Ich bin der gute Hirte

 

 

 

Liebe Gemeinde!

 

Kinder lieben dieses Spiel. Psychologen machen das auch ganz gern. In Büchern und Literatur über Persönlichkeitsprofile kommt es immer wieder vor. Die Rede ist davon, dass wir Menschen mit Tieren verglichen werden. Bei Kindern klingt das so: „Ich bin ein kleines Reh, und ich springe glücklich und frei durch den Wald und über die Wiesen.“ „Ich wäre gern ein süßes Kätzchen, dann würde ich gestreichelt und gekrault.“ „Ich bin ein Tiger, wild und groß und stark.“

 

Wie sieht das bei den Erwachsenen aus? Welche Eigenschaften eines Tieres hättest du gern oder hast du bei dir entdeckt? Vielleicht siehst du in dir den treuen Schäferhund. Zuverlässig, beschützend, wenn es sein muss auch mal bissig. Oder das Arbeitspferd. Fleißig und kräftig, du kannst was wegschaffen. Oder siehst du dich als eine Löwin, die Nahrung und Schutz gewährt und für die Familie sorgt (während der Löwe übrigens faul im Schatten liegt und sich ausruht).

 

Auch in der Bibel werden wir Menschen mit Tieren verglichen. Da tauchen unter anderem Küken oder Adler (Gänsegeier) auf. Aber es gibt einen Vergleich, der alle anderen zahlenmäßig in den Schatten stellt. Ganz häufig werden wir Menschen als Schafe beschrieben. Ich bin mir nicht sicher, ob sich jemand von uns freiwillig mit einem Schaf identifiziert. Das allgemeine Empfinden gegenüber diesen blökenden Vierbeinern ist nicht sehr wertschätzend. Schafe gelten als dumm. Sie werden als mährufende Wollknäuel wahrgenommen, die immer und überall grasen. Damit tun wir ihnen aber Unrecht.

 

Zunächst will ich drei Eigenschaften von Schafen benennen, die zeigen, wie schutzbedürftig sie sind. Später benenne ich Wesenszüge, die für uns vorbildlich und erstrebenswert sind.

 

Das erste ist, dass Schafe zwar gut hören und riechen, aber schlecht sehen können. Bis 20 Meter können sie ganz ordentlich gucken, aber was weiter weg ist, das sehen sie nur noch unscharf, verschwommen. Da, wo das Schaf gerade steht, fängt es an zu grasen. Egal, wie gut und saftig die Weide ist, das Schaf frisst. Wenn es 30 Meter weiter viel besseres Futter gibt, kommt das Schaf nicht auf die Idee, da hin zu gehen. Warum? Weil es das nicht sieht. Es muss dahin geführt werden.

 

Das zweite ist, dass Schafe schon ziemlich stur sind. Wenn sich eines in einem Zaun oder im Gestrüpp verfängt, dann kommt es nicht frei. Denn das Schaf kennt keinen Rückwärtsgang. Es geht nicht zurück, sondern drängt immer nach vorn. Es kann keinen Abstand zu dem Hindernis gewinnen.

 

Und das dritte ist, dass Schafe verletzlich sind. Die natürlichen Feinde wie Wildhunde, Wölfe (auch bei uns wieder), Raubvögel und (damals) Bären sind dem Schaf meilenweit überlegen. Denn das Schaf hat weder gefährliche Klauen noch scharfe Reißzähne.

 

Die Wahl des Tieres, mit dem wir Menschen verglichen werden, sagt auch ganz viel aus über das Verhältnis, das Gott zu uns pflegen will. Wenn Gott uns als seine Schafe beschreibt, dann beschreibt er sich als unseren Hirten. Nehmen wir mal an, wir würden mit Hunden verglichen, dann wäre er für uns das Herrchen und derjenige, der uns dressiert, der mit uns Gassi geht. Würden wir mit Pferden verglichen, wäre Gott derjenige, der zu seinem Vergnügen auf uns reitet oder der unsere Dienste und Arbeitskraft braucht. So kann man das weiterspinnen. Bleiben wir bei dem Bild, das die Bibel am häufigsten verwendet. Wir sind Schafe und Gott ist der Hirte. Dieser Vergleich kommt schon im Alten Testament sehr oft vor. Ich zitiere ein paar Bibelstellen.
Jesaja 40,10-11: „Ja, der Herr kommt als ein mächtiger Gott. Er herrscht mit großer Kraft. Den Lohn für seine Mühe bringt er mit: sein Volk, das er sich erworben hat. Es geht vor ihm her. Er sorgt für sein Volk wie ein guter Hirte. Die Lämmer nimmt er auf den Arm und hüllt sie schützend in seinen Umhang. Die Mutterschafe führt er behutsam ihren Weg.“

 

Psalm 95,7: Denn er ist unser Gott und wir sind sein Volk, er sorgt für uns wie ein Hirte, er leitet uns wie eine Herde. Heute gilt es! Hört, was er euch sagt!

 

Psalm 100,3: Erkennet, dass der HERR Gott ist! Er hat uns gemacht und nicht wir selbst zu seinem Volk und zu Schafen seiner Weide.

 

Und dann ist da natürlich noch das bekannteste von allen Lieder in der Bibel: der Psalm 23 (den zitiere ich hier nicht, denn kennt ihr entweder oder ihr schlagt bitte in eurer Bibel selbst nach!)!

 

Diese biblischen Aussagen kannten die Zuhörer damals sehr gut, als Jesus Christus gesagt hat: Ich bin der gute Hirte! Wir haben schon in den letzten drei Predigten gehört, dass Jesus mit der Formulierung „Ich bin, der ich bin“ auf den alttestamentlichen Gottesnamen Bezug nimmt und damit sagt: Ich bin Gott. Hier sagt er das nicht nur mit den Worten „Ich bin, der ich bin“, sondern hier verwendet Jesus DEN Vergleich schlechthin: Der HERR (der „Ich bin der ich bin“) ist mein Hirte (Psalm 23,1). Und wenn Jesus sagt: „Ich bin (der ich bin) der gute Hirte“, dann ist seine Aussage klar: Ich bin Gott, ich bin der gute Hirte, ich bin dein Hirte. Die Reaktion vieler Menschen damals war, dass sie sich tierisch über Jesus und seinen Anspruch aufgeregt haben. Viele waren der Überzeugung, dass Jesus einen Dämon hat und von Sinnen ist. Aber hat Jesus wirklich einen an der Waffel? Oder lässt er seinen Worten auch Taten folgen? Genügt er seinem eigenen Anspruch und ist wirklich der gute Hirte? Das wollen wir unter die Lupe nehmen und stellen zwei ganz wesentliche, ganz entscheidende Fragen. Erstens fragen wir:

 

1.             Jesus, was tust du als guter Hirte für mich?

 

Die erste Handlung, die Jesus nach seiner Selbstaussage ankündigt ist: „Der gute Hirte lässt sein Leben für die Schafe.“ Wir wissen und erinnern uns daran, dass Schafe keine Kampfmaschinen sind. Sie waren aber tödlichen Gefahren ausgesetzt. Wölfe, Bären, Wildhunde oder Raubvögel haben eine Vorliebe für Lammkeule. Widder und Hammel, Mutterschafe und Lämmer haben kein Gebiss, mit dem sie dem Wolf die Kehle durchbeißen können. Sie haben keine Klauen und kräftigen Vorderläufe, mit denen sie einen Hund in die Flucht schlagen. Sie sind auf den Schutz des Hirten angewiesen. Dieser Job war für den Hirten ein lebensgefährliches Unterfangen. Er musste bereit sein, gegen Raubtiere und gegen Diebe seine Schafe zu verteidigen.

 

Wenn wir die Schafe der Herde Gottes sind, dann sind wir auch tödlichen Gefahren ausgesetzt. Die größte ist die, dass wir mit unserem Leben Schiffbruch erleiden und umkommen. Das muss nicht so aussehen, dass wir versiffen, vergammeln und versumpfen. Das muss nicht so aussehen, dass wir verarmen und krank werden und am Leben scheitern. Sondern am Ende tritt der Super-GAU, der „worst case“ ein. Am Ende erreichen wir nicht das Ziel. Ohne den guten Hirten verpassen wir das ewige Leben, ohne ihn müssen wir die ewige Trennung von Gott erleiden. Jesus verspricht aber, dass er seinen Schafen das ewige Leben gibt und dass sie nimmermehr umkommen. Dafür hat sich Jesus mit seinem Leben eingesetzt.

 

Als ich mir das vor dem Hintergrund des Hirtendaseins bewusst gemacht habe, habe ich gedacht: das ist ja aber doch blöd, wenn der Hirte im Kampf gegen den Bären stirbt. Dann hat er sein Leben verloren. Und die Schafe sind auch verloren. Hier steht allerdings nicht die Sinnhaftigkeit eines Opfertodes zur Debatte, sondern hier wird zuerst unterstrichen, wie weit Jesus gehen würde – und tatsächlich auch gegangen ist –, um uns verteidigen. Vielleicht kennen wir auch die allertollsten Liebesschwüre, was man alles aus Liebe aufbringt und opfert. Jesus sagt: Ich würde für dich sterben. Und das hat er nicht nur so daher gesagt, sondern das hat er auch gemacht! Er hat sich mit Leib und Leben für uns eingesetzt und sich für uns geopfert.

 

Um aber meinen eigenen Gedanken und Einwand von eben zu beantworten: Jesus, der Hirte hat sein Leben im Kampf gegen den Teufel gelassen, er hat sich geopfert. Aber er hat damit seine Schafe, seine Leute nicht dem Feind überlassen, sondern er ist ja wieder auferstanden von den Toten und damit hat er die scheinbare Niederlage in einen grandiosen Sieg verwandelt.

 

Damit habe ich schon eine von den drei Eigenschaften der Schafe entfaltet und aufgezeigt, wie der gute Hirte Jesus sich um uns Menschen kümmert. Jesus will uns als der gute Hirte aber nicht nur vor der ewigen Verdammnis bewahren, sondern hier schon im Alltag weiden und leiten, betreuen und versorgen. Schauen wir uns die beiden anderen Eigenschaften von Schafen noch an, die sie als besonders hilfs- und schutzbedürftige Wesen beschreiben.

 

Ø   Schafe haben keinen besonders guten Weitblick

 

Hierin sind wir ihnen sehr ähnlich. Wir haben in vielen Fragen und Angelegenheiten des Lebens keinen Durchblick. Und den Weitblick haben wir auch nicht. Wir wissen nicht, was die Zukunft bringt. Vielleicht trotten wir deshalb wie ein Schaf durch den Alltag, weil wir weder Plan noch Perspektive haben.

 

Weil das Schaf keinen Weitblick hat, deswegen sieht es auch die anderen, die besseren Möglichkeiten für sein Leben nicht. Da, wo es ist, da bleibt es. Vielleicht ist das bei dir auch so. Du überschaust nur einen sehr begrenzten Handlungs- und Gestaltungsspielraum für dein Leben. Wie wäre es, wenn der gute Hirte dir neue Perspektiven eröffnet, dir eine Berufung zuspricht; wenn er dir zeigt, was er alles noch für dich im Sinn hat, welche Horizonte er dir eröffnen will. Ich glaube, dass der Schöpfer ganz viel Potenzial in uns hineingelegt hat. Und wir als seine Leute, um die er sich von Herzen gern kümmern will, sollen ihn fragen, was er für uns und mit uns im Sinn hat. Wir sollen uns auf seine neuen Perspektiven einlassen.

 

Ihr Lieben, anders kann ich mein Leben und meinen Beruf gar nicht mehr denken. Wenn ich nur im Rahmen meiner Möglichkeiten und meines Horizontes arbeiten würde, würden sich mein Dienst und mein Alltag in einem sehr begrenzten Radius bewegen. Neue Ideen, andere Wege, tiefere Einsichten und Erkenntnisse sauge ich mir nicht aus den Fingern, kann ich mir nicht auf meine Fahne schreiben, sind nicht auf meinem Mist gewachsen. Ich bin sehr dankbar, dass ich immer mal wieder erfahre und höre, was mein Hirte mir sagt, was er mir zeigt, wohin er mich führt.

 

Schafe lassen sich leiten und weiden. Wir sollten nicht dümmer sein als Schafe.

 

Ø   Schafe sind ziemlich stur

 

Ich hatte es vorhin schon erwähnt, dass Schafe keinen Rückwärtsgang kennen. Wenn sie sich in einem Gestrüpp, Zaun oder in einer Felsspalte verfangen und verheddert haben, dann kommen sie nicht raus. Wir sind auch an diesem Punkt den Schafen ziemlich ähnlich. Wenn wir uns in etwas verrannt haben, wenn wir uns irgendwo festgefahren haben, dann gelingt es uns oft nicht, dass wir mal einen Schritt zurücktreten und die Situation mit ein wenig Abstand betrachten. Stattdessen wollen wir oft mit dem Kopf durch die Wand. Das Schaf muss vom Hirten aus der Verstrickung befreit werden.

 

Wo bist du vielleicht festgefahren, wo hast du dich in deiner Vorstellung und Fixierung so verrannt, dass du feststeckst? Wie genial wäre es, wenn Jesus dich da rausholen würde und dir Optionen zeigt, die du bisher überhaupt noch nicht in Erwägung gezogen hast. Wir müssen uns von Jesus in verfahrenen Lebenslagen befreien lassen. Er will uns auch darin helfen und leiten.

 

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Jesus ein guter Hirte ist, der meinem Leben einen sinnvollen Inhalt gibt. Einen Inhalt, der auch weiter reicht als das, was ich mit meinen eingeschränkten Möglichkeiten überblicken kann. Mein Alltag, mein Dienst als Pastor, meine Arbeit in der AWO, will ich immer mehr unter der guten Leitung und unter der Obhut meines guten Hirten leben und gestalten.

 

Daraus ergibt sich für uns nun noch eine zweite ganz wichtige Frage:

 

2.             Jesus, was soll ich denn tun?

 

Wie soll ich mich als Schaf dem guten Hirten gegenüber verhalten? Im Prinzip sollen wir gar nichts anderes tun als das, was die Schafe auch tun und was sie wirklich gut können. Schafe haben einen guten Hörsinn und Geruchssinn. Schafe kennen sehr genau die Stimme ihres Hirten. Was sollen wir tun? Hören! Wir sollen einfach auf die Stimme des guten Hirten, auf die Stimme von Jesus hören. Ganz einfach! Ganz einfach? Wie geht das? Am Anfang und zuerst so, dass du die Bibel zur Hand nimmst. Fang vielleicht mit einem Evangelium, einem Bericht über das Leben von Jesus an. Und dann rechne damit, dass er zu dir spricht. Darüber hinaus will er dir seine Gedanken, seine Pläne, seine Hilfe und Leitung sagen, zuflüstern. Je mehr du dich mit ihm beschäftigst, auf ihn achtest, hörst und liest, desto vertrauter wird er dir werden. Dann wird aus dem Horchen ein Gehorchen. Und im Hören festigt sich die Gewissheit, dass wir ihm gehören.

 

Jesus sagt, dass seine Leute ihm folgen, so wie die Schafe dem guten Hirten folgen. Damit wird deutlich, dass das Leben unter der Obhut des guten Hirten sich nicht damit begnügt, ein bisschen was über ihn zu wissen. Sondern es hat mit dem Alltag zu tun. Im Alltag gilt es, auf ihn zu achten, zu leben, zu lieben und zu handeln wie er. Das ist eine lebenslange Übung und Herausforderung.

 

Was sollen wir tun? Nichts weniger als das, was Schafe tun und können. Sie besitzen eine hohe geistige, emotionale und soziale Intelligenz. Schafe sind Herdentiere. Sie kennen die Gesichter von ihren Artgenossen und können sich zwei Jahre lang die Gesichter von Menschen merken. Wir sollen als Menschen, die zur Herde Jesu gehören, mit unseren Artgenossen, mit anderen Christen zu tun haben, Gemeinschaft, Freundschaften und soziale Kontakte pflegen. Ok, auch hier ist das sehr ähnlich wie bei den Schafen: die anderen in der Gemeinde blöken und meckern manchmal, stellen sich auch stur an und sind vielleicht ein wenig schrullig und borniert. Aber wir sollten nicht dümmer sein als Schafe, sondern uns in die Herde des guten Hirten integrieren.

 

Nicht umsonst vergleicht uns die Bibel mit Schafen. Sondern das hat seine guten Gründe. Genauso ist es gut begründet und für uns so segensreich, dass Jesus unser guter Hirte ist. Wir tun gut daran, ihm immer mehr zu vertrauen und zu folgen. Wir tun gut daran, bei ihm zu bleiben, mit ihm unterwegs zu sein.

 

AMEN