Jesaja 11,1-10

 

Textlesung:
1 Ein Spross wächst aus dem Baumstumpf Isai, ein neuer Trieb schießt hervor aus seinen Wurzeln. 2 Ihn wird der HERR mit seinem Geist erfüllen, dem Geist, der Weisheit und Einsicht gibt, der sich zeigt in kluger Planung und in Stärke, in Erkenntnis und Ehrfurcht vor dem HERRN. 3 Gott zu gehorchen ist ihm eine Freude. Er urteilt nicht nach dem Augenschein und verlässt sich nicht aufs Hörensagen. 4 Den Entrechteten verhilft er zum Recht, für die Armen im Land setzt er sich ein. Seine Befehle halten das Land in Zucht, sein Urteilsspruch tötet die Schuldigen. 5 Gerechtigkeit und Treue umgeben ihn wie der Gürtel, der seine Hüften umschließt. 6 Dann wird der Wolf beim Lamm zu Gast sein, der Panther neben dem Ziegenböckchen liegen; gemeinsam wachsen Kalb und Löwenjunges auf, ein kleiner Junge kann sie hüten. 7 Die Kuh wird neben dem Bären weiden und ihre Jungen werden beieinander liegen; der Löwe frisst dann Häcksel wie das Rind. 8 Der Säugling spielt beim Schlupfloch der Schlange, das Kleinkind steckt die Hand in die Höhle der Otter. 9 Niemand wird Böses tun und Unheil stiften auf dem Zion, Gottes heiligem Berg. So wie das Meer voll Wasser ist, wird das Land erfüllt sein von Erkenntnis des HERRN. 10 Wenn jene Zeit gekommen ist, dann wird der Spross aus der Wurzel Isais als Zeichen dastehen, sichtbar für die Völker; dann kommen sie und suchen bei ihm Rat. Von dem Ort, den er zum Wohnsitz nimmt, strahlt Gottes Herrlichkeit hinaus in alle Welt.

 

 

 

Liebe Gemeinde,

 

vor einigen Wochen sind meine Frau und ich zusammen mit unserer Tochter den P10, der Premiumwanderweg rund um Reichenbach gelaufen. Als wir an dem Haus der Jugend an den großen Steinen links abgebogen sind, hat sich uns ein ziemlich trauriger Anblick geboten. Der Wald links des Weges war auf eine Tiefe von 50 Metern weg, wir haben nur noch Baumstümpfe und aus dem Erdreich rausragende Tellerwurzeln gesehen. Rechts des Weges hat sich das gleiche Bild geboten, nur war die Fläche noch viel größer. Es sah aus wie eine Kraterlandschaft. Ich weiß nicht, welches Sturmtief diese verheerende Wirkung hatte und mit ungeheurer Macht den Wald so verwüstet hat. Aber wenn sich uns so ein Anblick bietet, dann fragen wir natürlich, was dazu geführt hat, welche Faktoren und Umstände dazu beigetragen haben, dass Bäume und ganze Waldstücke buchstäblich umgehauen werden. Wir forschen in der Vergangenheit. Das ist nicht nur im Sinne der Ursachenforschung hilfreich, sondern auch dafür wichtig, damit wir aus den Fehlern der Vergangenheit lernen können. Und dann fragen wir nach den Prognosen und Perspektiven für die Zukunft. Mit Blick auf den Zustand des Waldes und den furchtbaren Folgen, die solche Sturmtiefs hervorrufen, kennen wir hinreichend die Ursachen. Der saure Regen, angereichert mit Giftstoffen, die Luftverschmutzung, die Klimaveränderungen, etliche Hitzeperioden und zu trockene Sommer haben der Gesundheit des Waldes geschadet. Durch die Klimaerwärmung nehmen auch die Stürme an Intensität und Heftigkeit zu. Wenn wir in die Zukunft des Waldes blicken, dann sehen wir viel Arbeit. Die Planung für einen robusten Mischwald mit entsprechenden Baumsorten und die Arbeit der Aufforstung.

 

Dieser Ausflug in den zerstörten Wald bei Reichenbach und der Exkurs zu den Ursachen und Konsequenzen des Waldsterbens hat ganz viel mit dem heutigen Predigttext zu tun. Denn darin geht es auch um den desolaten Zustand der Bäume, um die Ursachenforschung, um den Umgang mit der Katastrophe und die Zukunftsprognosen. Allerdings sind in dem Bibeltext keine Bäume im Sinne von Eichen oder Zedern gemeint. Sondern ein stattlicher Baum wird in der Bibel vielfach als Bild für einen Herrscher, König, Machthaber oder für ein ganzes Königreich verwendet. Der eindrücklichste Text diesbezüglich steht im Buch des Propheten Daniel, Kapitel 4 (das lohnt es nachzulesen). Die Verse aber, die unmittelbar vor unserem Predigttext stehen, erläutern in bildhafter Sprache, was zum Sturz von Herrschern und Machthabern führt:

„Seht doch, wie der HERR, der Herrscher über die ganze Welt, mit erschreckender Gewalt die Äste von den Bäumen schlägt! Die größten Bäume werden gefällt, die hochragenden niedrig gemacht. Das Dickicht des Waldes wird mit der Axt gelichtet, die Pracht des Libanons sinkt zu Boden“ (Jesaja 10,33-34). Es war also kein „Sturmtief“, es war keine Hitzeperiode, es war kein Klimawandel, was die Herrscher und Königreiche umgehauen hat. Sondern es war Gott selbst. Das hat Gott gemacht, aber nicht aus unkontrollierter Wut oder wegen gekränkter Eitelkeit. Sondern der gerechte Gott sieht die Boshaftigkeit, die Sünde, den Hochmut. Lange warnt Gott ja die Menschen. Immer wieder sind solche Worte zu hören, wie sie sogar noch Johannes der Täufer ausgerufen hat: „Zeigt durch euer Leben, dass ihr euch wirklich ändern wollt! Ihr bildet euch ein, dass euch nichts geschehen kann, weil Abraham euer Stammvater ist. Aber das sage ich euch: Gott kann Abraham aus diesen Steinen hier neue Nachkommen schaffen! Die Axt ist schon angelegt, um die Bäume an der Wurzel abzuschlagen. Jeder Baum, der keine guten Früchte bringt, wird umgehauen und ins Feuer geworfen“ (Matthäus 3,8-10). Nun, bei manchen Regenten der damaligen Zeit oder der Neuzeit sind wir ja ganz froh, dass Gott sie aus dem Weg geräumt hat, weil ihre Regentschaft überhaupt nicht gottgefällig und nicht zum Wohl des Volkes gewesen ist. Aber auch der Baum der David-Dynastie wird gefällt. (Isai war der Vater von David, deswegen wird sein Name hier erwähnt). Um es mal etwas sprachwitzig zu sagen: Der hatte doch einen guten Stammbaum! Da waren die Voraussetzungen gut. David, das war ein Mann nach dem Herzen Gottes. Und auch Salomo, sein Sohn und Nachfolger, war ein weiser und frommer König (mit einem leichten Hang zur Übertreibung). Manche von den Nachfolgern waren auch gar nicht schlecht. Aber es bewahrheitet sich in dieser Ahnenreihe, dass der liebe Gott keine Enkelkinder hat, sondern nur Kinder. Damit will ich sagen, dass es zwar segensreich und wertvoll ist, wenn man fromme Eltern und Großeltern hat. Aber das allein reicht nicht, um eine dauerhafte und gefestigte Lebensbeziehung zu Gott zu haben.

Im Königshaus in Jerusalem, das auf den legendären König David zurückgeht, hat das Misstrauen Gott gegenüber Einzug gehalten. Die Überheblichkeit und die Feigheit, der Populismus und die Scheinfrömmigkeit haben das Zepter in der Hand gehabt. Jesaja allerdings hatte den aktuellen König Ahas ermahnt und ermutigt, doch auf Gott zu vertrauen und ihm den Regentenstab zu überlassen. „Glaubt ihr nicht, so bleibt ihr nicht!“ Ich will uns an die sehr ausdrucksstarke Übersetzung aus der „Gute Nachricht“ Bibel erinnern: „Wenn ihr nicht (im Vertrauen) bei Gott bleibt, dann bliebt ihr überhaupt nicht“ (Jesaja 7,9). Das bewahrheitet sich. Spätestens im Jahr 587 vor Christus bleibt von dem prächtigen Baum der David-Dynastie nur noch ein Stumpf übrig. Das Königshaus wird von einem schweren Gericht Gottes getroffen. Dabei wollte Gott doch exemplarisch an seinem Volk zeigen, wie das ist, wenn Menschen regieren haben, die ihm vertrauen. Gott wollte durch die Könige in Jerusalem zeigen, wie das ist, wenn er selbst durch die Herrscher das Sagen hat.

Nun stellt sich hier aber die Frage ebenso wie beim Blick auf eine Waldfläche, auf der kein einziger Baum noch steht: was muss hier getan werden? Aufforsten, das war die Antwort, die ich vorhin mit Blick auf den Wald gegeben habe. Und wie sieht das beim Königshaus in Jerusalem aus? Wie ist das bei uns? Die verblüffende Antwort ist ein junger Trieb, ein kleiner Baum, der im Chaos kaum wahrgenommen wird. Da wächst was Neues heran. Und sofort wird deutlich, dass hier mit diesem Schössling ein neuer Regent gemeint ist. Ein neuer König wird angekündigt. Aber er ist nicht nur in dem Sinne neu, dass er ein anderer ist. Sondern neu ist er auch in seiner Beziehung zu Gott, in seiner Ausstattung und Begabung. Dieser Herrscher ist ausgestattet und begabt mit dem Geist Gottes. Wenn wir die Wirkungen der Geistbegabung alle zusammenzählen, dann kommen wir auf insgesamt sieben Attribute (wer es fassen kann, der bringe diese Stelle mit der Zahl Sieben in Verbindung mit Offenbarung 3,1, wo von Jesus Christus die Rede ist, der die sieben Geister Gottes hat). Der Geist des Herrn also stattet den hier angekündigten Messias, den von Gott autorisierten König, aus. Drei Eigenschaftspaare nennt der Text. Der „Geist der Weisheit und des Verstandes“ begabt den Messias mit intellektuellen Fähigkeiten. Er ist in der Lage, Situationen richtig einzuschätzen und Zusammenhänge zu verstehen. Der „Geist des Rates und der Stärke“ gewährleistet, dass der neue König etwas planen und auch umsetzen kann. Er kann Perspektiven aufzeigen und dann die Angelegenheit in Angriff nehmen. Und schließlich ist da noch der „Geist der Erkenntnis und der Furcht des Herrn“. Dieser Herrscher lebt aus der Beziehung zu Gott und hat darum Einsicht in Gottes Willen. Und das ist gepaart mit der Achtung vor Gott und seinen Geboten.

Das alles sind Attribute, die den Königen im Volk Gottes damals und den Herrschern der anderen Länder gefehlt haben. Und wenn wir uns die Regierenden heute anschauen, dann offenbaren sich so manche Defizite. Aber gehen wir ruhig noch einen Schritt weiter und stellen fest, dass es nicht nur denen, die politische Verantwortung tragen, an so manchen guten Eigenschaften fehlt. Sondern uns geht es nicht anders. Weisheit und Verstand, Planungskompetenz und Handlungsfähigkeit, Erkenntnis des Willens Gottes und Ehrfurcht vor seinen Anweisungen – davon könnten wir alle eine ganze Menge gebrauchen.

Ein erster Schritt in die richtige Richtung wäre deshalb der, dass wir unsere Bedürftigkeit zugeben, dass wir unsere Defizite eingestehen und erkennen, dass wir diesen König brauchen und auf die Gabe seines Heiligen Geistes angewiesen sind. Und dann wäre es angebracht, wenn wir ihn, den Messias, ihn den Sohn Gottes Jesus Christus bitten würden, dass er uns seinen Geist gibt.

Wir haben ja in unserer deutschen Sprache den Ausdruck „Wess‘ Geistes Kind du bist“. Genau das ist erstrebenswert, dass wir eines Geistes mit Jesus sind und dass wir wissen, „wess‘ Geistes Kind wir sind“, nämlich des Heiligen Geistes, den Jesus uns geben will.

 

Nun werfen wir aber noch einen Blick in die Zukunft, die anbricht, weil Jesus Christus in der göttlichen Kraft und Vollmacht mit dem Heiligen Geist lebt und regiert. Die erste Auswirkung wird sein, dass Jesus mit Gerechtigkeit regieren und richten wird. Ich hatte in der letzten Predigt ja angekündigt, dass ich heute über das Friedensreich Jesu etwas sagen will. Ich verstehe die Bibel so, dass Jesus eine gewisse Zeitspanne lang auf dieser Erde regieren wird. Gemeinhin wird diese Epoche das Tausendjährige Reich genannt (die N Nazis haben diesen biblischen Ausdruck pervertiert). In dieser Epoche herrschen Frieden, Gerechtigkeit und Wahrhaftigkeit. In dieser Epoche werden die gegensätzlichsten Tiere, Nutztiere und ihre schlimmsten Raubtierfeinde, friedlich beieinander leben. Auch schutzbedürftige Menschen können gefahrlos mit tödlich gefährlichen Tieren zusammenspielen. Und das Miteinander der unterschiedlichen Menschen wird geprägt sein von der Gegenwart und der Erkenntnis Gottes.

Wenn wir mit diesen Augen der prophetischen Phantasie in die Zukunft blicken, dann macht das doch Hoffnung. Denn dieser Spross, von dem Jesaja spricht, der ist erschienen: Jesus, der Sohn Gottes, ist gekommen. Er will uns mit seinem Geist gut regieren und uns sogar seinen Geist geben. Zwar können wir das Friedensreich nicht gründen, aber unter seiner Leitung und Regentschaft können wir in seinem Frieden leben und seinen Frieden um uns herum verbreiten.

AMEN