Galater 5,25-6,10

 

Liebe Gemeinde!

Das klingt mutig und zuversichtlich, das klingt gelassen und gechillt: „Wer nur den lieben Gott lässt walten und hoffet auf ihn allezeit, den wird er wunderbar erhalten in aller Not und Traurigkeit.“ Aber ich bin nicht immer so zuversichtlich und entspannt, wie Georg Neumark es in Aussicht stellt. Theoretisch weiß ich, dass mir die schweren Sorgen und das Weh und das Ach nicht helfen. „Man halte nur ein wenig stille.“ Ja, ich weiß das. Aber mir gelingt es nicht immer, in mir selbst vergnügt zu sein. Anspruch und Wirklichkeit sind oft nicht so ganz deckungsgleich.

Ähnliches empfinde und denke ich, wenn ich die Passage aus der Bergpredigt höre. Die Aussagen Jesu in Matthäus 6,25-34 klingen so wohlmeinend, so ermutigend, so tröstlich: Sorgt nicht. Jesus lädt ein zum kindlichen Vertrauen. Aber dummerweise sieht der Alltag noch etwas anders aus. Ich empfinde da eine Spannung und einen Zwiespalt zwischen Ermutigung und Verzagtheit, zwischen wollen und nicht-immer-können. „Was ich wollte, nur geträumt; was ich sollte, oft versäumt.“ Dieser Reim beschreibt, wie es mir manchmal geht.

Wenn wir jetzt auf den Predigttext aus dem Galaterbrief hören, dann kann es sein, dass wir zum dritten Mal den Eindruck bekommen, dass das ja alles richtig ist und dass wir dem auch wahrscheinlich zustimmen. Aber entspricht der gelebte und erlebte Alltag dem, wozu uns Gottes Wort auffordert?

Galater 5,25-6,3.7-10

„Wenn wir im Geist leben, so lasst uns auch im Geist wandeln. 26 Lasst uns nicht nach eitler Ehre trachten, einander nicht herausfordern und beneiden. Liebe Brüder, wenn ein Mensch etwa von einer Verfehlung ereilt wird, so helft ihm wieder zurecht mit sanftmütigem Geist, ihr, die ihr geistlich seid; und sieh auf dich selbst, dass du nicht auch versucht werdest. Einer trage des andern Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen. Denn wenn jemand meint, er sei etwas, obwohl er doch nichts ist, der betrügt sich selbst. […] Irret euch nicht! Gott lässt sich nicht spotten. Denn was der Mensch sät, das wird er ernten. Wer auf sein Fleisch sät, der wird von dem Fleisch das Verderben ernten; wer aber auf den Geist sät, der wird von dem Geist das ewige Leben ernten. Lasst uns aber Gutes tun und nicht müde werden; denn zu seiner Zeit werden wir auch ernten, wenn wir nicht nachlassen. Darum, solange wir noch Zeit haben, lasst uns Gutes tun an jedermann, allermeist aber an des Glaubens Genossen.“

Wieder höre ich wohlmeinende Anweisungen und hilfreiche und notwendige Verhaltensregeln. Aber ich merke auch gleich, dass ich in der Praxis hinterherhinke. Ein Zitat von Friedrich Hebbel kommt mir in den Sinn: „Der ich bin grüßt trauernd den, der ich sein sollte!“ Ich sollte in der Kraft und Gegenwart des Heiligen Geistes mein Leben gestalten. Ich sollte nicht eitel, nicht provokant, nicht neidisch sein. Ich sollte demütig und bescheiden mit den Fehlern anderer umgehen, ihnen zurechthelfen und nicht ihre Schwächen zu meinem Vorteil missbrauchen. Ich sollte kein Angeber sein. Und ich sollte Gutes tun und nicht darin müde werden. Soweit die Erwartungen des Wortes Gottes an mich und an uns alle.

Ihr Lieben, ich will gar nicht tiefstapeln und behaupten, dass ich an allen Punkten ein Versager bin. Aber es ist doch hier und da noch Luft nach oben. Und ich habe den Eindruck, dass es gar nicht das Schlechteste ist, sich das einzugestehen. Hier ehrlich zu sein, das ist wie so oft schon mal ein erster Schritt in die richtige Richtung. So, wie es im Vers 3 steht: Ich soll nicht meinen und den Eindruck erwecken, ich sei ein wer weiß wie toller Christ. Ich soll mich nicht besser machen als ich bin. Das hilft mir, ehrlich nachzufragen, warum ich nicht so demütig und selbstlos und so weiter bin.

Vielleicht geht es euch ja ähnlich wie mir. Dann lade ich euch ein, mit mir Ursachenforschung zu betreiben. Lasst uns mal etwas tiefer graben und fragen, warum es uns so schwer fällt, die Anweisungen des Apostels Paulus und die Verhaltensregeln von Jesus in der Bergpredigt in die Tat umzusetzen. Warum ist es so, dass unter uns Menschen der Neid nicht tot zu kriegen ist? Warum schaffen wir Eitelkeit und Gier nicht aus der Welt? Warum lassen wir Menschen uns allzu oft von Äußerlichkeiten blenden, obwohl wir es doch besser wissen sollten? Warum nutzen wir im Zweifelsfall dann doch den Fehler des anderen aus, statt ihn mit Geduld zu bedecken? Warum rutscht uns doch immer wieder die Schadenfreude heraus, obwohl wir uns doch vorgenommen hatten, beim nächsten Mal einfühlsamer zu sein? Warum also sind solche Aufrufe, Ermahnungen und Zurechtweisungen wie die des Paulus immer wieder nötig?

Ich glaube, dass solchem Verhalten eine ganz große Angst zugrunde liegt. Es ist die Angst, zu kurz zu kommen. Deswegen sind Menschen ungnädig und eitel und selbstsüchtig. Ich vermute, dass wir so mit den anderen umgehen, wie die anderen unseres Erachtens mit uns umgehen. „Wie du mir, so ich dir“, ist das Motto. Wenn die anderen mich gering schätzen, dann mache ich das auch. Wenn sie mir ungnädig begegnen, dann werde ich nicht zuvorkommend sein. Das konnten wir bei Kindern beobachten, wenn die sich benachteiligt fühlten. Dann ist die Angst spürbar geworden, zu wenig zu bekommen, nicht genügend bedacht zu werden. Und bei den Großen setzt sich das oft noch genauso fort. Wer auf Kosten der anderen lebt tut das vermutlich, weil er oder sie befürchtet, nicht auf ihre Kosten zu kommen. Und wer sich auf Kosten anderer groß macht, fühlt sich vermutlich tief drinnen ständig zu klein.

In Ansätzen entspricht mein Versuch einer Antwort den Grundzügen von der Individualpsychologie nach Alfred Adler. Adler führt unsere Verhaltensweisen und vor allem unsere Verhaltensauffälligkeiten auf Defizite in unserem eigenen Leben zurück. Er geht davon aus, dass wir alle mehr oder weniger ausgeprägte Minderwertigkeitsgefühle haben. Und die wollen wir durch unser Verhalten kompensieren. Wenn wir aber mit uns im reinen sind, dann haben wir solche Verhaltensauffälligkeiten nicht mehr nötig, so Adler. Und wir sind seiner Ansicht nach dann mit uns im Frieden, wenn wir Gemeinschaft, Wertschätzung und Liebe erfahren. Das, was der Psychologe Adler herausgefunden hat, das finden wir in der Bibel, das empfangen wir in Beziehung zu Jesus Christus. Schaut hinein in die Bergpredigt. Jesus fordert uns nicht einfach dazu auf, dass wir uns bessern und anders leben sollen. Er befiehlt uns auch nicht einfach, dass wir uns nicht sorgen sollen. Warum? Weil er weiß, dass das alles keine Frage des Willens und der Selbstdisziplin ist. Sondern es ist eine Frage des Vertrauens. Und um dieses Vertrauen wirbt Jesus. Er lädt uns ein, dem liebenden Vater zu vertrauen. Er ist der Gott des Himmels und der Erde, der sich in Jesus Christus, seinem Sohn, zu uns begeben hat. Vertraut ihm. In der Gemeinschaft mit Jesus sind wir mit dem Vater verbunden. Und wir sind als Geschwister miteinander verbunden. Beim ihm erfahren wir die Wertschätzung und die Liebe, die wir laut Alfred Adler so dringend brauchen. Wie recht er hat. Und wie wertvoll und kostbar ist es, dass wir das in der Nachfolge Jesu finden.

Auch der Apostel Paulus füllt seine Briefe nicht von A bis Z mit Hinweisen und Mahnungen, wie wir anders oder besser und frömmer leben sollen. Sondern erstmal legt er kapitellang dar, dass unser Leben auf dem Fundament der unbedingten Liebe Gottes steht. Er trägt. Und dieser Grundstein ist mit Jesus Christus gelegt. Wir müssen und können gar nicht aus eigener Kraft so fromm und demütig, so liebevoll und gottergeben sein, dass Gott dann auch schließlich mit uns zufrieden ist. Wir verdienen uns die Gemeinschaft mit Gott, die Vergebung und die Kindschaft, die göttliche Wertschätzung und seine Liebe nicht dadurch, dass wir die zehn Gebote erfüllen! Und auch nicht die Befolgung der Imperative, der Anordnungen aus unserem Predigttext verschaffen uns Frieden mit uns und mit Gott im Frieden. Sondern wir sind alle durch den Glauben Gottes Kinder in Christus Jesus (Galater 3,26). Das wurde uns in der Taufe zugesichert. Denn wir alle, die wir auf Christus getauft sind, wir sind damit sozusagen in den Messias wie in ein Gewand hineingeschlüpft. So hat Roland Werner Galater 3,27 übersetzt. Und auch unsere Herkunft, unser Status, unser Bildungsgrad oder Einkommen sind vollkommen unwichtig. „Hier gibt es keinen Unterschied mehr zwischen Juden und Griechen, zwischen Sklaven und freien Menschen, zwischen Mann und Frau. Denn durch eure Verbindung mit Jesus Christus seid ihr alle zusammen ein neuer Mensch geworden“ (Galater 3,28). Das ist die Grundlage. Losgelöst von diesem Fundament dürfen wir die Mahnung und Aufforderungen niemals betrachten. Und jetzt kann ich auch das Zitat von Friedrich Hebbel abwandeln und fröhlich und fromm so formulieren: „Dankbar grüßt der, der ich noch bin den, der ich schon in den Augen Gottes bin!“ Aber der, der ich noch bin, soll dem immer ähnlicher wird, der ich schon in den Augen Gottes bin. Damit das gelingt hat Gott mir und uns seinen Heiligen Geist gegeben. Der ist uns nicht gegeben, weil wir so brav und fromm sind. Nicht, weil wir die 10 Gebote eingehalten haben! Sondern wir haben die beständige Gegenwart Gottes durch seinen Geist geschenkt bekommen, weil wir unser Vertrauen auf Jesus und seine Vergebung gesetzt haben. Der Geist ist in unser Leben und in unser Herz eingezogen, als wir zum Glauben an Jesus gefunden haben. Durch den Glauben an Jesus sind wir Kinder Gottes geworden sind. Darum schenkt uns Gott durch seinen Geist die Gewissheit und die Bestätigung und das Vertrauensverhältnis, so dass wir ganz kindlich beten können: Abba, Papa, lieber Vater!

So, und nun sind wir bei dem, was Paulus gleich am Anfang des Predigttextes in Vers 25 über den Heiligen Geist sagt. „Wenn wir im Geist leben, so lasst uns auch im Geist wandeln.“ Ich gebe zu, dass ich über die alte Luthersprache stolpere. Deswegen ist es hilfreich, andere Übersetzungen zu Rate zu ziehen. Der erste Teil klingt ungefähr so: Wir haben durch den Heiligen Geist das neue, das ewige Leben. Wir leben im Geist, also ist unser Leben definiert durch die Gegenwart des Heiligen Geistes in uns. Daraus folgt im zweiten Teil des Verses, dass wir nun auch alle Bereiche unseres Lebens von ihm bestimmen lassen. So formuliert es die „Neues Leben“ Bibel. „Wir wollen uns jetzt auch auf Schritt und Tritt von diesem Geist bestimmen lassen.“ So der Wortlaut aus einer anderen Übersetzung. Damit ist gesagt, dass wir die Geisteskraft und die Geistesgegenwart auch im alltäglichen Leben zur Wirksamkeit und zur Geltung kommen lassen. Wie kann das Gestalt werden, wie kann das geschehen? Indem wir darum beten und dazu bereit sind und dafür offen sind, dass der Heilige Geist uns lenkt und prägt. Und dann bitten wir ihn, dass er unser Denken und unsere Herzenshaltung inspiriert und regelrecht tränkt. Wir bitten ihn, dass er uns sensibel macht für seinen Willen. Er macht das dann auch und erinnert uns an den Willen Gottes. Da hatte ich vor einiger Zeit eine ziemlich unschöne Auseinandersetzung mit jemandem und ich war drauf und dran, die Person entweder zu ignorieren und zu meiden oder das Vergehen dieser Person ewig nachzutragen und zu meinem Vorteil zu missbrauchen. Dann aber hat mir der Geist Gottes gesagt, dass ich anders handeln soll. Ich soll nach den Anweisungen Jesu den anderen darauf hinweisen, dass er mich verletzt hat. Das habe ich gemacht, ich habe sehr um Weisheit gebetet und wir haben miteinander gesprochen.

Der Heilige Geist will uns auch dazu befähigen, die Unzulänglichkeiten der anderen zu tragen. „Einer trage des anderen Last.“ Der Heilige Geist will uns helfen, Gutes zu tun und die Güte und Freundlichkeit Gottes im Alltag zu leben. Er will dafür sorgen, dass wir ein Wohlgeruch zur Ehre Gottes sind.

Ihr Lieben, immer noch höre ich die dringend notwendigen Anforderungen und Erwartungen der Bibel, wie ich mich verhalten soll. Und immer noch ist bei mir nicht alles so, wie es sein soll. Aber auf der Grundlage dessen, was Gott mir alles mit dem Glauben an Jesus geschenkt hat, kann ich gelassener damit umgehen. Und auf die Dynamik, die er mir mit dem Heiligen Geist gegeben hat, will ich mich immer mehr und mehr und Schritt für Schritt und Stück für Stück verlassen. Darauf will ich mich besinnen, darauf will ich mich berufen, darin will ich mein Leben gestalten.

AMEN