Johannes 8,3-11

 

Liebe Gemeinde,

heute treffen wir Jesus in Jerusalem. Er sitzt in einem Seitenraum des Tempels und lehrt. Er legt das Alte Testament aus, und viele hören zu. Da passiert Folgendes:

„Da brachten die Schriftgelehrten und die Pharisäer eine Frau, beim Ehebruch ergriffen, und stellten sie in die Mitte und sprachen zu ihm: Meister, diese Frau ist auf frischer Tat beim Ehebruch ergriffen worden. Mose hat uns im Gesetz geboten, solche Frauen zu steinigen. Was sagst du? Das sagten sie aber, um ihn zu versuchen, auf dass sie etwas hätten, ihn zu verklagen.“

1.             Ein klarer Fall. Oder: Wem gehören unsere Sympathien?

Für die Pharisäer ist die Geschichte dieser Frau ein klarer Fall. Sie wurde in flagranti beim Ehebruch erwischt. „Du sollst nicht ehebrechen.“ So sagt es unmissverständlich das sechste Gebot. Die Ausführungsbestimmungen in 3. Mose 20,10 regeln ebenso klar: „Wenn jemand die Ehe bricht … soll er des Todes sterben.“ Also: Das Wort Gottes ist an dieser Stelle völlig eindeutig. Zudem gibt es an der objektiven Schuld dieser Frau nach dem Bericht des Johannesevangeliums nichts zu deuteln. Deswegen müssen wir gar nicht lange diskutieren. Nach der biblisch gültigen Grundlage muss Jesus die Frau schuldig sprechen. Trotzdem: Wenn ich uns frage, wem unsere Sympathien gehören, dann stehen wir doch alle auf der Seite der Frau, oder? Denn der Gedanke, dass jemand wegen Ehebruchs gesteinigt werden soll, ist uns heute absolut zuwider. Das mag man sich gar nicht ausmalen, was das in unserer Zeit bedeuten würde …. Wenn ich es richtig sehe, ist Ehebruch heute gesellschaftlich gar nicht mehr so geächtet. Dabei darf man aber nicht übersehen, dass es für den jeweils betrogenen Ehepartner eine Katastrophe ist. Aber in der Literatur und in vielen Filmen wird doch so argumentiert: „Was soll man denn machen? Wenn man jemand Neues kennenlernt und sich verliebt und es in der eigenen Ehe auch nicht mehr richtig stimmt, dann kann man doch nichts dagegen machen.“ Und wer weiß, warum die Frau in unserer Geschichte mit einem anderen Mann ins Bett gegangen ist? Man kann sich doch viele Gründe denken. Und deswegen sind bis hinein in ganz fromme Kreise viele dabei zu sagen, dass wir die alten biblischen Texte neu interpretieren müssen. Wir müssen das Wort Gottes unserer Wirklichkeit anpassen und es nicht als einen starren Rahmen gegen unsere Gefühle und Bedürfnisse verwenden. Ernsthaft: das ist die Denkweise von nicht wenigen Menschen in Kirchen und Gemeinden. Wir müssen das Wort Gottes zeitgemäß interpretieren. Und dann passt das schon alles ganz gut. Aber ist das die richtige Lösung und die stimmige Antwort auf das Problem?

Soweit eine erste Vermutung, warum wir auf der Seite der Frau stehen. Die zweite Vermutung hat mit den Anklägern und ihrem Image zu tun. Denn je näher wir uns mit dem biblischen Bericht befassen, desto unsympathischer werden uns die Pharisäischer und die Schriftgelehrten. Es ist doch offensichtlich, dass für sie ist die Frau nur Mittel zum Zweck ist. Sie benutzen die Ehebrecherin, um Jesus eins auszuwischen. Sie missbrauchen die Frau und ihren Fehltritt, um einen Anklagegrund gegen ihn zu haben. Darum stellen sie ihm eine Falle. Wenn er sich auf die Seite des Gesetzes stellt, dann verliert er viele Sympathien. Damals im Volk und bis heute bei uns. Wenn aber mal wieder sein weiches Herz durchkommt und er die Frau freispricht, verstößt er gegen Gottes Wort, die Tradition Moses und die aktuelle Rechtslage. Dann können sie Jesus anklagen, und dann ist er auch weg vom Fenster. Sympathisch ist das nicht. Vor allem, wenn man sich das Gesetz Moses zum Thema genauer ansieht. Dort macht sich nicht nur die Ehebrecherin, sondern auch der Ehebrecher schuldig und verdient dieselbe Todesstrafe wie sie. Aber von dem Mann sieht man hier nichts. Vielleicht dachten die Ankläger, dass sie mit einer Frau leichteres Spiel haben würden. Ein Skandal, so wie es bis heute ein Skandal ist, dass vor allem Frauen weltweit zu Missbrauchsopfern werden. Wie aber geht Jesus mit dieser Falle um? Wie stellt er sich zum göttlichen Recht? Beugt er das Wort Gottes? Passt er es dem Zeitgeist an? Wir hören, wie es weitergeht.

„Aber Jesus bückte sich nieder und schrieb mit dem Finger auf die Erde. Als sie ihn nun beharrlich so fragten, richtete er sich auf und sprach zu ihnen: Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie. Und er bückte sich wieder und schrieb auf die Erde. Als sie das hörten, gingen sie hinaus, einer nach dem andern, die Ältesten zuerst; und Jesus blieb allein mit der Frau, die in der Mitte stand.“

2.             Eine überraschende Wende. Oder: Lässt Jesus Gnade vor Recht ergehen?

Irgendwie eine coole Geschichte. Da wollen die Pharisäer Jesus eine Falle stellen, aber Jesus dreht den Spieß um: Am Ende fühlen sich die Pharisäer ertappt und verkrümeln sich. Fertig ist die Geschichte. Aber langsam, nicht so schnell. Ganz so einfach ist die Sache dann doch nicht. Denn am Schluss lesen wir nichts von einem Triumphgeschrei Jesu oder der Frau. Schauen und hören wir also genauer hin. Wie reagiert Jesus auf die Anklage der Frau durch die Pharisäer und die Falle, die sie ihm damit stellen? Zunächst völlig überraschend. Jesus sagt gar nichts. Er bückt sich zu Boden und schreibt mit dem Finger auf die Erde. Könnt ihr euch diese Szene vorstellen? Das Ganze spielt sich irgendwo auf dem Tempelgelände ab. Da ist Jesus. Dann sehen wir die Volksmenge, die ihm zuhört und die im Halbrund um ihn herum steht. Die Ankläger sind auch da, ganz eifrig und voller hämischer Erwartung. Und wir sehen die Frau mutterseelenallein in der Mitte. Nun bückt sich Jesus und schreibt auf den Boden. Was mag er da geschrieben haben? Wir wissen es nicht so genau. Vielleicht hat er eines der Gebote aufgeschrieben? „Du sollst nicht begehren deines Nächsten Frau?“ Dann wäre seine Botschaft klar: „Ihr lieben Schriftgelehrten. Auch wenn ihr diese Frau als Ehebrecherin vorführt, seid ihr nicht besser als sie. Eure Gedanken und Gelüste sind auch nicht sauber.“ Oder Jesus malt nur so im Sand herum und bremst damit die Ankläger aus. Dann würde er sagen: „Ihr Eiferer, nun mal langsam. Kommt erst einmal zur Besinnung über euch selbst und eure heimlichen Motive.“ Oder Jesus setzt ein alttestamentliches Prophetenwort um. Nach Jeremia 17 schreibt Gott die Abtrünnigen auf die Erde in den Staub, weil sie den lebendigen Gott verlassen haben. Wörtlich steht in Jeremia 17,13: „Alle, die dich verlassen, müssen zuschanden werden, und die Abtrünnigen müssen auf die Erde geschrieben werden; denn sie verlassen den Herrn, die Quelle des lebendigen Wassers.“ Was in den Staub, was auf die Erde geschrieben wird, das hat keinen Bestand. Es wird nicht lange dauern, dann sind die Namen vom Winde verweht. Dann gibt es kein Gedenken mehr, keine Erinnerung, weder bei Menschen noch bei Gott. Wenn Jesus sich mit Bezug auf Jeremia 17 gebückt und auf die Erde geschrieben hat, dann kündigt er bereits das Gericht Gottes über die Ankläger an. Aber er lässt ihnen noch Zeit zur Umkehr. Wie dem auch sei. Jesus sagt nicht Ja oder Nein zur Anklage der Pharisäer, sondern wendet sich an sie persönlich: „Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein.“ Jesus verhandelt nicht den Fall dieser Frau, sondern den Fall der Ankläger. Er wendet sich an diejenigen, die meinen, dass sie mit dem lieben Gott im Reinen sind. Schließlich seien sie ja lange nicht so schlimm wie die anderen. Da wird Jesus grundsätzlich. „Wer ist denn unter euch ohne Sünde?“ Oder anders gefragt: „Wer hält sich wirklich komplett an Gottes Willen, ohne einen Kompromiss mit der Sünde einzugehen? Wer als Antwort auf diese Frage den Finger heben kann und sagen kann: „Ich habe eine weiße Weste, ich bin lupenrein“, der darf den ersten Stein auf diese Frau werfen.“

Hier will ich die Predigt mal für zwei Minuten unterbrechen. Bedenkt bitte mal die Situation und überlegt, was passiert wäre, wenn einer tatsächlich den ersten Stein geworfen hätte? Zwei Minuten, in denen ihr euch ruhig auch mit eurem Nachbarn unterhalten könnt.

Was auf diese Ansage Jesu folgt, ist überraschend – oder auch nicht!? Die Ankläger verschwinden. Sie gehen einer nach dem anderen und gestehen damit ein: Wir sind nicht ohne Sünde. Spannend ist, dass nicht nur die Ankläger verschwunden sind, sondern das normale Volk auch. Also nicht nur die frommen Pharisäer, sondern auch die „Normalos“ haben verstanden, dass auch sie keinen Platz unter den Sündlosen haben. Auch sie stehen vor dem Richterstuhl Gottes ohne Entschuldigung da. Dann passiert, was man bei Jesus schon ahnen konnte. Er lässt die Frau laufen. „Ich verurteile dich auch nicht. Du kannst gehen.“ Welch ein Aufatmen muss da durch die Frau gegangen sein. Gerade noch den sicheren Tod durch Steinigung vor Augen – und nun Freispruch. Gerade noch den Hass der Ankläger im Nacken – und nun den liebevollen Blick des Heilands vor Augen. Welch eine Änderung – durch Jesus. Er lässt Gnade vor Recht ergehen, oder? Das ist gut für die Frau im Tempel und gut für uns Ehebrecher mit Taten, Worten und in Gedanken, oder? Endlich wird unser Gewissen frei, oder?

Halt! Ist das wirklich so? Streicht Jesus Gottes Gebote durch und passt sie der Wirklichkeit an?

3.             Ein nachdenklich machender Schluss. Oder: Wie finden Gnade und Recht zusammen?

„Da richtete Jesus sich auf und sprach zu ihr: Wo sind sie, Frau? Hat dich niemand verdammt? Sie aber sprach: Niemand, Herr. Jesus aber sprach: So verdamme ich dich auch nicht; geh hin und sündige hinfort nicht mehr.“

Jesus fordert die Frau auf, nicht mehr zu sündigen. Das heißt dann aber doch: Was hinter ihr liegt, ist Sünde, oder? Dann ist Ehebruch also doch Sünde, auch in den Augen Jesu. Er hat zu den Anklägern nicht gesagt: „Das Gebot Gottes gilt nicht mehr, packt die Steine ein“, sondern im Gegenteil: „Setzt das Gebot Gottes um. Werft den Stein, um das Urteil zu vollstrecken.“ Puh. Das ist heftig. Bei Jesus gibt es also keinen Zeitgeistrabatt und auch keine Sympathiepunkte, die zu einem Straferlass führen. Aber Jesus hält den Anklägern und jedem im Volk einen Spiegel vor. Das Gebot Gottes gilt nicht nur für diese Frau, sondern es gilt für alle. Dadurch wird klar: „Hier ist keiner, der gerecht ist, auch nicht einer.“ So hat es der Apostel Paulus später im Römerbrief (3,12) formuliert. Doch halt! Das gilt zwar für uns alle, für uns Normalos! Aber es gibt eine einzige Ausnahme. Und diese Ausnahmeerscheinung ist Jesus. Er könnte die Frau verurteilen. Er hätte das Recht dazu, als Sohn Gottes und sündloser Mensch. Aber er tut es nicht. Das, ihr Lieben, das ist Gnade. Aber es ist keine Gnade, die das Recht außer Kraft setzt. Denn dieser Jesus, der so barmherzig mit einer Sünderin umgeht, ist auf dem Weg zum Kreuz. Unsere Geschichte ist eigentlich schon eine Passionsgeschichte. Jesus sagt nicht: „Es ist egal, liebe Frau, was war. Schwamm drüber und mach weiter.“ Sondern er sagt und lebt: „Es ist schlimm, was geschehen ist, aber ich nehme dir die Schuld und die Strafe ab. Darum darfst du neu leben. Aber: Sündige hinfort nicht mehr.“ Das ist die Gnade des Evangeliums. Jesus trägt die Strafe des Gesetzes und macht uns frei für ein neues Leben in seiner Nachfolge.

Wir, die wir heute hier im Gottesdienst sind, wir wollen mit unserer Sünde nicht weglaufen. Wir wollen die Sünde, und uns, die Sünder, nicht weiter verstecken. Kommt, wir gehen zu Jesus! Er sagt uns zu: „Dir sind deine Sünden vergeben. Geh hin und sündige hinfort nicht mehr.“ Und wenn wir Sünde beim anderen entdecken, dann wollen wir sie nicht bagatellisieren und angepasst kleinreden. Aber wir wollen uns auch nicht über den anderen erheben. Wir sitzen im selben Boot. Wo wir können, sollen wir vergeben und helfen zu einem neuen, besseren Leben mit Jesus. Denn Jesus ist ja auch mit uns barmherzig.

Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn.

AMEN