Unkraut im Weizen –
die letzte Entscheidung fällt Gott

 

 

 

Lesung des Predigttextes Matthäus 13,24-30.36-43

 

 

 

Liebe Freunde,

 

wie müsste die Welt aussehen, wenn der gute, großartige, herrliche, Gott regiert? Wenn das Reich Gottes weltumspannend ist, dann sind die Umstände und die Zustände doch einfach nur positiv. Dann wird das Übel beseitigt, dann gibt es keine Korruption und keine Kriege mehr, Diskriminierungen wird es nicht mehr geben, keine Pandemie und keine egomanen Politiker, die nur für sich und nicht für ihr Volk da sind. Der Heiland Jesus Christus macht die Menschen heil, in der Beziehung zu ihm und auch an Leib, Seele und Geist. Wenn Gott seine Herrschaft aufrichtet und antritt, dann macht er tabula rasa, reinen Tisch. Mit einem dramatischen Gerichtsakt wird er die Guten von den Bösen trennen, die Kinder des Lichtes von den Kindern der Finsternis. Alles Übel und alle üblen Menschen werden besiegt und beseitigt, verurteilt und vernichtet, damit die göttliche Herrschaft des Friedens und der Gerechtigkeit anbrechen kann. So sollte es sein.

 

Aber das alles ist nicht passiert und so ist es auch bis heute nicht geworden, nachdem Jesus den Anbruch des Reiches Gottes proklamiert hat. Es ist längst nicht alles gut. Genau wie Jesus es im Gleichnis sagt: Neben dem Weizen wächst unfassbar viel Unkraut. Neben dem Reich Gottes gibt es in erschreckendem Maße das Reich des Bösen. Neben dem beglückenden Heil von Menschen gibt so viel bedrückendes Unheil. Neben der Glückseligkeit verzweifeltes Elend.

 

Es ist schon eine heftige Herausforderung, mit der merkwürdigen Zweideutigkeit zu leben. Dabei gibt es die immer und überall. Es gibt eben nichts Vollkommenes auf dieser Welt. So banal der Ausdruck ist, so richtig ist diese Feststellung. Es gibt doch keinen Acker und keinen Garten, auf dem nur Ähren und nur schöne Blumen wachsen. Das Unkraut ist immer mit dabei. Und glaubt mir, das, was der böse Feind in der Erzählung von Jesus aussät, das ist wirklich Unkraut. Lolch ist giftig und tückisch. Bis zur Ausbildung der Ähren ist es nicht vom Getreide zu unterschieden. Es wurde damals tatsächlich als biologischer Kampfstoff eingesetzt, um die gesamte Ernte eines Gegners und somit den Feind insgesamt zu vernichten.

 

Jesus will mit diesem Gleichnis seine Jünger und darüber hinaus alle Menschen davor warnen, eigenmächtig und mit aller Gewalt die Welt von allem zu säubern, was ihrer Meinung nach nicht zum Gottes Reich gehört. Alle Versuche, mit Gewalt eine friedliche Welt zu schaffen, müssen scheitern.

 

Aber es muss doch besser werden in dieser Welt, es muss sich doch was ändern. Wir können doch nicht tatenlos zuschauen, wie das Unkraut wuchert. Ich kann die Knechte in dem Gleichnis so gut verstehen: sie wollen das Unkraut ausreißen.

 

Immer wieder werden Stimmen und Stimmungen laut, dass man doch unbedingt etwas gegen die Islamisierung machen muss. Ich will hier gar nicht die Pegida und AfD-Parolen wiederholen. Aber dahinter stecken diffuse Ängste und Befürchtungen. Die Werte und Prinzipien, die Kultur und die Verhaltensregeln, die Normen und die Überzeugungen sind uns fremd. Wir fühlen uns eingeengt und manchmal auch irgendwie bedroht. Die eine Reaktion ist die rigorose. Wir müssen uns vor dem Islam schützen, wir dürfen die nicht mehr in unser Land reinlassen, die werden uns überrollen und unser „christliches Abendland“ unter ihre Herrschaft bringen. Und, so wird auch dann weiter argumentiert, wenn in islamischen Ländern Christen verfolgt werden, dann müssen wir verhindern, dass bei uns Moscheen gebaut werden. Diese Unkraut muss ausgemerzt werden. Dem aber widerspricht Jesus.

 

Als seine Jünger ein Samariterdorf, das Jesus nicht aufgenommen hat, vernichten wollten, da hat er gesagt: „Wisst ihr nicht, welches Geistes Kinder ihr seid? Der Menschensohn ist nicht gekommen, das Leben der Menschen zu vernichten, sondern zu erhalten.“

 

Das andere ist, dass diese Haltung einen deutlichen Mangel im Bewusstsein der eigenen Identität offenbart. Der Weizen hört nicht auf, Weizen zu sein, weil Lolch neben ihm aufwächst. Ein gestandener Christ lebt seine Gotteskindschaft auch dann, wenn Atheisten oder Andersgläubige um ihn herum sind.

 

Ein weiteres „Unkraut“ in dem Zusammenhang ist nicht minder gefährlich. Wenn nämlich zwischen Weizen und Lolch nicht mehr unterschieden wird, wenn verkündet wird, dass der christliche Glaube und der Islam eigentlich das gleiche sind, dann ist das hochgradig gefährlich. Das ist Gift! Aber sollen wir die verwirrten Theologen samt ihren Irrlehren auf den Mond schießen? Ausmerzen? Vernichten? Ihnen die Lehrerlaubnis und die freie Rede verbieten?

 

Die Heimtücke des Feindes im Gleichnis liegt darin, dass das giftige Unkraut dem lebenswichtigen Getreide so entsetzlich ähnlichsieht. So stellt sich auch vieles im wirklichen Leben dar. Da gibt es diejenigen, die ihre Hoffnung und ihr Vertrauen ganz auf Jesus setzen. Die „Kinder des Reiches“ leben von der Gnade und Vergebung ihres Herrn, sie haben sich ihm mit Leib und Leben verschrieben. Und dementsprechend wollen sie so leben, wie es ihrem König entspricht und Ehre macht. Daneben aber gibt es auch eine Christlichkeit ohne Christus. Es gibt die Überzeugung, dass ein christliches Menschenbild, dass ein christliches Abendland und ein christlicher Humanismus und eine entsprechende Ethik wichtig sind. Und der Mensch sei edel und hilfreich und gut. Und viele erkennen an, dass überm Sternenzelt ein lieber Vater wohnen muss. Und dieser liebe Gott im Himmel, der wird uns schon gnädig sein, denn am Ende kommen wir alle, alle in den Himmel rein. Aber dieses christliche Standpunktgeschwafel und dieses Geschwätz von christlichen Prinzipien ist kein Weizen, es ist gefährlicher, giftiger Lolch. Wie soll man aber richtig damit umgehen???

 

Den „Lolch“ gibt es aber tragischerweise auch in der Theologie, in der Kirche, in der Gemeinde. Den gibt es sogar unter uns. Ja, es gibt Irrlehren in der Theologie. Die Lehre, dass Jesus nicht leibhaftig von den Toten auferstanden ist, sondern nur in den Glauben der Jünger hinein, klingt fromm und logisch, ist aber in der Konsequenz ein Desaster. Das permanente Sezieren der biblischen, heiligen Schriften mag der einen oder anderen literarischen Beobachtung Genüge tun, aber das schlichte Urvertrauen in das Reden Gottes in seinem Wort wird entleert und ausgehöhlt. Auch in der Kirche allgemein und in konkreten Gemeinde gibt es neben geisterfüllten Kindern Gottes die Taufscheinbesitzer und Kirchensteuerzahler. Es gibt liebevolle Mitarbeiter und unliebsame Mitläufer. Es gibt die Rechtgläubigen die mehr schlecht als recht Gläubigen. Es gibt die mit einem wahrhaftigen Heiligenschein und die unwahrhaftigen Scheinheiligen.

 

Und wir? Wir wollen entscheiden, wir wollen trennen, wir wollen sortieren? Warum Jesus es verbietet, liegt wahrscheinlich auf der Hand. Ich will es noch mal in drei Punkten kurz zusammenfassen.

 

1) Grundsätzlich halten wir fest, dass wir durch unsere Aktivität und persönlichen Einsatz das Böse in der Welt nicht ausrotten können. Denn letztlich haben wir es nicht mit irdischen, bezwingbaren Erscheinungen zu tun, nicht mit „Fleisch und Blut“, wie Paulus es schreibt, sondern mit Mächten und Gewalten, denen wir nicht gewachsen sind. Wenn wir es dennoch versuchen, müssen wir scheitern. Und wir würden zu fanatischen Weltverbesserern, wir würden zu Moralisten, die meinen, sie müssten - als die einzig edlen Menschen - die Tugendfahne hochhalten und die Laster ausrotten, das Raufen und Saufen unterbinden und die christlichen Werte propagieren. Aber würden wir dann nicht „Lolch“ ausraufen und stattdessen anderen Lolch für Weizen ausgeben?

 

2) Was in der Natur undenkbar ist, das ist in der geistlichen Wirklichkeit Gott sei Dank sehr wohl möglich. Lolch ist Lolch, und Weizen ist Weizen. Aber ein nur fromm angehauchter Mensch kann die wunderbare Tiefendimension des Lebens mit Jesus erkennen und sich bekehren. Ein Irrlehrer kann gerade in der Beschäftigung mit dem Wort Gottes zur geistgewirkten Erkenntnis gelangen und ohne pseudowissenschaftliches Seziermesser das Evangelium erfahren, glauben und erkennen. Und selbst Angehörige anderer Religionen können Christen werden, und zwar ganz besonders und ausgerechnet dann, wenn sie bei uns Christus in der praktizierten Nächstenliebe der Kirche erleben.

 

3.) Alles das bedeutet nicht, dass wir das Böse nicht böse nennen. Wir können Irrlehren identifizieren. Wir wissen, was Unkraut ist und was Weizen ist. Das spricht der Landwirt seine Knechten auch nicht ab. Aber er weiß, wie schwer die Pflanzen voneinander zu trennen sind, weil sich das Wurzelwerk ineinander verschlungen hat. Und auch das müssen wir sehr demütig erkennen, dass ja auch wir selbst nicht der lupenreine Weizen sind. Wir sind doch auch selbst in gewisser Weise verunkrautet. Der warnende Satz von Jesus „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet“ passt hier sehr gut. „Wir sollten lieber für die anderen beten, auch für uns selbst, die wir vom Sorgen- und Richtgeist und von der Selbstgerechtigkeit umklammert werden.“ So hat es Helmut Thielicke geschrieben. Beten, das steht uns besser zu Gesicht als zedern und verurteilen. Wir sollen als „Kinder des Reichs“ unseren Dienst tun und gemäß unserer Berufung und unserer Identität das Leben gestalten.

 

Von Thielicke übernehme ich auch das Schlusswort für meine Predigt. Jesus ruft uns zu: „Lasst nur beides miteinander aufwachsen und zur Reife kommen! Ihr könnt nichts daran ändern. Überlasst die Unterscheidung und die Scheidung von Kraut und Unkraut nur dem Gerichtstage Gottes. Das alles ist nicht eure Sache. Aber Gott wird die Sache schon zu seiner Zeit in die Hand nehmen.“

 

AMEN