Predigt über Jesaja 5,1-7

 

Liebe Gemeinde!

 

Wer in unseren Breiten und in unserer Kultur einem anderen Menschen Liebe und Anerkennung und Wertschätzung und Zuneigung zum Ausdruck bringen möchte, der wählt am besten rote Rosen. Im alten Israel ist es nicht die Rose, die für all das steht. Sondern der Weinberg ist das Symbol für die Liebe und in entsprechenden Liedern ist er ein Bild für die Geliebte. Und der Weinberg als Ort ist darüber hinaus ein beliebter Treffpunkt der Verliebten.

 

Wenn also in Israel ein Lied über einen Weinberg mit folgenden Worten angekündigt wurde: „Wohlan, ich will meinem lieben Freunde singen, ein Lied von meinem Freund und seinem Weinberg“, dann war allen klar, worum es hier ging. Es ging nicht um Rebsorten oder Öchslegrade. Sondern es ging um die Liebe.

 

Hören wir uns doch das Liebeslied mal an.

 

1 Hört mir zu! Ich singe euch das Lied meines Freundes von seinem Weinberg: Auf fruchtbarem Hügel, da liegt mein Stück Land, 2 dort hackt ich den Boden mit eigener Hand, ich mühte mich ab und las Felsbrocken auf, baute Wachtturm und Kelter, setzte Reben darauf. Und süße Trauben erhofft ich zu Recht, doch was dann im Herbst wuchs, war sauer und schlecht. 3 Jerusalems Bürger, ihr Leute von Juda, was sagt ihr zum Weinberg, was tätet denn ihr da? 4 Die Trauben sind sauer – entscheidet doch ihr: War die Pflege zu schlecht? Liegt die Schuld denn bei mir? 5 Ich sage euch, Leute, das tue ich jetzt: Weg reiß ich die Hecke, als Schutz einst gesetzt; zum Weiden solln Schafe und Rinder hinein! Und die Mauer ringsum – die reiße ich ein! Zertrampelnden Füßen geb ich ihn preis, schlecht lohnte mein Weinberg mir Arbeit und Schweiß! 6 Ich will nicht mehr hacken, das Unkraut soll sprießen! Der Himmel soll ihm den Regen verschließen! 7 Der Weinberg des HERRN seid ihr Israeliten! Sein Lieblingsgarten, Juda, seid ihr! Er hoffte auf Rechtsspruch – und erntete Rechtsbruch, statt Liebe und Treue nur Hilfeschreie!

 

Es ist tatsächlich das Lied von einer Liebe, aber von einer enttäuschten Liebe. Dabei hat sich der Liebhaber doch alle erdenkliche Mühe gegeben. Nun kennen wir das Ende vom Lied, deswegen wissen wir, dass Gott der Liebhaber ist. Gott, der Liebhaber, hat gehandelt, Gott hat investiert. Damit fängt alles an. Damit fängt überhaupt alles erst an. „Gott der Herr pflanzte einen Garten und setzte den Menschen hinein, den er gemacht hat.“ So hat Gott mit uns Menschen damals im Garten Eden angefangen. Er hat uns das Leben geschenkt und ein gutes Leben ermöglicht, hat die besten Voraussetzungen geschaffen, dass wir mit Gott in dieser Welt leben. Er hat uns aber nicht nur dafür gemacht, dass wir was für ihn produzieren sollen. Das will das Lied vom Weinberg auch gar nicht aussagen. Sondern Gott hat uns so angelegt, dass wir eine sinnerfüllende Daseinsberechtigung haben und zu unserer Freude und zu seiner Ehre leben. Und so hat er auch mit seinem Volk Israel angefangen, deswegen beginnt auch das Lied aus Jesaja 5 genau so.

 

Der Besitzer tut alles für seinen Weinberg. Er gräbt den Boden um, er liest die Steine zusammen. In mühsamer und schweißtreibender Arbeit bereitet er alles vor. Denn die Weinstöcke benötigen sehr viel sorgfältige Vorbereitung und Pflege. Wenn die Rebstöcke gepflanzt sind, dann muss der Weingarten umfriedet oder ummauert werden, weil sonst Füchse oder Wildschweine oder Diebe die Weinstöcke zerstören. Sogar einen Wachtturm hat er gebaut. So wichtig ist dem Weinbergbesitzer sein Stück Land, dass er es bewachen lässt. Und die Kelter steht erwartungsvoll da und wartet auf gute Trauben.

 

So lebt Israel von der Fürsorge Gottes und hat sie ja auch reichlich erfahren. Jesaja erinnert an Gottes Großzügigkeit, erinnert daran, wie großherzig Gott in sein Volk investiert. Der Prophet erinnert mit dem Lied daran, „was er dir Gutes getan hat.“

 

Die Geschichte des Volkes Israel erzählt andauernd von den Initiativen und den Investitionen Gottes. Ich will mich hier aber gar nicht so sehr bei den Wohltaten für das Volk Israel aufhalten, sondern die Linie zu uns weiterziehen und uns an unsere eigenen Erfahrungen erinnern. Jede und jeder hätte viel zu berichten von äußeren und von geistlichen Wohltaten; von guten Erfahrungen und guten Gaben könnten wir alle etwas berichten. Allerdings stellt sich die Frage, wie wir das einordnen und deuten. Wir können Leben und Gesundheit, Kraft und Möglichkeiten, Nahrung und Kleidung, Beziehungen und öffentliche Ordnung und vieles mehr als selbstverständlich ansehen. Wir können die guten Gaben genießen und gebrauchen, ohne überhaupt an einen großzügigen Geber zu denken. Dann werden wir ihm auch nicht dafür danken. Und dann werden wir auch nicht so leben, dass wir alles ihm zu verdanken haben. Wir werden auch nicht fragen und überlegen, wie wir mit den Bemühungen und Initiativen und Investitionen Gottes in seinem Sinne umgehen sollen.

 

Deswegen will ich uns an dieser Stelle anregen und ermutigen, dar-über mal nachzudenken. Welche fürsorglichen Erfahrungen habe ich in meinem Leben gemacht? Wo hat Gott mich gehegt und gepflegt und mit Güte gesegnet und mit Freundlichkeit beregnet? Und erkenne ich hinter dem Guten den guten und gütigen Gott?

 

Die Reaktion des Weinberges, der ja wie ein Mensch, wie eine Person betrachtet wird, ist ziemlich dürftig. Aber Gott wartet! Dreimal wird im Text gesagt, dass Gott wartet - und wartet - und wartet. „Er wartete darauf, dass der Weinberg gute Trauben brächte, aber er brachte schlechte.“ Gott erlebt eine große Enttäuschung. Trotz bester Voraussetzung bringt der Weinberg keine guten Trauben, sondern saure, ungenießbare Früchte. In dem Abschnitt, der unmittelbar nach diesem Lied kommt, sind Vorwürfe formuliert, die Gott seinem Volk macht. Ich zitiere mal einige dieser Wehe-Rufe.

 

  • Weh denen, die sich ein Haus nach dem andern hinstellen und ein Feld nach dem andern kaufen, bis kein Grundstück mehr übrig ist und sie das ganze Land besitzen!
  • Weh denen, die schon am Morgen hinter Bier her sind und noch spät am Abend beim Wein in Hitze geraten!
  • Weh denen, die das Unrecht herbeiziehen mit Stricken der Lüge und die Sünde mit Wagenseilen.
  • Weh denen, die Böses gut und Gutes böse nennen
  • Weh denen, die sich für weise und verständig halten! Helden sind sie - im Weintrinken, und tüchtige Männer - im Mischen von scharfen Getränken. Als Richter lassen sie sich bestechen: Schuldige sprechen sie frei und Unschuldige verurteilen sie.

 

Wie ihr sicher gemerkt habt, geht es hier um ganz und gar profane Dinge. Es werden keine frommen Punkte kritisch angemerkt wie zu wenig Gebet oder Gottesdienstbesuch, geringes Spendenaufkommen oder schlechte Opferbereitschaft. Nein, sondern in den alltäglichen Bereichen will Gott Frucht sehen. Dort soll es sich auswirken, dass er so viel an uns gearbeitet und in uns investiert hat.

 

Nun habe ich so gedacht, dass die Vorwürfe, die da in Jesaja 5 auf-gezählt werden, auf mich nicht zutreffen. Ich bin kein Immobilienhai, keiner, der sich schon morgens die Birne zudröhnt und abends säuft wie ein Loch, ich bin auch nicht käuflich oder bestechlich. So, wie ich euch kenne, kann man das keinem vorwerfen. Also ist bei uns alles im grünen Bereich? Gut, wenn es so ist.

 

Überlegen wir trotzdem mal, was wir mit dem machen, das Gott uns anvertraut hat. Wie gehen wir mit dem irdischen und geistlichen Segen um, den Gott uns geschenkt hat? Spiegelt sich in unserer Großzügigkeit die Großzügigkeit Gottes wider? Die Freundlichkeit, mit der Gott uns begegnet, soll sich zeigen in unserem Umgang mit unseren Mitmenschen. Hilfsbereitschaft und tätige Nächstenliebe sollen Ausdruck unserer Beziehung zu Gott sein.

 

Beim Volk Israel muss Gott feststellen, dass seine Liebe und Pflege keinerlei gute Auswirkungen hervorgerufen haben. Wie reagiert Gott nun, was sagt das Lied des Jesaja dazu? Gott vollzieht sein Strafgericht. Dazu muss er aber gar nicht mit Blitz und Donner vom Himmel reinschlagen. Gott muss nur seine schützende Hand abziehen. Der Rest erledigt sich von ganz allein.

 

Wir werden mit diesem Bild und Beispiel darauf aufmerksam gemacht, wie sehr unser Leben von der schützenden und pflegenden Hand Gottes abhängig ist. Im Lied des Jesaja sieht das so aus, dass der Weinbergbesitzer den Zaun und die Mauer wegnimmt. Und der schöne Weinberg wird von Menschen und Tieren zertreten. Der Be-sitzer pflegt und kultiviert ihn nicht mehr. Und die Natur schlägt zurück und überwuchert die Kultur. Wo Gottes gute Hand nicht mehr unser Miteinander ordnet und lenkt, da schlägt die „menschliche Natur“ durch, und Verwüstung setzt ein.

 

Hier könnte der Einwand laut werden, dass das doch alles im Alten Testament steht und es im Neuen Testament anders ist. Und der christliche Glaube gründet doch auf der Gnade und nicht auf Leistung. Muss ich also doch gute Taten vollbringen, damit nicht alles den Bach runtergeht? Ist mein Leben verwirkt, wenn die guten Werke ausbleiben und die Früchte nicht reifen?

 

Dazu müssen wir zwei Dinge festhalten:

 

1.) Bei dem Bibeltext geht es nicht um das Fundament der Beziehung zu Gott, sondern um die Folgen. Es geht um konkrete Veränderungen in unserem Verhalten, in unseren Beziehungen, in unserem Tun und in unserem Leben - als Christen. „Der Grund, da ich mich gründe, ist Christus und sein Blut.“ Aber wenn wir auf diesem Fundament nicht ein Leben aufbauen und gestalten, das entsprechende Konsequenzen zeigt, dann wird das auch Konsequenzen haben. In 1. Korinther 3 steht, dass wir dann zwar gerettet sind, aber nur so, als hätten wir bei einem Wohnungsbrand nur unser eigenes Leben mit knapper Not gerettet.

 

2.) Gott fragt nicht nur im Alten, sondern eben auch und gerade im Neuen Testament nach den Früchten und Auswirkungen unseres Lebens. Jesus erzählt einige Geschichten, die unterstreichen, dass wir die erfahrene Freundlichkeit Gottes auch im Lebensalltag in die Tat umsetzen und weitergeben sollen. Denken wir an die Geschichte von dem so genannten Schalksknecht (Matthäus 18,21-35). Dieser Angestellte hat von seinem Chef eine Unsumme an Schulden einfach so erlassen bekommen. Aber die erfahrene Großzügigkeit gibt er an seinen Kollegen nicht weiter. Und dafür kriegt er mächtig eins auf die Mütze. Ja, er verwirkt seine eigene Amnestie.

 

Oder das Beispiel, über das ich vor ein paar Wochen gepredigt habe: Jesus redet in Johannes 15 im Bild vom Weinstock und den Reben sehr deutlich davon, dass die Reben Früchte bringen sollen. Wenn sie sich weigern, dann werden sie abgeschnitten.

 

Wir merken an diesen zwei Hinweisen und Beispielen, dass wir das Lied aus Jesaja 5 nicht einfach nur auf die „Israel-Melodie“ singen können. Es hat auch eine christliche und eine ganz persönliche Melodie. Wenn wir heute mit diesem Lied konfrontiert werden, dann sollen wir uns darin selbst erkennen. Dann sollen wir uns mahnen lassen, dass unser Leben in der Nachfolge Jesu Folgen hat. Und wir werden mit Blick auf die Rede Jesu vom Weinstock und den Reben dringend aufgefordert, dass wir in enger Verbindung mit ihm bleiben. Als Quintessenz aus diesem Predigttext will ich mir und uns das ans Herz legen. Lasst uns bei Jesus bleiben und mit ihm verbunden sein, damit unser Leben gute Früchte trägt. AMEN