Gott mit allen Sinnen erfahren und
genießen – SPÜREN

Liebe Freunde!

„Das geht doch gar nicht! Wir können doch Gott nicht mit unseren Sinnen erfahren und schon gar nicht genießen!“ Ich gebe dir gerne Recht, wenn du so auf das Motto meiner neuen Predigtreihe reagiert hast. Ich stimme dir zu und will gleich zu Beginn unmissverständlich festhalten, dass wir von uns aus mit unseren fünf Sinnen nicht mit Gott in Kontakt treten können. Unter den irdischen Bedingungen und als von Gott getrennte Menschen ist es uns nicht möglich, auf diese natürliche Weise Gott zu begegnen. Wir können Gott mit unseren Augen im Kopf nicht sehen. Wir können ihn in aller Regel mit unseren Ohren nicht unmittelbar hören. Unser Geruchssinn kann ihn nicht wahrnehmen und nicht erfassen. Keiner von uns kann sagen, wie Gott schmeckt, dafür ist unsere Zunge nicht gemacht. Wir können ihn nicht mit unseren Händen berühren und werden auch kaum auf unserer Haut spüren, wie er uns in den Arm nimmt.

Das ist so, das ist aber das große Problem aller Menschen und aller Religionen. Denn wir wollen berühren, erfassen und begreifen. Darum machen sich viele Menschen „dingliche“ Götter. Götzenbilder oder Statuen, die man sehen und berühren kann. Oft sind solche Götzenanbetungen mit Gerüchen und bestimmten Speisen verbunden. Damit wollen die Menschen aber die Götter nicht nur begreifbar, sondern auch verfügbar machen. Und da liegt die Crux. Denn sobald wir uns einen Gott begreifbar machen, wollen wir auch über ihn bestimmen und verfügen. Und das verbietet sich von selbst. Denn der Gott, den wir im Griff haben, ist nicht mehr Gott. Und deswegen stimmt es schon, dass wir von uns aus mit unseren fünf Sinnen keinen Kontakt zu Gott aufnehmen können.

ABER Gott kommt ja von sich aus auf uns zu. Er tritt mit uns in Kontakt. Das tut er in erster Linie über sein Wort. Das Wort, das er an uns richtet, geschieht eher selten so, dass wir es tatsächlich mit den Ohren hören können. Sondern er hat es uns schriftlich gegeben. Wir können es lesen, in der Bibel nachlesen. Aber wir sind nicht nur Kopf- und Verstandeswesen, die nur über Worte ansprechbar sind. Kommunikation und Beziehung ist vielfältiger und nicht nur kognitiv. Das betrifft dann auch die Beziehung zwischen Gott und uns, oder? Aber wie geht das, wie können wir Gott mit allen Sinnen erfahren? Gott ergreift die Initiative und begegnet uns auch auf der physischen Ebene unserer Körperlichkeit. Er nutzt auch unsere Sinnesorgane, um mit uns in Beziehung zu treten. Das will ich in der heutigen und in den folgenden Predigten jeweils beleuchten.

Doch bevor Gott uns in diesen Bereichen berühren und ansprechen, begegnen und sich uns offenbaren will, will er unser Herz erreichen. Er will unser Herz gewinnen. Denn Glaube ist Herzenssache. Wenn Gott unser Herz berührt und gewinnt, wenn er unser Herz reinigt und erneuert, wenn wir ihm mit ganzem Herzen gehören, dann will Gott auch den Rest unseres Körper regieren und gebrauchen, um uns auf unterschiedliche Weise zu begegnen. Und unser Körper kann uns helfen, Gott auf ganz unterschiedliche und vielfältige Art und Weise wahrzunehmen und ihn zu ehren.

Darum will ich mit dem zentralen Sinnesorgan Herz beginnen. In biblischen Denken ist das Herz zuerst der Ort und das Organ, wo die Entscheidungen getroffen werden. Schon gleich bei dem Bericht über die Sintflut (1. Mose 6-8) wird das Herz als das Zentrum des Menschen beschrieben, das maßgeblich ist für die Beziehung zu Gott und die Ausrichtung der Alltagsgestaltung. Das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf. Im Herzen regen sich aber auch Gefühle wie zum Beispiel Freude und Dankbarkeit oder Spott und Hass. Das Herz freut sich über die Maßen und es ist auch erfüllt von Lust und Leidenschaft und Begierde. Das Herz sehnt sich Liebe und Zuneigung und Erotik, das Herz ist aber auch stur und beleidigt und verbittert.

Wir verwenden ganz oft den Herzensbegriff, um die Zugehörigkeit zu einem Menschen oder zu Gott zu beschreiben. In der Bibel und von daher auch in unserem Denken und Empfinden ist es das Herz, das wir an jemanden verlieren. Und damit meinen wir, dass wir uns mit ganzem Herzen jemandem anvertrauen und lieben. Die Frage nach der Beziehung zu Gott lautet darum auch: Wem gehört mein Herz? Hat Gott mir mein Herz abgewonnen? Bin ich nur halbherzig bei meinem Gott oder liebe ich ihn von ganzem Herzen? Habe ich es ihm gestattet oder ihn darum angefleht, dass er in mir ein reines Herz schafft, das ihn ehrt und anbetet? Diese Bitte hat David im Psalm 51 ausgesprochen. Hat Gott mir das Herz aus Stein herausgenommen und dafür ein lebendiges, Gott ergebenes Herz geschenkt? Diese Metapher verwendet der Prophet Hesekiel einige Male. Ist mein Herz erfüllt von der Liebe Gottes? Wichtiger als die fünf Sinne ist das Herz, das Zentralorgan in unserem Leben.

Je intensiver wir darüber nachdenken, wie groß die Liebe und die Güte Gottes ist, desto mehr will und soll das unser Herz erfüllen und berühren. Christian Fürchtegott Gellert hat geschrieben und gedichtet: „Wie groß ist des Allmächtgen Güte! Ist der ein Mensch, den sie nicht rührt, der mit verhärtetem Gemüte den Dank erstickt, der ihr gebührt? Nein, seine Liebe zu ermessen, sei ewig meine größte Pflicht. Der Herr hat mein noch nie vergessen, vergiss, mein Herz, auch seiner nicht.“

Ja, zum Herzen gehört deswegen auch natürlich und selbstverständlich das Gefühl. In der Bibel ebenso wie in unserem Denken und Empfinden gehören Herz und Gefühl untrennbar zusammen. Gott will das Herz nämlich nicht nur als unsere Entscheidungszentrale regieren, sondern mit unserem Herzen auch unser Fühlen und Empfinden, unsere Emotionen und Gemütsbewegungen ausfüllen und erfüllen. Wenn ich das Motto der Predigtreihe so formuliert habe: „Gott mit allen Sinnen erfahren und genießen“, dann gehören die Gefühle ganz wesentlich mit dazu. Ich fürchte, dass wir hier kulturelle und theologische Altlasten aufzuarbeiten haben. Denn in manchen gesellschaftlichen Kreisen und gemeindlichen Gruppierungen sind Gefühlsausbrüche verpönt. Die einen dürfen nicht weinen, die anderen dürfen nicht ausflippen, die einen gestatten sich keine Begeisterungsausbrüche, den anderen sind Tränen der Rührung peinlich. So ein Blödsinn. Glaube ist wahrlich nicht nur Gefühl, sondern Zuspruch und Vertrauen, Verlässlichkeit und Treue. Aber mit dem Liederdichter Gellert will ich fragen: Ist der eigentlich ein Mensch, den der Glaube an den Retter und Heiland Jesus Christus nicht berührt? Ist der eigentlich ein Mensch mit Herz und Gefühl, den die Liebe Gottes nicht zu Dank und Anbetung und Euphorie und Enthusiasmus hinreißt?

Mir ist bei der Durchsicht von vielen alten Chorälen aufgefallen, wie oft da von der emotionalen Ebene gesungen wird. Ich zähle ein paar auf: „Mein erst Gefühl sei Preis und Dank, erheb ihn, meine Seele!“ Mit einem dankbaren Gefühl will der Liederdichter in den Tag starten. Gerhard Tersteegen schreibt: „Ich fühl’s, du bist’s, dich muss ich haben; ich fühl’s, ich muss für dich nur sein.“ In dem Pfingstlied „Komm, o komm, du Geist des Lebens“ bittet Heinrich Held den Geist Gottes: „Lass uns stets dein Zeugnis fühlen, dass wir Gottes Kinder sind.“ Ja, das sollen wir fühlen, dass wir Kinder Gottes sind! Johann Michael Hahn bittet: „Lass uns fühlen allzugleich: Ich bin mitten unter euch.“ „Mit dir, o Herr, verbunden, fühl ich mich nie allein!“ Diese Zeile stammt von Johanna Meyer aus dem Jahr 1891. Und im Jahr 1695 schrieb Bartholomäus Crasselius: „Zieh mich, o Vater, zu dem Sohne, damit dein Sohn mich wieder zieh zu dir; dein Geist in meinem Herzen wohne und meine Sinne und Verstand regier, dass ich den Frieden Gottes schmeck und fühl und dir darob im Herzen sing und spiel.“

Wenn unser Glaube also eine Herzensangelegenheit ist, dann ist er auch eine Gefühlsangelegenheit. Für manche klingt das jetzt vielleicht nach Gefühlsduselei. Aber ich fürchte nicht, dass wir zu viel Begeisterung und Gefühl zeigen, sondern ich fürchte viel mehr die Gefühlskälte, die Erfahrungsarmut und die Kopflastigkeit unseres Glaubens.

Nun habe ich viel darüber gesprochen, dass der Glaube unsere Gefühle erreicht und durchdringt, dass uns der Glaube im Herzen anrühren und berühren soll. Aber wie sieht es denn mit der tatsächlichen Berührung aus? Wie kann Gott uns buchstäblich berühren? In einem Lobpreislied aus den 1990er Jahren heißt es: „Es gibt keinen Ort, wo ich lieber wär‘ als in deinem liebenden Arm.“ Cae Gaunt singt: „Du legst mir die Hand auf die Schulter, schaust mich an und bist einfach hier.“ In der Schriftlesung haben wir die Geschichte von der Frau mit den permanenten Menstruationsbeschwerden gehört. Sie hat einen Zipfel von Jesu Mantel berührt und hat Heilung erfahren. Wie viele Menschen hat Jesus berührt, in den Arm genommen, gestreichelt. Sie konnten hautnah spüren, dass er ihnen gut ist. Die allermeisten Menschen sehnen sich nach solchen Berührungen, die Nähe und Trost, Zuspruch und Beistand vermitteln. Aber eine Berührung direkt von Jesus oder dem himmlischen Vater? Eher schwierig, oder? Ja, unmittelbar werden das die allerwenigsten so erleben. So ganz direkt passiert das wohl nicht so oft.

Aber wir dürfen es mittelbar erleben und im Namen Gottes auch mittelbar andere spüren lassen, dass Gott ihnen die Hand auf die Schulter legt, dass er sie in den Arm nimmt, so dass sie seinen Zuspruch spüren können. Ich durfte schon viele Menschen segnen: bei Taufen und Trauungen und bei anderen Markierungen auf ihrem Lebensweg. Als ich kürzlich Brigitte und Robert Schmidt im Gottesdienst anlässlich ihrer goldenen Hochzeit gesegnet habe, da habe ich den beiden die Hände auf ihre Schultern aufgelegt und sie spüren lassen, dass Gott sie begleitet. Auch bei Hochzeiten lege ich dem Brautpaar ganz bewusst die Hände auf und lasse sie hören und fühlen, dass Gott sie segnet. Bei Kranken- und Trauerbesuchen gehört die Berührung, zuweilen auch die Umarmung dazu. Vor wenigen Tagen habe ich bei einem Krankenbesuch zum Abschied der Person ganz ausdrücklich die Hand gedrückt und gesagt: „Du darfst wissen, dass Gott dich bei seiner Hand hält und nicht loslässt!“

Nun bedeuten diese Beobachtungen nicht, dass wir uns fortan alle reihenweise um den Hals fallen müssen. Denn das ist nicht jedermanns Sache. Viele werden auch froh sein, dass es bei uns die Sitte des „heiligen Kusses“ nicht mehr gibt. Paulus fordert die Christen in Rom und Korinth auf, sich mit dem heiligen Kuss zu grüßen. Hier dürfen wir nicht übergriffig werden. Aber die Berührung, die Geste darf angemessen und vor allem segnend geschehen.

Schließlich bin ich bei diesem Thema auf eine Aussage aus dem Psalm 23 gestoßen, die die allermeisten ziemlich gut kennen. Wir denken bei diesem Psalm zuerst an den Hirten und die Schafe. Aber David ändert innerhalb des Psalms die Bildebene. Erst spricht er von Gott als dem Hirten, dann beschreibt er ihn als den Gastgeber. „Du bereitest vor mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde.“ So weit, so gut. Aber dann wird es unmittelbar, spürbar, dann wird der Tastsinn direkt angesprochen: „Du salbest mein Haupt mit Öl“. Es war damals Sitte, dass ein guter Gastgeber seine Gäste geehrt hat und ihnen eine Kopfmassage gegönnt hat. Natürlich hat David das zunächst mal bildlich verstanden. Gott ist wie ein Hausherr oder wie ein Wirt, bei dem ich herzlich willkommen bin und der mich mit allen Ehrenerweisungen empfängt. Aber warum soll diese bildhaft symbolische Handlung nicht eine Anregung für eine ganz konkrete Tat sein? Und das hat mich auf eine Idee gebracht. Ich würde uns sehr gern ein solches Erlebnis auch mal ermöglichen. Nein, keine Angst, wir träufeln uns nicht gegenseitig Öl auf den Kopf. Das war damals stimmig, das war früher guter Brauch. Heute würde ich das ein wenig abändern und uns einladen, dass wir einander mit einen wunderbaren und kostbaren Öl die Hände einreiben und vielleicht eine kleine Handmassage verabreichen. Natürlich ist das freiwillig, niemand soll sich zu etwas genötigt fühlen, was er oder sie nicht will. Der Gedanke und der Zuspruch ist, dass wir fühlen und spüren, dass Gott uns gut ist und dass er uns guttut und uns segnen will. Wie wir das handhaben, erklären Christa und ich gleich noch.

Gott mit allen Sinnen erfahren und genießen – SPÜREN. Ich wünsche uns, dass wir innerlich und äußerlich immer mehr spüren und fühlen, dass Gott uns liebt und segnet.

AMEN