„Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben, niemand kommt zum Vater denn durch mich”

 

 

 

Liebe Freunde,

 

Stellen wir uns mal bitte einen Augenblick lang unterschiedliche Wege vor. Feldwege, Wanderwege, steile Bergpfade, aber auch Wege für Fahrradfahrer oder für Autos.

 

Solche Wege sind schön, steinig, steil, schwindelerregend - und hoffentlich sinnvoll. Denn Wege verbinden, sie ermöglichen es, von einem Ort zum anderen zu kommen. Solche Wege sind für uns aber dann sinnlos, wenn wir uns nicht auf den Weg machen, wenn wir uns nicht auf diesen Weg begeben. Wenn ich mich auf einem Weg nicht bewege, dann macht der Weg keinen Sinn. Wege erschließen sich uns nur, wenn wir sie gehen.

 

Jesus sagt: „Ich bin der Weg!“.

 

Er sagt nicht: „Ich bin der Standpunkt, auf dem ihr stehen bleiben sollt.“ Er sagt auch nicht: „Ich bin die Position, die euch unbeweglich macht.“ Sondern er sagt: „Ich bin der Weg!“ Das ist die Einladung, mit ihm unterwegs zu sein. Wer mit Jesus unterwegs ist, der darf nicht unbeweglich sein, darf nicht festgefahren und nicht statisch sein. Wer mit Jesus leben will, muss beweglich sein.

 

Dieses Unterwegssein ist ein prägendes Element in der Bibel, auch schon im Alten Testament. Gott geht voraus, er geht mit, er zeigt den Weg. Er ist unterwegs mit Abraham in das unbekannte, aber verheißene Land. Er ist unterwegs mit seinem Volk Israel, unterwegs durch die Wüste bis in das Land, wo Milch und Honig fließen.

 

Jesus sagt: „Ich bin der Weg!“.

 

Wenn ich einen Weg als den richtigen erkannt habe und auf diesem Weg gehe, dann komme ich ans Ziel. Das Ziel, das Jesus in Aussicht stellt, ist nichts Geringeres als „das Haus des Vaters“. Damit ist der Himmel, die herrliche Ewigkeit in uneingeschränkter Gemeinschaft mit Gott gemeint. Dieses Ziel wollen meines Erachtens die Menschen schon gern erreichen. In den Himmel kommen, das ist erstrebenswert. Aber dann müssen wir auch auf dem Weg bleiben, der zum Ziel führt. Eigenmächtige Wege, vermeintliche Abkürzungen, erscheinen uns manchmal sinnvoller zu sein. Aber sie nötigen uns, den Weg zu verlassen. Darum sind sie gefährlich. Wir laufen zwar noch, aber wir laufen dabei Gefahr, das Ziel nicht zu erreichen, wenn wir den vorgeschriebenen Weg verlassen. Darum ist es ganz wichtig, dass wir auf dem richtigen Weg bleiben.

 

Noch sehen wir das Ziel, das Ende des Weges nicht. Denn es gibt Kurven und Steigungen, es gibt immer wieder Abzweigungen, andere Wege, die auch verlockend erscheinen, weil sie bequemer aussehen. Und wir wissen nicht, wie der Weg weitergeht. Wir wissen nicht, was uns unterwegs noch alles erwartet.

 

Jesus sagt: „Ich bin der Weg!“

 

So, wie ein Weg voller Überraschungen steckt, so ist auch der Weg mit Jesus überraschend. Jesu Wege mit uns sind zuweilen beglückender als manche Christen erlauben. Auf diesem Weg schenkt Jesus uns hin und wieder außergewöhnliche Erfahrungen, so dass wir nur staunen können. Wunder, Heilungen, Segnungen und Hilfen. Solche Lebensphasen sind vergleichbar mit einem herrlichen Wanderweg, an dessen Seiten wunderbar duftende Fliederbüsche und fantastisch leuchtende Blumenbeete und saftige Obstwiesen liegen. Zuweilen erleben wir auf dem Weg mit Jesus Höhenwanderungen mit einer atemberaubenden Aussicht. Das sind unverdiente Geschenke.

 

Aber Jesu Wege sind auch manchmal erschreckender, als manche Christen es sich vorstellen wollen. Dann führt der Weg mit Jesus hinab in das Leid und in die Passion. Die Jünger konnten sich den Weg Jesu ans Kreuz nicht vorstellen. Sie wollten es nicht wahrhaben. Und doch war es der Weg, den Jesus gegangen ist, auf dem er die Erlösung der Welt ermöglicht hat. Dieser sein Leidensweg hat uns den Weg frei gemacht zum Vater.

 

Wenn wir Jesus nachfolgen, wenn wir auf seinem Weg gehen wollen, dann kann der uns auch in Tiefen führen. Jesus aber kennt den Weg, denn er ist ihn schon bis in die Gottverlassenheit hinein gegangen. Deswegen können wir auch im Leid seine Nähe und seine Kraft erfahren. Er will uns auf diesen Wegstrecken beleben und vor Verbitterung oder Resignation bewahren.

 

Mit Jesus unterwegs sein, heißt beweglich bleiben. Wir dürfen auf Überraschungen gefasst sein und merken, wie er uns führt. Lasst uns bitte mit Jesus unterwegs sein, und nicht auf unseren Positionen oder unsren Standpunkten beharren, sondern ganz dicht an seiner Seite, ganz nah bei sein und bleiben.

 

 

 

Jesus sagt: „Ich bin die Wahrheit

 

Wahrheit – was ist Wahrheit? Wir beschreiben Wahrheit immer im absoluten Sinn als das einzig richtige. Deswegen ist alles andere neben der Wahrheit unwahr und falsch. Beim unserem Wahrheitsbegriff gehen wir in der Regeln von richtigen oder falschen Tatsachen aus; von der wahren Lehre im Unterschied zur Irrlehre. Jesus ist die Wahrheit schlechthin, und daran lassen wir auch nicht rütteln. Er ist die Wahrheit über Gott. Er ist die Wahrheit über uns. Er ist die Wahrheit über den Ursprung und den Sinn und das Ziel des Lebens. Es gibt wohl viele Wege, die nach Rom führen, aber nur einen Weg, der in den Himmel führt. Und der heißt Jesus Christus. Davon bin ich zutiefst überzeugt.

 

Folglich behaupten wir mit großer Gewissheit und fester Überzeugung, dass wir die Wahrheit haben, während die anderen die Wahrheit nicht haben. Wir liegen richtig, die anderen liegen falsch. Auch das teile ich uneingeschränkt. Wovor ich allerdings warnen muss, ist die Einstellung: Wir sind richtig, die anderen sind falsch. Wir sind wahr, die anderen sind unwahr. Merkt Ihr den Unterschied! Wir haben die Wahrheit, ja! Wir haben in Jesus die Wahrheit! Aber was macht die Wahrheit mit uns? Macht sie uns rechthaberisch und überheblich? Oder macht sie uns auch wahr? Die Wahrheit will uns verändern, Jesus will uns wahr und wahrhaftig machen.

 

Das meint er nämlich auch, wenn

 

Jesus sagt: „Ich bin die Wahrheit!“.

 

Wenn wir mit ihm unterwegs sind, dann sollen wir mit ihn wahr werden. Und wir merken, dass wahr werden noch mal etwas anderes ist als steif und fest zu behaupten: Meine Überzeugung ist richtig und deine ist falsch. Es geht vielmehr darum, wahrhaftig, aufrichtig, ehrlich zu werden. Das ist keine Wortspielerei von mir, sondern die Grundbedeutung des Wortes Wahrheit in der griechischen Sprache lautet zuerst Wahrhaftigkeit, Aufrichtigkeit, Zuverlässigkeit.

 

Denn wenn wir mit der absoluten Wahrheit, mit Jesus unterwegs sind, dann erkennen wir mehr und mehr die Wahrheit. Die absolute Wahrheit über Jesus, über Gott. Und auch die erschütternde Wahrheit über uns. In der Konfrontation mit der Wahrheit Gottes erkennen wir, wie wir wirklich sind. Und was machen wir, wenn wir mit der Wahrheit konfrontiert werden? Wir können leugnen, vertuschen, verheimlichen, kaschieren. Oder wir können die Wahrheit anerkennen, akzeptieren, und die entsprechenden Konsequenzen ziehen.

 

In Johannes 8,31 und 32 sagt Jesus: „Wenn ihr bleiben werdet an meinem Wort, so seid ihr wahrhaftig meine Jünger und werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen.“

 

Bei Jesus bleiben, bei seinem Wort bleiben. Dabei wahrhaftig werden und die Wahrheit über uns erkennen. Und dann die Wahrheit der Gnade und der Vergebung annehmen.

 

Albert Frey hat in einem seiner Lieder geschrieben:

 

„Wir schauen der Wahrheit ins Auge, stellen in dein Licht. Wir halten dort aus durch Gnade, denn du verdammst uns nicht. Du kennst unsre toten Winkel, siehst unsren blinden Fleck, berührst unsre wunden Punkte, nimmst unsre Ängste weg. Jesus, dein Licht schein voll Gnade und Wahrheit. Jesus, dein Licht scheint in unsre Dunkelheit. Jesus, durchdring uns mit Gnade und Wahrheit. Jesus, komm bring uns ins Licht.“

 

Ich glaube, dass es darum geht, wenn wir mit Jesus, der Wahrheit, unterwegs sind: wahr werden Gott gegenüber; wahr werden untereinander. Das ist allerdings – das gebe ich ehrlich zu – eine große Herausforderung. Es genügt leider nicht, ganz genau zu wissen, was wahr und was richtig ist. Und es genügt erst recht nicht, wenn ich nur weiß, was für den anderen richtig ist und was der andere zu tun hat. Viel wichtiger ist es, dass ich wahr werde. Unterwegs mit Jesus sollen wir auch im Umgang miteinander liebevoll und wahrhaftig, ehrlich, aufrichtig werden. Darum sind wir alle auf die Barmherzigkeit Gottes angewiesen. Und weil unser himmlischer Vater barmherzig ist, sollen auch wir barmherzig werden.

 

 

 

„Jesus sagt: Ich bin das Leben“

 

Schließlich sagt Jesus: „Ich bin das Leben!“ Ich kann sagen: Ich lebe. Ich habe Leben, ich bin lebendig. Aber „Ich bin das Leben“, das kann kein Mensch sagen. Denn wir haben Leben nicht in uns, nicht aus uns selbst. Sondern wir alle haben das Leben geschenkt bekommen. Und wenn uns die Lebendigkeit verlorengeht, wenn wir dem geistlichen oder auch körperlichen Tod näher sind als dem Leben, dann müssen wir wieder neu belebt werden. Jesus sagt: „Ich bin das Leben!“ Darum will er uns auf dem Weg mit ihm nicht nur wahrhaftig machen, sondern auch beleben.

 

Lasst uns mal einen Moment darüber nachdenken: Was belebt mich, was gibt mir Auftrieb, was weckt in mir die Lebensgeister?

 

Und jetzt die nächste Überlegung: Was belebt mich in meiner Frömmigkeit, in meinem Vertrauensverhältnis zu Jesus?

 

Wenn wir mit Jesus unterwegs sind, dann entdecken wir, wie er uns belebt und erquickt, was uns in der Beziehung zu ihm guttut. Wir merken mehr und mehr, dass wir auf Jesus, das Leben, angewiesen sind. Wir nehmen auch wahr, dass wir Schuld auf uns laden und darum auf Schuldvergebung angewiesen sind. Solche Belebung können wir aber nur in der unmittelbarer Beziehung und Verbindung mit Jesus haben.

 

Zur Veranschaulichung dieses Punktes will ich uns eine Gleichnisgeschichte erzählen. Die Geschichte stammt von Pfr. Siegfried Kettling.

 

„Da ist ein Patient, Herr Adam, dem alle Mediziner bescheinigen: er ist ein Todeskandidat, bösartigste Bluterkrankung im letzten Stadium, im Grunde schon tot!

 

Da gibt es ein merkwürdiges Krankenhaus, an dessen Wand der Satz gemalt steht: „Ich bin der Herr, dein Arzt!“ Um auch das Letzte zu versuchen, transportiert man den Sterbenden in dieses Spital. Seltsam ist die Begrüßung bereits am Portal. Der Arzt legt dem Todkranken die Hand auf die Schulter: „Ich sage dir: Du bist gesund! Achte jetzt nicht auf all die Symptome deiner Krankheit. Mein Wort ist hier die allein gültige Wirklichkeit. Glaub mir: Bei mir, in meinen Augen, bist du vollkommen heil. Und mein Urteil ist unfehlbar!“

 

Merkwürdig ist die Behandlung, die jetzt beginnt. Nicht mit irgendwelchen Medikamenten wir Herr Adam versorgt, der Arzt selbst ist die Therapie. Wohl gibt es eine Bluttransfusion. Aber es ist des Arztes eigenes Blut, das in den Patienten hinüberfließt. Und - eigenartig - der Schlauch und die Kanüle werden nie abgenommen; beständig fließt der Lebensstrom. Es gibt auch eine Bestrahlung. Aber es ist der Arzt selbst, der Herrn Adam täglich in die Augen schaut. Tief geht dieser Blick. Der Patient merkt: Dieser Blick ist nicht nur diagnostisch (das auch: Ich bin durchschaut); er ist therapeutisch, er heilt mich zutiefst. Am wichtigsten aber ist für den Patienten die tägliche Gesprächstherapie. Wundersam befreiend ist dieser Austausch. Die verborgensten Nöte vermag der Patient ohne Scheu zu sagen. Heilend sind die liebevollen Anweisungen: „Das unterlässt du bitte jetzt! Stattdessen ist dies jetzt dran!“

 

Herr Adam spürt, wie er gesundet. Bald kann er aufstehen, umhergehen, Besuche empfangen (jedem empfiehlt er eifrig dies Spital und seinen Arzt!). Erstaunliche Kräfte werden frei: Er bewährt sich bereits als Hilfspfleger an Mitpatienten.

 

Eines Tages aber meint Herr Adam, nun sei er gesund genug. Unbemerkt (so denkt er jedenfalls) entweicht er dem Spital, der beständigen Transfusion, dem Blickkontakt und Gespräch. „Ewig werde ich dem Arzt dankbar sein“, murmelt er, „aber jetzt bin ich in mir selbst stark, kann hingehen, wohin es mir beliebt.“

 

Auf der Treppe vor dem Portal findet man den Bewusstlosen. Gerade noch rechtzeitig wird er zurückgebracht. „Bleib bitte bei mir!“ hört er den Arzt sagen, als er erwacht. „In dir selbst bleibst du der >alte Adam<, ein sicherer Todeskandidat; nur bei mir, in meinem Haus, bist du gesund!“

 

 

 

Ich fasse zusammen: „Jesus spricht: Wer mir begegnet und mit mir unterwegs ist, wird wahrhaftig und aufrichtig werden. Auf diesem Weg belebe ich Menschen und beglücke sie. Denn ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben. In die Lebensgemeinschaft mit Gott und ans Ziel der ewigen Heimat im himmlischen Haus des Vaters kommt ihr nur durch mich.”

 

AMEN