Predigt über Zacharias

[Die Textstelle aus Lukas 1,5-20 sollte vorab gelesen werden.]

 

Liebe Gemeinde,

wir wollen uns in den nächsten drei Predigten mit der adventlichen Familie schlechthin beschäftigen. Es ist die Familie von Johannes, der „der Täufer“ genannt wird. Dieser Johannes war derjenige, der das Volk Israel auf die Ankunft des Messias vorbereiten sollte. Heute aber soll es zunächst mal um seinen Vater, um den Zacharias gehen. Ein alter Mann. Ein frommer Mann. Ein in vielen Belangen vorbildlicher Mann. Aber auch ein Mann, mit dem wir zusammen aus Fehlern lernen können. Ich will mit euch ein paar Beobachtungen machen, die uns in der Adventszeit und darüber hinaus hilfreich sein können.

Als erstes ist mir aufgefallen, dass der alte Zacharias immer noch im Dienst ist. Er ist Priester am Tempel in Jerusalem. Das heißt, er kommt aus dem Stamme Levi. Und er ist verheiratet mit Elisabeth, die ebenfalls aus diesem Priestergeschlecht stammt. Aber Zacharias und Elisabeth sind beide alt, sie sind hochbetagt. Und ich habe mich gefragt, warum Zacharias noch nicht im Ruhestand ist. Für die Leviten, also alle, die in irgendeiner Art und Weise am Tempeldienst, Gottesdienst, Opferdienst beteiligt gewesen sind, galt nach 4. Mose 8 die Altersregel, dass sie ihren Dienst am Heiligtum vom fünfundzwanzigsten bis zum fünfzigsten Lebensjahr ausüben sollen. Danach sollen sie nicht mehr zum eigenständigen Dienst eingeteilt werden, sie können aber den jüngeren Leuten jederzeit behilflich sein. In der Praxis hat sich das als eine Kann-Regel und keine Muss-Regel erwiesen. Denn es gibt zumindest in unserem Bericht und auch sonst keine Kritik daran, dass ein Priester über sein fünfzigstes Lebensjahr hinaus noch im aktiven Dienst ist. Zacharias war also noch im Dienst.

Der Evangelist Lukas erwähnt, dass Zacharias zur Priesterklasse, zur Dienstgruppe Abia gehört. Es gab (nach einer Neuordnung des Tempeldienstes durch David) insgesamt 24 solcher Gruppen für den Priesterdienst. Die Gruppe, zu der Zacharias gehört, war damals in Verruf geraten, diese Truppe war offenbar ein liederlicher Haufen. Ihnen wurden Götzendienst und Unzucht vorgeworfen. Überhaupt war die gesamte Priesterschaft zur damaligen Zeit nicht sonderlich geschätzt und angesehen. Da bildet Zacharias eine wohltuende und rühmliche Ausnahme. Er hat sich nicht auf sündige Machenschaften eingelassen. Er und seine Frau werden beide als fromm und untadelig beschrieben. Der alte Priester versieht weiter treu seinen Dienst. Er zieht sich nicht aufs Altenteil zurück, weil seine Priesterkollegen so unfromm sind, weil vieles am Tempeldienst so oberflächlich ist. Sondern er dient Gott.

Und das finde ich bemerkenswert und auch für uns beachtlich. Denn es gibt eine Tendenz, dass sich Mitglieder und Mitarbeiter aus ihren Gemeinden zurückziehen, weil ihnen das eine oder andere nicht so passt oder nicht so gefällt. Manche distanzieren sich nicht nur von der Gemeinde, sondern auch von Gott. Das ist besonders tragisch. Und es gibt Männer und auch Frauen, die sich mit Verweis auf ihr Alter aus der Mitarbeit rausziehen. „Ich bin jetzt 50, ich will meine Aufgaben abgeben. - Ich komme ins Rentenalter, ich höre auf. - Ich bin alt genug, jetzt sollen die Jüngeren ran.“ Ja, es ist ja okay, wenn die graue Eminenz den Jüngeren das Feld überlässt. Aber ich fand die Anweisung an die Leviten aus 4. Mose 8 so eindrücklich: die älteren Kollegen sollen die jüngeren begleiten und unterstützen und ihnen behilflich sein. So soll es sein.

Auf eine zweite Beobachtung will uns hinweisen. Der priesterliche Dienst des Zacharias besteht in besonderer Weise darin, dass er für das Volk betet. Auch wenn wir in der christlichen Gemeinde das alte Priesteramt nicht mehr haben, so brauchen wir dennoch priesterliche Männer, die fromm und treu und vorbildliche Beter sind. Paulus hat geschrieben: „So will ich nun, dass die Männer beten an allen Orten und aufheben heilige Hände ohne Zorn und Zweifel.“ Zacharias war ein priesterlicher Mann, ein Beter vor dem Herrn. Bis ins fortgeschrittene Alter hat er darum gebetet, dass Gott ihm und seiner Frau ein Kind schenkt. Der Engel Gabriel gibt ihm ja die Zusicherung, dass Gott sein Gebet erhört hat und dass Elisabeth einen Sohn zur Welt bringen wird. Zacharias also ist dran geblieben, er ist beharrlich im Gebet. Diesbezüglich können wir uns an dem alten Zacharias und seiner Frau ein Beispiel nehmen.

Aber die beiden bleiben ohne Nachwuchs. Kinderlosigkeit ist für die allermeisten Ehepaare eine Belastung, eine Anfechtung. Besonders im Volk Israel waren Kinder ein Zeichen dafür, dass Gott Mann und Frau segnet. Und wenn keine Kinder kamen, dann galt das als Strafe. Bei den beiden alten Leuten in unserer Geschichte wird aber deutlich, dass ihre Kinderlosigkeit eben gerade keine Strafe Gottes ist! Trotzdem ist das für Elisabeth und ihren Mann eine Zerreißprobe. Ich kann mir gut vorstellen, wie das die beiden umtreibt und beschäftigt. Zwar erwähnt Lukas, dass Elisabeth unfruchtbar ist, und meistens wird in den Berichten auch nachdrücklich darauf hingewiesen, wie sehr die Frauen darunter leiden. Aber wie geht es einem Mann wie Zacharias? Vielleicht ist ja er zeugungsunfähig. Vielleicht liegt es an ihm. Ist seine Manneskraft zu klein, ist er nicht potent genug für Kinder? Das sind auch für einen frommen Priester gewichtige und ernsthafte Fragen. Das rüttelt am Selbstbewusstsein des Mannes. Er lebt mit der Ungewissheit und den Selbstzweifeln, ein Versager zu sein. Aber Zacharias bleibt darüber ganz offenkundig mit Gott im Gespräch.

Auch hier finde ich, dass dieser alte Mann uns ein Vorbild sein kann. Denn seine unerfüllten Wünsche, die Defizite seines Lebens, das Unvollkommene und Unbefriedigende können ihn nicht von Gott trennen. Er bleibt dennoch stets bei IHM.

Dieser alte Mann aber steht immer noch im Dienst, er steht zu Gott. Und ihm wird eine ganz große Ehre zuteil. Seine Abteilung ist für eine Woche zum besonderen Tempeldienst eingeteilt und dazu gehört es auch, täglich das Räucherwerk auf dem goldenen Altar im Heiligtum morgens und abends darzubringen. Das ist eine der heiligsten Handlungen für einen Priester, denn auf diese Weise darf er ins Heilige des Tempels gehen. Weil dieser Dienst der begehrteste unter den Priestern ist, wird für jeden Tag ausgelost, wer den Weihrauch auf dem Räucheraltar entzünden darf. Nun erfahren wir, dass das Los an diesem Tag auf Zacharias fällt! Ein einmaliges Ereignis für einen Priester. Manche seiner Kollegen haben in ihrem gesamten Leben nie das Glück gehabt, dass ihnen dieser Dienst zugelost wird. Deshalb hatte man festgelegt, dass ein Priester höchstens einmal die Möglichkeit bekommen sollte, im Heiligtum das Rauchopfer darzubringen. Wer den Dienst einmal ausgeübt hatte, durfte in Zukunft nicht mehr an der Verlosung teilnehmen.

Heute, endlich, erstmals in seinem Leben ist Zacharias dran. Wie lang hat er wohl darauf gewartet, einmal in seinem Leben Gott so nah sein zu dürfen. Jeder Priester sehnte sich wie schon gesagt, diesen Dienst tun zu dürfen. Aber jeder Priester hatte auch gehörigen Respekt davor. Denn in 3. Mose 10 wird davon berichtet, dass zwei Söhne des ersten Hohenpriesters Aaron diese heilige Handlung respektlos und entgegen Gottes Anweisungen durchgeführt haben. Daraufhin hat Gott diese beiden mit dem Tod bestraft. Darum begleitet eine Ehrfurcht den Priester ins Heiligtum, in dem der siebenarmige Leuchter und der Tisch mit den so genannten Schaubroten neben dem goldenen Räucheraltar stand. Außer dem Priester darf sich kein anderer Mensch im Heiligtum aufhalten. Umso erschrockener ist Zacharias, als er rechts neben dem Altar eine weitere Person sieht. Dass diese Person ein göttlicher Engel ist, mindert den Schrecken nicht. Im Gegenteil! Aufgrund der Bestrafung der beiden Söhne von Aaron gibt es folgende abergläubische Überzeugung: Wenn ein Priester seinen Dienst verrichtet, kann es sein, dass ihm ein Engel Gottes erscheint. Steht der Engel links neben dem Altar, ist alles in Ordnung. Steht er aber auf der rechten Seite, ist das ein sicheres Zeichen dafür, dass der Priester sterben muss.

Nein, das ist keine Lehre aus dem Wort Gottes, sondern das entspringt menschlicher Fantasie. Das ist Aberglaube, Irrglaube. Und es ist erschreckend, wie sehr solcher Aberglaube und Traditionsquatsch das Denken und Handeln durchdringt und vergiftet. Gerade an Weihnachten geht es mittlerweile mehr um den Nikolaus und den Weihnachtsmann, um das Rentier Rudolph und den Menüplan, um Barbarazweige oder Mistelzweige. Deswegen ist es so wichtig, dass wir respektvoll und sorgfältig auf das achten, was Gottes Wort uns zusagt.

Zacharias hört vom Engel „Fürchte dich nicht!“. Maria hört vom Engel Gottes den Zuspruch „Fürchte dich nicht“. Die Hirten hören auf dem Feld mitten in der Nacht „Fürchtet euch nicht!“ Das ist die Botschaft, die uns heute erreichen soll. Ihr alt gewordenen Geschwister: Fürchtet euch nicht. Ihr Enttäuschten, die sich an ihren Defiziten aufreiben, die den Eindruck haben, Versager zu sein. Fürchtet euch nicht. Ihr treuen Seelen, die vielleicht aber mehr geprägt sind von Angst vor der Heiligkeit Gottes als von der Liebe zum himmlischen Vater. Fürchtet euch nicht.

Ich lese uns nochmal vor, was der Engel dann zu Zacharias sagt: „Fürchte dich nicht, Zacharias, denn dein Gebet ist erhört, und deine Frau Elisabeth wird dir einen Sohn gebären, dem sollst du den Namen Johannes geben. Und du wirst Freude und Wonne haben, und viele werden sich über seine Geburt freuen. Denn er wird groß sein vor dem Herrn; Wein und starkes Getränk wird er nicht trinken und wird schon von Mutterleib an erfüllt werden mit dem Heiligen Geist. Und er wird viele der Israeliten zu dem Herrn, ihrem Gott, bekehren. Und er wird vor ihm hergehen im Geist und in der Kraft des Elia, zu bekehren die Herzen der Väter zu den Kindern und die Ungehorsamen zu der Klugheit der Gerechten, zuzurichten dem Herrn ein Volk, das wohl vorbereitet ist.“

Ich habe das Gefühl, dass der alte Priester die Begeisterung des Engels und seiner Botschaft überhaupt nicht teilen kann. Er hat treu gebetet, zweifelt aber an, dass Gott auch jetzt noch seine Gebet erhören kann. Er ist schon so lange als frommer und untadeliger Israelit und Priester mit seinem Gott vertraut, traut ihm aber nicht zu, diesem alten Ehepaar noch ein Kind zu schenken. Der Priester ist an einem der heiligsten Orte überhaupt, aber er ist sehr skeptisch.

Ach, Zacharias, möchten wir ihm zurufen, Alter schützt vor Skepsis und Zweifeln nicht. Und während wir das denken oder sagen, merken wir, wie ähnlich wir doch diesem Mann sind. Wir beten im Sommer um Regen und gehen ohne Regenschirm nach draußen. Wir hören die Zusage, dass der Geist Gottes in unseren Herzen wohnt, hören aber nicht auf sein Reden. Wir wissen, dass Jesus uns seine beständige Gegenwart zugesagt hat, aber wir tun so, als wären wir mutterseelenallein. Wir kennen den Auftrag, dass wir die Freundlichkeit und Sanftmut Gottes an andere weitergeben sollen, aber stattdessen sind viele nach wie vor störrisch und rechthaberisch. Wir wissen um den Auftrag, respektvoll und rücksichtsvoll mit den bedürftigen Menschen und mit den begrenzten Ressourcen dieser Erde umzugehen. Aber wir verhalten uns nach wie vor ziemlich egoistisch. Wir hören die Hoffnungsbotschaft, dass Gott seine Kinder durch das Weltenchaos hindurch zu seiner Herrlichkeit leitet, und wir leben so, als wenn nach der Erde Leid, Arbeit und Pein nichts mehr käme.

Ach, Zacharias, wir sind dir so ähnlich.

Der skeptische und misstrauische Mann fragt nach einer Bestätigung, nach einem Erkennungszeichen, das ihn davon überzeugen soll, dass die Ankündigung des Engels auch wirklich glaubwürdig ist. Und er bekommt ein Zeichen. Aber nicht so, wie Mose, Gideon, Abraham oder Hiskia. Sondern aufgrund seines Unglaubens verschlägt es dem alten Priester die Sprache. Das ist zu gleichen Teilen Bestätigungszeichen, Strafe und auch Gnade.

Diese Beobachtung will ich auch gerne noch auf uns anwenden. Haben nicht manche schon mal die Erfahrung gemacht, dass Gott sie für eine bestimmte Zeit aus dem Verkehr gezogen hat? Eine Krankheit oder eine bedrückende Herausforderung, ein Scheitern oder eine Anspannung, die sich nicht so bald wieder in Wohlgefallen auflöst? Und Gott verschafft sich auf diese Weise Gehör bei uns, er führt uns in die Stille, er mutet uns eine Passivität zu, in der wir darauf angewiesen sind, dass er handelt.

Ich wünsche uns, dass wir die Adventszeit so sehen und nutzen können. Lasst uns still werden und dem Wunder entgegensehen, dass er an uns seine Verheißung wahr macht und bei uns ist und uns wieder ganz neu seine Nähe bewusst macht.

Und einen allerletzten Gedanken und will ich noch hochheben und ins Rampenlicht rücken, den wir bei Zacharias lernen sollen. Nachdem seine Frau tatsächlich schwanger geworden ist und dann den Sohn Johannes auf die Welt bringt, da bricht ein überschäumender Lobgesang aus dem Zacharias heraus. Ich werde jetzt nicht den Lobpreis und Anbetung aus Lukas 1,67-79 lesen und auslegen. Aber ich will besonders die alte Generation auffordern, eine Generation Lobpreis zu werden. Keine Generation der unzufriedenen Nörgler, der anspruchsvollen Oldies, sondern derer, die uns allen in Punkto Dankbarkeit und Anbetung was vormachen. Und das meine ich so: Macht es uns wie Zacharias vor, Gott zu ehren, zu loben, zu preisen. Um diesen Gott soll es doch in der Advents- und Weihnachtszeit gehen.

Lasst uns also einiges von dem alten Priester Zacharias lernen.

AMEN