Ein Tag (eine Nacht!) im Leben von Jesus – Jesus und Petrus auf dem Wasser

 

Textlesung: Nimm die Bibel zur Hand und lies Matthäus 14,22-33

 

Liebe Gemeinde,

in der letzten Predigt habe ich uns dieses Ereignis nacherzählt und ausgelegt. Allerdings habe ich vor einer Woche die Version der Geschichte aus dem Markus Evangelium entfaltet. In seinem Bericht über den Sturm, in den Jesus die Jünger geschickt hat und über sein Kommen zu den 12 Männern fehlt allerdings die Episode von Petrus, der Jesus auf dem Wasser entgegengeht. Warum hat Markus das weggelassen? Die Antwort ist relativ einfach. Man geht davon aus, dass Markus seinen Bericht über das Leben von Jesus aufgrund von den Erzählungen des Petrus verfasst hat. Und Petrus wollte wahrscheinlich dieses Erlebnis nicht unbedingt weitererzählen. Matthäus aber hat es miterlebt und darum auch in seinem Evangelium festgehalten. In beiden Berichten lesen wir, dass die Jünger mehrere Stunden gegen den ekligen Nordwind ankämpfen müssen, dass Jesus dann über das Wasser zu ihnen kommt und die Jünger vor Furcht aufschreien, weil sie meinen, ihnen begegnet ein Gespenst. Jesus aber beruhigt sie und ruft: „Seid getrost, ich-ich bin’s, fürchtet euch nicht!“ Und an dieser Stelle berichtet Matthäus das, was der Petrus dann tut.

Jeder, der diese Geschichte liest oder hört, macht sich unwillkürlich seine Gedanken. Was motiviert den Petrus, aufs Wasser zu gehen? Ist der übergeschnappt? Wie kann das überhaupt funktionieren? Wieso wartet Petrus nicht einfach, bis Jesus zu den 12 Männern ins Boot gestiegen ist? Warum ruft Jesus ihn zu sich, warum lässt Jesus das überhaupt zu? Wieso beginnt Petrus unterzugehen? Und schließlich fragen wir uns, wieso Jesus den Petrus einen Kleingläubigen nennt.

Interessante Fragen, denen wir etwas nachgehen wollen. Aber nicht mit distanziertem Interesse, sondern immer mit der Überlegung, was wir aus diesem Geschehen für unser Leben mit Jesus lernen können. Zuerst wollen wir versuchen nachzuvollziehen, warum Petrus Jesus anspricht. Hier liefert uns nach meiner Erkenntnis der Markusbericht eine gute Erklärung. „Er (Jesus) lief auf der Wasseroberfläche und war dabei, an ihnen vorüberzugehen.“ So steht es in Markus 6,48. Das löst meiner Meinung nach bei Petrus zweierlei aus. Erstens will Petrus wissen, ob das nun ein Gespenst ist, oder ob es wirklich Jesus ist. Darum schreit er: „Herr, bist du es? Ich will wissen, ob du da auf den Wasser wirklich unser Lehrer und Meister Jesus bist.“

Und dann das zweite: „Herr, wenn du es wirklich bist, dann will ich nicht, dass du an uns vorübergehst, dann will ich in deiner Nähe, in deiner Gegenwart sein.“ Ich glaube, dass das die Motivation von Petrus gewesen ist, zu Jesus zu rufen.

Ihr Lieben, das macht den Unterschied aus: Wenn es Jesus ist, dann müssen wir keine Angst haben. Wenn Jesus in den Stürmen des Lebens zu uns kommt, dann können wir getrost sein. Wenn ER es ist, dann ist es egal, ob uns der Wind um die Ohren pfeift oder ob alles friedlich und still ist. Ende Februar war ich ja krank geworden, ich hatte eine fiese Virusinfektion namens Corona. Ein trockener Husten war der Vorbote. Als ich dann an dem Freitagmorgen den Schnelltest gemacht habe, habe ich mit einem positiven Ergebnis gerechnet. Aber ich war nicht nervös oder panisch oder so. Sondern mir ging es durch den Kopf und das Herz: „Ich bin in guten Händen, mein Hirte ist der Herr.“ Ich hatte keine Ahnung, wie der Krankheitsverlauf sein würde. Aber ich war gefasst. Weil er bei mir ist.

Wenn wir aber nicht wissen, dass Jesus zu uns kommt und bei uns ist, dann sehen wir überall nur Gespenster. Die Gespenster der Krankheit und der Sorge, der Bedrohungen und der Ängste.

Petrus sehnt sich nach Gewissheit. Und deswegen will er Jesus erleben, erfahren. Der Petrus erinnert mich ein wenig an Mose, der zu Gott gefleht hat: „Lass mich deine Herrlichkeit sehen.“ Oder an Hiob, der Gott mitten im Sturm begegnet und der dann sagt: „Ich hatte von dir nur vom Hörensagen vernommen; aber nun hat mein Auge dich gesehen.“ Petrus will Jesus ganz nah sein. So ein bisschen Trost und Beistand, wenn es einem schlecht geht, so eine durchschnittliche Frömmigkeit, eine mittelprächtige Glaubensbeziehung, das ist nichts für Petrus. Er will ganz nah bei Jesus sein, will ihn hautnah erleben.

Eine solche Leidenschaft und Sehnsucht kann man nicht befehlen und nicht einfordern. Aber die Frage darf und muss erlaubt sein: wie steht es um meine Sehnsucht, Jesus im Alltag zu erleben? Wie leidenschaftlich strecke ich mich danach aus, ihm nahe zu sein, mit ihm Schritte zu wagen? Der Apostel Paulus ermutigt die Christenheit, dass wir uns von dem Feuer und der Leidenschaft des Heiligen Geistes anstecken und entzünden lassen sollen. Feuer und Flamme für Jesus sein, das ist es, wozu Gottes Wort uns auffordert, das ist es, was wir hier bei Petrus sehen können.

Manche Ausleger sind ja der Meinung, dass der Petrus einfach den besonderen Kick gesucht hat und dass der was ganz Verrücktes machen wollte. Der war schon immer so ein Draufgänger, der wollte mal was Geiles erleben. Aber das passt hier nicht. Denn Petrus geht nicht auf eigene Faust los. Sondern er erbittet den Befehl von Jesus, und erst auf dessen Anweisung hin geht Petrus los! Dass er also auf dem Wasser gehen kann, kommt nicht zustande, weil er so verrückt ist oder so bewundernswerte und heilige Wünsche hat. Sondern weil Jesus ihn zu sich ruft. Petrus läuft nicht übers Wasser, weil er so fromm und heilig ist, sondern weil Jesus ihn zu sich ruft!

Ich glaube, dass das für Petrus der erste Impuls war: Wenn Jesus da ist, dann will ich auch seine Macht und Herrlichkeit erleben. Aber das muss Jesus ihm gewähren, das kann er nicht erzwingen.

Es gibt aus meiner Sicht noch einen Aspekt, warum Petrus Jesus bittet: „Herr, wenn du es bist, dann befiehl mir, auf dem Wasser zu dir zu kommen!“ Petrus will lieber bei Jesus auf dem Wasser sein als ohne Jesus im Boot sitzen. Wir dagegen kennen ja das Sprichwort: Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach. Petrus denkt da anders: er will nicht die Sicherheit des Bootes, wenn er die Nähe und den Halt bei Jesus haben kann.

Ich will das mal auf unseren Lebensalltag und unsere Lebensgestaltung anwenden. Lieber das tun, was Jesus tun würde und da sein, wo Jesus wäre als sich an dem orientieren, was man halt so macht. Ich denke hier an die wesentlichen Entscheidungen des Lebens, zum Beispiel an die Berufswahl. Willst du den Weg des geringsten Widerstandes gehen und das tun, was das meiste Geld und den gemütlichsten Berufsalltag verspricht? Oder willst du dich aufs Wasser wagen und das tun, was Jesus für dich im Sinn hat? Oder bei der Frage der Partnerwahl: wollt ihr zwei zusammen auf Jesus hören, ihm ganz nah sein und ihm dienen? Wagt ihr euch aufs Wasser mit Blickrichtung zu Jesus oder geht es euch nur um die Komfortzone der Zweisamkeit, in der Jesus nichts zu melden hat? Oder der Dienst und der Einsatz in der Gemeinde: Hast du eine Bedienermentalität und Erwartungshaltung, dass du ordentlich geistlich betreut und versorgt wirst und bleibst auf dem Schiff, das sich Gemeinde nennt, in deiner Luxuskabine hocken? Oder rufst du Jesus zu: „Du bist der Herr der Gemeinde, was soll ich tun, womit darf ich dir und den Geschwistern und den Menschen dienen? Gib du mir den Marschbefehl, selbst wenn es wie ein Weg übers Wasser ist.“ Oder im Umgang mit den Mitmenschen: Wenn wir uns von Jesus prägen und leiten lassen und so den anderen begegnen, dann ist das mitunter eine ziemlich heftige Herausforderung. Begegne ich meinen Nächsten freundlich und hilfsbereit oder unbeherrscht und egozentrisch? Werde ich barmherziger und rücksichtsvoller oder selbstgerecht und rechthaberisch? Wir wissen, dass das kein lockerer Spaziergang ist, sondern mit dem Laufen auf dem Wasser zu vergleichen.

Aber dazu müssen wir das Boot der Selbstverliebtheit verlassen. Vielleicht heißt das Boot Eigensinn oder Bequemlichkeit oder Sicherheitsdenken. Lasst uns bitte auf den Ruf Jesu hören und unser Boot verlassen und zu ihm gehen und ihm folgen.

Wenn wir uns nun den Fortgang der Geschichte anschauen, dann kann es sehr gut sein, dass wir abwinken und sagen: „Der Petrus war halt doch ein Maulheld, der geht zwar los, aber dann ist er ja beinahe untergegangen, wenn Jesus ihn nicht gepackt und gerettet hätte. Der Petrus hat sich übernommen. Wär er im Boot geblieben bei den anderen, dann hätte er sich diese Blamage erspart.“

Aber so einfach ist es nicht. Denn Petrus geht nicht auf eigene Faust los. Sondern er tut es auf den Befehl und das Geheiß von Jesus. Warum aber geht Petrus dann doch unter? Im Bericht des Matthäus steht es so: „Aber dann blickte er doch auf den starken Wind und wurde von Furcht überwältigt.“ Aber der starke Wind war doch auch schon stark, als Jesus ihn zu sich rief und Petrus das Boot verlassen hat! Petrus sieht die widrigen Umstände und die Belastung und Herausforderung nicht erst jetzt. Aber als er aus dem Boot stieg und losging, war er unerschütterlich auf Jesus ausgerichtet. Dann aber hat er der Bedrohung durch die Wellen mehr Gewicht und mehr Bedeutung beigemessen als Jesus. Vielleicht hat Petrus auch für einen Moment gedacht: Wow, was bin ich doch für ein Glaubensheld! Die anderen im Boot können sich an mir ein Beispiel nehmen. Und Jesus kann echt stolz auf mich sein. Und auf einmal hat Petrus mehr auf seinen Glauben vertraut als auf Jesus.

Bei Petrus war das damals eine einmalige und punktuelle Erfahrung, dass er beinahe untergangen wäre. Bei uns ist es wahrscheinlich schon öfter die Erfahrung gewesen. Wir wagen den Weg mit Jesus im Alltag, und wir scheitern und fallen auf die Nase. Und wir rufen: Herr, hilf mir, ich glaube, hilf meinem Unglauben.

Besonders tröstlich an diesem Bericht ist folgendes: Als der Glaube des Petrus wankt und er zu sinken droht, streckt Jesus die Hand aus und hält ihn. Er kritisiert zwar seinen Kleinglauben, aber Jesus sagt nicht: „Du bist selbst schuld an deiner Misere, nun sieh zu, wie du da von alleine wieder rauskommst!“ Er hält ihn, wo der Glaube nicht mehr hält. Er hat ihn ja aufgefordert zu kommen. Also trägt er auch die Verantwortung. Jesus lässt ihn nicht untergehen. Keinen lässt Jesus versinken, der zu ihm kommt. Und das will ich glauben und uns zusprechen. Jesus lässt keinen versinken, der ihm kommt.

Ich will zum Schluss noch eine Beobachtung an euch weitergeben, die meines Erachten auch für uns von Bedeutung ist. Im letzten Vers des Berichtes steht: „Die aber im Boot waren, fielen vor ihm nieder und sprachen: >Du bist wahrhaftig Gottes Sohn!<“

Nach meiner Erkenntnis ist das hier die allererste Situation und Gelegenheit, in der die Jünger als ganze Truppe vor Jesus anbetend niederfallen und bekennen, dass Jesus wahr und wahrhaftig Gottes Sohn ist. Max Lucado, von dem ich viele Anstöße und Impulse für diese Predigtreihe erhalten habe, ist der Meinung, dass die Jünger hier Jesus deswegen anbeten, weil er sie aus der lebensbedrohlichen Not des Sturmes herausgerettet hat. Das halte ich nicht für wahrscheinlich. Denn sie haben auch schon vorher am eigenen Leib erlebt, dass Jesus sie aus einer viel gefährlicheren Lage gerettet hat (Mt 8,23-27). Ich glaube, dass die Jünger Jesus deswegen als den Sohn Gottes anbeten, weil sie hier die Herrlichkeit und Majestät Jesu gesehen haben. Jesus hat sich ihnen gezeigt als derjenige, der über Wind und Wellen gehen kann. Jesus hat ihnen zu erkennen gegeben, dass er keine Einbildung und kein Gespenst ist. Jesus hat seine Größe und Vollmacht auf den Petrus übertragen und ihm Anteil daran gegeben. Jesus hat seinen Männern die Augen des Herzens dafür geöffnet, dass sie seine Herrlichkeit, seine Größe, seine Macht und Liebe erkennen können.

Und das ist es, was ich mir und uns am allermeisten wünsche, dass wir Jesus sehen in seiner Pracht und Macht. Und dass wir erfüllt werden mit Liebe und Begeisterung für Jesus, dass wir erfüllt werden mit der Sehnsucht, ganz nah bei ihm zu sein und mit ihm über Wellen und Wasser gehen.

AMEN