Predigt über Elisabeth

Liebe Gemeinde,

nachdem wir in den letzten zwei Gottesdiensten über den alten Vater Zacharias und den Johannes, den Sohn des alten Ehepaars gesprochen haben, wollen wir uns heute noch mit der Elisabeth beschäftigen. Über sie gibt es wenig Information, und wörtliche Rede von ihr ist auch nicht so viel überliefert. Die längste Textpassage haben wir in den Lesung eben gehört. Diese Worte und andere Lebensumstände aber sind durchaus bemerkenswert. Sie sind es also wert, dass wir aufmerken und das eine oder andere über die alte Frau uns gut merken.

1.             Elisabeth ist eine Frau mit unerfüllten Wünschen

Die Frage der Kinderlosigkeit habe ich schon in der Predigt über den Zacharias bedacht. Da hatte ich überlegt, was das wohl mit einem Mann macht, wenn er zusammen mit seiner Frau keine Kinder bekommt. Jetzt will ich das nochmal kurz aus der Sicht der kinderlosen Mutter betrachten. Es ist eindeutig, dass für die Frauen in der damaligen Zeit und Kultur Kinder und Familie ein wesentlicher Lebensinhalt gewesen sind. Das war ihr höchster Wunsch, das war ihre Aufgabe und Berufung. Man kann und muss vielleicht sogar so weit gehen, dass das ihre Daseinsberechtigung war. Was Elisabeth betrifft, so war für alle klar, dass sie unfruchtbar ist. Die Nachbarn und Freunde und Verwandten haben ihr diesen Stempel aufgedrückt. Ob oder wie sehr sie selbst unter diesem Makel gelitten hat, das wissen wir nicht.

Es wäre allerdings falsch, wenn wir diese Einstellung und Lebenshaltung und Lebensgestaltung von früher mit dem Denken von heute bewerten und verurteilen. Eine Berufstätigkeit der Frauen war überhaupt nicht im Bewusstsein, entsprach nicht den Gepflogenheiten und den gesellschaftlichen Normen. Das hat aber für eine Frau wie Elisabeth zur Folge, dass sie mit ihren unerfüllten Wünschen und der Leere in ihrem Leben umgehen muss.

Unabhängig von Kultur und Gepflogenheiten kennen wir das ja auch. Wir müssen unser Leben lang mit unerfüllten Wünschen und mit Defiziten umgehen. Manchen gelingt das ganz gut, andere haben daran zu knabbern. Manche finden einen Ausgleich, können das, was ihnen fehlt, kompensieren. Manche aber tun das auf eine ungesunde Art und Weise. Sie flüchten sich in unproduktive Gewohnheiten oder in Süchte. Ich will euch von Frau G erzählen. Frau G ist eine schon etwas ältere Dame, deren Mutter vor wenigen Jahren verstorben ist. Die Mutter-Tochter Beziehung war sehr gut. Und so leidet die alleinstehende Frau sehr unter dem Verlust. Der Vater lebt zwar noch, er lebt allein, zeigt aber seiner Tochter unverblümt, dass er sie nicht mag, dass er lieber an ihrer Stelle einen Sohn gehabt hätte. Während die Tochter auch nach vielen Jahren immer noch um die Mutter trauert scheint der Vater gar nicht mehr an seine verstorbene Frau zu denken. Der Verlust der Mutter und die Ablehnung durch den Vater setzen der Frau unheimlich zu. Sie leidet, sie leidet unter Minderwertigkeitsgefühlen und sie ist voller Trauer. In den Gesprächen mit ihrer Pfarrerin lernt sie langsam, die verstorbene Mutter loszulassen. Erinnerungsstücke, die sie in ihrer Wohnung aufbewahrt, räumt sie weg. Die verletzenden Worte des Vaters deutet sie in der Weise, dass sie an Bedeutung verlieren. Sie ignoriert den Vater nicht, sie wird ihn auch nicht links liegen lassen. Aber sie gibt seinen Äußerungen kein Gewicht mehr. Stattdessen gewinnt der Zuspruch Gottes immer mehr Gewicht, bekommt immer mehr Bedeutung für sie. Die Jahreslosung für das nächste Jahr gibt ihr Kraft und Zuversicht: „Du bist ein Gott, der mich sieht!“ Das füllt ihre Leere, füllt ihren Mangel auf.

Bei diesem Beispiel ist mir deutlich geworden, dass wir alle mehr oder weniger vor der Herausforderung stehen, mit Unzulänglichkeiten, Verletzungen und Defiziten umzugehen. Und ich wünsche uns die Erfahrung im Glauben, dass Gott unsere Verletzungen heilt, uns hilft, mit unerfüllten Wünschen zu leben und die Leere in uns mit seinem Glück und seinem Frieden ausfüllt.

Nun lasst uns aber weiter die alte Elisabeth begleiten und miterleben, was sie erlebt.

2.             Sie ist eine Frau mit viel Freude, aber …

Vielleicht wundert ihr euch über das „aber …“. Vielleicht denkt ihr, dass Elisabeth doch sicher ohne Wenn und Aber eine glückliche Frau war, als sie schwanger geworden ist. Ich bin mir da nicht so ganz sicher. War sie uneingeschränkt glücklich? Zwar war ich noch nie schwanger, weiß als Mann darüber herzlich wenig Bescheid. Aber ich habe mir sagen lassen, dass es was anderes ist, ob man mit 21 Jahren oder mit 30 Jahren oder vielleicht erst mit 60 Jahren schwanger ist. Das ist mühsam und anstrengend. Man hört von Übelkeit und Rückenschmerzen in der Schwangerschaft, von zunehmender Unbeweglichkeit und davon, dass die Bewegungen des Babys im Bauch nicht nur angenehm sind. Sie war voller Freude, aber nicht nur.

Eine andere Entdeckung ist mir aufgefallen. Als die gute Elisabeth begreift, dass sie tatsächlich schwanger geworden ist, muss das erstmal verarbeiten. Meines Erachtens ist das Grund dafür, dass sie sich für fünf Monate zurückgezogen hat. Sie war voller Freude, aber nicht nur.

Das einschränkende „aber …“ will durch eine weitere Beobachtung begründen. Für gute neun Monate hatte Elisabeth einen schweigenden, einen stummen Mann neben sich. Ich werde mich nicht auf das Glatteis begeben und von der Redeseligkeit der Frauen im Allgemeinen und der Schweigsamkeit der Männer in aller Regel sprechen. Denn von daher betrachtet würden wir ja vermuten, dass sich vielleicht bei dem alten Ehepaar gar nicht viel geändert hat. Aber allen Ernstes: das ist schon eine Herausforderung für das alte Ehepaar, für beide, wenn Zacharias gewissermaßen auf den Mund gefallen ist.

Und schließlich denke ich, dass eine Geburt für jede Frau eine echte Belastung ist. Aber für eine ältere werdende Mutter ist das erst recht ein großer Stressfaktor. Das ist kein Zuckerschlecken und schwanger sein und ein Kind bekommen ist kein Spaziergang auf sonnigen Höhen.

Beim Nachdenken über diese anderen Umstände, in denen Elisabeth sich befunden hat, ist mir zum Bewusstsein gekommen, dass es mit dem Glauben und dem Christsein ganz ähnlich ist. Wenn wir uns mit unserem Leben Gott anvertrauen und die Nähe und Gnade und Menschenfreundlichkeit von Jesus Christus in Anspruch nehmen, dann stillt und befriedigt das unsere tiefsten Wünsche und Sehnsüchte. Dann erleben wir eine Erfüllung und eine Freude und einen Frieden, die mit nichts zu vergleichen sind. Aber das bedeutet eben nicht, dass wir nur noch glücklich und selig sind, dass wir alle Tage Sonnenschein erleben. Sondern ich formuliere es gerne so: Durch meine Beziehung zu Gott geht es mir im Großen und Ganzen gut! Denn das Große und das Ganze meines Lebens ist eingebettet und eingebunden in Jesus. Darin bin ich gehalten und getragen, darin habe ich Frieden mit Gott, darin habe ich Hoffnung und Zuversicht, auch dann, wenn vieles noch hakt und holpert und stolpert.

Einen dritten und letzten Gedanken will ich uns noch weitergeben, der mir bei Elisabeth sehr wichtig geworden ist.

3.             Sie ist eine Frau mit Durchblick, weil ihr der Heilige Geist den Durchblick schenkt

Elisabeth bekommt Besuch. Das ist schön, das ist erfreulich. Denn nach den fünf Monaten in der Abgeschiedenheit ist sie auch wieder bereit, Besuch zu empfangen. Die Nachbarinnen werden ganz bestimmt immer mal bei ihr reingeschaut haben. Aber diese Besucherin ist was ganz Besonderes. Es ist ihre Verwandte aus Nazareth. Das genaue Verwandtschaftsverhältnis wird im Bibeltext nicht erwähnt, nehmen wir einfach mal an, dass die beiden Frauen Cousinen gewesen sind. Diese Begegnung ist für Maria genauso wertvoll und beglückend und tröstlich und hilfreich wie für Elisabeth. Versetzen wir uns zunächst mal in die Lage der jungen Maria. Der Chronist Lukas erzählt, dass der Engel Gabriel der Maria ankündigt, dass sie schwanger werden wird. Aber nicht, weil sie mit einem Mann geschlafen hat, sondern weil der Geist Gottes in ihr das Wunder bewirken wird. Maria ist zwar verlobt. Also juristisch gesehen und auch nach heutigem Verständnis waren sie und Josef schon ein Ehepaar! Aber die Hochzeit, das große Fest, bei dem die beiden Brautleute dann auch zusammenziehen und dann Tisch und Bett miteinander teilen, die hat noch nicht stattgefunden.

Diese junge Frau hat zwar eingewilligt. „Siehe, ich bin des Herrn Magd, mir geschehe, wie du gesagt hast!“ Aber natürlich ist sie völlig durch den Wind, komplett durcheinander. Mit Josef kann sie darüber nicht reden. Sie braucht Abstand. Darum besucht sie ihre Cousine Elisabeth. Denn der Engel Gottes hatte ja gesagt, dass Elisabeth selbst schwanger geworden ist, mittlerweile im sechsten Monat. Als Maria bei ihrer Cousine ankommt, da wird Elisabeth zur Trösterin, zur Ermutigerin. Die Maria, die wahrscheinlich noch völlig durcheinander ist, wird überschwänglich begrüßt und beglückwünscht.

Wie kommt es und woher weiß sie, dass in Maria schon der Sohn Gottes gezeugt ist, dass Maria einen Eisprung hatte und der Heilige Geist eine Eizelle befruchtet hat, dass die befruchtete Eizelle sich in der Gebärmutter eingenistet hat und das Kind mit allem Drum und Dran angelegt ist und heranwächst? Maria spürt selbst unter Umständen noch gar nicht, dass sie in anderen Umständen ist. Die Antwort gibt der Text: Elisabeth wurde vom Heiligen Geist erfüllt. Der Heilige Geist gibt ihr den Durchblick. Das war nicht Intuition, das war nicht so ein Gefühl oder ein Eindruck. Das war eine Gewissheit, wie sie nur der Heilige Geist schenken kann.

Kennt ihr das? Habt ihr das schon erlebt? Der Heilige Geist ist der Beistand, der Tröster, er gibt Einsichten und Erkenntnisse, er führt mitten im Alltag und gibt die richtigen Gedanken und Einfälle und Worte. Er erfüllt uns und hilft uns. Meines Erachtens will er uns auch und vielleicht besonders dazu befähigen, solche Ermutiger und Tröster zu sein, wie Elisabeth es gewesen ist. Denn solche Menschen braucht die Gemeinde Jesu, solche Menschen braucht die Welt. Tröster und Ermutiger.

Aber nicht nur Maria wird getröstet und in ihrem Vertrauen auf Gott bestätigt. Sondern auch ihre ältere Cousine. Sie erlebt in sich eine übermächtige Freude und Begeisterung, dass die Mutter ihres Herrn, ihres Heilandes, ihres Erlösers zu ihr kommt. Im Heiligen Geist erkennt sie, was kein anderer Mensch erkennen kann. Gottes Sohn kommt auf die Welt. Selbst ihr Sohn in ihrem Bauch schlägt vor Freude Kapriolen. Dieses Phänomen kann man sehr rational erklären: Elisabeth hat sich über den Besuch von Maria so gefreut, dass das Baby in ihrem Bauch davon angesteckt wurde. Das würde aber dem Bericht und dem Erleben der Mutter nicht gerecht. Denn offenbar hat zuerst der noch ungeborene Johannes sich vor Begeisterung in Elisabeths bewegt. Der Engel Gabriel hatte dem Zacharias doch angesagt, dass Johannes schon im Mutterleib mit dem Heiligen Geist erfüllt sein wird. Genau das erweist sich hier als richtig. Und nachdem Johannes vor lauter Begeisterung sich pränatal gefreut hat, wurde Elisabeth durch den Heiligen Geist von der gleichen Freude und Begeisterung erfasst.

Das ist ein letzter Gedanke, den ich gerne ganz deutlich und ausdrücklich an diesem vierten Adventssonntag unterstreichen möchte. Denn an diesem Sonntag steht das Motto der Freude ganz oben auf der Tagesordnung. Ich spüre in dem Bericht von der Begegnung zwischen Maria und Elisabeth so unendlich viel Freude. Die Freude darüber, dass Gott sich so klein macht und als Menschlein auf die Welt kommt. Die Freude darüber, dass Gott Menschen wie die alte Elisabeth und die noch so junge Maria in seinen wunderbaren Pläne einbindet. Die Freude, wie beglückend es ist, zu glauben, Gott zu vertrauen, sich auf ihn und seine Pläne einzulassen. Die Freude daran, dass Gott seine liebevollen Heilsgedanken und Pläne zum Ziel bringen wird.

Solche Freude wünsche ich uns allen.

AMEN