Predigt zum 3. Oktober / Erntedankfest

 

 

 

Liebe Gemeinde!

 

Es sind gleich mehrere Ereignisse, die uns heute beschäftigen, über die wir nachdenken wollen und die diesen Gottesdienst prägen. Das, was alle diese Anlässe miteinander verbindet, ist auf jeden Fall die Dankbarkeit. Und dazu haben wir auch allen Grund! Denn:

Heute ist der 3. Oktober, der Tag der deutschen Einheit, den wir genau eine Woche nach der Bundestagswahl feiern. Wir sollten sehr dankbar dafür sein, dass es im Spätsommer und Herbst 1989 zur friedlichen Öffnung der innerdeutschen Grenze gekommen ist und dass wir am 3. Oktober 1990 die Wiedervereinigung feierlich besiegeln konnten. Auch die Tatsache, dass wir in unserer freiheitlich - demokratischen Grundordnung die Möglichkeit zu freien Wahlen haben, ist in dieser Welt nicht selbstverständlich. Darum können wir, ganz unabhängig von unserer politischen Vorliebe, sehr dankbar sein, dass wir diese Möglichkeit haben und politische Verantwortung übernehmen können.

 Heute wollen wir mit Blick auf die Coronapandemie mal innehalten und bewusst danken. Wir wollen danken, dass wir Teile unserer Gemeindeaktivitäten wieder ziemlich angstfrei und gefahrlos durchführen können. Als kleine Gemeinden in Hessisch Lichtenau und an anderen Orten haben wir so gut wie keinen Lockdown gehabt. Es sind nur relativ wenige Gottesdienste ausgefallen, und wenn das der Fall war, dann haben wir vieles schriftlich zugeschickt oder verteilt. Unsere Telefonbibelstunden waren und sind teilweise immer noch eine gute Alternative oder Ergänzung zu Präsenzveranstaltungen.

Heute ist auch der Erntedanksonntag. Den begehen wir nicht nur deshalb, weil er im Kalender steht. Sondern wir sind uns darüber im Klaren, dass unsere gute Versorgungslage keine Selbstverständlichkeit ist. Auch im zu kühlen und ziemlich verregneten Jahr 2021 ist es nur recht und billig, wenn wir das Erntedankfest mit frohem und dankbarem Herzen feiern.

Bei allen drei Themen besteht die Gefahr, dass wir träge auf einer Seite vom Pferd fallen. Damit meine ich, dass wir uns immer mal wieder dazu aufraffen, aus Anstand und Höflichkeit, aus Tradition und Gewohnheit „Dankeschön“ zu sagen. Und dann gehen wir wieder mehr oder weniger zur gewohnten Tagesordnung über. Ich möchte uns deswegen ermutigen, dass wir nicht nur an bestimmten Terminen danken, sondern dass es eine Grundhaltung wird. Aber ich möchte uns auch herausfordern und ermuntern, dass aus der Dankbarkeit auch eine Verantwortung, eine Verpflichtung zum Handeln erwächst. So will die Ereignisse noch einmal einzeln beleuchten. Dabei wollen wir sie ins Licht der biblischen Botschaft rücken. Der Text, an dem wir orientieren, steht in Jesaja 58,7-11.

„Besteht ein gottgefälliges Leben nicht darin, dein Brot dem Hungrigen zu brechen und dass du heimatlose Elende ins Haus führst? Wenn du einen Nackten siehst, dass du ihn bedeckst und dass du dich deinem Nächsten nicht entziehst? Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell sprossen. Deine Gerechtigkeit wird vor dir herziehen, die Herrlichkeit des HERRN wird deine Nachhut sein. Dann wirst du rufen, und der HERR wird antworten. Du wirst um Hilfe schreien, und er wird sagen: Hier bin ich! Wenn du aus deiner Mitte fortschaffst das Joch, das Fingerausstrecken und böses Reden und wenn du dem Hungrigen dein Brot darreichst und die gebeugte Seele sättigst, dann wird dein Licht aufgehen in der Finsternis, und dein Dunkel wird sein wie der Mittag. Und beständig wird der HERR dich leiten, und er wird deine Seele sättigen an Orten der Dürre und deine Gebeine stärken. Dann wirst du sein wie ein bewässerter Garten und wie ein Wasserquell, dessen Wasser nicht versiegen.“

Ich möchte gern zuerst mal die politische Dimension dieses Tages in den Blick nehmen. Manche mögen jetzt vielleicht denken, dass die Politik doch nichts in der Kirche und in einer Sonntagspredigt zu suchen hat. Die Bibel ist da anderer Meinung. Gott hat sehr viel mit den Regierungen und den politischen Gegebenheiten zu tun. In Römer 13 finden wir die Aussage, dass Gott den Regierenden die Macht anvertraut und zumutet, damit sie gegen das Unrecht in der Gesellschaft vorgehen und zum Wohl der Menschen regieren sollen. Unsere vornehmste Aufgabe als Christen und Gemeinde Jesu ist es, für die Regierungen zu beten. Wir sollen und können für die Obrigkeit vor Gott einstehen und ihn bitten, dass er ihnen Kraft und Weisheit schenken möge. Dass Gebete Mauern öffnen und Regime stürzen können, das haben wir vor 32 Jahren in unserem Land erlebt. Darum sollen wir eben nicht nur für die Wiedervereinigung danken, sondern ganz bewusst und regelmäßig weiter beten.

Wir leben seit über 75 Jahren in einer Demokratie. Einer meiner Lehrer in der Schule hat immer gesagt, dass die Demokratie von allen schlechten Regierungsformen immer noch die beste ist. Er hat aber nicht gesagt, dass die Demokratie nur mit dem christlichen Menschenbild funktioniert. Demokratie ohne diesen biblisch-christlichen Bezug driftet entweder ab in den Kommunismus oder in eine Diktatur. Beide Systeme ignorieren ihre Verantwortung vor Gott. Die aber war den Vätern und Müttern unseres Grundgesetzes immens wichtig. Deswegen heißt es: „Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen, von dem Willen beseelt, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, hat sich das Deutsche Volk kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben.“ Wenn wir als das Deutsche Volk uns vorgenommen haben, dem Frieden der Welt zu dienen, dann sind wir persönlich als Bürgerinnen und Bürger dieses Volkes aufgefordert, in unserem Land und in der Welt dem Frieden zu dienen. Und das nicht nur auf der Basis des Grundgesetzes, sondern auf der Basis des Wortes Gottes. Hier kommt der Bibeltext aus dem Propheten Jesaja zum Tragen, den ich vorhin gelesen habe. Denn neben der Dankbarkeit für unser politisches System, neben der Aufgabe, für die Regierung zu beten haben wir auch den göttlichen Auftrag, im Rahmen unserer Möglichkeiten gegen Unrecht und Ungerechtigkeit vorzugehen. Wir sollen heimatlose Elende ins Haus führen. Die Bedürftigen sollen wir versorgen und dem Nächsten sollen wir die nötige Hilfe nicht versagen. Das Joch der Unterdrückung sollen wir aus unserem Land verbannen, das Fingerausstrecken und das böse Reden sollen wir unterlassen und unterbinden. Aber wie sollen wir das denn leisten können, dazu haben wir doch gar nicht die Möglichkeiten, wie sollen wir das denn bewerkstelligen? Ich kenne diese Fragen sehr gut. Und ich weiß, dass die Möglichkeiten, die wir haben, sehr unterschiedlich sind. Eine 85-jährige Rentnerin hat einen anderen Gestaltungsrahmen und einen anderen Einflussbereich als ein 31-jähriger Facharbeiter. Aber in unserem Rahmen und mit unseren Möglichkeiten können wir in der Liebe zu Gott und zu den Menschen Gutes tun. Denn das ist die Bürgerpflicht, die Gott uns aufträgt.

Ich möchte den zweiten Bereich mit euch betrachten. Die Corona-Pandemie betrifft und beeinträchtigt uns alle. Sie ist eine Tiefenkrise, die weitreichende und nachhaltige Auswirkungen auf uns und unsere Gesellschaft hat. Ich weiß sehr gut, dass es ganz unterschiedliche Wahrnehmungen und Beurteilungen darüber gibt, wie die politisch Verantwortlichen damit umgegangen sind. Ob alle Maßnahmen hilfreich und sinnvoll sind, auch darüber kann man geteilter Meinung sein. Das aber will ich gar nicht diskutieren. Denn egal, wie wir denken oder ticken: die erste Reaktion kann immer nur sein, dass wir rufen und beten: „Herr, erbarme dich!“ Dann wirst du rufen, und der HERR wird antworten. Du wirst um Hilfe schreien, und er wird sagen: Hier bin ich! Diese Zusage Gottes gilt. Sie gilt allen von uns! Sie gilt denen, die erkrankt und wieder genesen sind. Sie gilt denen, die mit oder ohne Impfung bewahrt und behütet sind. Die Gegenwart Gottes gilt auch denen, die von der Infektion dauerhaft krank geworden sind.

Wie ich vorhin schon gesagt habe, können wir als Landeskirchliche Gemeinschaft in den Orten unseres Bezirkes auch von Herzen dankbar sein, dass wir so gut wie keinen Lockdown gehabt haben. Es sind nur relativ wenige Gottesdienste ausgefallen, und wenn das der Fall war, dann haben wir vieles schriftlich verteilt. Unsere Telefonbibelstunden waren und sind zum Teil immer noch eine gute Alternative oder Ergänzung zu Präsenzveranstaltungen.

Aber es wird nach meiner Überzeugung weder in der Gesellschaft noch in der christlichen Gemeinde irgendwann mal so sein, wie es vor Corona gewesen ist. Wir werden damit leben, dass es das Virus gibt. Und wir werden herausgefordert bleiben, mit unterschiedlichen Überzeugungen umzugehen. Bei Jesaja steht, dass wir das Fingerausstrecken und das böse Reden aus unserer Mitte vertreiben sollen. Eine verurteilende Empörungskultur ist nicht der göttliche Weg. Zynismus und Sarkasmus sind auch keine göttlichen Eigenschaften. Überhebliche Rechthaberei sind ebenso wenig mit der Bibel in Einklang zu bringen wie überängstliche Sicherheitsmentalität, die in jedem Mitmenschen eine potenzielle Bedrohung für Leib und Leben sieht. Wo sind in der Krise die vertrauensvolle Liebe zu Gott geblieben? Unser Vertrauen zu Gott schließt ja gerade die Intelligenz und das Denkvermögen mit ein. Wo ist in der Krise die heitere Gelassenheit geblieben? Ist unser Gott nun einer, der auch in den Belastungen des Lebens und Herausforderungen des Alltags da ist oder nicht? Hat Jesus gesagt: „In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden!“?

Und meine lieben Freunde, der Auftrag, das Evangelium in die Welt und zu den Menschen zu tragen gilt auch in Corona-Zeiten. Jesus hat nicht gesagt: Geht hin zu den Menschen und ladet sie zu Gott ein, es sei denn es gibt gerade eine Grippe-Welle, eine Wirtschaftskrise oder eine Corona-Pandemie.

Deswegen wollen wir nicht nur das in den Blick nehmen, wofür wir auch in Verbindung mit der Corona-Geschichte von Herzen dankbar sein können. Sondern wir sollen auch die Aufgaben und Herausforderungen registrieren und annehmen, die damit verbunden sind.

Zum Dritten ist heute der Erntedanksonntag. In dem biblischen Leitmotiv, das über diesem Sonntag steht, heißt es, dass „alle Augen auf Gott warten, dass er ihnen ihre Speise zu seiner Zeit gibt“ (nach Psalm 145). Dieser Aussage stimmen längst nicht mehr alle Menschen zu. Sie sind der Meinung, dass die Versorgung nicht von Gott abhängig ist, sondern dass wir das allein schaffen. Wir pflügen und wir streuen den Samen auf das Land, für das Wachstum und Gedeihen sorgt die Natur. Wir arbeiten und produzieren die nötigen Güter. Wir sind selbst unseres Glückes Schmied. Und wenn es denn tatsächlich einen Gott gäbe, der uns versorgt, dann macht der einen ziemlich schlechten Job. Denn es gibt weltweit so viel Hunger und so viele Menschen bekommen ihre Speise eben nicht zur rechten Zeit.

Das ist eine merkwürdige Logik, die alles auf den Kopf stellt. Denn ohne Gottes Vor-Gaben gäbe es kein Leben und auch keine Versorgung. Allerdings hat Gott uns mit der gerechten Verteilung der Güter und mit dem verantwortungsvollen Umgang mit der Schöpfung beauftragt. Dabei dürfen wir bitte nicht vergessen, dass die ganze Erde, der Wald und die Flüsse, die Luft und die Meere, die Tiere und die Pflanzen Gott gehören. Wir dürfen in seinem Meer schwimmen und das Holz aus seinen Wäldern nutzen. Wir dürfen die Milch von seinen Kühen trinken und seine Trauben zu Wein verarbeiten und seine Schweine füttern und dann sogar schlachten und daraus Kotelett und Ahle Wurscht machen und essen. Aber wenn wir in der Massentierhaltung seine Geschöpfe quälen, dann sind es Gottes Tiere, die wir quälen. Wenn wir massenhaft und unnötig Treibhausgase in die Atmosphäre pusten und die Luft verpesten, dann ist es seine Luft, die er uns zum Atmen gegeben hat. Und wenn wir es mit einem Achselzucken hinnehmen, dass hungrige Menschen kein Brot zu essen haben und wir nicht nach unseren Möglichkeiten ihre Not lindern, dann sind es seine Menschen, die leiden.

Und wieder stellt sich natürlich die Frage, was ich kleines Menschenkind in Nordhessen angesichts der globalen Herausforderungen tun kann. Ein Anfang könnte doch sein, dass wir eine Patenschaft für einen notleidenden Menschen über World Vision, Compassion, den MFB oder eine andere Hilfsorganisation eingehen. Dann können wir unseren Speisplan mal kritisch betrachten. Wie oft esse ich in der Woche Fleisch? Und wo kommt das Fleisch her? Für welche Wege kann ich auf das Auto verzichten? Wo kann ich Plastikmüll vermeiden? Ich meine nicht, dass wir alle Ökofreaks werden und bei Fridays for Future mitmarschieren sollen. Sondern wir alle können und sollen darauf achten, dass wir mit Gottes Gaben achtsam umgehen. Denn in der Liebe zu Gott und Ehrfurcht und Verantwortung vor ihm sollen wir leben. Ich möchte uns ermutigen zu einem sorgsamen und verantwortungsbewussten Umgang mit den Möglichkeiten und Gaben, die Gott uns zur Verfügung stellt. Sei es in der Politik und unserer Gesellschaft. Sei es im Alltag mit Corona. Sei es im Umgang mit den Gütern und Gaben, die Gott uns schenkt.

AMEN