Predigt über „Der Sabbat und die Identität“

 

 

 

Liebe Freunde,

 

„Der Sabbat – Leben nach Gottes Rhythmus“ ist das Motto der Allianzgebetswoche[1], in die wir heute starten. Wenn wir über den Sabbat nachdenken, dann geht es nicht nur um einen freien Tag in der Woche, an dem wir nicht arbeiten müssen. Der Feiertag, den Gott uns anbietet und gönnt, aber auch verordnet und befiehlt, ist mehr als das. Mit dem Sabbat, den wir in der christlichen Tradition am Sonntag feiern, sind viele sehr wertvolle Aspekte und Inhalte, Geschenke, Symbole und Botschaften verbunden. Deswegen ist es lohnenswert, sich mit dem Motto und den damit verknüpften Themen zu beschäftigten. Mit dem Feiertagsangebot verbunden sind unsere Identität, Gottes Versorgung, die Ruhe, die Barmherzigkeit, die Erinnerung, die Freude, die Großzügigkeit und schließlich die Hoffnung.

 

Heute geht es um die thematische Verknüpfung von Feiertag und Identität. Was das miteinander zu tun hat, wollen wir herausfinden und entdecken. Steigen wir ein mit einigen Erfahrungen, die viele von uns schon gemacht haben. Viele von uns sind im Ruhestand. Das soll ja angeblich ein erstrebenswerter Zustand sein. Ich stelle mir das auf jeden Fall als etwas Schönes und Angenehmes vor. Nicht mehr so früh aufstehen müssen, Zeit haben für Hobby, Garten, Enkel und Reisen. Endlich in Ruhe alle Bücher lesen, deren Lektüre vielversprechend ist, und Musik hören und entdecken, wie vielfältig sie ist. Was auf den ersten Blick ganz hübsch aussieht, das entpuppt sich auf den zweiten Blick als ziemliche Belastung. Es kommen so merkwürdige Fragen auf: Wozu bin ich überhaupt noch da? Was bin ich noch wert? Niemand fragt mich mehr nach meiner Einschätzung und meinem Wissen und meiner Erfahrung und meinem Rat. Und so mancher Ruheständler schlittert in eine handfeste Identitätskrise.

 

Bei anderen, vielleicht eher bei den Frauen und Müttern, kann eine solche Identitätskrise schon ein paar Jahre früher kommen. Irgendwann und auf einmal ganz plötzlich sind die Kinder groß geworden, sie sind erwachsen und flügge und fliegen aus. Und dann ist das Haus leer, und das „Leere-Nest-Syndrom“ erschüttert die Mutter. Wozu bin ich noch da, wenn die Kinder mich nicht mehr brauchen (und wenn die Enkelkinder zu weit weg wohnen)?

 

Und unabhängig von Familienstand oder Beruf oder Alter kann es uns alle treffen, dass wir durch Krankheit oder sonstige Einschränkungen in der Handlungsfähigkeit ausgebremst werden. „Ich kann nicht mehr wie vorher, ich bin zu nichts mehr zu gebrauchen, ich gehöre zum ausrangierten Mobiliar.“

 

Den drei beschriebenen Erfahrungen kann man sicher noch einige andere hinzufügen, die alle darauf hinauslaufen, dass wir unsere Identität, unseren Wert und unser Selbstbewusstsein davon abhängig machen, dass wir etwas tun und etwas leisten können, dass wir agieren, dass wir handeln können. Und wenn uns das genommen wird, dann stellt sich bei manchen die Frage nach der eigenen Identität.

 

Das Volk Israel hat die entgegengesetzte Erfahrung machen müssen. Sie mussten circa 400 Jahre lang unaufhörlich als Sklaven für den Pharao in Ägypten arbeiten, schuften und mallochen. Sie waren in einem mörderischen Hamsterrad gefangen. Sie hatten keine menschenwürdige Identität mehr. Sie haben sich die Frage gestellt: wer sind wir eigentlich, die wir uns sieben Tage in der Woche und 52 Wochen im Jahr abrackern müssen. Das kann doch nicht das Leben sein. Ist das die Definition von Leben, ist das der Wert des Lebens, wenn man nur schuften muss? Nein. Und das hat Gott auch nicht so gewollt. Im Bibeltext aus 2. Mose 6,6 steht: „Ich bin der Herr und will euch wegführen von den Lasten, die euch die Ägypter auflegen, und will euch erretten von ihrem Frondienst und will euch erlösen mit ausgestrecktem Arm und durch große Gerichte.“

 

Das war die Zusage Gottes an sein Volk. Und die göttliche Ansage und Befehl an Pharao lautete: „Lass mein Volk ziehen, dass es mir ein Fest halte in der Wüste, dass es mir diene in der Wüste.“ Draußen in der Wüste sollte sein Volk endlich zur Ruhe kommen. Befreit von der Last des Frondienstes konnten sie endlich wieder Sabbat feiern. Denn das bedeutet „Sabbat“: Ruhe, Aufhören, Stopp, Pause. Deine Identität ist nicht das, was du tust, sondern was du in Gottes Augen bist! Und am Sabbat feiert das Volk Gottes, was es in seinen Augen ist: sein geliebtes und auserwähltes und befreites Volk.

 

Wenn wir den Feiertag heiligen, dann wird uns das an diesem Ruhetag zugesprochen, dann ist das die Botschaft dieses Tages: du bist beschenkt von Gott, von ihm erwählt und geliebt, befreit und gewürdigt. Daran sollen wir immer wieder erinnert werden. Spätestens an jedem Sonntag soll uns das wieder neu klarwerden.

 

[An der Stelle unterbreche ich die Predigt, damit wir uns für einen Augenblick mit folgenden Impulsen beschäftigen: Was macht deine Identität aus? An der Stelle wollen wir uns persönlich mal kurz Rechenschaft geben: Wie vollendest du diesen Satz? „Ich bin, weil ich…. (zum Beispiel: für andere da bin und sorge)“]

 

Ich will einen zweiten Aspekt betrachten, der bei der Verknüpfung von Feiertag und Identität aufgefallen ist. Der Sabbat bestätigt uns unseren Wert und gibt uns ein königliches Selbstverständnis, weil er uns immer an die Freiheit und die Befreiung erinnert. Deswegen überschreibe ich den zweiten Punkt mit „Der Sabbat und die Identität der Freiheit“. Das Feiertagsgebot ist untrennbar verbunden mit der Befreiung des Volkes Gottes aus der Sklaverei. In der Wiederholung der 10 Gebote in 5. Mose 5 steht folgendes:

 

„12 Den Sabbattag sollst du halten, dass du ihn heiligst, wie dir der HERR, dein Gott, geboten hat. 13 Sechs Tage sollst du arbeiten und alle deine Werke tun. 14 Aber am siebenten Tag ist der Sabbat des HERRN, deines Gottes. Da sollst du keine Arbeit tun, auch nicht dein Sohn, deine Tochter, dein Knecht, deine Magd, dein Rind, dein Esel, all dein Vieh, auch nicht dein Fremdling, der in deiner Stadt lebt, auf dass dein Knecht und deine Magd ruhen gleichwie du. 15 Denn du sollst daran denken, dass auch du Knecht in Ägyptenland warst und der HERR, dein Gott, dich von dort herausgeführt hat mit mächtiger Hand und ausgerecktem Arm. Darum hat dir der HERR, dein Gott, geboten, dass du den Sabbattag halten sollst.“

 

Wenn das Volk Gottes also den Sabbat feiert, dann ist damit klar und deutlich die Botschaft verbunden: Gott hat dir die Identität der Freiheit geschenkt. Dein Wert ist nicht davon bestimmt, dass du arbeiten und leisten musst. Sondern Gott hat dich aus der Sklaverei erlöst. Damit bist du frei, als Volk Gottes zu leben.

 

Auch als neutestamentliche Gemeinde feiern wir den Sonntag als einen Tag der Befreiung. Denn den wöchentlichen Feiertag begehen wir am Sonntag, weil Jesus an diesem ersten Tag der Woche von den Toten auferstanden ist. Die Vorherrschaft des Todes, die zwangsläufige Trennung von Gott, die lebensfeindliche Distanz zu unserem himmlischen Vater hat Jesus am Ostermorgen überwunden. Denn das, was Jesus mit seinem Tod und mit seiner Auferstehung getan hat, das hat für uns unmittelbare Auswirkung, wenn wir ihm glauben, ihm vertrauen. Darum erinnert uns dieser Feiertag Woche für Woche an unsere Identität als Kinder Gottes.

 

Der Apostel Petrus hat das so auf den Punkt gebracht (1.Petrus 1,3):

 

„Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus! In seinem großen Erbarmen hat er uns neues Leben geschenkt. Wir sind neu geboren, weil Jesus Christus von den Toten auferstanden ist, und jetzt erfüllt uns eine lebendige Hoffnung.“ Weil Jesus von den Toten auferweckt wurde von seinem göttlichen Vater, haben wir eine neue Identität bekommen. Wir sind befreit und gewürdigt, ewiges Leben und lebendige Hoffnung zu haben. Und das feiern wir im Prinzip an jedem Sonntag, daran will uns der wöchentliche Feiertag erinnern.

 

[Auch hier unterbreche ich die Predigt, denn wir wollen uns Zeit nehmen, Gott für die Identität der Freiheit zu danken.]

 

Ich will einen dritten Gedanken entfalten, der bedeutsam ist bei der Verbindung von Sabbat und Identität. Wir haben bisher festgestellt, dass unsere Identität nicht in dem gründet, was wir tun und leisten, sondern darin, dass Gott uns liebt. Damit ist verbunden die Freiheit von der Sklaverei und die Freiheit für das Leben als Gottes Volk. Diese neue Identität wollen und sollen wir am Sabbat in besonderer Weise pflegen und gestalten. Darum will ich drittens reden über „Der Sabbat und unsere Identität in der Beziehung zu Gott“. Unser Person Sein wird ja grundsätzlich geprägt von Beziehungen. Unser Charakter, unsere Gewohnheiten, Gesten und Haltungen, Einstellungen und Werte, das alles wird in starkem Maße geformt von den Menschen, mit denen wir ganz viel zu tun haben. Deswegen ist es nicht verwunderlich, wenn Kinder nicht nur äußerlich ihren Eltern ziemlich ähnlich sind. Unsere Entwicklung wird außerdem auch beeinflusst von Geschwistern und Freunden, von Lehrern und Kollegen. Dabei wissen wir sehr gut, dass es nicht egal ist, mit wem wir uns abgeben und von wem wir uns prägen lassen.

 

Der Sonntag hat eine ganz wichtige und in die Tiefe wirkende Funktion, weil er uns dazu gegeben ist, dass wir die Beziehung zu Gott leben und gestalten. Dem Volk Israel wurde der Sabbat als ein besonders wichtiges Zeichen für das Verhältnis zu Gott gegeben. In 2. Mose 31 heißt es:

 

„Haltet meine Sabbate; denn das ist ein Zeichen zwischen mir und euch von Geschlecht zu Geschlecht, damit ihr erkennt, dass ich der Herr bin, der euch heiligt. Darum haltet den Sabbat, denn er soll euch heilig sein. (….) Sechs Tage soll man arbeiten, aber am siebenten Tag ist Sabbat, ein heiliger Ruhetag für den Herrn. (…) Darum sollen die Israeliten den Sabbat halten, dass sie ihn auch bei ihren Nachkommen halten als ewigen Bund. Er ist ein Zeichen zwischen mir und den Israeliten. Denn in sechs Tagen machte der Herr Himmel und Erde, aber am siebenten Tag ruhte er und erquickte sich.“

 

An diesem besonderen Tag soll das Volk Gottes des alten und des neuen Bundes die Beziehung zu Gott in besonderer Weise gestalten. An diesem Tag sollten wir die alltäglichen Arbeiten ruhen lassen. Wir sollten die Zeit zur Gelassenheit und Entspannung nutzen und ganz bewusst genießen, dass Gott uns als seine Kinder berufen und gesegnet hat. Und es gehört nach der biblischen und kirchengeschichtlichen Tradition untrennbar zum Sonntag, dass die Gemeinde zusammenkommt und die Beziehung zu Gott im Gottesdienst feiert. Der Gottesdienst ist ein wesentlicher Ausdruck unserer Gotteskindschaft. Denn dabei setzen wir uns bewusst der Prägung durch den Heiligen Geist aus. In der Gemeinschaft mit anderen Gotteskindern pflegen wir die Gemeinschaft mit unserem himmlischen Vater. Und wenn wir im Gottesdienst zusammen Jesus für das ewige Leben und die lebendige Hoffnung danken, dann werden wir auch in der Liebe und Zuneigung zu Jesus wachsen. Darum ist der Sonntag ein kostbares Geschenk, an dem wir uns unserer Identität neu vergewissern und unser Verhältnis zu Gott festigen.

 

AMEN

 



[1] Die Allianzgebetswoche findet in vielen Ländern vom 09.-16. Januar statt. Neben den Gottesdiensten gibt es zahlreiche Gebetsandachten, unter anderem auch in Hessisch Lichtenau im evangelischen Gemeindehaus oder als Telefonkonferenzen.