Predigt über Johannes 17,1-8

 

 

 

Liebe Gemeinde!

 

Heute ist der so genannte „Palmsonntag“. An diesem Sonntag, der die Karwoche einläutet, erinnert sich die christliche Gemeinde an den Einzug von Jesus in die Stadt Jerusalem. Unter dem lauten Jubel der Bevölkerung und seiner Gefolgschaft reitet Jesus auf einem Esel ein. Sie huldigen ihm wie einem König, sie legen Kleidungsstücke auf den Weg, sie nehmen Zweige von den Dattelpalmen und winken und wedeln ihm voller Begeisterung zu. Die Euphorie kennt keine Grenzen, die Hoffnungen und Erwartungen sind riesengroß. Immer wieder werden Aussagen und Segenssprüche aus biblischen Schriften zitiert, die auf Jesus gedeutet werden, zum Beispiel: „Hosianna dem Sohn Davids! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn! Hosianna in der Höhe!“ Damit wird zunächst die Hilfe von Gott für diesen Heilsbringer erfleht. Hosianna heißt übersetzt: „Herr, hilf doch!“ Dann wird Jesus verehrt und verherrlicht, gepriesen und überschwänglich gerühmt. So viel Zuspruch hat Jesus vorher noch nie bekommen. Er befindet sich auf dem vorläufigen Höhepunkt seiner Karriere. Wer weiß, ob er auf der Welle der Begeisterung nicht noch weiter nach oben gespült wird, bis er endlich der Regent und Friedefürst und Heilsbringer und Messias wird für Israel und die ganze Welt ist. Aber in nur fünf Tagen erfolgt nach dem Aufstieg der radikale Absturz. Nach dem „Hosianna!“ kommt das „Kreuzige ihn!“ Das war’s dann wohl mit der Herrlichkeit. Aus, vorbei, Ende.

 

Aber da, wo wir meinen, dass von Herrlichkeit und Ehre, von Ansehen und Schönheit, von Glanz und Gloria überhaupt nichts mehr übrig geblieben ist, da spricht Jesus in seiner letzten großen Rede von nichts anderem als von Herrlichkeit. Mit seinen letzten Ausführungen wendet sich Jesus aber nicht an seine Jünger, nicht an das Volk, nicht an seine erbitterten Feinde und Gegner. Sondern in seiner letzten Rede wendet er sich an seinen Vater. In Johannes 17 wird uns dieses Gespräch Jesu mit Gott im Himmel wiedergegeben. Und in diesem Gebet geht es ganz viel um Herrlichkeit und ums Verherrlichen. Ich lese uns den Anfang dieses Gebetes vor: Johannes 17,1-8.

 

„1 Solches redete Jesus und hob seine Augen auf zum Himmel und sprach: Vater, die Stunde ist gekommen: Verherrliche deinen Sohn, auf dass der Sohn dich verherrliche; 2 so wie du ihm Macht gegeben hast über alle Menschen, auf dass er ihnen alles gebe, was du ihm gegeben hast: das ewige Leben. 3 Das ist aber das ewige Leben, dass sie dich, der du allein wahrer Gott bist, und den du gesandt hast, Jesus Christus, erkennen. 4 Ich habe dich verherrlicht auf Erden und das Werk vollendet, das du mir gegeben hast, damit ich es tue. 5 Und nun, Vater, verherrliche du mich bei dir mit der Herrlichkeit, die ich bei dir hatte, ehe die Welt war. 6 Ich habe deinen Namen den Menschen offenbart, die du mir aus der Welt gegeben hast. Sie waren dein, und du hast sie mir gegeben, und sie haben dein Wort bewahrt. 7 Nun wissen sie, dass alles, was du mir gegeben hast, von dir kommt. 8 Denn die Worte, die du mir gegeben hast, habe ich ihnen gegeben, und sie haben sie angenommen und wahrhaftig erkannt, dass ich von dir ausgegangen bin, und sie glauben, dass du mich gesandt hast.“

 

Jesus betet im Garten Gethsemane und er weiß ganz genau, was auf ihn zukommt. Der feige Verrat durch Judas, die Gefangennahme, der Scheinprozess, die entehrende Folter, die Verleugnung des Petrus, die erniedrigenden Misshandlungen, das Possenspiel zwischen Pontius Pilatus und dem jüdischen Hohen Rat, schließlich der entwürdigende Schleif nach Golgatha und die äußerst brutale Hinrichtung durch die Kreuzigung. Was soll daran Herrlichkeit sein? Das wollen wir zum Beginn der Karwoche bedenken und betrachten.

 

1.             Der himmlische Vater verherrlicht seinen Sohn

 

Das erbittet Jesus von seinem Vater. Jetzt, so sagt er, ist der alles entscheidende Moment gekommen, jetzt, wo die Kreuzigung, das Sterben, der Tod bevorsteht. „Jetzt verherrliche du mich bei dir mit der Herrlichkeit, die ich bei dir hatte, ehe die Welt war“ (Vers 5). Jesus war in der himmlischen Welt eins mit dem Vater und mit dem Heiligen Geist. Er hatte dort alle Verehrung, Ruhm, Würdigung und Anbetung erfahren, die ihm als Gott gebühren und zustehen. Dieses Umfeld der Wertschätzung und Huldigung hat er freiwillig preisgegeben und verlassen und ist Mensch geworden. Und als Mensch hat er sich zwar freiwillig hineinbegeben in die Niederungen irdischen Daseins. Aber der Vater hat seinen Sohn Jesus Christus immer wieder bestätigt als seinen geliebten Sohn. Der himmlische Vater ist spürbar stolz auf Jesus, wenn er bei der Taufe von Jesus sagt: „Das ist mein geliebter Sohn, den sollt ihr hören!“ Schaut ihn euch an, meinen Sohn. Das ist mein Junge! Darum gibt Gott seinem Sohn auch die Vollmacht, Wunder zu tun. Und er gibt ihm eine herausragende Begabung und Befähigung, den Menschen zu erzählen, wer und wie Gott ist. Und hauptsächlich ehrt und verherrlicht der himmlische Vater seinen Sohn dadurch, dass er ihm das allergrößte Werk der Weltgeschichte zumutet und zutraut. Gott sagt zu seinem Sohn: „Du bist der Einzige, der den Menschen ewiges Leben ermöglichen kann. Du bist der Einzige, der die Schuld und Sünde der ganzen Welt tilgen kann. Du bist der Einzige, der als sündloser Mensch für die Sünden der Menschen sühnen kann.“ Das traut Gott seinem Sohn zu. Und für diese Aufgabe gibt Gott ihm alle Kraft und alles Durchhaltevermögen.

 

Jesus erweist sich dieser Aufgabe würdig. Und darum hat Gott ihn dann auch verherrlicht und über die Maßen groß gemacht und vor aller Welt gerühmt und gepriesen durch die Auferstehung aus dem Totenreich. Ostern ist der größte Triumph aller Zeiten. Und der Triumphator heißt Jesus Christus. Jesus ist der Erste, der Größte, der Beste, herrlichste Herr aller Zeiten! Und mit seiner Himmelfahrt hat er auch wieder den Platz und die Position im Himmel eingenommen, die er vorher auch schon gehabt hat.

 

Deswegen kann Jesus hier in diesem Gebet von der Herrlichkeit und von dem Ruhm und der Anerkennung sprechen, die untrennbar mit seinem Tod und seiner Auferstehung in Verbindung stehen.

 

2.             Der Sohn verherrlicht den himmlischen Vater

 

Jesus kann mit Fug und Recht sagen, dass er seinen Gott und Vater verherrlicht hat. Ich hatte eben ja schon gesagt, dass Gott seinen Sohn für die Mission auf der Erde ausgestattet hat mit herausragenden Fähigkeiten. Dessen war sich Jesus natürlich schon auch bewusst. Und die Gefahr und Verlockung waren groß, dass Jesus das auch mal in der Weise einsetzt, dass er selbst damit groß rauskommt. Im Prinzip stand Jesus immer in der Versuchung, seine Gaben für seine Selbstverherrlichung zu missbrauchen. Aber Jesus hat das niemals gemacht. Nicht, als ihn der Teufel in der Wüste in die Pfanne hauen wollte, nicht als die Volksmenge ihn zum Brotkönig machen wollte, nicht als seine Brüder ihm grobe Fahrlässigkeit vorgeworfen haben, weil Jesus ihres Erachtens viel zu bescheiden auftritt. Nein, Jesus lebt völlig im Einklang mit seinem Vater. Ich will das mit zwei Aussagen von Jesus unterstreichen. „Der Sohn kann nichts von sich aus tun, sondern nur, was er den Vater tun sieht“ (Johannes 5,19). Jesus ehrt den Vater in völligem Gehorsam und ganzer Abhängigkeit. „Ich bin vom Himmel gekommen, nicht damit ich meinen Willen tue, sondern den Willen dessen, der mich gesandt hat“ (Johannes 6,38). Jesus hat also immer im Sinn und Blick gehabt, dass Gott im Himmel gelobt wird. Denn es war Gottes Idee und Wille, es war seine Liebe und Leidenschaft zu den Menschen, dass er seinen Sohn auf die Welt gesandt hat. Jesus unterstreicht immer wieder die Vergebungs- und Versöhnungsbereitschaft des Vaters. Weil Gott uns Menschen unbedingt mit sich versöhnen will, deswegen hat der Vater den Sohn auf die Erde geschickt. So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er sich seine Sohn vom Herzen gerissen hat. Diesen Gott hat Jesus proklamiert. Und damit die Menschen ihn als solchen endlich wieder erkennen und anerkennen, loben und ehren, lieben und anbeten, hat Jesus diesen seinen Vater bekannt gemacht.

 

Das ist es, was Jesus meint, wenn er sagt: „Ich habe dich verherrlicht und das Werk vollendet, das du mir gegeben hast.“ Und „Ich habe deinen Namen den Menschen offenbart.“ Mit dem Namen ist gar nicht ein spezieller Name gemeint, sondern das Wesen und die Art, der Charakter und die umfassende Persönlichkeit Gottes hat Jesus den Menschen zugänglich gemacht.

 

Jesus reflektiert in diesem Gebet das ehrerbietige, liebevolle und sich gegenseitig verherrlichende Miteinander von ihm, dem Sohn Gottes, und dem ewigen himmlischen Vater. Und das alles hat ganz viel mit uns zu tun. Darum geht es schließlich drittens um uns.

 

3.             Und wir erlangen wieder Herrlichkeit

 

Auch wenn im Predigttext die Ausdrücke Herrlichkeit oder Verherrlichung nicht in Verbindung mit uns gebraucht werden, steckt dieser Gedanke doch ganz offensichtlich in diesem Text. Denn wo Jesus von denjenigen spricht, die an ihn glauben, da spricht er vom ewigen Leben. Jesus betont es mit Nachdruck, dass irdisch-sterbliche Menschen ewiges Leben erlangen sollen. Wie kann das zugehen? Die Problematik ist ja die, dass wir durch die Sünde, durch das von Gott losgelöste Leben, die Herrlichkeit bei Gott verloren haben. Der Apostel Paulus hat das klassisch so auf den Punkt gebracht: „Es ist hier kein Unterschied: sie sind allesamt Sünder und haben die Herrlichkeit verloren, die Gott ihnen zugedacht hatte“ (Römer 3,23). Wie kann es also möglich werden, dass wir die Herrlichkeit, die Position, den Status, die Beziehung zu Gott wieder bekommen, die wir benötigen, damit wir ewig mit Gott verbunden und bei ihm leben können? Jesus erklärt es und sagt in seinem Gebet, was das ewige Leben ist und wie wir das ewige Leben erlangen können: „Das ist aber das ewige Leben, dass sie dich, der du allein wahrer Gott bist, und den du gesandt hast, Jesus Christus, erkennen.“ Es geht also darum, dass wir Gott und Jesus richtig erkennen. Dieses „erkennen“ meint zuerst mal, dass wir Kenntnis über Gott und seinen Sohn haben. Wir lernen Gottes Liebe zu uns Menschen kennen. Und wir lernen seinen Sohn Jesus Christus kennen, der für uns gestorben ist. Aber es bleibt nicht bei einem oberflächlichen Kennenlernen oder einem bloßen „Wissen um Gott“. Das Kennen geht tiefer, es ist eine wachsende Vertrautheit, eine Beziehung bahnt sich an, wir hören immer mehr von seinen Worten, seinen Aussagen und Zusagen. Wir hören nicht nur mit den Ohren und lesen nicht nur mit den Augen, sondern erfassen und nehmen in uns wahr, dass Gott sich um uns müht. Wir verstehen immer mehr von der Herrlichkeit Gottes, des Vaters und des Sohnes und schließlich nehmen wir es mit einer bewussten Entscheidung an, dass wir nur in der Bindung und Beziehung zu Gott ewiges Leben haben können. Leo Tolstoi hat das mal so formuliert: „Ich erkannte irgendwann, dass ich nur lebte, wenn ich an Gott glaubte. Wenn ich nur an ihn dachte, erhoben sich in mir die frohen Wogen des Lebens. Alles ringsum belebte sich, alles bekam einen Sinn. Aber sobald ich nicht mehr an ihn glaubte, stockte plötzlich das Leben. Was suche ich also noch? rief eine Stimme in mir. Er ist es doch, ohne den man nicht leben kann! Gott kennen und leben ist eins. Gott ist das Leben.“

 

So ist es: Gott kennen und leben ist eins! Gott kennen ist Leben. Und das Erstaunliche ist, dass der himmlische Vater schon lange an uns gearbeitet hat und uns auf Jesus aufmerksam gemacht hat. Was für ein Geschenk, dass wir hineingenommen sind in den Stand und Status als Kinder Gottes, dass Gott uns die Herrlichkeit zuspricht, die uns zu Himmelsbürgern macht. Und darum ehren und rühmen wir Gott, den Vater und wir verherrlichen und preisen Jesus Christus, seinen Sohn. AMEN