Predigt über Hesekiel 18 (in Auszügen)

Der Predigttext aus Hesekiel 18,1-4.21-24-30-32:

Das Wort des Herrn erging an mich, er sagte: »Was habt ihr da für ein Sprichwort im Land Israel? Ihr sagt: ›Die Väter essen unreife Trauben und die Söhne bekommen davon stumpfe Zähne. So gewiss ich, der Herr, lebe: Niemand von euch, niemand in Israel wird dieses Wort noch einmal wiederholen! Ich habe das Leben jedes Einzelnen in der Hand, das Leben des Sohnes so gut wie das Leben des Vaters. Alle beide sind mein Eigentum. Nur wer sich schuldig macht, muss sterben. Wenn aber der Verbrecher umkehrt und das Böse lässt, das er getan hat, wenn er alle meine Gebote befolgt und das Rechte tut, bleibt auch er am Leben und muss nicht sterben. All das Böse, das er früher getan hat, wird ihm nicht angerechnet. Weil er danach das Rechte getan hat, bleibt er am Leben. Jeder Einzelne von euch bekommt das Urteil, das er mit seinen Taten verdient hat. Das sage ich, der Herr, der mächtige Gott! Kehrt also um und macht Schluss mit allem Unrecht! Sonst verstrickt ihr euch immer tiefer in Schuld. Trennt euch von allen Verfehlungen! Schafft euch ein neues Herz und eine neue Gesinnung! Warum wollt ihr unbedingt sterben, ihr Leute von Israel? Ich habe keine Freude daran, wenn ein Mensch wegen seiner Vergehen sterben muss. Das sage ich, der Herr, der mächtige Gott. Also kehrt um, damit ihr am Leben bleibt!«

 

Liebe Freunde,

ich vermute mal, dass wir alle etwas haben und besitzen, das uns an unsere Eltern erinnert. Irgendein Schmuckstück, ein Möbelstück, ein Bild, ein Buch. Und wenn es nichts Materielles ist, dann sind es Erlebnisse und Erinnerungen, Gewohnheiten und Gepflogenheiten, die uns mit den Vorfahren in Verbindung bringen. Bei uns im Schlafzimmer steht eine uralte Kommode, die schon in meinem Elternhaus stand, bevor ich dort auf die Welt gekommen bin. Und wenn meine Frau Dampfnudeln oder „Gschtorz‘“ macht, dann ist das jedes Mal die kulinarische Auferstehung von Christas Mutter.

Aber sie haben uns nicht nur Rezepte oder Möbelstücke vererbt. Unsere Eltern haben Spuren in unserem Leben und in unseren Seelen hinterlassen. Sie haben uns auch ihre Gene weitergegeben. Ich, Frank, bin geprägt von meinen Eltern, von der Ilse und dem Karl Wachsmuth. Mein Papa hatte eine ähnliche Frisur wie ich. Oben auf dem Kopf immer weniger Bewuchs, dafür habe ich aber wie er auch eine prächtige Haartracht auf dem Oberkörper. Stimme und Aussehen beweisen eindeutig, dass ich der Sohn meines Vaters bin. Auch so manche emotionale Regungen und Rührung habe ich von ihm übernommen. Und wenn meine Frau mir manchmal spiegelt, dass ich meinem Papa in der einen oder anderen Situation ziemlich ähnlich sei, dann meint sie das nicht immer positiv und wertschätzend. Sondern dann kommen auch Schattenseiten und Eigenschaften und Charakterzüge ans Licht, die nicht so zuträglich sind. Damit kann ich mittlerweile ganz gut umgehen. Aber als kleiner Junge habe ich mal zu hören bekommen, ich sei wie „dr ahle Fröde“. Dieser Mann war der Vater meiner Oma, also mein Urgroßvater. Den habe ich nie kennengelernt. Aber meine Oma hat mir erzählt, dass er ein garstiger, jähzorniger Mann gewesen ist. Nun war ich als Kind wohl auch manches Mal ziemlich jähzornig. Wenn ich also mit dieser schlechten charakterlichen Eigenschaft mit dem „ahlen Fröde“ verglichen wurde, dann hat mich das gefrustet und verletzt. Anscheinend habe ich das von dem geerbt. Dass sich in dem Punkt so bin, das habe ich diesem Mann zu verdanken, den ich überhaupt nicht gekannt habe. Die Erbanlagen, die Gene, oder auch die Verhältnisse, die Familie, das Umfeld, das alles wurde uns ungefragt in die Wiege gelegt.

Wir erben nun mal nicht nur das Gute und Schöne. Sondern wir erben auch blöde Sachen. Manche erben die Schulden der Eltern oder Großeltern. Manche erben uralte Familienstreitigkeiten und die Fehler der Vergangenheit. Hin und wieder bekommen wir Deutschen das auch noch zu spüren. Wir haben die Geschichte unseres Landes geerbt, nicht nur Goethe und Schiller, sondern auch Hitler und Goebels. Erben macht stolz und dankbar, oder wütend und sauer.

Das zweite, das mit dem wütend und sauer sein, das haben die Verbannten des jüdischen Volkes im babylonischen Exil so empfunden. Sie sind heimatlos, verachtet, zutiefst verunsichert. So erleben die dort heranwachsenden Söhne und Töchter ihre Lage als Folge der Schuld ihrer Eltern. Sie müssen die Suppe auslöffeln, die ihre Vorfahren ihnen eingebrockt haben. Mit ihrem Hochmut und Eigensinn haben sie das verspielt, was die Kinder hätten erben sollen, nämlich die Heimat. Die Eltern sind schuld an dem Elend der Kinder. Und das ist ja auch tatsächlich so. Das stimmt. Die Eltern haben saure Trauben gegessen, und die Kinder bekommen davon stumpfe Zähne. Diese Redewendung wurde damals immer wieder gebraucht und sie wurde zur Anklage gegen Gott. „Gott, das ist ungerecht! Wir können doch nichts dafür. Warum müssen wir darunter leiden, dass unsere Eltern versagt haben. Und wir können nichts mehr daran ändern. Alles ist verkorkst und sinnlos. Für uns gibt es keine Zukunft mehr.“

Ihr Lieben, das ist ja hochaktuell. Die junge Generation sieht ihre Zukunft durch die Klimakatastrophe gefährdet. Ja, und die Ängste und Klagen sind nachvollziehbar. Die aktuelle und die nachfolgenden Generationen müssen das ausbaden, was wir und frühere Generationen verursacht haben.

Also eine solche junge Generation hatte der Prophet Hesekiel im Blick. Die waren angesichts ihrer Lage resigniert. Sie haben den Kopf in den Sand gesteckt und sich frustriert als die Opfer der Verhältnisse und Umstände bedauert. Und damit haben sie ihre Tatenlosigkeit gerechtfertigt. Sie jammern und drehen sich im Kreis. „Es ist alles durch die Geschichte, durch die Vergangenheit sowieso festgelegt“, so denken sie. Aber dem widerspricht Hesekiel im Namen Gottes. Er sagt: „Ihr seid nicht auf eure Vergangenheit festgelegt. Seht nicht auf das, was andere vor euch falsch gemacht haben. Seht auf eure Zukunft. Niemand ist durch die bisherige Lebensgeschichte dazu verdonnert zu bleiben, wer er oder sie ist. Es gibt die Gnade eines neuen Anfangs.“ Machen wir es mit aktuelle Beispielen deutlich: Nehmen wir an, dein Großvater war ein Nazi oder deine Mutter war eine Alkoholikerin. Dafür wirst du nicht in Sippenhaft genommen und damit sind die Weichen deines Lebens nicht in die gleiche Richtung gestellt. Vor dem lebendigen Gott hat deine Vergangenheit nicht das letzte Wort. Deine Herkunftsfamilie nicht, dein Erbe nicht. Der englische Schriftsteller und Professor C.S. Lewis hat mal gesagt: „Du kannst nicht zurückgehen und den Anfang verändern. Aber du kannst starten, wo du bist, und das Ende mitbestimmen!“ Zwar kannst du nicht die Welt retten, aber dein Leben gestalten, das kannst du. Du kannst deine Möglichkeiten nutzen, deine Begabungen entfalten, für die Menschen da sein, die Gott dir anvertraut hat. Du kannst die Gemeinde mitgestalten, Aufgaben gibt es genug. Warte nicht auf die Superfamilie, den Superberuf oder die Supergemeinde. Schau dir den Platz an, auf dem du stehst, auf den Gott dich gestellt hat. Und von da aus geh los. Geh deinen Weg! Denn dafür bist du verantwortlich, dass du losgehst.

Gott legt dich nicht auf deine Vergangenheit fest! Das ist der erste Gedanke, den ich mit euch teilen will. Das gilt nun aber auch tatsächlich für alle. Nicht nur für die, die unter den Verhältnissen und mutmaßlichen Versäumnissen der Vorfahren leiden. Das gilt nicht nur für die von fremder oder eigener Schuld Geplagten. Es ist zugleich eine Warnung für die, die meinen, auf ihre Vergangenheit stolz sein zu können. Getauft, konfirmiert, vielleicht sogar die fromme Kinder- und Jugendgruppenkarriere erfolgreich durchlaufen – und schon meinen wir, dass wir uns auf den frommen Lorbeeren ausruhen können. Ich für meinen Teil bin selbstverständlich sehr dankbar für die Segensgeschichte in meiner Familie. Ist es ein großes Glück, wenn viele von uns eine christliche Erziehung und ein entsprechendes Umfeld erleben durften. Aber wir sind vor Gott für unser Leben verantwortlich, nicht mehr unsere Eltern, Großeltern oder die Gruppe oder Gemeinde, in der wir aufgewachsen sind. Ich weiß noch ziemlich gut, wie ich als Kind empfunden habe. Ich dachte, wenn ich in Jungschar und Kindergottesdienst gehe und wenn ich als ein braves Wachsmuth-Kind im Posaunenchor spiele, dann ist alles gebongt. Aber die segensreiche Herkunft und Vergangenheit ist kein Freifahrtschein in den Himmel. Wer also früher fromm und gut und brav gewesen ist, heute aber so lebt, als würde es Gott nicht geben, dem nutzt das alles nichts mehr. Wir können uns nicht auf die guten Taten der Vergangenheit berufen, auch nicht auf die fromme Oma. Sondern jeder ist selbst dafür verantwortlich, wie er jetzt zu Gott steht. Und wie sich das in seinem Leben auch auswirkt.

Und bei all dem ist Gott mit dabei, das alles beobachtet und begleitet er. Allerdings nicht als neutraler Schiedsrichter, der mit Argusaugen schaut, wie wir die Regeln beachten und einhalten. Nicht wahr, so stellen sich manche Gott vor. Er ist derjenige, der uns anpfeift oder zurückpfeift, wenn wir eine Regel übertreten haben. Irgendwann zückt er eine gelbe Karte und irgendwann zieht er die rote Karte. Sicher braucht es im Fußball und im wirklichen Leben Vorschriften und Gebote. Aber Gott kommt nicht als der neutrale Kontrolleur daher. Er ist kein eiskalter Bürokrat, der streng nach Reglement Strafzettel verteilt. Gott will ja nicht, dass wir Menschen zugrunde gehen. Wenn er uns also vor falschem Denken und vor falschen Wegen warnt, dann ist er mit ganzem Herzen bei der Sache und bei uns Menschen. Er kann es nicht mit ansehen, wenn wir unser Leben ohne ihn stemmen wollen und uns dabei letzten Endes einen Bruch heben und scheitern. Gott sagt, dass es ihm zu Herzen geht und er emotional betroffen ist, wenn er uns sieht. Deswegen ist er auch nicht neutral, sondern parteiisch. Parteiisch für uns, für das Leben. Er will, dass wir in Gemeinschaft mit ihm leben, und das heißt im Glück zu leben. Der Theologe Hermann Bezzel hat mal gesagt: „Frömmigkeit ist der Entschluss, die Abhängigkeit von Gott als Glück zu bezeichnen!“ Und dieses Glück gönnt Gott uns. Er freut sich doch, wenn wir nach ihm fragen. Er freut sich, wenn wir uns ihm zuwenden, wenn wir zu ihm umkehren. Und wenn wir an die Geschichte vom verlorenen Sohn denken, dann sehen wir in dem Vater der Erzählung den himmlischen Vater, der voller Sehnsucht dasteht und darauf wartet, dass sein Sohn zu ihm zurückkehrt.

Dazu ruft Gott sein Volk damals auf: bekehrt euch, kehrt um. Bekehrung ist ja lange Zeit in der deutschen und europäischen Christenheit ein Unwort gewesen, zum Teil ist es leider sogar immer noch so. Vielfach war Bekehrung ein negativ besetztes Reizwort, das man fälschlicherweise mit Druck und Engstirnigkeit und Fundamentalismus in Verbindung gebracht hat. Dabei ist es das, wozu die alttestamentlichen Propheten immer wieder aufgerufen haben (hier in unserem Fall der Prophet Hesekiel). Johannes der Täufer ruft zur Buße auf. Und Jesu Verkündigung und Leben waren ein einziger Ruf zur Umkehr hin zu dem lebendigen Gott. Tut Buße, bekehrt euch zu dem Gott, der sich in Jesus Christus euch zugewandt hat. Bekehrung meint ja Umkehr. Und Umkehr ist ein Glück und ein Segen. Denn das ist nötig und hilfreich, wenn man mit seiner Lebensreise nicht das Ziel verfehlen will. Bekehrung und Umkehr ist eine Hinwendung zu dem Gott, der sich schon längst zu uns hingewendet hat. Weil Gott sich zu uns gekehrt hat, deswegen können wir uns zu ihm kehren. In der Person seinen Sohnes Jesus Christus ist Gott aktiv und initiativ auf uns zugekommen. Das hat er getan, lange bevor wir uns überhaupt mit ihm beschäftigen konnten. Christus hat schon für uns sein Leben eingesetzt hat, als wir noch himmelweit weg vom ihm waren. Wir dürfen zu Gott immer wieder zurückkehren. Er sagt uns zu, dass wir zu ihm gehören dürfen, dass wir mit ihm leben dürfen. Er will unser guter Vater sein.

Diese Hinkehr zu ist das einzig gescheite, was wir einmal grundlegend und dann immer wieder tun sollen. Martin Buber schreibt in einer seiner Erzählungen: „Die große Schuld des Menschen sind nicht die Sünden, die er begeht; die Versuchung ist mächtig und des Menschen Kraft ist gering! Die große Schuld des Menschen ist, dass er in jedem Augenblick die Umkehr tun kann und nicht tut!“ Darum fordert Gott uns auf, dass wir das tun. Denn bei ihm ist immer ein neuer Anfang möglich.

Eingestiegen bin ich in die Predigt mit dem, was wir von unseren Vorfahren geerbt und welche Prägungen wir von ihnen mitbekommen haben. Schließen will ich mit dem Wunsch und der Hoffnung, dass Gott unser Herz und unseren Geist immer mehr durchdringen und prägen und verändern möge.

AMEN