Psalm 19

 

Liebe Gemeinde!

 

Wer ein Faible, eine Vorliebe für Sprache und Poesie hat, wird seine helle Freude an diesem Psalm haben. Die Sprache ist bildhaft, die Formulierungen sind durchdacht, die Struktur ist klar, die Aussagen über das Wort Gottes sind kurz und prägnant, die Haltung des Verfassers demütig und aufrichtig. Und wer klassische Musik mag, der kennt die Vertonungen der ersten Verse dieses Psalms von Ludwig van Beethoven und Johann Haydn.

Aber auch alle anderen, die weder mit Poesie noch mit klassischer Musik was am Hut haben, können sich hineindenken in die Gedanken dieses alttestamentlichen Liedes. Besonders die erste Strophe (Verse 2-7) mit den Ausführungen und Gedanken über die Schöpfung, das Weltall, die Sonne und den Schöpfer ist schon irgendwie sehr ansprechend. Und ich weiß, dass ganz schön viele Menschen den Zugang zu Gott eher in der Natur und der Schöpfung finden als in der Kirche oder der Bibel. Und genau mit diesem Zugang zu Gott will ich mich im ersten Teil meiner Predigt beschäftigen.

Der Psalm wurde von David geschrieben. Bevor David König von Israel geworden ist, war er Hirtenjunge. Wenn er oft tagelang oder gar über Wochen hinweg mit seinen Schafen unterwegs war, dann hat er die Natur, die Schöpfung hautnah erlebt. Er hat den Wechsel von Tag und Nacht erfahren, er hat Sonnenaufgänge und Sonnenuntergänge bewundert, er hat nachts die Sterne und die Planeten bestaunt, Asteroiden und Kometen gesehen und sich über Sternschnuppen gefreut. Ähnlich wie in anderen so genannten Schöpfungspsalmen schließt David auch in diesem Lied von der Herrlichkeit der Schöpfung auf die Herrlichkeit und Größe des Schöpfers. Im Psalm 8 staunt er: „Herr, unser Herrscher, wie herrlich ist dein Name in allen Landen, der du zeigst deine Hoheit am Himmel!“ Und im Psalm 104 steht: „Herr, wie sind deine Werke so groß und viel! Du hast sie alle weise geordnet, und die Erde ist voll deiner Güter!“.

Wie schon gesagt: ich kann alle verstehen, die Gottes Größe und Herrlichkeit besser in der Natur finden als in der Kirche. Deswegen wollen wir das ernst nehmen und auf das achten, was uns die Natur und die Schöpfung mitteilen wollen. Was erzählen uns die Himmel? Sie verkünden uns, dass sie augenscheinlich unendlich sind. David hat nachts mit bloßem Auge unendlich viele Himmelskörper gesehen. Und er hat ohne Fernrohr und ohne Weltraumteleskop geahnt, dass zwischen den Sternen und hinter den Planeten noch lange nicht Schluss ist. Mit unseren modernen technischen Möglichkeiten wissen wir mehr und sehen wir weiter. Aber die Unendlichkeit des Alls versetzt uns allemal ins Staunen.

 An etlichen Stellen sagt das Wort Gottes, dass Gott mit seiner Größe und Gegenwart und Herrlichkeit und Macht das ganze Weltall erfüllt. Das heißt, dass wir mit David und vielen anderen staunend von der Unendlichkeit des Weltalls auf die Unendlichkeit und Unbegrenztheit des Schöpfers schießen.

Das All ist nicht nur unendlich, sondern es ist auch geheimnisvoll. Trotz aller Hubbels und Voyagers und leistungsfähigen Teleskope gibt es noch so vieles, was wir nicht kennen, nicht wissen, nicht erklären können. Es ist für mich zum Beispiel unbegreiflich, dass es schwarze Löcher gibt. Ich staune über Wissenschaftler, die sowas erforschen. Und auch sie stoßen an Grenzen des Verstehens und können so vieles nicht erklären. Was sagt uns das? Wir können das Weltall nicht begreifen, wie wollen wir da den Schöpfer des Weltalls begreifen?

Was sehen wir noch, wenn wir den Himmel über uns und das Firmament betrachten? Wir sehen, dass alles sehr weise und intelligent geordnet ist. Damit es in diesem Kosmos zu organischem Leben kommen kann, müssen die fundamentalen Gesetzmäßigkeiten und Konstanten der Physik ganz exakte Werte haben. Wenn nur eine dieser Konstanten, zum Beispiel die der Schwerkraft und der Gravitationskraft, auch nur um ein Millionstel von diesem erforderlichen Wert abweichen würde, wäre auf dem Planeten Erde kein Leben möglich. Die Wahrscheinlichkeit, dass die perfekte „Einstellung“ dieser Werte im All ein Produkt des Zufalls ist, ist statistisch nicht messbar. Was sagt uns das? Wenn das „Werkstück“ des Meisters genial ist, also wenn die Schöpfung so intelligent und weise geordnet ist, wie weise und intelligent muss dann der Schöpfer sein!

Über die Thematik Schöpfung und Schöpfergott könnte man noch ganz viel erzählen. Das muss ich lassen. Aber einen letzten Gedanken kann ich nicht weglassen. Die Frage wird ja immer wieder gestellt: „Was sagen uns die Sterne?“ Sie sagen uns ganz einfach, dass sie Geschöpfe sind, keine Gottheiten. Sie sagen uns, dass Gott sie geschaffen hat und dass ihre Konstellation keinen Einfluss auf unser Leben und unser Schicksal hat. Astrologie ist nicht im Sinne des Schöpfers, wenn wir uns in irgendeiner Form von ihnen abhängig machen, dann beleidigen wir den, der die Gestirne gemacht hat.

Auf den ersten Blick erfolgt nach der ersten Strophe dieses Psalms ein abrupter Themenwechsel mit der zweiten Strophe, in der es um das Wort Gottes geht. Aber es gibt gleich mehrere Brücken und Verbindungen zwischen den zwei Themen dieser beiden Strophen. Sowohl die Schöpfung als auch das Wort Gottes sind Offenbarungen des einen Gottes. Und in beiden erkennen wir die Menschenfreundlichkeit Gottes.

Aber während die „Sprache und die Worte“ der Natur unhörbar sind, können wir das Reden Gottes in seinem Wort sehr deutlich vernehmen. Im Gegensatz zur Gottesbegegnung in der Natur, im Wald, am Meer, in den Bergen oder unter dem nächtlichen Sternenhimmel hören wir das Reden Gottes in seinem Wort. Die Natur spricht uns zwar an. Aber sie gibt uns keine Informationen über den Willen Gottes. Sie sagt uns nichts über seinen Charakter und über sein Wesen. Sie gibt uns nicht das Versprechen, dass Gott treu ist und zu seinen Zusagen steht. Sie gibt uns auch keine lebenstauglichen Hinweise, wie wir tauglich werden für das Leben. Die Natur lehrt uns auch nicht, dass wir einen liebenden Vater im Himmel haben. Das aber, liebe Freunde, das finden wir im Wort Gottes. Und darüber freut sich der Liederdichter David ausdrücklich. Er drückt es so aus, dass er die unterschiedlichen Aspektes des Wortes Gottes nennt, die Eigenschaften und die Wirkungen aufzählt. Heraus kommt ein bunter und sehr hilfreicher Blumenstrauß. Schauen wir uns doch mal die einzelnen Beschreibungen an.

„Das Gesetz des Herrn ist vollkommen und erquickt die Seele.“ Der Begriff „Gesetz“ meint hier wie an vielen anderen Stellen nicht einen Vorschriftenkatalog, sondern die guten Lebensregeln Gottes. Am einfachsten ist es, wenn wir hier an die10 Gebote denken. Diese Lebensangebote Gottes tun uns Menschen gut, weil sie unser Leben schützen. Ich denke zum Beispiel an das Gebot „Du sollst keine falsche Aussage über einen deiner Mitmenschen machen“. Dadurch soll ich vor Verleumdung und Mobbing bewahrt werden. Wenn wir uns daran halten würden, würde das „die Seele erquicken“.

„Das Zeugnis des Herrn ist gewiss und macht die Unverständigen weise.“ Bei Zeugnis sollen wir nicht an Schule und Noten denken, sondern diese Aussagen der Bibel bezeugen und bestätigen gleichsam wie eine feierliche Vertragsurkunde, dass Gott den Menschen zu seinem Gegenüber auserwählt hat. Diese Zusagen Gottes sind absolut zuverlässig und geben unserem Leben eine hilfreiche Orientierung und die nötige Ausrichtung. Denn wenn wir uns grundsätzlich von Gott angenommen wissen, dann hilft uns das zu einer Lebensgestaltung, die Gott ehrt und uns guttut.

„Die Befehle des Herrn sind richtig und erfreuen das Herz.“ Auch hier müssen wir uns lösen von unseren Gefühlen, die wir mit dem Wort „Befehl“ verbinden. Bei „Befehl“ sträubt sich was in mir und ich denke an widerwilligen Gehorsam. Aber die Befehle im biblischen Sinn des hebräischen Wortes sind die Anweisungen Gottes, die uns zeigen, wie sehr wir Gott am Herzen liegen. Hierzu fällt mir das 1. Gebot ein. „Ich bin der Herr, dein Gott, der ich dich aus Ägyptenland, aus der Knechtschaft geführt habe.“ Zuerst steht hier, dass Gott sein Volk aus der Sklaverei in die Freiheit geführt hat. Das dürfen wir, die wir nicht zum alttestamentlichen Gottesvolk gehören, dennoch auch hören, dass Gott uns in die herrliche Freiheit der Kinder Gottes führen will. Und weil wir ihm so sehr am Herzen liegen, deswegen sollen wir nichts und niemanden anderes als ihm anbeten und göttlich verehren.

„Die Gebote des Herrn sind lauter und erleuchten die Augen.“ Die Anweisungen unseres himmlischen Vaters haben sicher nicht das Ziel uns zu ärgern. Das sind auch keine Vorschriften, mit denen er uns überrumpeln will. Sondern Gott hat die Absicht, unsere Augen zum Strahlen zu bringen, weil wir kapieren, wie lebensfördernd und zuträglich es ist, wenn wir beispielsweise Gott über alles lieben und unseren Nächsten wie uns selbst.

Das alles wird dann von David zusammengefasst mit der Aussage: „Die Rechte des Herrn sind Wahrheit und allesamt gerecht. Sie sind köstlicher als Gold und viel feines Gold, sie sind süßer als Honig und Honigseim.“

 

Bei aller Wertschätzung der Gottesbegegnungen in der Natur und aller Gotteserfahrungen in der Schöpfung: solche Zusagen und Lebensanweisungen, solche Hilfestellungen und Orientierungen finden wir nur in der Bibel. Und die Zusagen der Liebe und der Barmherzigkeit Gottes, seiner Gnade und Zuneigung entnehmen wir nicht einem Sonnenaufgang, sondern der Heiligen Schrift. Aber diese Zusagen werden wir nicht auf die Schnelle finden, die werden wir nicht beim oberflächlichen Überfliegen von den biblischen Texten entdecken. Beim Studieren der Bibel ist es tatsächlich ganz ähnlich wie beim nächtlichen Betrachten des Sternenzeltes über uns. Erstens muss man darauf achten, dass es möglichst wenig ablenkendes Streulicht gibt. Wer die Sterne sehen will, sollte sich weit weg von dem künstlichen Licht der Straßenlampen und Häuser und Gebäudebeleuchtungen befinden. Zweitens muss man Zeit mitbringen. Denn je länger man hinschaut, desto mehr sieht man. Und drittens ist es viel interessanter und erkenntnisreicher, wenn man nicht allein nach oben guckt, sondern mit mehreren. So ist es auch mit dem Lesen der Bibel: Achte darauf, dass dich möglichst wenig ablenken kann. Nimm dir Zeit und Ruhe dafür. Und schau mit anderen zusammen rein in die Bibel, gemeinsam werdet ihr deutlich mehr erkennen als nur allein.

In der dritten Strohe verarbeitet David die Erfahrung, dass die Bibel unter anderem auch das Gewissen schärft. Je länger wir uns mit dem Wort Gottes befassen, desto mehr wird unser Denken und unsere Herzenshaltung von der Bibel geprägt. Das führt aber auch dazu, dass wir erkennen, wo wir den Anforderungen Gottes nicht entsprechen. Und David lernt immer besser zu verstehen, dass er Fehler macht und Gott und den Menschen vieles schuldig bleibt. Und er erkennt auch, dass da noch viel mehr Scheitern und Versagen in seinem Leben ist, das ihm gar nicht bekannt und bewusst ist.

Ich habe den Eindruck, dass so manche Menschen sich vor der Lektüre der Bibel scheuen, weil sie unbewusst damit rechnen, dass sie mit unangenehmen Einsichten konfrontiert würden. Sie fürchten sich davor, dass die Diagnose eventuell ungünstig ausfallen könnte. Aber das ist so, wie ein Freund mal gesagt hat: „Du bist so lange gesund, bis du beim richtigen Arzt gewesen bist!“ Was nutzt aber der Eindruck und das Gefühl, gesund zu sein, wenn ich vor das diagnostischen Wahrheit weglaufe? Die Bibel stellt tatsächlich eine ehrliche und ungeschminkte Diagnose über unseren geistigen Gesundheitszustand: „Das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf.“ „Es das Herz ein trotziges und verzagtes Ding!“ „Der Herr schaut vom Himmel auf die Menschenkinder, dass er sehe, ob jemand klug sei und nach Gott frage. Aber sie sind alle abgewichen und allesamt unfähig, da ist keiner, der Gutes tut, auch nicht einer.“ Solche und ähnliche Aussagen sind einfach zutreffend. Aber die Bibel stellt nicht nur die Diagnose, sondern sie bietet auch die Therapie an. Und die heißt: Vergebung. Gott will den Schaden heilen, er will die Sünde vergeben, er will die Schuld begleichen, die wir verursacht haben. Von solcher Barmherzigkeit, von der Vergebung, spricht übrigens die Natur nicht, weder das Weltall noch die Sterne. Aber die Bibel.

 

Was lehrt uns der Psalm 19?

An der Schöpfung, dem Universum und der Natur können wir die Größe und Herrlichkeit Gottes erkennen oder zumindest erahnen.

In der Bibel können wir die guten Lebensordnungen Gottes nachlesen, die uns wirklich guttun.

Wir erfahren in Gottes Wort auch von seiner Gerechtigkeit und unserer Fehlerhaftigkeit, uns wird aber auch seine Liebe und Barmherzigkeit zugesagt.

AMEN