Offenbarung 5,1-7

 

Liebe Gemeinde,

Hanna und Marie sitzen zusammen in der Schule im Matheunterricht. Sie müssen eine ziemlich schwere Gleichung lösen und brüten über der Aufgabe. Hanna schaut ihre Freundin an und beklagt sich: „Die Aufgabe ist so schwer. Ich weiß einfach nicht, was ich machen muss, um sie zu lösen.“ Marie dreht sich zu Hanna um und nickt: „Das geht mir ganz genauso. Für mich ist das Thema ein Buch mit sieben Siegeln!“ Hanna ist erleichtert, dass nicht nur ihr die Lösung der Aufgabe so schwer fällt. Aber von welchem Buch spricht Marie eigentlich? Und was für sieben Siegel? Wir kennen die Redewendung. Sie drückt aus, dass eine Sache oder auch eine Handlung für jemanden ein Rätsel ist, also undurchschaubar und unverständlich. Geheimnisvoll und mysteriös, rätselhaft und verhüllt.

Ihren Ursprung hat diese Redewendung in der Bibel. In der Offenbarung ist davon die Rede. Wobei vielen Menschen dieses letzte Buch der Bibel selbst ein Buch mit sieben Siegeln ist. Schauen wir uns doch die Stelle an, in der davon geschrieben steht.

Ich lese Offenbarung 5,1-4

1.           Die Lage und die Frage

Die erste Erkenntnis ist, dass der Thron im Himmel nicht leer ist, sondern darauf sitzt Gott. Für uns vielleicht eine Binsenweisheit, aber auch solche Selbstverständlichkeiten müssen wir immer wieder neu und bewusst hören.

Eberhard Busch berichtet in seinem Buch über Karl Barth, den berühmten schweizer Theologen, von einem Telefongespräch, das dieser am Vorabend seines Todes mit seinem Freund Eduard Thurneysen hatte. Die beiden alten Männer sprachen ausgiebig über die dunkle und bedrohliche Weltlage. Schließlich sagte Karl Barth zu seinem Freund: „Aber nur ja nicht die Ohren hängen lassen! Nie! Denn - es wird regiert!“

Es wird regiert. Gott sitzt auf dem Thron. Aber er hat etwas in der Hand. Ein Buch, eine Schriftrolle um genau zu sein, mit sieben Siegeln. So, wie die Rolle hier beschrieben wird, hat es die ersten Leser der Offenbarung an eine römische Rechtsurkunde erinnert. Es sieht aus wie eine hochoffizielle Verfügung. Solche wichtigen Dokumente oder Urkunden wurden damals vom Verfasser und sechs anwesenden Vertrauten versiegelt. Der Verfasser dieser Urkunde ist offenbar Gott. Ist es sein Testament? Nicht in dem Sinn, dass Gott gedenkt, abzutreten oder zu sterben. Es ist nicht sein letzter Wille, aber sein erklärter Wille über den Fortgang der Weltgeschichte und die Vollendung. Gleichzeitig ist es eine Ernennungsurkunde, die er in der Hand hält. Es ist Krönungsurkunde und Regierungsprogramm in einem. Demjenigen soll sie ausgehändigt werden, der würdig und fähig ist, der endzeitliche Vollstrecker des Willens Gottes zu sein. Wer ist dazu in der Lage, den Inhalt der Buchrolle in Kraft zu setzen? Wer kann die Welt zu Gottes ewigem Ziel führen? Darum ertönt unüberhörbar die Frage: „Wer ist würdig, das Buch aufzutun und seine Siegel zu brechen?“

Das ist die verborgene, aber doch die eigentliche, die alles beherrschende Frage, die über der Weltgeschichte steht: Wer kann den Plan Gottes zur Heilung der Welt vollführen? Wer kann der Menschheit einen Sinn und ein Ziel geben?

Putin oder Trump? Macron oder Merkel? Xi Jinping aus China oder Antonio Guterres, der amtierende Generalsekretär der Vereinten Nationen? Oder damals, zur Zeit, als Johannes die Offenbarung aufgeschrieben hat, der Kaiser Domitian? Der hatte befohlen, dass man ihm zujubelt: „Herr, du bist würdig!“ Er war nicht würdig. Und nach ihm keiner der kleinen oder großen Weltpolitiker. Auch kein Engel, kein Engelfürst, keine der himmlischen Wesen oder Gestalten, die um den Thron Gottes stehen. Zum Glück auch keiner der Dämonen oder Teufel.

Was tun? Es wird keiner gefunden. Es ist zum Heulen. Kein aktueller und kein künftiger Politiker wird also in der Lage sein, die Welt in einen heilvollen Zustand zu führen. Keiner! Hören wir, wie es weitergeht! Ich lese die Verse 5-7.

2.           Die gehörte und die geschaute Antwort

Einer der 24 Ältesten gibt die erlösende, die befreiende Antwort: Der Löwe aus dem Stamm Juda hat gesiegt. Er ist darum würdig, das Buch mit den sieben Siegeln in Empfang zu nehmen, zu öffnen, in Kraft zu setzen.

Ja! Herrlich. Wunderbar. Grandios. Der Löwe aus dem Stamm Juda! Der Messias. Das ist ganz klar. Alttestamentliche Aussagen lassen keinen Zweifel daran, wer der Löwe ist. Er ist der Gesalbte Gottes. Er ist der ewige, endzeitliche Richter. Alle Macht dem stärksten König. Wie der Löwe der König der Tiere ist, so ist der Löwe aus dem Stamm Juda der König aller Könige. Er ist wahrlich würdig. Denn er hat sicher in großartiger Manier alle Feinde Gottes zermalmt. Er hat sie in der Luft zerrissen. Klar, ihm gebühren die Ehre und das Recht, die Weltgeschichte nach Gottes Plan zu seinem Ziel zu führen.

Johannes hält sicher Ausschau nach diesem Herrscher. Und was sieht er? Keinen Löwen, sondern ein Lamm. Ein Schaf.

Das kann ja nun wirklich nicht wahr sein, oder? Bitte, wer sich hier verwundert die Augen beziehungsweise die Ohren reibt - ich kann’s verstehen. Es geht doch wohl darum, die Welt zu retten, die Erde und den ganzen Kosmos zu führen. Und da präsentiert uns der Himmel ein Schaf.

Ein Schaf soll das Symbol für den machtvollen König sein? Mit diesem Wappentier quasi will das Christentum den Anspruch erheben, die Religion von Weltbedeutung sein? Lammfromm, schwach, ohne Durchsetzungsvermögen, das sind die Kennzeichen für ein Schaf, oder? Was für ein Gegensatz zum angekündigten Löwen!

Ja, aber was für ein Lamm. Es hat drei unübersehbare Kennzeichen, die es in sich haben.

Erstens ist es ein Lamm, das ein Schächtmahl noch an seinem Hals trägt. Das Schaf wurde getötet, es wurde geschlachtet. Wie kann es nun lebendig im Himmel erscheinen? Die kräftigste Macht in ganzen Kosmos muss die sein, die den Tod überwindet. Das Lamm, das geschlachtet ist, hat den Tod überwunden. Was für ein Lamm!

Zweitens sieht Johannes dieses Lamm ausgestattet mit sieben Hörnern. Ein Horn ist in den alten Zeiten immer ein Zeichen für übernatürliche Macht gewesen. Im vorderasiatischen Raum trugen Könige Kronen mit Stier- oder auch Widderhörnern. Das Lamm bei Gottes Thron trägt sieben Hörner. Damit wird nichts anderes als vollkommene, übernatürliche Macht angezeigt.

Und drittens hat das Lamm sieben Augen. Hier ist nicht unsere Phantasie gefragt, sondern die Fähigkeit, die Beschreibung zu deuten. Die Augen stehen für Gottes Geist. Gottes Geist in seiner ganzen Fülle, der alles sieht und erkennt, der alles aufdeckt und durchleuchtet, der ist dem Messias eigen.

Also, da tritt ganz bestimmt kein lahmes Lamm auf den Plan. Nicht ein schwaches Schaf kommt vor Gottes Thron. Sondern? Ein „Talja“. So hat es der Theologe Joachim Jeremias ausgeführt. Das aramäische Wort Talja hat demnach eine dreifache Bedeutung. Einmal bedeutet es Lamm, dann aber auch Knecht und schließlich Kind. Wenn dem so ist, dann ist in einem einzigen Wort das zusammengefasst, was Jesus Christus nach dem Zeugnis der Heiligen Schrift ist: er ist der Sohn Gottes, sein geliebtes Kind; er ist der Gottesknecht (nach Jes 53, der stellvertretend für uns stirbt) und er ist das Lamm, wie es uns hier in Offenbarung 5 beschrieben wird.

Was für ein Herr Jesus, der als geliebter Sohn Gottes bereit war, auf diese Erde zu kommen, als der Gottesknecht all unsere Sünde auf sich zu nehmen, zu leiden und zu sterben. Er ist das Lamm, das die Sünde der Welt trägt. Darum hat er sich die Würde erworben, die Welt zu Gottes Ziel zu führen. Er hat die Qualität und die Liebe, uns, seine Geliebten, seine Erlösten durch alle Zeiten hindurch zu tragen. Er hat die Macht, uns zu bewahren.

Lassen Sie mich noch ganz kurz einen dritten Gedanken aus diesem großen Kapitel entfalten. Dazu lese ich uns die folgenden Verse aus Offenbarung 5.

3.           Das himmlische Echo und unsere Reaktion

Die Größe und Herrlichkeit dessen, was Jesus für uns getan hat, wird erkennbar am himmlischen Lobpreis. Denn im Himmel sind die ganze Bedeutung und das ganze Ausmaß seines Heilshandelns unverhüllt offenbar. Ich weiß gar nicht recht, wie ich diese Worte noch auslegen soll. Der Vater übergibt Jesus die Urkunde. Jesus ist der endzeitliche Herr und König. Darum betet der innere Kreis um den Thron Gottes den Vater und den Sohn an. Nichts und niemand darf angebetet werden außer Gott! Anbetung allein ihm. Worte reichen nicht aus. Melodien unterstreichen die Worte. Instrumente werden hinzugezogen. Und unsere Gebete werden mit einbezogen in die Anbetung Gottes, des Vaters, und des Sohnes. Nein, sie sind nicht vergeblich. Sondern sie kommen bei Gott an, unsere Gebete.

Die Anbetung beginnt oft mit den Worten „Du bist …!“ Du bist würdig, du bist für uns geopfert. Du hast uns dem Vater erkauft. Du hast uns zu Königen und Priestern gemacht. So können wir einstimmen in die Anbetung Gottes. Was für ein Herr.

Daran schließen sich unzählbare Engel an und verehren Jesus. Vieltausend mal tausend. Johannes fehlen die Worte und die Zahlen, die definieren würden, was er da sieht. Auch ihre Worte dürfen wir uns zu eigen machen: „Das Lamm, das geschlachtet ist, ist würdig, zu nehmen Kraft und Reichtum und Weisheit und Stärke und Ehre und Preis und Lob.“

Wie ein Stein, wenn er ins Wasser geworfen wird, immer weitere Kreise zieht, so ist es auch mit dem Lobpreis Gottes. Und die Welle will auch uns und jedes Geschöpf im Himmel, auf der Erde und weit darüber hinaus erfassen. „Dem, der auf dem Thron sitzt, und dem Lamm, sei Lob und Ehre und Preis und Gewalt von Ewigkeit zu Ewigkeit!“

Liebe Gemeinde, dieser Blick in den Himmel entrückt uns noch nicht aus dem irdischen Leben in die göttliche Ewigkeit. Noch sind wir unterwegs. Noch geht es durch gewaltige Stürme, durch schwere Erprobungen. Noch haben wir mit Spannungen zu kämpfen. Aber er zeigt uns die Machtverhältnisse vor dem Thron Gottes. Und die sind geklärt. Das Wissen darum und das Vertrauen auf unseren Herrn machen und Mut für den Alltag. Das erfülle uns mit dem Frieden Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft. Der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn.

AMEN