Jesaja 2,1-5

 

 

 

Liebe Gemeinde!

 

Stellen wir uns folgendes Szenario vor. Vladimir Putin hat sich soeben mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj getroffen. Sie haben nicht nur eine Beilegung des Konfliktes vereinbart, sondern auch eine enge Zusammenarbeit, besonders in der Landwirtschaft beschlossen. Die russische Panzerproduktion soll umgewandelt werden in Traktorenbau. Neben den beiden Staatsmännern sitzt Baschar al-Assad, der den Friedensvertrag für Syrien unterzeichnet hat. Die Waffen sollen endlich schweigen. Neuwahlen sind angesetzt. Zwei Drittel der Waffen sind schon von den Vereinten Nationen eingesammelt worden. Schon nächsten Monat wird das Aufbauprogramm beginnen, und viele Menschen auf der Flucht können zurückkehren. Donald Trump meldet sich bei diesem Friedensgipfel auch noch mal zu Wort. Nein, nicht via Twitter oder über Facebook, sondern in einem handgeschriebenen Brief bittet er um Entschuldigung für seine Umwelt- und Flüchtlingspolitik. Er befürwortet es, wenn die USA zum Vorreiter in Sachen Klimaschutz werden und findet es gut, dass Migranten aus Lateinamerika in den USA herzlich willkommen sind.

 

Der türkische Präsident Erdogan gibt derweil eine Pressekonferenz und erläutert den Korrespondenten der Welt seine neue Linie. Der freie Journalismus soll gestärkt werden. Alle inhaftierten Journalisten sind schon frei gelassen worden. „Das war Unrecht“, sagt Erdogan selbstkritisch, „das müssen wir jetzt wieder in Ordnung bringen.“ Angela Merkel guckt nachdenklich aus dem Fenster. Soeben hat Deutschland alle Waffenexporte verboten. Auch Kleinfeuerwaffen, Pistolen, die so oft in falsche Hände geraten oder sogar von Kindersoldaten verwendet werden, dürfen nicht mehr exportiert werden. Stattdessen soll Bildung exportiert werden. Ein globales Schulprogramm wird aufgebaut. Sie guckt aus dem Fenster und blickt hinab vom Berg. Unten wird gefeiert. Statt brennender Autos und Steinewerfern sieht man Lagerfeuer und Kinder mit Stockbrot. Die Menschen feiern den Frieden. „Das wurde aber auch mal Zeit“, denkt Angela. „Jetzt kann ich getrost in Rente gehen.“

 

Verrückt, oder? So eine Vorstellung ist doch Utopie! Das ist doch völlig unrealistischer Quatsch, oder? Wir sind so sehr von der Realität geprägt, wir haben uns so sehr an schlechte Nachrichten gewöhnt, dass wir es uns verbieten, zu träumen. Wir ersticken solche Ideen und Visionen im Keim, weil wir uns keine falschen Hoffnungen machen wollen.

 

Auf der anderen Seite sind es gerade solche Utopien, die uns voranbringen. Es sind die Visionen, die uns motivieren. Jesaja hat solch eine Vision von Gott geschenkt bekommen.

 

Jesaja 2,1-5

 

1 In einer Offenbarung empfing Jesaja, der Sohn von Amoz, folgende Botschaft über Juda und Jerusalem:

 

2 Es kommt eine Zeit, da wird der Berg, auf dem der Tempel des HERRN steht, unerschütterlich fest stehen und alle anderen Berge überragen. Alle Völker strömen zu ihm hin. 3 Überall werden die Leute sagen: »Kommt, wir gehen auf den Berg des HERRN, zu dem Haus, in dem der Gott Jakobs wohnt! Er soll uns lehren, was recht ist; was er sagt, wollen wir tun!« Denn vom Zionsberg in Jerusalem wird der HERR sein Wort ausgehen lassen. 4 Er weist die Völker zurecht und schlichtet ihren Streit. Dann schmieden sie aus ihren Schwertern Pflugscharen und aus ihren Speerspitzen Winzermesser. Kein Volk wird mehr das andere angreifen und niemand lernt mehr das Kriegshandwerk. 5 Auf, ihr Nachkommen Jakobs, lasst uns in dem Licht leben, das vom HERRN ausgeht!

 

Was für eine imposante Schau in die Zukunft. „Es kommt eine Zeit“, in der das passieren wird. Aber diese Schau des Jesaja ist so anders als die prophetischen Worte, die die fünf Verse einrahmen. Die düsteren Gerichtsankündigungen in Kapitel 1 und ab Kapitel 2,6ff werden durch diesen Abschnitt unterbrochen. Ist das nur eine Vertröstung auf eine heile Welt, die vielleicht irgendwann eines Tages kommen wird? Ist das nur eine Ablenkung von der harten und unerquicklichen Wirklichkeit? Nein, denn gerade das Bild von den Schwertern, die zu Pflugscharen umgeschmiedet werden, ist eine hinlänglich bekannte Vision, die sich die Friedensbewegung zu eigen gemacht hat. Die Hoffnung darauf hat in den 1980er Jahren zu dem Motto der Friedensdekaden geführt: „Frieden schaffen ohne Waffen – Schwerter zu Pflugscharen“. Dazu gab es das Logo mit dem Bild der Bronzeskulptur des russischen Bildhauers Jewgeni Wutschetitsch, die die Sowjetunion 1959 der UNO geschenkt hat. Die Skulptur zeigt einen Mann, der ein Schwert zu einem Pflug schmiedet. Spannend ist der Text, der diesem Denkmal beigefügt wurde: „We shall beat our swords into plowshares. Geschenk der Union der sowjetisch-sozialistischen Republiken an die Vereinten Nationen“. Beachtenswert ist, dass das Bibelwort aus Jesaja 2,4 (bzw. Micha 4,3) zwar hier übernommen wurde. Aber ein kleines Detail haben die Stifter der Statue verändert. Im Bibeltext steht: „Dann schmieden sie aus ihren Schwertern Pflugscharen.“ Aus der prophetischen Heilsschilderung wird eine Willensbekundung, ein Gelöbnis.

 

Wie auch immer, in der Friedensdekade wurde ein wesentlicher Impuls für die friedliche Revolution im Herbst 1989 in der ehemaligen DDR gesetzt.

 

Aber ist es das schon, was der Bibeltext aus Jesaja 2 sagen will? Oder steckt in den Versen des Propheten noch viel mehr? Wir schauen mit Bedacht und aufmerksam in das Wort Gottes und merken auf die Botschaft, die Gott uns geben will. Der Berg des Herrn, von dem hier die Rede ist, ist der Zionsberg. Geografisch gesehen ist das der Hügel in Bereich der Stadt Jerusalem, auf dem der Tempel stand. Entscheidend bei diesem Berg ist aber nicht die Höhe in Metern über Normalnull. Sondern dieser Ort ist überragend, weil hier Gott seine Gegenwart verheißen hat, weil Gott hier seine Anwesenheit im Tempel manifestiert hat.

 

In der alten Welt galten Berge immer als Wohnungen der Götter. Wenn nun gesagt wird, dass der Berg, auf dem Jahwe wohnt, höher ist als alle Berge, dann ist damit keine territoriale Veränderung gemeint. Sondern dann heißt das, dass Jahwe allen andern Göttern und Religionen unübersehbar und himmelweit überlegen ist. Mehr noch: Wenn alle Heiden, alle Völker, alle Nationen zu diesem Gott kommen, dann wird der Gott Israels von allen Völkern anerkannt. Und das bedeutet das Ende aller Religionen, weil Jahwe allein wahrhaftig angebetet wird. Bei einem anderen Propheten namens Sacharja heißt es mit Blick auf diese letzte Zeit: „Und der HERR wird König sein über alle Lande. Zu der Zeit wird der HERR der einzige sein und sein Name der einzige“ (Sach 14,9).

 

Warum strömen die Menschen und Völker in Scharen auf den Tempelberg? Sie kommen nicht dorthin, weil sie die im alten Bund geforderten Opfer bringen wollen oder müssen. Von solchen Opfern ist überhaupt nicht die Rede, sondern von den Weisungen Gottes, von seinem Wort und von seinen Eingreifen, mit dem er zwischen den Völkern vermittelt und schlichtet. Die Weltgemeinschaft erkennt, dass nur Gott die Probleme der Völker lösen kann. Und weil das vordergründige Problem der Krieg ist, müssen die Nationen entwaffnet werden. Und das tun sie nun selbst. Warum? Weil sich auf magisch mysteriöse Art und Weise die politische Landschaft verwandelt hat? Weil alle so nett und guten Willens sind? Weil sie es sich vorgenommen haben? Nein! Die Umgestaltung der Lebensvernichtungsinstrumente in Werkzeuge zur Lebenserhaltung beruht auf der inneren Umwandlung der Menschheit. Der Wendepunkt liegt darin, dass die Menschen Gottes Herrschaft anerkennen und ihn über alles verehren. Und das tun sie, weil die Auflehnung gegen Gott und das Misstrauen gegen ihn überwunden wurde.

 

Gottes Vision für diese Erde hat von Anfang an alle Menschen und alle Völker im Blick. Es ging ihm niemals nur um das eine auserwählte Volk Israel. Sondern mit der Berufung von Abraham und dem Segen für ihn und seine Nachkommen hat Gott geplant, alle Nationen zu segnen („in dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden“ 1Mose 12,3). Das hat Gott nie aus dem Blick verloren, sondern zielstrebig darauf hingearbeitet, dass er mal ein weltumfassendes Friedensreich aufrichten wird. Verantwortlich dafür soll der Messias, der „Davidsohn“ sein, von dem in Jesaja 9 die Rede ist. In Jesaja 11 steht, dass dieses Friedensreich aber nur möglich ist, weil die Sünde, die Auflehnung und das Misstrauen gegen Gott überwunden ist. Wie das gelingen kann steht in Jesaja 53. Der Messias wird durch seine stellvertretende Lebenshingabe die Sünden und deren Konsequenzen für alle auf sich nehmen. Diese Vergebung und Rechtfertigung, die der Messias für alle Menschen ermöglicht, sollen bis an die Enden der Welt, bis zu den fernsten Völkern gebracht werden. Dieser Plan ist an etlichen Stellen in Jesaja nachzulesen. Wenn wir das alles zusammenfassen, dann führt zum rechten Verständnis von Jesaja 2 kein Weg an Jesus Christus vorbei. Denn sein Wort, sein Evangelium ging von Jerusalem aus in die ganze Welt. Dieses Evangelium wird mittlerweile in der ganzen Welt verkündigt. Und es verbindet Menschen aus allen Kontinenten und Nationen, die sich von Gott leiten und unterweisen lassen. Weil es also in Jesaja 2,1-5 tatsächlich darum geht, dass die Völker sich nach Gott austrecken, nach ihm fragen und ihn schließlich finden, dann dürfen wir dabei nie vergessen, dass nur Jesus Christus der Weg zu Gott ist.

 

Die Vision des Textes aus dem Prophetenbuch des Jesaja verweist auf die „letzte Zeit“, auf die Endzeit. Aber der Anfang ist gemacht. Und wir sollen in der Gegenwart schon entsprechend leben. Im Vers 5 werden wir eingeladen und aufgefordert, jetzt schon mit Gott, dem HERRN zu leben. Er ist unser Licht! Wörtlich werden die Nachkommen Jakobs angesprochen. Warum wird Jakob zweimal in dem kurzen Text erwähnt (vom Gott Jakobs ist im Vers 2 die Rede, die Nachkommen Jakobs werden im Vers 5 genannt)? Jakob war der Stammvater Israels. Aber Jakob war auch ein Betrüger, ein Gauner, ein Sünder. Wir sind nicht viel besser als Jakob, wir haben auch Dreck am Stecken. Und wir sind darauf angewiesen, dass Gott uns liebt und uns vergibt. Und darum sind wir auch aufgerufen, im Licht der Gegenwart Gottes zu leben. Sein Licht will uns erwärmen und erleuchten. Sein Licht will uns vergeben und uns reinigen. Sein Licht will uns befähigen, dass wir schon mal damit anfangen, in unserem Einflussbereich Schwerter umzuschmieden in Werkzeuge des Friedens. Lasst uns jetzt schon in seinem Licht leben und Hassworte in Liebeserklärungen verwandeln. Wir wollen den „fake news“ die „good news“ entgegensetzen, im Kanon singen anstatt Parolen brüllen, Gespräche suchen anstatt Feinde verfluchen, lieber Bleistiftminen zücken anstatt Landminen in die Erde drücken, liebe Gitarre anstimmen als Knarre anlegen. Und so beten und leben, wie es in dem bekannten Text formuliert wird, der Franz von Assisi zugesprochen wird:

 

Herr, mach mich zu einem Werkzeug deines Friedens,
dass ich liebe, wo man hasst;
dass ich verzeihe, wo man beleidigt;
dass ich verbinde, wo Streit ist;
dass ich die Wahrheit sage, wo Irrtum ist;
dass ich Glauben bringe, wo Zweifel droht;
dass ich Hoffnung wecke, wo Verzweiflung quält;
dass ich Licht entzünde, wo Finsternis regiert;
dass ich Freude bringe, wo der Kummer wohnt.
Herr, lass mich trachten,
nicht, dass ich getröstet werde, sondern dass ich tröste;
nicht, dass ich verstanden werde, sondern dass ich verstehe;
nicht, dass ich geliebt werde, sondern dass ich liebe.
Denn wer sich hingibt, der empfängt;
wer sich selbst vergisst, der findet;
wer verzeiht, dem wird verziehen;
und wer stirbt, der erwacht zum ewigen Leben.

 

AMEN