1. Mose 11,1-9 (Turmbau zu Babel)

 

Liebe Freunde!

 

Was schätzt ihr: Wie hoch war wohl der berühmte Turm, den die Menschen in grauen Vorzeiten in Babel gebaut haben? Nicht viel höher als 90 Meter war der Prachtbau. Sieben aufeinander gebaute Etagen ragten in den Himmel, erbaut mit Millionen von Ziegelsteinen. Zum Vergleich: das Emire State Building ist 381 Meter hoch, des Shanghai Tower ist 632 Meter hoch und in Dubai steht das höchste Gebäude der Welt mit 828 Metern, der Burj Khalifa.

 

Dabei war es in erster Linie gar nicht das Ziel der Bauherren, einen riesig großen Turm zu bauen. Sondern sie wollten eine Stadt bauen. Zu jeder Stadt gehört eine Befestigungsanlage außenherum. Aber ganz wichtig war das Zentrum mittendrin. Mitten in der Stadt sollte der „Megaturm“ das Wahrzeichen sein. Und oben auf dem Turm sollte ein Tempel die Krönung diese Bauwerkes sein.

 

Wie es dazu kam, wird am Anfang des Textabschnittes erzählt. Das erste Buch Mose beschreibt einen großen Nomadenzug nach Osten. Die Menschen sind auf der Suche nach dem verloren gegangenen Paradies. Nach der Sintflut machen sie sich auf, um zum abgesperrten Garten Eden vorzudringen, der im Osten vermutet wird. Dabei gelangen die Siedler in die fruchtbare Ebene zwischen Euphrat und Tigris. In 1. Mose 2,14 werden diese beiden Flüsse als Teil des Paradieses erwähnt. Die Menschen waren fest davon überzeugt, dass denen die Welt gehört, die dieses Gebiet beherrschen. Hier kann eine Kultur entstehen, die ihresgleichen sucht. Das Zauberwort heißt Babel! Die altbabylonische Bedeutung des Namens lautet „Tor des Gottes El“ oder „Tor des Himmels“. Dort entsteht eine riesenhafte Stadtanlage. Der deutsche Archäologe Robert Koldewey hat diese Stadt ausgegraben. Und gleich im ersten Grabungsjahr (1899) stieß er auf die babylonische Mauer, die absolut größte Stadtbefestigung, die die Welt je gesehen hat. Babylon war die größte Stadt des ganzen Orients, größer noch als Ninive. Genau in der Mitte lag der Tempelbezirk mit dem Tempelturm, dem berühmten „Turm zu Babel“. Das Bauwerk war vermutlich in der topfebenen Landschaft weithin sichtbar. Der alte Name des Tempelturms heißt Etemenanki, »Haus, das das Fundament von Himmel und Erde ist«, dessen »Spitze bis in den Himmel reicht«.

 

1.           Hat Gott etwas gegen Wolkenkratzer?

 

Aber Gott scheint etwas gegen diesen Wolkenkratzer zu haben. Merkwürdig. Ist er technikfeindlich? Gott hat uns Menschen doch den mathematischen Verstand gegeben und uns so begabt, dass wir technische Spitzenleistungen hervorbringen können. Was ist gegen den Fortschritt menschlicher Kultur zu sagen? Es war in der damaligen Zeit eine Sternstunde der Menschheit, als man gleichförmiges Baumaterial anfertigen konnte. Das ist ja viel besser zu verarbeiten als die grob gehauenen Steine aus einem Steinbruch. Und die Entdeckung, dass Erdharz ein hervorragendes Bindemittel ist, war revolutionär. Das war doch eine zivilisatorische Glanzleistung, als man zum Städtebau überging und als sich eine differenzierte Gesellschaft mit Handwerkern und Bauern, Kaufleuten und Soldaten herausbildete. Und als Könige von einem Zentrum aus ein Weltreich beherrschen konnten. Fühlt Gott sich etwa durch die Größe der Stadt und des Turmes von den Menschen in seiner Majestät bedroht? Nein, das auf keinen Fall! Im Gegenteil. Es hat den Anschein, als würde Gott sich lustig machen über das Bauwerk. Die Spitze des Tempelturms sollte ja angeblich bis an den Himmel reichen. Aber Gott musste „herniederfahren, dass er sähe die Stadt und den Turm, die die Menschen bauten“.

 

Gott aber stellt fest, dass die Menschen sich damit Ruhm und Ehre verschaffen wollten. Die Bibel sagt: Sie wollten sich „einen Namen machen“. Babel sollte die Hauptstadt des großen Menschheitsreiches sein. Die Stadt sollte auch das geistig-religiöse Zentrum sein, die große Metropolis, die Weltstadt. So organisiert sich die Menschheit, so macht sich der intelligente Mensch die Erde untertan.

 

Der Schöpfer des Himmels und der Erden betrachtet sich also das kleine Türmchen in Babel etwas genauer und stellt fest:

 

„Wohin wird das noch führen? Sie sind ein einziges Volk und sprechen alle dieselbe Sprache. Wenn sie diesen Bau vollenden, wird ihnen nichts mehr unmöglich sein. Sie werden alles ausführen, was ihnen in den Sinn kommt.“

 

Was bedeutet das? Alle Menschen sind ein Volk mit einer Sprache. Das ist an sich überhaupt kein Problem, wenn die Menschen diese Einheitssprache und diese Einheitskultur nicht missbrauchen würden für eine große Machtentfaltung. Denn wenn sie alles zentralisieren, dann wird es eine Machtkonzentration geben, die automatisch zu Unterdrückung der Schwachen führt. Und wenn den Menschen nichts unmöglich sein wird, was immer sie zu tun gedenken, dann wird der Mensch Grenzen überschreiten. Grenzen, die er besser einhalten sollte, weil er nur ein Geschöpf und nicht der Schöpfer ist. Bei ungebremster Weiterentwicklung wird die Menschheit versucht sein, sich wie Gott zu gebärden. In der Formulierung „damit wir uns einen Namen machen“ stecken diese beiden Gefahren drin. Es geht ihnen um eine herausragende Position gegenüber anderen Menschen. Sie wollen Menschheit zu ihren Bedingungen einen. Sie können sich aber nur selbst erhöhen, indem sie andere erniedrigen. Und sie wollen sich auch Gott gegenüber einen Namen machen. Ihr Name, ihr Ruhm, ihre Macht sollen größer sein als Gott. Darum steckt hinter ihrem Vorhaben nichts anderes als Rebellion gegen Gott.

 

Das kann nicht gut ausgehen.

 

Deshalb, so lehrt die Bibel in 1. Mose 11, schreitet Gott ein. Er schiebt dieser Hybris, diesem zerstörerischen Hochmut einen Riegel vor. Gott begrenzt, um zu bewahren. Gott schafft die sprachliche Einheit ab, damit der Mensch Mensch bleibt und damit ihm eben nicht alles möglich ist. Die Sprachbarrieren, die jetzt entstehen, sind letztlich keine Strafe Gottes, sondern sie bewahren vor dem Größenwahn. Gott verhindert die Einheitskultur. Ab jetzt gibt es verschiedene Völker. Sie »babbeln« verschiedene Sprachen, leben in ihren Ländern und entwickeln jeweils eigene Kulturen.

 

2.           Was diese Geschichte mit uns heute zu tun hat,

 

das ahnen wir schon. Die Erzählung vom Turmbau zu Babel steht nicht unter der Überschrift »Es war einmal«. Hier ist nicht von unserer fernen Vergangenheit die Rede, sondern von der Gegenwart. Uns wird der Spiegel vorgehalten. Denn auch im 21. Jahrhundert steht die Menschheit in der Gefahr, Grenzen zu überschreiten. Einerseits kann der Fortschritt kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir Geschöpfe sind und bleiben, weil Gott uns Grenzen gesetzt hat. Zum Beispiel vermag kein Mensch bis heute tote Materie zu beleben. Wir können wissenschaftlich nicht einmal lückenlos erklären, wie Leben auf der Erde entstanden ist. Andererseits können wir unser Genom auslesen und mit Gentherapie vieles bewirken. Zwar können wir zum Mond und zum Mars fliegen. Und wir können 15 Milliarden Lichtjahre weit ins Universum schauen. Andererseits dort liegt für uns der „Rand des Universums“. In unserer Wahrnehmung bleiben wir Menschen also begrenzt. Manche Biologen träumen davon, den Alterungsprozess der Körperzellen stoppen zu können. Der alte Wunschtraum ist ewige Jugend auf Erden. Aber der wird sich nicht erfüllen, und die Todesgrenze wird bleiben. Einerseits verbinden wir mit der fortschreitenden Globalisierung viele Möglichkeiten und Chancen. Aber sie hat bisher überhaupt nicht dazu geführt, dass die Menschheit grenzenlos in Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit zusammenleben kann. Ein letztes Beispiel zeigt die ganze Spannung aufm in der wir uns befinden. Die Bekämpfung der Corona-Pandemie zeigt auf, dass wir Menschen durch internationale Zusammenarbeit Großes leisten können. Aber gleichzeitig hatte ja die nahezu unbeschränkte Globalisierung maßgeblich dazu beigetragen, dass sich das Virus so schnell um den ganzen Globus ausbreiten konnte.

 

Bei aller Begrenzung hat der technische Fortschritt ungeahnte Ausmaße angenommen! Eine neue Welt-Einheits-Kultur entsteht. Wir sind schon wieder dabei, den Turm zu bauen, um uns einen Namen zu machen. Die Frage ist nur, ob sich dieser Turmbau am Ende als »Tor zum Himmel« oder als »Tor zur Hölle« entpuppt.

 

Müsste Gott angesichts dieser Entwicklung nicht bald wieder herabkommen und unserem Treiben Grenzen setzen? Müsste er nicht die Menschheit mit ihrer neuen Einheitskultur und mit der neuen Weltsprache wieder zerstreuen? Ich meine, dass er das getan hat und immer wieder tut. Meines Erachtens ist beispielsweise das Ende der Sowjetunion ein Eingreifen Gottes. Denn die zentralistische Regierung mit ganz viel Hang zur Unterdrückung und Vernichtung von Volksgruppen und Regimegegnern hat den Geist von Babel geatmet. Ebenso war die atheistische Maxime nichts anderes als Rebellion gegen Gott. Nach weniger als 70 Jahren war Schluss. Genauso ist es mit dem Nazi-Regime vor 76 Jahren. Die Bestrebungen in der Nazi-Ideologie „Ein Volk, ein Reich, ein Führer“ sind eine verblüffende Parallele zum Geist von Babel. Und Gott hat dem ein Ende gesetzt.

 

Aber darüber hinaus hat Gott sich noch für einen anderen Weg entschieden.

 

3.           Der Geist Gottes schafft Einheit über kulturelle Grenzen hinweg

 

Er ist tatsächlich noch einmal heruntergekommen. Nicht in seiner Allmacht, um über uns Stümper zu lachen, sondern aus Liebe, um sich über uns zu erbarmen. Nicht um zu zerstreuen, sondern um Frieden zu stiften. Gott ist gekommen, um neue Einigkeit über kulturelle Grenzen hinweg zu schaffen. Hier kommt das Pfingstevangelium ins Spiel. Gott überlässt uns nicht dem falschen Geist von Babel. Wo die Ruhmsucht, der Machttrieb von Menschen in der Weltgeschichte immer wieder für großes Leid und arroganten Atheismus gesorgt haben, da führt der Geist Gottes an Pfingsten die Menschen wieder mit Gott und den Mitmenschen zusammen. Und es gibt ein neues Zeichen, um das sich alle Menschen sammeln können: nicht den Tempelturm, sondern das Kreuz Jesu. Es ist das Zeichen der Einheit, die Gott haben will. Hier, unter dem Kreuz, lernen die Menschen die Ursprache Gottes, die Sprache des Glaubens und die Sprache der Liebe. Christus ist der Eine, der ganz darauf verzichtet hat, sich einen Namen zu machen. Deshalb hat Gott ihm einen Namen gegeben, der über alle Namen ist. Wer diesen Namen anruft, wird gerettet. Vertreter aus allen Völkern und gesellschaftlichen Schichten gehören durch den Heiligen Geist in einer Glaubensgemeinschaft zusammen. Der Geist Gottes wirkt durch die Vielfalt der Sprachen und Kulturen hindurch und schafft doch Einheit. Eine Einheit vor allem in der Liebe zu Jesus. Der Geist Gottes will, dass wir zusammenstehen, dass wir miteinander seinem Namen alle Ehre geben, dass wir in ihm eins sind.

Wir sind aufgefordert, unsererseits dann auch das aktiv zu wollen, was der Heilige Geist will. Wenn der Heilige Geist uns in alle Wahrheit führen will, dann müssen wir uns mit der Wahrheit des Wortes Gottes beschäftigen. Wer aber niemals in die Bibel schaut und sich nicht mit gesunder biblischer Lehre befasst, der wird auch nicht die befreiende und verändernde Wirkung der Wahrheit erfahren. Das ist so als ob man ein hart gekochtes Ei haben will, das aber nicht ins kochende Wasser gelegt werden soll. Wenn der Heilige Geist uns uns unter der Herrschaft Gottes zusammenführen will, dann müssen wir uns auch führen lassen. Er will uns Einigkeit und Zukunft geben. Wollen wir das auch? Und er will dafür sorgen, dass wir uns verstehen. Wollen wir einander verstehen? Dass wir eines Sinnes sind. Dass wir ein Ziel haben, dass wir den einen Gott und Herren ehren und loben. Wir sollen das aktiv wollen und tun, was er will! Und er will uns befähigen und bereit machen, für ihn und seine Ziele zu leben und zu arbeiten. Dann lasst es uns auch in der Kraft des Heiligen Geistes tun! Er schafft eine Einheit, die nicht gegen Gott steht, sondern unter Gott steht. Er schafft Verständnis und ein Miteinander, das ihm alle Ehre macht.

 

So ist das Pfingstfest das Gegenstück zum Turmbau zu Babel. Ich wünsche uns, dass Gottes Geist uns führt und leitet.

 

AMEN