Predigt über Jesaja 6,1-10

 

Liebe Gemeinde!

 

Es ist schon was Spannendes mit den Texten aus der Bibel. Einerseits sind sie historische Dokumente und Berichte, die ganz und gar hineingehören in das zeitliche Umfeld. Andererseits wirken sie weit über den geschichtlichen Horizont hinaus bis in unsere Zeit hinein. Einerseits ist das sehr persönlich, privat, geradezu intim, was Menschen in der Bibel mit Gott erleben. Andererseits berühren diese Begegnungen zwischen Gott und Mensch alle Menschen zu allen Zeiten. Einerseits sind die politischen und gesellschaftlichen Umstände mit unserer Situation nicht zu vergleichen. Und andererseits gibt es „nichts Neues unter der Sonne“ und wir können viele Parallelen ziehen.

 

Das historische Umfeld, in dem das passiert ist, was ich uns gleich vorlese, sah so aus: Nach 52 Jahren Regentschaft stirbt der judäische König Usia. Er war eine starke Konstante in der Entwicklung seines Landes. Frieden, Wohlstand, stabile Verhältnisse waren Folgen seiner Politik und seiner Frömmigkeit. Er trat in die Fußstapfen seines Urahnen David. Aber der Erfolg stieg ihm zu Kopf. Er wurde stolz und überheblich und erdreistete sich, im Tempel höchstpersönlich auf dem Räucheraltar Weihrauch zu verbrennen. Das aber stand ihm nicht zu, sondern nur den geweihten Priestern. Der Hohepriester Asarja und 80 weitere mutige Priester wollten Usia davon abhalten. Der aber hat die Zurechtweisung wutschnaubend zurückgewiesen. Als Konsequenz zieht Gott den König aus dem Verkehr. Usia erkrankt unmittelbar an Aussatz und muss die letzten Jahre seines Lebens und seiner Regentschaft in Quarantäne verbringen. Sein Sohn Jotam übernimmt die Regierungsgeschäfte. Auch wenn Usia also bestenfalls noch im Hintergrund regiert hat, war sein Tod doch ein einschneidendes Ereignis. Denn die außenpolitischen Feinde, die Assyrer, werden immer mächtiger und bedrohlicher. Und nun ist der langjährige König tot. In diese Zeit voller Ungewissheit und Unsicherheit erlebt Jesaja etwas Einmaliges.

 

Liebe Freunde, in unseren Unsicherheiten dürfen wir Anteil haben an dem Erleben des Jesaja. Jeder von uns hat Fragen und Befürchtungen. Wie geht es weiter mit oder nach Corona? Wie wird es sein, wenn wir gebrechlicher und hilfloser werden? Bleiben die gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse stabil? Heute ist Landtagswahl in Sachsen-Anhalt, im September ist Bundestagswahl. Das alles und vieles mehr in unserem ganz privaten und persönlichen Umfeld ist mit Unsicherheiten verbunden. Aber der Gott, den Jesaja schaut, ist und bleibt der ewig Gleiche: der immer Heilige, der für alle Menschen Bedrohliche und der Gnädige.

 

In dem Jahr, als der König Usija starb, sah ich den Herrn sitzen auf einem hohen und erhabenen Thron und sein Saum füllte den Tempel. Serafim standen über ihm; ein jeder hatte sechs Flügel: Mit zweien deckten sie ihr Antlitz, mit zweien bedeckten sie ihren Leib und mit zweien flogen sie. Und einer rief zum andern und sprach: Heilig, heilig, heilig ist der HERR Zebaoth, alle Lande sind seiner Ehre voll!

 

Und die Schwellen bebten von der Stimme ihres Rufens und das Haus ward voll Rauch. (Jes 6,1-4)

 

Neben allen Unsicherheit und Bedrohungen, die das Land belasten, sieht Jesaja in einer Vision Gottes Ordnung und unumschränkte Herrschaft über die ganze Welt. Wir gewinnen hier mit Jesaja Einblick in Gottes unsichtbare Welt. Das eröffnet uns ganz neue Perspektiven und lässt uns erkennen, dass Gott nicht banal, unwichtig oder nebensächlich ist. Sondern der himmlische Thron ist besetzt. Und da sitzt Gott!

 

Das erste, was uns dieser Text über Gott offenbart ist:

 

1.           Gott ist heilig.

 

In meiner ersten Predigt über Jesaja (1,1-9) habe ich das schon mal entfaltet, will es aber hier gern nochmal wiederholen und vertiefen. Vielen gläubigen und frommen Menschen geht es wie selbstverständlich über die Lippen: „Ja, ja, klar: Gott ist heilig. Sicher.“ Aber das hat ja Gewicht, das hat Bedeutung, das hat umwerfende Auswirkungen. Heilig bedeutet, dass Gott ganz anders und unerreichbar ist, abgesondert und getrennt von uns Menschen ist. So ist Gott. Schauen wir Jesaja über die Schulter und blicken mit ihm in den himmlischen Thronsaal. Was wir da sehen zeugt von der Heiligkeit des lebendigen Gottes. Wir bekommen eine Ahnung von der Größe und Machtfülle Gottes. Jesaja beschriebt mit stammelnden und unvollkommenen Worten, dass Gott ALLES ausfüllt. Der Saum, also lediglich das Zipfelchen seines königlichen Gewandes füllt den ganzen Himmel aus. Denn beim Ausdruck Tempel ist hier nicht an den Tempel in Jerusalem zu denken, sondern an den Himmel. So groß ist Gott. So erhaben.

 

Dann nimmt Jesaja wahr, dass Gott umgeben ist von feurigen Engelswesen. Serafim nennt er sie. Das hebräisch „saraf” heißt brennen, feurig sein. Die Serafim sind Engelwesen, die zum himmlischen Hofstaat gehören. Es scheint fast unmöglich, sie sich vorzustellen. Es sind Engel, die in der Gegenwart Gottes sein können, die Gottes Nähe aushalten. Diese reinen Himmelswesen umgeben Gott, sie dienen ihm, sie beten ihn Tag und Nacht an. Jesaja sieht sie mit sechs Flügeln ausgestattet. Mit zweien bedecken sie ihr Gesicht. Sie wagen es nicht, den heiligen Gott anzuschauen. Denn auch sie sind Geschöpfe Gottes. Der Heiligkeit Gottes begegnen auch die Engel in einer großen Ehrfurcht und Demut.

 

Jesaja sieht, wie die Serafim ihren Körper mit einem Flügelpaar bedecken. Selbst diese reinen Wesen bedürfen in der Gegenwart Gottes der Verhüllung. Denn sie stehen nicht vor irgendeinem, sondern vor dem heiligen Gott. Auch die Serafim können ihm nicht einfach so begegnen.

 

Und schließlich sieht Jesaja, dass die Engel fliegen. Sie sind in der Gegenwart des Heiligen Gottes beweglich. Sie fliegen sicher nicht im Himmel nach Lust und Laune hin und her, sondern sie fliegen um den herum, der auf dem Thron sitzt. Im Himmel dreht sich alles um den heiligen, erhabenen Gott.

 

Die Engel zollen dem Heiligen Ehre und Anbetung. Sie rufen ihm zu, dass er heilig, erhaben, einzigartig, souverän ist. Und genau der sitzt auf dem himmlischen Thron. Der lebt und regiert von Ewigkeit zu Ewigkeit. Darum gebührt ihm alle Verehrung und Anbetung auch von uns!

 

Das alles löst eine große Erschütterung aus. Aber nicht nur im Tempel, sondern auch bei Jesaja. Diese Reaktion bei Jesaja, diese Erschütterung zeigt uns einen zweiten Gesichtspunkt auf, wie Gott ist.

 

2.           Gott ist bedrohlich.

 

In Jesaja 6,5 lesen wir: „Da sprach ich: Weh mir, ich vergehe! Denn ich bin unreiner Lippen und wohne unter einem Volk von unreinen Lippen; denn ich habe den König, den HERRN Zebaoth, gesehen mit meinen Augen.“

 

Jesaja ist zutiefst erschüttert und entsetzt. Er nimmt von Gott nur ein Zipfelchen seines ganzen Wesens wahr, erlebt, wie die himmlischen Wesen Gott begegnen und weiß: das halt ich nicht aus. Das ist ein Unding für mich sündigen Menschen. Ich muss zwangsläufig vergehen. Vor dem heiligen Gott kann kein Mensch bestehen. Jesaja fühlt sich von diesem Gott tödlich bedroht. Vor dem Heiligen erkennt der Prophet: ich bin schuldig, unrein. Das ist etwas anderes als ein oberflächliches Gerede: „Wir sind alle kleine Sünderlein.” Wenn Gott den Nebel vor unseren Augen wegwischt und wir uns so sehen, wie er uns sieht, dann kommt es zu diesem „Wehe mir!”

 

So ist Gott tatsächlich. Vor ihm kann ich nicht bestehen. Gott ist kein Schmusegott, nicht der Kumpel, mit dem mein Leben etwas besser gelingt als ohne ihn. Er lässt nicht mal fünfe gerade sein. Der heilige Gott spricht uns auf unsere Schuld an. Und plötzlich wird uns wie dem Jesaja bewusst, was für sündige Menschen wir doch sind.

 

Wie sehr die Heiligkeit Gottes bedrohlich für uns sündige Menschen ist, das wird auch an der Gerichtsbotschaft deutlich, die Jesaja ausrichten soll. Davon lesen wir in den Versen 9 und 10:

 

Und Gott sprach zu Jesaja: „Geh hin und sprich zu diesem Volk: Höret und verstehet's nicht; sehet und merket's nicht! Verstocke das Herz dieses Volks und lass ihre Ohren taub sein und ihre Augen blind, dass sie nicht sehen mit ihren Augen noch hören mit ihren Ohren noch verstehen mit ihrem Herzen und sich nicht bekehren und genesen.“

 

Gott nimmt die Sünde nämlich ernst. Und es ist beileibe nicht so, wie Heinrich Heine oder der Philosoph Voltaire oder auch Katharina die Große gesagt haben: „Gott wird schon vergeben, das ist schließlich sein Job“ («Dieu pardonne, c’est son metier«). Nein, die Strafe für die Schuld fällt nicht einfach aus. Sie wird angekündigt. Aber die Reaktion der Menschen ist bestürzend. Die Zuhörer sind so sehr in ihrer Sünde verhaftet, dass sie für das Wort Gottes gar nicht mehr empfänglich sind. Die Leute sind wie vernagelt, wie verblendet, taub. Sie schotten sich ab und tun so, als gäbe es Gott nicht, als hätten sie mit ihm gar nichts zu tun. Die Selbstverhärtung des Menschen und das Verstockungsgericht Gottes liegen hier ineinander.

 

Der Text eröffnet aber noch eine weitere Eigenschaft Gottes und die Perspektive, dass der heilige Gott in allem Hoffnung und Zukunft für sein Volk und die Menschen hat. Damit kommen wir zum dritten Punkt:

 

3.           Gott ist gnädig!

 

Dieser dritte Aspekt hebt die ersten beiden nicht auf! Vielmehr bietet er uns überhaupt eine Chance, vor dem großen, heiligen und bedrohlichen Gott bestehen zu können. Gott ist gnädig. Die Serafim bezeugen das bereits in ihrem himmlischen Lobgesang, dort im Gottesdienst im Himmel. Sie rufen „Heilig, heilig, heilig ist der Herr Zebaoth.“ Der Wortstamm in der deutschen Sprache hat seine Verwurzelung in dem Wort „heil“. Und wir haben eine Vorstellung, wie es ist, heil zu sein. Heil, ganz, gesund, unversehrt, völlig und vollständig. Absolut und perfekt. So ist Gott: ganz und gar heil. Und dieser heilige Gott, der vollkommen heil ist, will mit uns zu tun haben. Er will uns nahe sein. Er will uns Anteil geben an seinem Heil. Seine Herrlichkeit, seine Ehre, sein göttliches Licht will alles erfüllen. Er will uns also heil und damit selbst uns heilig machen.

 

Denn so soll es sein, so will es Gott, und so wird es am Ende sein. Seine Herrlichkeit ist ja auch tatsächlich sichtbar geworden. Im Neuen Testament steht, dass die Herrlichkeit Gottes in seinem Sohn Jesus auf die Erde gekommen ist. Durch seinen Sohn Jesus Christus kommt der heilige Gott gnädig auf uns zu.

 

Damals im Jahre 739 v.Chr. schreit Jesaja im Bewusstsein seiner Schuld und Sünde er seine Bestürzung Gott entgegen. Und Gott hört den angsterfüllten Ruf eines Menschen, dem seine Schuld sehr bewusst ist. In dem Moment, als Gott diesen Schrei hört, muss ein Serafim seinen Lobpreis unterbrechen, seinen Platz verlassen und sich um das gebrochene Herz kümmern. Vom Opferaltar nahm er eine Kohle, berührte die Lippen des Propheten und sprach: „Deine Schuld ist von dir genommen und deine Sünde gesühnt.“ Das ist das ermutigende Wort des Evangeliums. Gott gewährt Vergebung.

 

Martin Luther hat gesagt, dass Gott ein glühender Backofen voller Liebe ist. Das passt meines Erachtens sehr gut in diesen Zusammenhang. Gott brennt vor Liebe zu uns. Und aus lauter Liebe wird er Mensch für uns. Aus lauter Liebe geht Jesus durch das Feuer des Leidens und der Sühne für unsere Schuld. Darum ist es seine glühende Liebe zu uns, mit der er uns vergibt. Das ist Gnade.

 

Und in seiner Gnade will der heilige Gott den Menschen seine Gnade nahebringen. Gott fragt: „Wen soll ich senden? Wer will unser Bote sein?” Das deutsche Wort Gnade kommt ja von „genahen”. Gott will uns Menschen nahekommen. Und wenn Gott sich uns naht, dann will er uns ganz erfüllen. Dann will er uns vergeben und uns ganz in seinen Dienst stellen. Dann will er uns senden. Jesaja jedenfalls erlebt die Berufung, die Indienststellung durch den heiligen Gott als eine Gnade.

 

Wir lernen Gott etwas besser kennen durch unseren heutigen Predigttext. Er bleibt weiter der Heilige, der Erhabene. Als der Heilige ist er für den misstrauischen und überheblichen Menschen eine Bedrohung. Aber er ist auch der gnädige und barmherzige Gott. Wir dürfen niemals eines gegen das andere ausspielen, sondern uns alle drei Attribute Gottes erstnehmen.

 

Und ich glaube, dann wird der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus bewahren.

 

AMEN