Psalm 8

 

 

 

Liebe Freunde, liebe Gemeinde,

 

manche können sich vielleicht noch daran erinnern, dass es im Kino oder im Theater die Platzanweiser gegeben hat. Am Eingang zum großen Saal wurden wir in Empfang genommen und dann zu dem Platz geführt, den wir gebucht haben. Auch bei größeren Festen, bei denen es Tischkarten gibt, ist es hilfreich, wenn wir beim Suchen unseres Platzes Hilfe bekommen. Denn es ist wichtig, dass wir da sitzen, wo wir hingehören, damit keine peinlichen Szenen entstehen, weil wir am falschen Platz sind.

 

Platzanweiser. Ich lese uns den Psalm 8 vor als einen Platzanweiserpsalm.

 

HERR, unser Herrscher, wie herrlich ist dein Name in allen Landen, der du zeigst deine Hoheit am Himmel! Aus dem Munde der jungen Kinder und Säuglinge hast du eine Macht zugerichtet um deiner Feinde willen, dass du vertilgest den Feind und den Rachgierigen. Wenn ich sehe die Himmel, deiner Finger Werk, den Mond und die Sterne, die du bereitet hast: was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst, und des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst? Du hast ihn wenig niedriger gemacht als Gott, mit Ehre und Herrlichkeit hast du ihn gekrönt. Du hast ihn zum Herrn gemacht über deiner Hände Werk, alles hast du unter seine Füße getan: Schafe und Rinder allzumal, dazu auch die wilden Tiere, die Vögel unter dem Himmel und die Fische im Meer und alles, was die Meere durchzieht. HERR, unser Herrscher, wie herrlich ist dein Name in allen Landen!

 

Gottes Wort in diesem alten Hymnus weist uns Menschen den Platz in dieser Welt an. Dem will ich in drei Gedankenschritten nachspüren.

 

1.             Zum Loben aufgefordert

 

Es fällt beim Lesen sofort auf, dass dieser Psalm einen Rahmen hat. Der erste und der letzte Satz ist gleich: „HERR, unser Herrscher, wie herrlich ist dein Name in allen Landen!“ So beginnt der Psalm, so endet er auch. Während im Kino oder im Theater die Blickrichtung von unserem zugewiesenen Platz nach vorne gerichtet ist, geht der Blick des Psalmbeters David nach oben. Gott wird angesprochen, Gott wird verehrt, seine Herrlichkeit wird gerühmt und hervorgehoben. Gott zu preisen, das ist die Bestimmung unseres Lebens. Gott zu loben, das gibt unserem Leben den Rahmen, wenn wir denn nicht aus dem Rahmen fallen wollen. Aber Gott und damit auch die Verherrlichung Gottes verschwindet all zu schnell aus unserer Lebenswelt. Am ehesten wird er noch in einigen leeren Floskeln erwähnt. Wie oft ertönt der Ausruf des Entsetzens „Oh mein Gott!“ oder nur „Oh Gott“. Das ist oftmals das Einzige, wo Gott noch da ist; wo er noch angerufen wird, obwohl man gar nicht mit ihm reden will; wo an seine Tür angeklopft wird, obwohl man gar nicht rein möchte.

 

Der Psalm spricht Gott nicht gedankenlos an, sondern der Beter drückt seine Verbundenheit mit Gott aus. Das ist der Grund, warum wir Gott loben. Wie sind mit Gott verbunden, denn er hat sich an uns gebunden, als er uns geschaffen hat. Vers 6 drückt das aus: Du, Gott, hast ihn, den Menschen, gemacht. Im Psalm 100 klingt das so: „Er hat uns gemacht, und nicht wir selbst“. Dieser Gott, der uns geschaffen hat, der sich mit uns verbunden hat, dessen Herrlichkeit und Größe, dessen Majestät und Hoheit unser Denken und Verstehen überragen, dieser Gott ist für uns. Insofern ist er unser Gott. Wenn er angesprochen wird als „HERR, unser Herrscher“, dann ist das „unser“ kein besitzanzeigendes Fürwort. Er ist nicht unser Gott, der uns gehört. Er ist nicht unser Besitz, sondern wir gehören ihm. Diesen Gott, dessen souveräner Name und Wesen seit Anbeginn der Schöpfung alles erfüllt, den sollen wir loben.

 

Aber warum sprechen wir das aus, warum sollen wir ihn loben und verherrlichen, anbeten und preisen? Er erfüllt doch sowieso alles mit seiner Herrlichkeit, auch ohne, dass wir es aussprechen. Hier kann uns Martin Luther auf die Sprünge helfen. In seiner Erklärung zur ersten Bitte im Vater-unser („geheiligt werde dein Name“) schreibt er folgendes: „Gottes Name ist zwar an sich selbst heilig; aber wir bitten in diesem Gebet, dass er auch bei uns heilig werde.“ So verhält es sich auch hier. Gottes Herrlichkeit erfüllt auch ohne unseren Lobpreis die ganze Erde und seine Hoheit zeigt sich auch ohne unsere Anbetung am Himmel. Wir preisen Gott und proklamieren seine Herrlichkeit und wir beten ihn an und verehren ihn nicht, weil dadurch die Erde von seiner Herrlichkeit erfüllt wird. Sondern damit er auch uns erfüllen möchte. Wir strecken uns in der Anbetung danach aus, dass er auch bei uns gegenwärtig sein möchte. Nicht nur so allgemein, dass er da ist, dass er anwesend ist, sondern tatsächlich und unmittelbar gegenwärtig. Darum werden wir in der Bibel und auch mit diesem Psalm zum Lob aufgefordert, weil das der richtige Platz ist, der uns zugewiesen wird. Darum ist der Psalm 8 ein Platzanweiserpsalm. Wir sind am richtigen Ort, wenn wir Gott loben.

 

Das ist allerdings alles andere als selbstverständlich. Gott wird nicht nur gedankenlos verdrängt, er wird auch angefeindet. Im Vers 3 ist von den Feinden, den Widersachern, den Bedrängern die Rede. Ja, tatsächlich, Gott wird aktiv bekämpft. Und in aller Regel müssen es die aushalten und ausbaden, die diesen Gott loben und verherrlichen, die seinen Namen und sein Wesen als das Größte und Herrlichste proklamieren. Wie reagiert Gott darauf? Zuweilen straft Gott seine Feinde. Dann lässt er auch mal Schwefel und Feuer auf so verdorbene und gottlose Städte wie Sodom und Gomorra regnen, auf seine Gegner, die regelrecht um Gottes Bestrafung gebettelt haben. Aber manchmal handelt er auf die „David-gegen-Goliath-Weise“. Ein Hirtenjunge bringt mit einer Schleuder und einem Kieselstein den überheblich frechen Riesen zur Strecke. Schwäche sticht Stärke aus. Und wir? Wie können wir den Spöttern, den Gegnern, den Widersachern begegnen? Wir sind ja doch schwach, wir sind eine Minderheit. Die Antwort im Vers 3 klingt in der „Guten Nachricht“ so: „Aus dem Lobpreis der Schwachen und Hilflosen baust du eine Mauer, an der deine Widersacher und Feinde zu Fall kommen.“ Das, was uns an die Hand gegeben wird, um den Feinden zu begegnen, ist das Lob. Der Feind tobt, Gottes Volk lobt. Das ist die Platzanweisung für uns. Da sind wir richtig.

 

2.             Zur Demut aufgerufen

 

Da ist ein junges Ehepaar, das Campingurlaub macht. Sie haben sich ein einfaches, kleines Zelt gekauft. Nach einem wunderbaren Abend krabbeln sie ins Zelt und schlafen ein. Einige Stunden später weckt die Frau den Mann auf und meint: „Schatz, schau doch mal, schau dir mal den Himmel an, und sag mir was du siehst!“ Der Mann sagt: „Ich sehe Millionen von Sterne.“ Die Frau fragt: „Und was sagt dir das?“ Der Mann überlegt: „Astronomisch gesehen sagt es mir, dass da Millionen von Galaxien und Billionen von Sternen und Planeten sind. Astrologisch sagt es mir, dass der Saturn im Löwen steht. Zeitmäßig gesehen sagt es mir, dass es ungefähr 3.15 Uhr ist. Theologisch sagt es mir, es ist offensichtlich, dass der Herr allmächtig ist und wir alle klein und unbedeutend sind. Meteorologisch scheint es so, als hätten wir morgen einen wunderschönen Tag. Was sagt es dir?“ Die Frau ist für einen Moment still und sagt dann: „Praktisch gesehen sagt es mir: Jemand hat unser Zelt geklaut.“

 

Was sagt es dir, wenn du den Sternenhimmel betrachtest? Der Psalmist bestaunt den Sternenhimmel, ist tief beeindruckt vom Firmament und das mündet in eine Frage! „Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst und des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst?“ Der Eindruck des Sternenhimmels findet Ausdruck in einer Frage. Und es ist nicht die Frage nach dem Urknall oder der Entstehung des Weltalls. Es ist nicht die Frage nach Gravitationsgesetzen und Asteroiden, die auf die Erde knallen könnten. Angesichts der überwältigen Größe des Weltalls, das die Herrlichkeit Gottes widerspiegelt, stellt sich die Frage: „Was ist der Mensch? Wer bin ich?“ Staubkorn des Universums bin ich. Ein Winzling im Weltall. Aber ein wertvoller, ein kostbarer Winzling. Warum? Weil Gott an dich denkt! Weil Gott dich beachtet, weil er dich nicht übersieht, obwohl es so unfassbar viele Menschen gibt und gegeben hat und noch geben wird. Aber Gott denkt an dich. Das macht deine Würde aus. Du bist ein genialer Gedanke Gottes. „Du bist ein Wunsch, den Gott sich selbst erfüllt hat“ (Hans-Joachim Eckstein).

 

Das Bedürfnis steckt ja ganz tief in uns drin, dass es Menschen gibt, die an uns denken, die uns nicht vergessen. Aber wenn mir jemand versichert, an mich zu denken, dann hoffe ich, dass das Ausdruck findet in einem Anruf, einer WhatsApp, einer E-Mail, einer Postkarte, einem Besuch. Gott denkt an uns, er ist besorgt und bemüht um uns. Und er ruft uns an. Er spricht uns an. Er schickt uns auch mal eine SMS in unsere Gedanken. Ja, er will uns ganz nahe sein. Nicht nur anwesend, sondern tatsächlich und unmittelbar gegenwärtig durch seinen Heiligen Geist. Gott schenkt uns allen seine volle Aufmerksamkeit. Können wir das denken angesichts von fast 8 Milliarden Menschen aktuell auf der Erde? Schwierig, oder? Aber glauben und erfahren können wir es.

 

Wir sind ein von Gott geachteter, wertvoller Winzling. Denn „du hast ihn wenig niedriger gemacht als Gott, mit Ehre und Herrlichkeit hast du ihn gekrönt. Du hast ihn zum Herrn gemacht über deiner Hände Werke.“ Das ist unser Platz. Unser Platz ist unter Gott. Gott weist uns diesen Platz zu und es ist der Platz in der Mitte. Diese Aussage kann missverstanden werden, denn wir stellen uns ja sehr gern in den Mittelpunkt. Nein, ich meine es so: der Psalm platziert uns unter Gott, aber über den Geschöpfen. Unter Gott, nicht neben oder gar über Gott. Allerdings nur ein wenig niedriger als Gott. So, dass wir mit Gott kommunizieren können. Und so, dass Gott uns mit Macht und Herrlichkeit ausstattet, weil wir als die Ebenbilder Gottes geschaffen wurden. Wir sind auf dieser Erde seine Repräsentanten. So meint es das hebräische Wort „zäläm[1]“, das im Schöpfungsbericht für den Menschen verwendet wird. Wenn wir uns also immer mal wieder fragen „Wer bin ich eigentlich? Und was ist der Mensch?“, dann finden wir die Antwort darin, dass wir sagen können, zu wem wir gehören. Dietrich Bonhoeffer hat es so erkannt und ausgedrückt: „Wer ich auch bin, du kennst mich, dein bin ich, oh Gott!“ Dass wir nicht nur zu Gott gehören, sondern dass wir ihm gehören, das gibt uns unsere Position, das gibt uns unsere Würde und den richtigen Platz. Und wenn wir das verstanden haben, dann finden wir auch die rechte Haltung und Stellung der Schöpfung gegenüber, die Gott uns anvertraut hat. „Du hast ihn zum Herrn gemacht über deiner Hände Werk.“ Hierbei hängt alles davon ab, wie wir diesen Satz betonen. „Du hast ihn zum HERRN gemacht über deiner Hände Werk.“ Oder „Du hast ihn zum Herrn gemacht über DEINER Hände Werk.“ Wenn Gott uns seine Schöpfung anvertraut, dann ist es immer noch seine Schöpfung. Wir sind Haushalter dessen, was Gott uns anvertraut hat, wir sind Verwalter. Die Schöpfung ist uns gegeben, dass wir sie bebauen und bewahren und gestalten. Aber wenn er sie uns in die Hände legt, dann gibt er selbst sie nicht aus seinen Händen. Das ist die Platzanweisung, die uns Gottes Wort in diesem Psalm gibt. Zum Loben aufgefordert. Zur Demut aufgerufen. Und schließlich noch ein dritter und letzter Gedanke:

 

3.             In Christus aufgerichtet

 

Wenn wir das alles ehrlich bedenken, dann müssen wir feststellen, dass wir zu oft aus dem Rahmen fallen, dass wir zu oft unseren zugewiesenen Platz nicht einnehmen. Wir müssen erkennen und bekennen: wir haben uns falsch hingesetzt. Wir haben unsere Platzanweisung missverstanden. Und zwar deshalb, weil wir Gott nicht die Position gegeben haben, die ihm zusteht, die ihm gebührt. Bedenken wir doch mal folgendes: Wo will ich in bestimmten Bereichen meines Lebens nicht, dass er der Herrscher ist, der das Sagen hat? Und auch der Schöpfung gegenüber haben wir vergessen, dass sie uns anvertraut ist als seine Gabe, mit der wir verantwortungsvoll umgehen sollen.

 

Gott hätte also allen Grund, uns in Grund und Boden zu stampfen, weil seine Ehre mit Füßen treten. Er könnte uns mit aller Gewalt und Macht entgegentreten, uns auf die Knie zwingen und uns verurteilen und richten. Er könnte sich auch voller Grauen und Entsetzen von uns abwenden und sagen: Macht doch, was ihr wollt, rutscht mir doch den Buckel runter, rennt doch einfach ohne mich in euer Verderben, „macht doch euren Dreck allene“.

 

Aber so geht er nicht mit uns um. Sondern er kommt in Jesus Christus auf uns zu. Im kleinen Baby in der Krippe, im einfachen Handwerker aus Nazareth, in dem Wanderprediger, in dem Mann am Kreuz, also in Schwachheit und Niedrigkeit kommt er uns entgegen. Jesus sagt von sich selbst, dass er nicht gekommen ist, die Welt zu richten, sondern zu retten. Er nimmt sich unser an, er denkt an uns. Und wir staunen hoffentlich wieder neu und fragen: „Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst? Was sind wir, dass du dich hineinerniedrigst in die menschliche Existenz und uns in unserer Schwachheit begegnest? Was sind wir, dass du dich unser annimmst, uns nicht hinrichtest, sondern aufrichtest?“ Denn weil Jesus sich für uns hat hinrichten lassen am Kreuz, darum kann er uns aufrichten und uns an den Platz bringen, der uns zusteht. Er versetzt uns in die Position, dass wir Kinder Gottes sein dürfen (siehe Johannes 1,12). Es ist von tiefer Bedeutung und großartiger Aussagekraft, dass Johann Sebastian Bach seine beeindruckende Johannes-Passion mit einem Zitat aus Psalm 8 beginnt und dann auf das Leiden Jesu am Kreuz ausdehnt: „Herr, Herr, Herr unser Herrscher, dessen Ruhm in allen Landen herrlich ist! Zeig uns durch deine Passion, dass du, der wahre Gottessohn, zu aller Zeit, auch in der größten Niedrigkeit, verherrlicht worden bist!“ In der Passion Jesu zeigt sich auf wunderbar-geheimnisvolle Weise die Herrlichkeit Gottes. Und Jesus sagt uns: „Bleibt an meiner Seite, dann seid ihr am richtigen Platz!“

 

Der Psalm 8 ist ein Platzanweiserpsalm. Er verweist uns auf den Platz, an dem wir Gott loben und seinen Sohn Jesus Christus verehren. Er verweist auf den Platz, an dem wir uns demütig vor Gott beugen und Jesus Christus danken für seine Vergebung. Er verweist uns auf den Platz an der Seite von Jesus Christus, dass er uns Herr und Heiland sei in Zeit und Ewigkeit und wir Kinder Gottes sein können.

 

AMEN

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ihr Lieben,

 

am kommenden Wochenende predige ich nicht in meiner Gemeinde hier. Deswegen findet ihr die nächste Predigt erst wieder zum 26. September hier.

Euch ein schönes Wochenende und herzliche Grüße

 

 

 

Frank

 



[1] Bild, Ebenbild, Repräsentant Gottes; so in 1Mose 1,26