Shalom-Menschen haben eine Berufung

 

 

 

Liebe Gemeinde!

 

„Glückliche Menschen haben eine Berufung“. So habe ich das Thema dieses Gottesdienstes in der Predigtreihe „Auf der Spur des Glücks“ genannt. Ursprünglich hieß es: „Glückliche Menschen bringen sich voll ein.“ Aber bei dieser Formulierung habe ich doch gestutzt. Das klingt so nach „volle Pulle“ und Power, nach Engagement und Einsatz, und deswegen klingt das ziemlich anstrengend. Denn der Gedanke, der für mich hier transportiert wird, lautet: Wenn du glücklich sein willst, dann musst du Gas geben. Dann sind deine Begeisterung und deine Tatkraft gefordert. Wenn du glücklich sein willst, dann musst du das, was du tust, schaffst und machst mit Enthusiasmus und Begeisterung, mit ganzem Herzen und voller Leidenschaft tun.

 

Aber kann man das so pauschal sagen? Stimmt das und passt das? Und ist uns mit solchen Appellen geholfen? Ich tu mich schwer damit. Denn solche Aufforderungen verpuffen meines Erachtens in der Corona-Lethargie und der Sommerurlaubsbequemlichkeit. Und wenn ich mir so unterschiedliche Menschen vor Augen führe, dann sehe ich ältere und kranke Menschen, die nicht mehr volle Pulle Gas geben können, sondern die ihre Grenzen schmerzhaft spüren. Oder ich sehe andere, die permanent gefordert und zum Teil überfordert sind mit den beruflichen, familiären und sonstigen Belastungen. Denen zu sagen, dass sie sich voll einbringen sollen, wäre auch nicht förderlich.

 

In der Bibel gibt es zwar auch Appelle und Ermahnungen zum Einsatz und leidenschaftlichen Dienst. Aber diese Aufforderungen haben nicht den Charakter, dass sie uns antreiben. Und schon gar nicht werden wir aufgefordert, uns aus eigener Kraft das Glück zu erarbeiten. Vielmehr steht vor dem berechtigten Anspruch, etwas zu tun, der grundlegender Zuspruch dessen, was Gott für uns und an uns getan hat. Denn Gott will uns nicht antrieben, sondern rufen. Wir sollen nicht Getriebene, sondern Berufene sein. Wir werden nicht erst dann glücklich, weil wir uns voll einsetzen. Sondern weil wir glücklich sind, deswegen können und sollen wir uns voll einsetzen.

 

Wenn ich von Glück und vom Glücklichsein rede, dann meine ich das, was die Bibel mit Shalom meint. Für mich ist der Friede mit Gott, das geistliche Wohlergehen, die geklärte und bereinigte Beziehung durch Jesus der Inbegriff des Glücks. Und in diese Beziehung, in dieses Wohlbefinden hat Gott mich berufen.

 

Deswegen möchte ich es so formulieren: Shalom-Menschen wissen um ihre Berufung und deswegen setzen sie sich voll ein.

 

In Epheser 4,1 verknüpft der Apostel Paulus das mit folgender Formulierung: „So ermahne ich euch nun, dass ihr der Berufung würdig lebt, mit der ihr berufen seid.“ Bevor wir sie Ärmel hochkrempeln, schauen wir auf unsere Berufung. Bevor wir würdig leben, werden wir uns unserer Berufung gewiss.

 

Leider hat der Begriff von der Berufung aber in unserer Gesellschaft - und auch stark in der kirchlich-christlichen Landschaft - einen sehr exklusiven Charakter. In Deutschland spricht man offiziell von einer Berufung als einer Ernennung in ein Dienstverhältnis. Beamte, Soldaten und Richter werden berufen, in ein Beamtenverhältnis, in den Wehrdienst oder eben als Richter. Eine solche Berufung erfolgt nach den Grundsätzen der Eignung, der Befähigung und der fachlichen Leistung. Nur wer dazu berufen ist, ist für die Wahrnehmung hoheitsrechtlicher Aufgaben zugelassen. Die Berufungsvoraussetzungen müssen erfüllt sein, die Anforderungen sind sehr hoch, das Berufungsverfahren ist umfangreich und kompliziert.

 

Wir merken, das ist was Großes, so eine Berufung. Dieses Denken gibt es auch im frommen, christlichen Kontext. Berufen wurden Propheten, Priester, Könige, die Apostel und Diakone. Und heute sind es alle im hauptamtlichen Dienst im Reich Gottes, die eine Berufung erfahren haben.

 

Aber das ist nur der eine, der exklusive Teil vom Berufungsverständnis in der Bibel. Denn wenn Gott uns anspricht, wenn er uns ruft, wenn Jesus uns in die Nachfolge beruft, dann ist das eine Berufung. Jesus spricht Menschen an und ermutigt sie, in eine Beziehung zu ihm zu treten. „Folge mir nach“, das ist die Berufung, die wir hören und der wir folgen sollen. Dass Jesus uns anspricht, uns was zu sagen hat, mit uns zu tun haben will, dass wir ihm wichtig und wertvoll sind, das vermittelt uns Glück, Shalom.

 

Im Markusevangelium (3,13.14) lesen wir, wozu Jesus seine Jünger berufen hat: „Und er ging auf einen Berg und rief zu sich, welche er wollte, (…..) dass sie bei ihm sein sollten.“ Von hochgestochenen Berufungsvoraussetzungen und Anforderungen ist hier nirgends die Rede. Alter oder Geschlecht, Bildung oder sozialer Status, das spielt keine Rolle. Menschen, die Jesus zu sich ruft, sollen erst mal nur einfach bei ihm sein. In der Beziehung zu ihm, in der Gemeinschaft mit ihm haben sie Anteil an seiner Herrlichkeit, der Hoffnung auf die Ewigkeit und seiner guten und souveränen Regie. So hat es der Apostel Paulus auch in seinem Brief an die junge christliche Gemeinde in Thessalonich ausgedrückt: „Ich habe euch ermahnt und getröstet und beschworen, euer Leben würdig des Gottes zu führen, der euch berufen hat zu seinem Reich und zu seiner Herrlichkeit“ (1Thess 2,12).

 

Wenn wir das Glück, wenn wir den Frieden, die Hoffnung und die Herrlichkeit erlebt, erfahren, erkannt haben, die mit dieser Berufung einhergehen, dann ergibt daraus, dass wir so leben, wie es dem Gott entspricht, der uns berufen hat. „Jetzt lebt auch gemäß dieser Berufung, wie es sich für Menschen gehört, die zu Gott gehören. Lebt so, dass es dem Gott Ehre macht, der euch in seine Liebe und seine Gemeinschaft hineingerufen hat.“

 

Darum ist alles, was wir als Christinnen und Christen sind und haben, tun und lassen, ob wir schaffen oder ruhen, schuften oder relaxen, eingebunden in die Berufung des Lebens mit Gott und zu seiner Ehre.

 

An dieser Stelle will nun auf die ursprüngliche Themenformulierung zurückkommen. Weil Menschen, die um diese Berufung wissen, glücklich sind, deswegen bringen sie sich voll ein. Und es macht glücklich, es erfüllt uns mit Frieden und Befriedigung, wenn wir uns mit ganzem Herzen und voller Leidenschaft für das einsetzen, was Gott in dieser Welt tun will.

 

Ich möchte euch ein Bild beschreiben. Auf diesem Bild sehen wir drei Bauarbeiter, Steinmetze. Alle drei vollführen die gleiche Tätigkeit: sie behauen einen Stein. Das gleiche Material, das sie mit dem gleichen Werkzeug bearbeiten. Aber nur einer sieht zufrieden und glücklich aus. Was macht den Unterschied? Der erste betrachtet seine Arbeit nur unter dem Aspekt, dass er einen Stein behaut. Das ist ziemlich bekloppt. Der zweite hat eine größere Perspektive. Er sieht das Fenster, zu dem er einen Beitrag leistet. Der dritte weiß, dass er Teil einer riesengroßen Sache ist. Er hat eine Vision, die er mit seinem Beruf verknüpft. Seine Berufung ist es, am Bau der Kathedrale mitzuwirken. Deswegen setzt er sich begeistert und beglückt dafür ein. Und das begeistert und beglückt ihn.

 

Ok, es kann sein, dass jetzt in manchen Köpfen und Herzen der Einwand kommt, dass das mit den Steinmetzen für die Katherdale schlüssig ist. Aber für die Mitwirkung an Gottes Projekt in dieser Welt muss man halt doch eine besondere Berufung für die Mitarbeit im Reich Gottes haben: Pfarrer, Pastor, Gemeindediakon, evtl noch Kirchenvorstand oder Gemeindeleitung. Aber Lieschen Müller und Konrad Schneider, die haben damit nichts zu tun. Das müssen die Fachmänner oder Fachfrauen machen.

 

Das ist aber nicht richtig. Gott sagt uns immer und immer wieder neu, dass wir alle mit allem, was wir tun, an seinem Werk mitmachen. Mit allen unseren Taten sollen wir etwas dazu beitragen, dass Gottes souveräne Herrschaft und kluge Regie in dieser Welt erkannt wird. Im Epheserbrief (2,10) steht: „Wir sind Gottes Schöpfung. Er hat uns in Christus Jesus neu geschaffen, damit wir zu guten Taten fähig sind, wie er es für unser Leben schon immer vorgesehen hat.“ Dass damit unser ganzes Tun und Wirken gemeint ist, das finden wir im Kolosserbrief bestätigt: „Alles, was ihr tut mit Worten oder mit Werken, das tut alles im Namen des Herrn Jesus und dankt Gott, dem Vater, durch ihn“ (Kol 3,17). Im Namen des Herrn Jesus, mit dieser Formulierung ist gemeint, dass wir alles in seinem Sinn, auf seine Weise und in seinem Auftrag tun, so, als würde Jesus es selbst getan haben. Selbst den Sklaven schreibt der Apostel Paulus, dass sie ihren Job mit ganzem Herzen, also mit vollem Einsatz machen sollen, weil sie ihn letztlich nicht für ihre Arbeitgeber, sondern für ihren Herrn Jesus Christus machen.

 

Von ganzem Herzen, volle Pulle! Warum? Weil Gott uns das Glück beschert, dass wir an seinem großen Werk beteiligt sind. Von ganzem Herzen und volle Power, weil wir würdig der Berufung leben sollen. Das geht nicht mit halber Kraft voraus, weil Gott uns seine ganze Kraft schenken will. Das geht nicht mit halbem Herzen, weil Gott uns von ganzem Herzen liebt. Das geht nicht träge und leidenschaftslos, weil Gottes Geist uns Kraft und Liebe und Disziplin geben will.

 

Und dann muss und will ich der These zustimmen, dass diejenigen, die glücklich sein wollen, sich voll und ganz einbringen, weil sie es Gott gestatten, sie voll und ganz einzusetzen.

 

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn. AMEN