen, die da wohnen im finstern Lande, scheint es hell!“ Wer aber die weitere Entwicklung des Königreiches Israel und des Südreiches Juda verfolgt, der muss ernüchtert feststellen, dass von Licht und Erleuchtung, von lautem Jubel und überschäumender Freude überhaupt nicht die Rede sein kann. Das drückende Joch wird nicht zerbrechen, die Soldatenstiefel dröhnen zwölf Jahre später umso lauter. Nach der Belagerung 734 v.Chr. kommt es 722 v.Chr. zur endgültigen Eroberung des gesamten Gebietes von Israel und das faktische Ende dieses Königreiches.

 

Hier will ich einen zweiten Zwischenstopp einlegen. Denn viele Menschen, die das Wort Gottes lesen und sich darin Trost und Hilfe, Ermutigung und Hoffnung erwarten, sind mitunter enttäuscht, weil manches so anders kommt, als sie erwartet haben. Ich kann solche Enttäuschungen verstehen, will aber anhand dieses Abschnittes unser Augenmerk auf Zusagen Gottes lenken, die zwischen den Zeilen ganz hell aufleuchten und die Gott erfüllt. Im zweiten Teil vom Vers 1 aus Kapitel 9 steht ein Begriff, der vielen von uns aus dem 23. Psalm bekannt ist. Da, im Psalm 23,4 ist vom „finstern Tal“ die Rede, durch das wir je und dann wandern. „Und ob ich schon wanderte im finsteren Tal, fürchte ich das Unglück nicht, denn du bist bei mir!“ Das, was den Beter vom Psalm 23 tröstet, ist die Gegenwart Gottes. Die Gegenwart Gottes macht das finstere Tal hell. Und nichts anderes als die Gegenwart Gottes ist das Licht für diejenigen, die im finsteren Land wohnen. Im Psalm 18 beschreibt David genau diese Erfahrung: „Ja, du machst hell meine Leuchte, der HERR, mein Gott, macht meine Finsternis licht.“ Dabei will ich betonen, dass es das Licht des Gottes ist, auf den sich die gläubigen Menschen verlassen, dem sie vertrauen, an den sie glauben. Wenn wir ihm vertrauen, bleiben wir von dem treuen Gott auch betreut.

 

Das entspricht der nächsten Beobachtung, die ich gemacht habe. Im Vers 2 ist von großer Freude die Rede. Es ist aber nicht die Freude über eine materielle Hilfe oder die Befreiung von einem militärischen Feind. Sondern es ist die Freude an Gott. Die Menschen freuen sich über ihn. Diese Freude daran, dass Gott Gott ist. Diese Freude daran, dass Gott da und ganz nahe ist. Diese Freude daran, dass er nicht nur dann für mich ansprechbar ist, wenn ich durch das finstere Tal gehe, sondern sogar dann, wenn ich im finsteren Land wohne. Diese Freude, von der auch im Neuen Testament die Rede ist: „Freuet in dem Herrn allewege, und abermals sage ich freuet euch! Der Herr ist nahe!“ Hans-Joachim Eckstein hat gesagt: „Ich will lernen, mich in Christus zu freuen, auch wenn ich sonst keinen Grund zur Freude sehe, und mich vor allem über Christus zu freuen, wenn ich viel Grund zur Freude habe.“

 

Und dann will ich noch eine dritte Beobachtung für uns weitergeben. Im Vers 3 steht, dass Gott so handeln will und wird wie „am Tage Midians“. Mit dem Tag Midians ist ein Ereignis in der Geschichte Israels gemeint, das sich in der Zeitepoche nach der Inbesitznahme des verheißenen Landes abgespielt hat. Einzelne Stämme des Volkes Israel waren unter die Herrschaft der Midianiter geraten. Bei ihnen handelt es sich um nomadische Stämme, die in der syrisch-arabischen Wüste zu Hause waren. Die Midianiter haben das Volk Israel also immer wieder gepiesackt, überfallen, ausgeraubt, drangsaliert. Ein von Gott berufener und kommissarisch eingesetzter Heerführer namens Gideon hat sich erfolgreich gegen die Feinde im Kampf behauptet und die frechen Midianiter für lange Zeit zurückgedrängt. Aber der Sieg geht weder auf die Kappe des militärisch geschickten Gideon noch hat sich das kampferprobte Heer der Israeliten den Erfolg verdient. Vielmehr war es so, dass nur 300 Soldaten das ganze große Heer der Midianiter geschlagen haben. Dabei stand ursprünglich 32.000 Soldaten dem Gideon zur Verfügung. Aber Gott hat erstmal alle die nach Hause geschickt, die ängstlich und verzagt gewesen. Da waren es schon mal 22.000 Soldaten weniger. Aber auch die verbleibenden 10.000 waren Gott noch zu viele. Deswegen selektiert er erneut, und am Ende bleiben 300 Männer übrig. Mit dieser kleinen überschaubaren Schar wollte Gott sein Volk von den Midianitern befreien. Das ist also die Botschaft, die mit dem „Tag Midians“ verbunden ist: Gott rettet auf seine Weise, und die ist oft sehr klein, bescheiden, nahezu schwächlich.

 

Nun schauen wir, wie es in dem Bibeltext weitergeht und staunen, wie Gott Licht in die Finsternis bringen will, wie Freude und Jubel die Trauer und die Verzweiflung ablösen sollen, wie er die Unterdrückung überwinden und sein Frieden schenken will. „Denn uns wurde ein Kind geboren, uns wurde ein Sohn geschenkt. Auf seinen Schultern ruht die Herrschaft.“ Ein Kind? Ein neugeborener Sohn soll die Herrschaft auf seinen Schultern tragen? Was ist denn das? Soll das etwa so sein, wie Herbert Grönemeyer in seinem Lied gesungen hat: „Kinder an die Macht!“?

 

Das kann es beim besten Willen nicht sein. Wenn die angekündigte Geburt dieses Kindes identisch ist mit dem verheißenen Immanuel aus Jesaja 7,14, dann könnte man vordergründig wiederum an Hiskia denken, den Sohn des Königs Ahas und seiner jungen Frau Abi. Allerdings ist das, was diesem Sohn zugemutet wird, was dieser Junge leisten soll und welche überragenden Fähigkeiten ihm eigen sein sollen, für einen normalen Jungen nicht zu machen. Nein, das muss mit diesem Kind irgendwie so sein wie am Tag Midians und dem überirdisch wundersamen Eingreifen Gottes. Gott greift mit dem angekündigten Kind auf seine Weise ein, auf seine Weise, die ist sehr klein, bescheiden und nahezu schwächlich ist. Deswegen kann es sich hier nicht um ein gewöhnliches Kind handeln. Und weil auch noch gänzlich offenbleibt, wann dieses Kind geboren wird, schauen wir in die Geschichte Gottes mit der Menschheit, ob so ein Sohn mit solch herausragenden Fähigkeiten und Eigenschaften geboren ist. Wer könnte in der Lage sein, dass er Frieden ohne Ende bringt? Wer stützt seine Herrschaft durch Recht und Gerechtigkeit von nun an bis in Ewigkeit?

 

Die einzig sinnvolle Antwort auf diese Fragen sehe ich in Jesus Christus, dem Sohn Gottes, der in Bethlehem von der Jungfrau Maria geboren wurde. Auf ihn treffen auch die Eigenschaften zu, die in den vier Hoheitstiteln aufleuchten. Jede Bezeichnung besteht aus einem göttlichen und einem menschlichen Element. Allein diese Beobachtung macht meines Erachtens schon deutlich, dass mit diesem Kind Jesus Christus gemeint ist. Er ist ganz und gar Gottes Sohn. Er tut Wunder, er ist ein Wunder, er ist tatsächlich wunderbar. Er ist Gott selbst, denn er kann von sich behaupten: Ich und der Vater sind eins. Er war und ist von Ewigkeit her und er lebt in alle Ewigkeit. Und er ist der Friede in Person, er schafft und bringt Frieden. Zugleich aber ist Jesus auch ganz Mensch. Er ist ein kluger und weiser Ratgeber. Er ist stark, überlegen und ein richtiger Held! Er sorgt und kümmert sich um seine Leute wie ein Vater. Und er ist der beste Fürst-Regent, den man sich vorstellen kann. Darum passen diese vier Doppelnamen so gut zu Jesus: wunderbarer Ratgeber, starker Gott, ewiger Vater, Friedensfürst.

 

Ganz nüchtern müssen wir allerdings feststellen, dass Jesus die politischen Machtverhältnisse noch nicht verändert hat. Noch gibt es Unterdrückung und militärische Gedröhne, Blut und Tränen. Auf den weltpolitischen dauerhaften Frieden müssen wir noch warten. Ich glaube, dass das noch kommen wird. In meiner nächsten Predigt über Jesaja 11 will ich darauf eingehen. Aber den Frieden als intakte Beziehung zu Gott, den Frieden als eine ganz neue Lebensqualität durch die Vergebung und Versöhnung, den Frieden können wir jetzt schon bei und mit Jesus haben. Dieser Friede mag unser Leben hell machen, uns mitten in der Dunkelheit und Finsternis erleuchten, uns mehr und mehr hineinführen in die herrliche Freiheit der Kinder Gottes.

 

Dieser Friede, der höher ist als all unsere Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn.

 

AMEN