Predigt über Nehemia 8,1-12

 

 

 

Liebe Gemeinde!

 

Das war wirklich ein richtig guter Grund zur Freude! Das Volk der Juden durfte nach jahrzehntelanger Gefangenschaft wieder zurückkehren in die Heimat. Dann kamen Nehemia als Statthalter und Esra, der Priester. Das Volk fand endlich wieder zurück zur religiösen und zur politischen Stabilität. Nachdem der Tempel bereits fertiggestellt war, musste die Stadtmauer von Jerusalem repariert beziehungsweise ganz neu aufgebaut werden. Alle haben angepackt - fast alle. Von einigen Vornehmen heißt es, dass sie „ihren Nacken nicht zum Dienst beugten“. Aber die anderen ließen es sich nicht nehmen, ihren Teil an der Arbeit zu leisten und ihren Einsatz zu bringen. Amtleute und Priester waren ebenso dabei wie Goldschmiede und Salbenbereiter. Innerhalb von sage und schreibe nur zweiundfünfzig Tagen gelang dieses wichtige Bauvorhaben. Das war wirklich ein großer Grund zur Freude. Die Stadt war wieder gesichert. Allen Anfeindungen und Widerständen zum Trotz haben die Bürgerinnen und Bürger von Jerusalem den Bau vollendet. Das muss gefeiert werden. Dankbar und zufrieden und sicher auch stolz blicken sie auf das abgeschlossene Werk. Und man muss ihnen auch allen Respekt und Anerkennung zollen. Gleichzeitig entdecken wir, dass das Bauwerk ohne Gottes Hilfe niemals zustande gekommen wäre. Das haben sogar die Feinde, die Gegner erkannt: „Und die Mauer wurde am fünfundzwanzigsten Tage des Monats Elul in zweiundfünfzig Tagen fertig. Und als alle unsere Feinde das hörten, fürchteten sich alle Völker, die um uns her wohnten, und der Mut entfiel ihnen; denn sie merkten, dass dies Werk von Gott war“ (Nehemia 6,15.16).

 

Liebe Gemeinde, vieles von dem, was in unserem Leben oder in unserer Gemeinde gelungen und geglückt ist, ist erstaunlich und bewundernswert. Wir können mit Fug und Recht sagen, dass da vieles geklappt hat. Gleichzeitig werden wir aber auch dankbar erkennen, wo und wie Gott uns geholfen und gesegnet hat. Ohne ihn würden wir nicht das sein, was wir sind. Es gibt so manche Parallele zwischen der Situation des Volkes Israel damals und unserem Ergehen heute. Denn damals wie heute ist es absolut wichtig, dass wir mit Gott leben. Ich möchte vier Aspekte aufzeigen, die bedeutsam sind für das Volk Gottes zu allen Zeiten.

 

1.           Leben mit Gott - dazu braucht es Einheit

 

„Als nun der siebente Monat herangekommen war und die Israeliten in ihren Städten waren, versammelte sich das ganze Volk wie ein Mann auf dem Platz vor dem Wassertor.“ So beginnt das achte Kapitel im Buch des Nehemia. „Wie ein Mann!“ Dabei waren die Juden ganz unterschiedlich. Auch bei der Arbeit beim Bau der Stadtmauer von Jerusalem haben sie ganz unterschiedlich und an ganz unterschiedlichen Stellen gearbeitet. Jede Familie hatte ihren Bauabschnitt, der ihnen zugewiesen wurde. Sie haben gar nicht alle zusammen an einer Stelle gearbeitet, sondern unterschiedliche Menschen haben an unterschiedlichen Stellen gearbeitet. Aber hier kommen sie einträchtig, einmütig zusammen.

 

Das ist ein gutes Bild für die Arbeit der christlichen Kirchen und Gemeinden. Wir sind ganz unterschiedlich. Es gibt die evangelisch-methodistische Kirche, es gibt die evangelische Kirchengemeinde, es gibt die landeskirchliche Gemeinschaft und die Baptistengemeinden und die katholische Gemeinde. Jede Gemeinde hat ihre Eigenarten und Eigenheiten. Jede arbeitet auch gewissermaßen an einem anderen Bauabschnitt im Reich Gottes, damit die weltweite Gemeinde Jesu gefestigt wird und wächst. Aber bei aller Unterschiedlichkeit in der Ausgestaltung der Gemeinde und in der Erkenntnis bei einzelnen Fragen: Wir sollten immer wieder zusammen kommen und das betonen, was uns verbindet: die unverrückbare Mitte, Jesus Christus. Denn mit Blick auf ihn müssen wir uns einig sein, damit wir in ihm eins sind. Liebe Freunde, wir sind aufgerufen, wie das Volk Gottes damals, auch heute in der Einheit, die Jesus Christus gestiftet hat, zusammen zu stehen. Wo Jesus aber nicht mehr der Eckpfeiler, das Fundament und die Orientierung ist, wo er nicht das Maß aller Dinge ist, da ist solche Einheit nicht möglich.

 

Das Gottesvolk kam damals zusammen, um das Wort Gottes zu hören. Aber bevor sie gehört haben, haben sie gelobt. Ich komme zum zweiten Punkt meiner Predigt.

 

2.           Leben mit Gott - das braucht gemeinsame Anbetung

 

Dazu hat der Priester Esra eingeladen, dazu hat er das Volk motiviert. „Und Esra tat das Buch auf vor aller Augen, denn er überragte alles Volk; und als er's auftat, stand alles Volk auf. Und Esra lobte den HERRN, den großen Gott. Und alles Volk antwortete: »Amen! Amen!«, und sie hoben ihre Hände empor und neigten sich und beteten den HERRN an mit dem Antlitz zur Erde“ (Nehemia 8,5-6).

 

Das, ihr Lieben, ist vorbildlich und beispielhaft für uns. Wo die Gemeinde Jesu sich versammelt, da geht es zuerst um die gemeinsame Anbetung unseres Gottes. Wenn wir zum Gottesdienst zusammen kommen, dann geht es nicht vornehmlich um uns. Es geht im Gottes-dienst um Gott. Und darum steht die Anbetung Gottes im Vordergrund! Die Formen der Anbetung sind dabei durchaus unterschiedlich. Damals in Jerusalem hat das Volk mit erhobenen Händen gebetet. Und zum Zeichen der Ehrerbietung haben sie sich auf die Knie geworfen und mit der Stirn die Erde berührt. Die Formen heute sind ganz verschieden. Manche beten in der Haltung wie die Menschen damals mit erhobenen Händen. Andere falten die Hände als Zeichen dafür, dass ihre Hände vor Gott gebunden sind. Manche fallen auf die Knie, andere verharren sitzend und schweigend und gebeugt vor Gott. Die einen beten liturgisch mit vorformulierten und immer wiederkehrenden Worten an. Andere hält es nicht auf den Stühlen, sie singen inbrünstig und mit Leib und Seele. Wie auch immer, wenn wir gemeinsam Gott anbeten, dann geht es nicht um die Form, sondern dann geht es um ihn! Das lenkt unseren Blick auf den einen, der Grund und Mitte und Ziel seiner Gemeinde ist. Wir kommen zum dritten Gedanken, den ich von dem Bibeltext her entfalten möchte.

 

3.           Leben mit Gott - dazu braucht es sein Wort und eine klare Auslegung der Heiligen Schrift

 

Dazu war die Gemeinde damals zusammen gekommen. Sie hatten einen großen Hunger nach Gottes Reden. Sie wollten sein Wort hören. Nachdem sie jahrzehntelang das Reden Gottes aus seinem heiligen Gesetz nicht mehr gehört haben, hatten sie ein ganz großes Verlangen danach. Männer und Frauen und alle, die es verstehen konnten, wollten wieder hören, was der Wille Gottes ist. Sie wollten wieder in seinem Wort sein Wesen erkennen. Sie wollten die Weisungen Gottes und seine Zusagen und den Zuspruch seiner Gnade wieder hören. Dafür haben sich die Menschen damals Zeit genommen. Viel Zeit. Den ganzen Vormittag hörten die Leute dem Esra zu. Den ganzen Vormittag! Keine Angst, ich werde mich an die Zeit halten, die in Gottesdiensten bei uns üblich ist. Aber ich will die Zeit nutzen und fragen, wie groß eigentlich der Hunger nach Gottes Wort bei uns ist! Das ist ja die Not in unserem Land, dass die meisten Menschen an geistlicher Appetitlosigkeit leiden. Sie haben Gott und sein Reden vergessen. Und das schlimmste ist, dass die Menschen vergessen haben, dass sie Gott vergessen haben.

 

Wie kann aber bei geistlicher Appetitlosigkeit der Hunger geweckt werden kann. Wie können wir den Menschen wieder Appetit am Wort Gottes machen? Ich glaube, das ist wie bei einem guten Restaurant. Die beste Werbung für das Lokal sind zufriedene, fröhliche und gut gesättigte Gäste. Wenn ich eine Gaststätte und ihr Essen sehr gut finde, dann werde ich meinen Freunden davon erzählen. Ich werde ihnen sagen, dass das Essen da richtig lecker und gut ist. Und möglicherweise kann ich meine Freunde sogar mal dahin einladen.

 

Liebe Gemeinde, das ist unsere Aufgabe als Kirche in dieser Welt. Wir sollen der Ort sein, an dem wir selbst vom Wort Gottes satt werden. Wir sollen der Ort sein, an dem uns das Wort Gottes gesagt und klar ausgelegt wird. Und wenn wir solch ein Ort sind, dann dürfen gern auch werbend darauf hinweisen. Dann sollen wir sogar unsere Freunde dahin einladen, damit sie wieder Hunger empfinden und Appetit bekommen am Reden des lebendigen Gottes.

 

Das Volk Gottes damals zu Nehemias Zeiten hat das Wort Gottes gewollt, sie haben es gehört und es wurde ihnen ausgelegt. Die Reaktion der Leute mag uns vielleicht etwas überraschen. „Alles Volk weinte, als sie das Wort des Gesetzes hörten.“ Warum haben die denn alle geheult? Was haben sie gehört, dass es sie so sehr betrübt und erschüttert hat? Offenbar waren sie davon betroffen, dass sie mit ihrem Leben und Handeln den lebendigen Gott betrübt haben. Es hat sie aufgewühlt, dass sie dem Willen Gottes so wenig entsprochen haben. Sie waren zutiefst davon betroffen, dass sie das Wesen Gottes so wenig gekannt haben. Ihre Schuld, ihr Scheitern, ihr Versagen ist ihnen bewusst geworden.

 

Liebe Gemeinde, wenn uns Gottes Wort trifft, dann konfrontiert es uns immer auch mit der Tatsache, dass wir dem Wesen, dem Willen Gottes nicht entsprechen. Wenn uns das trifft, weil es auf uns zutrifft, dann macht uns das unter Umständen auch so betroffen wie die Leute damals. Das ist kein Schade für uns, sondern das mag uns bewahren vor Überheblichkeit und uns gleichzeitig verweisen auf die Gnade unseres Gottes.

 

4.           Leben mit Gott - dazu gibt er uns seine Freude

 

Zur verantwortungsvollen Auslegung des Wortes Gottes gehört der Hinweis auf unsere Schuld. Und dann in ganz besonderer und intensiver Weise der Hinweis auf die Gnade und Vergebung, auf die Liebe und Freundlichkeit Gottes. So ist es auch damals gewesen. Dem Volk wurde gesagt: „Dieser Tag ist heilig dem Herrn, eurem Gott!“ Eine solche Formulierung hat immer daran erinnert, dass Gott dafür sorgt, dass sein Volk mit ihm im Reinen sein kann. Gott schenkt Vergebung, er bietet Versöhnung an. So war es in besonderer Weise am großen Versöhnungstag. An diesem Tag wurde dem Volk Israel alle Schuld und Sünde vergeben. Durch besondere Opfer- und Sühnehandlungen wurde dokumentiert, dass Gott seinem Volk gnädig ist und dass er alle Schuld vergeben hat. Darum müssen sie nicht mehr bekümmert sein darüber, dass ihre Beziehung zu Gott belastet ist. Gott hat die Beziehung wieder hergestellt. Er hat verziehen. Das Verhältnis zu Gott ist nicht mehr geprägt durch Trauer, sondern durch Freude.

 

Das ist die Botschaft der Freude, die wir als Gemeinde Jesu kennen und haben, glauben und leben. Die Freude am Herrn, die Freude an Jesus, die Freude an dem ewigen Leben, die Freude an seiner Gegenwart im Heiligen Geist, die Freude daran, dass wir mit ihm leben dürfen, die Freude an der Hoffnung auf die himmlische Herrlichkeit und Ewigkeit in ungetrübter Gemeinschaft mit ihm - diese Freude ist auch unsere Stärke. Und mit dieser Freude gehen wir in den Alltag und durch den Alltag.

 

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn.

 

AMEN