Hiobs Botschaft und die Frage nach dem Leid

 

 

 

Liebe Freunde,

 

die Frage nach dem Leid begegnet uns und überfällt uns immer wieder. Und sie betrifft uns. Das meine ich wörtlich. Leid trifft uns wie ein Blitz aus heiterem Himmel, wie eine Lawine im Sommer, wie eine Flutwelle in der Wüste. Leid kündigt sich selten an. Aber es ist immer wieder da, es gehört dazu. Dabei will ich gar nicht differenzieren zwischen großem, schwerem Leid und vergleichsweise geringfügiger Belastung. Objektiv betrachtet scheint der Männerschnupfen sicher nicht so tragisch zu sein wie ein gebrochener Fuß. Und vielleicht sind manche Menschen auch wehleidiger als andere. Aber das will ich hier nicht bewerten. Nachdem wir uns den Hiob angeschaut haben, werdet ihr das selbst einordnen und einschätzen können, wie und was Leid ist.

 

Interessant ist ja, dass fast alle Menschen nach Gott fragen, schreien, rufen, wenn Leidvolles passiert. Warum lässt Gott das zu? Wenn es diesen Gott gibt, dann sollte er doch eingreifen, dann sollte er doch helfen, bewahren, zurechtbringen. Denn tief in uns steckt die Lebensmaxime, dass wir auf der Erde, damit es uns möglichst gut geht, damit wir möglichst gesund sind und bleiben und dass wir möglichst alt werden. Und das erhoffen und erwarten wir nicht nur für uns, sondern auch für unsere Allernächsten, für unsere Liebsten und Freunde. Dafür sind wir auf dieser Erde. Und Gott möge uns dabei bitteschön beistehen und uns unterstützen. Das ist ja gar keine schlechte Lebenseinstellung. Klar wollen wir, dass es uns und unsere Lieben gut geht. Und in der Bibel wird immer wieder darauf hingewiesen, dass wir auch einiges dafür tun können, dass das so ist. „Wer möchte gern gut leben und schöne Tage sehen?“ Diese gute Frage steht im Psalm 34. Der Psalm sagt uns auch gleich, wie das gelingen kann: „Behüte deine Zunge vor Bösem und deine Lippen, dass sie nicht Trug reden. Lass ab vom Bösen und tu Gutes, suche Frieden und jage ihm nach.“ Das klingt doch wie ein Rezept gegen schlechtes Leben und leidgeplagte Tage. Aber unserer Erfahrungen und andere Aussagen aus der Bibel widersprechen dem Rezeptdenken und der Vorstellung: „Bist du brav und fromm, geht’s dir gut. Bist du böse und gottlos, geht’s dir schlecht.“ Das Hiob-Buch ist der krasseste Beleg dafür, dass dieser so genannte „Tun-Ergehen-Zusammenhang“ keine Gesetzmäßigkeit ist, der sich Gott unterwirft.

 

Und doch suchen wir nach Gründen und nach nachvollziehbaren Regeln oder Gesetzmäßigkeiten, warum es das Leid gibt und wieso es uns trifft. Es muss doch eine Erklärung geben. Manches lässt sich auch erklären. Wer sein Leben lang übermäßig Alkohol konsumiert, wer also säuft wie ein Loch, der muss damit rechnen, dass ihm die Leber das übelnimmt. Wenn dann nach der Fettleber die Leberzirrhose kommt, ist es nicht angebracht zu rufen: „Gott, warum trifft mich dieser Schicksalsschlag?“ Wer mit überhöhter Geschwindigkeit über die Landstraße brettert und in der Kurve die Kontrolle über das Fahrzeug verliert und einen Horrorunfall hat, kennt die Gründe. Und diese Person trägt dann auch die Schuld am Leid, das den Mitfahrern passiert. Wenn Naturkatastrophen ganze Landstriche verwüsten, wenn Sonneneruptionen magnetische Stürme auf der Erde auslösen, dann können wir nichts machen, dann ist das so. Und wenn wir ein gewisses Alter erreichen, dann haben wir mit entsprechenden Problemen zu kämpfen.

 

Aber so richtig befriedigend ist das alles nicht. Denn sollte Gott nicht größer sein als die Naturereignisse, als der Zerfallsprozess in unserem Körper und die Bosheit und Dummheit von Menschen?

 

Ganz und gar nicht befriedigend sind die möglichen Antworten auf die Frage nach dem Leid, wenn es einen trifft wie Hiob. Er wird uns wie folgt vorgestellt (Hiob 1,1-3):

 

„Im Land Uz lebte ein Mann namens Hiob, der rechtschaffen und aufrichtig war. Weil er Ehrfurcht vor Gott hatte, hütete er sich davor, Böses zu tun. Er hatte eine große Familie mit sieben Söhnen und drei Töchtern und besaß riesige Viehherden: 7.000 Schafe und Ziegen, 3.000 Kamele, 500 Rindergespanne und 500 Esel, dazu sehr viele Hirten und Mägde. Hiob war der reichste und angesehenste von allen Herdenbesitzern im Osten.“

 

Und Gott selbst, der Hiob seinen Freund nennt, stellt ihm folgendes Zeugnis aus (Hiob 1,8b): „Ich kenne keinen zweiten auf der Erde, der so rechtschaffen und aufrichtig ist wie er, der mich achtet und sich nichts zuschulden kommen lässt.“ Ein Mann ohne Fehl und Tadel. Ein Musterexemplar seiner Gattung. Einer, der so lebt, wie Gott sich das vorgestellt hat. So sieht gottgefälliges Leben aus. So will Gott den Menschen haben. Und so einem darf doch nicht so was Schlimmes widerfahren. Warum? Wenn irgendwo die Frage berechtigt ist, dann hier. Und wenn ihr jetzt meint, dass ich mit einer Predigt die Frage nach dem Warum klären kann, dann muss ich euch enttäuschen. Auch nach den insgesamt fünf Predigten werden wir nicht allgemeingültige Antworten haben.

 

Das Buch Hiob beginnt mit einer Ortsangabe, die auf den ersten Blick nichtssagend ist. Er lebt in Uz, und kein Mensch weiß genau, wo das liegt. Die wenigen Hinweise beim Propheten Jeremia deuten an, dass diese Gegend keine heile Welt ist. Auch Hiob lebt nicht mehr im Garten Eden, sondern jenseits von Eden. Er wohnt außerhalb der sündlosen Gemeinschaft mit Gott. Hiob lebt da, wo selbst guten Menschen schlimme Dinge passieren.

 

Wir leben in dieser Welt außerhalb des Paradieses. Wir sind hineingeboren in ein Leben, das unter dem Bruch mit Gott, das unter diesem Zerbruch leidet. Darum erleiden wir nicht nur den Männerschnupfen, sondern auch den Verlust und den Schmerz und den Tod. Die Bibel, das Wort Gottes an uns Menschen, ist da sehr ehrlich und sehr realistisch. Gottes Wort spricht ganz offen davon, dass wir mit Leid zu kämpfen haben. Auch die Frommen, auch die Guten. Jesus sagt zum Beispiel in Johannes 16,33: „Ich habe euch das alles gesagt, damit ihr durch mich Frieden habt!“ Was ist das alles? Es bezieht sich auf die Kapitel 14 bis 16, in denen er von seinem Weggang und Abschied und von der Trauer der Jünger spricht, er spricht vom Kommen des Trösters (des Heiligen Geistes) vom Hass der Welt. Und dann sagt er: „Dies alles habe ich euch gesagt, damit ihr durch mich Frieden habt. In der Welt habt ihr Angst (engl. trouble), aber lasst euch nicht entmutigen: Ich habe die Welt besiegt.“ Weil Jesus weiß, dass wir in einer Welt voller trouble leben, deswegen redet er so ausführlich über seinen Frieden, über den Heiligen Geist, den wir dringend als Tröster brauchen. Wir brauchen den Trost in dieser Welt. Und es gibt noch so viele andere wunderbare Zusagen Gottes, die uns so guttun. Aber diese Verheißungen sind deswegen so wohltuend und so notwendig, weil wir Schmerzen und Leiden erleben. In Römer 8,28 und einigen nachfolgenden Versen steht: „Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Guten mitwirken.“ Alle Dinge, damit meint Paulus die schmerzhaften Dinge. Die zählt er dann auf: Leiden, Angst und Verfolgung, Hunger oder Kälte, Gefahren für Leib und Leben oder gar die Hinrichtung. Dann schreibt er weiter: „Ich bin ganz sicher, dass nichts uns von seiner Liebe trennen kann: weder Tod noch Leben, weder Engel noch Dämonen noch andere gottfeindliche Mächte, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Himmel noch Hölle. Nichts in der ganzen Welt kann uns jemals trennen von der Liebe Gottes, die uns verbürgt ist in Jesus Christus, unserem Herrn.“ Das alles kann Gott nicht daran hindern, uns durch seinen Sohn Jesus abgrundtief zu lieben. Aber das alles kann uns widerfahren. Oder wenn wir im Alten Testament lesen: „Wenn du durch Wasser gehst, will ich bei dir sein, dass dich die Ströme nicht ersäufen sollen; und wenn du ins Feuer gehst, sollst du nicht brennen, und die Flamme soll dich nicht versengen“ (Jesaja 43,2). Wunderbare Zusagen, die aber voraussetzen, dass es in lebensbedrohliche Situationen gehen kann. Wenn du den Eindruck hast, dass Gott es nicht gut mit dir meint, wenn du dir sicher bist, dass Gott sich warum auch immer von dir abgewandt hat, dann brauchst du diese Versprechen. Oder in Jesaja 42,3 steht der Spruch, den manche kennen, und die ihn kennen, die lieben ihn: „Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen.“ Auch das bedeutet, dass wir wahnsinnig geknickt sein können, dass wir fast keinen Funken Hoffnung mehr haben. Aber dann macht Gott dir nicht den Garaus.

 

Wir leben noch in dieser Welt, in der es Leid gibt. Das, was wir erhoffen, was wir uns von Herzen wünschen, dass es kein Leid und keine Schmerzen und keine Tränen mehr geben wird, das wird es erst im Himmel geben. So wird es uns in Offenbarung 21 zugesagt.

 

Kommen wir zurück zu Hiob. Die Erzählung der Geschichte spielt sich auf zwei Ebenen ab. Die untere Ebene handelt auf der Erde, im Osten, im Lande Uz. Die obere Ebene befindet sich im Himmel. Von dem, was sich in dieser Dimension ereignet, wissen Hiob und seine Familie und seine Freunde, die ihn dann besuchen, nichts.

 

Wir betrachten die Szene, die uns ab Vers 6 geschildert werden:

 

„Eines Tages versammelten sich die Engel im Himmel und traten vor den Herrn, unter ihnen auch der Satan.

 

«Woher kommst du?» fragte ihn der Herr. «Ich habe die Erde durchstreift», gab dieser zur Antwort. Der Herr erwiderte: «Dann ist dir sicher auch mein Diener Hiob aufgefallen. Ich kenne keinen zweiten auf der Erde, der so rechtschaffen und aufrichtig ist wie er, der mich achtet und sich nichts zuschulden kommen lässt.»

 

«Überrascht dich das?» fragte der Satan. «Er tut's doch nicht umsonst! Du hast ihn, seine Familie und seinen ganzen Besitz stets bewahrt. Seine Arbeit war erfolgreich, und seine Herden haben sich gewaltig vermehrt. Aber - versuch es doch einmal und lass ihn Hab und Gut verlieren, dann wird er dich ganz sicher vor allen Leuten verfluchen.» «Gut», sagte der Herr, «mach mit seinem Besitz, was du willst, nur ihn selbst taste nicht an!» So verließ der Satan den Herrn und die Engel.“

 

Ich will versuchen, in aller Kürze etwas über den Satan zu sagen, der hier erwähnt wird und der auf den ersten Blick der elende Drecksack ist, der Schuld hat an dem ganzen Schlamassel. Wir können manchen Andeutungen der Bibel entnehmen, dass es sich bei dem Satan um einen hochrangigen Engel aus der ewigen Welt Gottes handelt, der sich aber gegen den heiligen und souveränen Gott empört hat. Er hat den Aufstand geprobt und bei dieser Rebellion viele andere Engel mit auf seine Seite gezogen. Darum wird er der Satan, das heißt der Widersacher genannt. Er ist der Vater der Lüge von Anfang an, so sagt es Jesus. Und so ist auch sein Auftreten im Paradies, als er Adam und Eva ebenfalls zum Ungehorsam gegen Gott verführt. Er pervertiert die Wahrheit durch kleine, geringfügige Verschiebungen. Er sät Zweifel und Misstrauen. Er verbiegt die Wahrheit. Sein Ziel ist es, Gott zu beleidigen, zu kränken, indem er die Gemeinde Jesu durch Verführung und Verfolgung verderben will. Dabei verstellt er sich auch als „Engel des Lichtes“, er tarnt das Böse so, als sei es gut und gaukelt uns vor, das Gute sei eigentlich böse. Manchmal gibt er sich lammfromm und geht mit dem Wort Gottes um. Aber letztlich will er nicht das Leben, sondern den Tod.

 

In meiner nächsten Predigt werde ich darauf noch mal eingehen. Hier will ich festhalten, dass Gott alles, was dem Hiob passiert, nicht aus dem Ruder geraten ist. Die Szene im Himmel zeigt uns, dass Gott nicht geschlafen hat, als den Hiob das Leid getroffen hat. Das war kein Regiefehler. Das war auch keine unverzeihliche Niederlage Gottes, bei der er sich dem Satan geschlagen geben muss. Was passiert, hat Gott im Blick, unter Kontrolle und er begrenzt es. Er hat den Überblick und den Durchblick. Und das gilt auch für uns. Im Psalm 139,16 steht, dass Gott uns schon gesehen hat, als uns noch gar nicht gegeben hat, und alle Tage waren bei ihm schon in seinem Buch aufgeschrieben, die noch werden sollten. Diese Allmacht Gottes, von der im Buch Hiob mehr als in allen anderen Schriften der Bibel die Rede ist, bedeutet nicht, dass Gott ein Drehbuch für unser Leben geschrieben hat und wir nur noch nach seiner Pfeife tanzen, ob wir das nun wissen und wollen oder nicht. Aber Gott hat das Heft in der Hand. Er kennt und bestimmt zum Beispiel den Tag, wann meine Zeit hier abgelaufen ist. Er kannte auch den 06. Februar 2002. Meine Frau hat an dem Vormittag ihren 40. Geburtstag mit ein paar Freundinnen gefeiert. Ich war unterwegs. Als ich nachhause kam, höre ich auf dem Anrufbeantworter die tränenerstickte Stimme meiner Schwester, dass unser Vater gestorben ist. Er ist von der Leiter gefallen, Herzinfarkt, er war gleich tot. Gott hat dem Leben unseres Vaters eine Grenze gesetzt, und an dieser Grenze hat Papa die Ziellinie überschritten und war am Ziel seiner Lebensreise angekommen. Gott kennt den Zeitpunkt, an dem mein Leben hier ein Ende hat und ans Ziel kommt. Gott hat aber nicht nur dem Leben eine Grenze gesetzt, sondern er hat auch das Leid begrenzt. Gott lässt es zu, dass dem Hiob der Besitz genommen wird, sein Leben darf der Satan nicht antasten. Gott begrenzt das Leid. Er hat es im Blick, als ich am 13. Oktober 1969 bei einem Unfall unter den Schlepper geraten bin und einen komplizierten Beinbruch erlitten habe. Er hat mich darin aber auch bewahrt, dass ich fast keine körperlichen Spätfolgen habe und dass die noch recht junge Seele eines siebenjährigen nicht Schaden genommen hat. Gott entgleitet nichts, auch nicht dann, wenn wir leiden.

 

Und Gott ist nicht derjenige, der kalt wie eine Hundeschnauze das alles regungslos aus seiner hohen Warte verfolgt. Es gibt in der Religionsphilosophie den Begriff „Antipathie-Axiom“. Antipathie ist das Gegenteil von Sympathie und Empathie. Antipathie sagt aus, dass jemand gar nicht in der Lage ist, mit anderen mitzuleiden. Auf Gott bezogen hieße das folgendes: Gott ist das höchste und absolute und souveräne Sein. Deswegen ist er auch leidensunfähig, sonst wäre er nicht mehr Gott. Außerdem will Gott ja die Vergänglichkeit und den Tod und das Leiden überwinden, demnach muss er auch über der Vergänglichkeit, dem Tod und dem Leiden stehen.

 

Das würde für Hiob und uns alle bedeuten, dass es Gott kalt lässt, wie es uns geht. Die Bibel spricht da zum Glück eine ganz andere Sprache. Da ist ganz oft vom Mitleid Gottes die Rede. Sei es bei dem Volk Israel in der ägyptischen Sklaverei; angesichts der Feinde, die das Volk im verheißenen Land immer wieder bedrohen und ausrauben; sei es, dass er betrübt und zornig ist wegen der andauernden Sünde seines Volkes, dann aber doch wieder barmherzig ist und die Schuld vergibt und austilgt. Oder wir lesen von der Liebe Gottes wie die eines Ehemannes, der seine Frau trotz ihrer Seitensprünge abgrundtief liebt. Gott kann uns so gut leiden, deswegen leidet er auch mit, wenn wir leiden.

 

Aber Menschenskind, wenn Gott doch so mitfühlend ist, wenn er bei uns ist auch im allertiefsten Leid, warum begrenzt er es dann nur? Warum verhindert er es nicht? Dann müssen wir nicht leiden, dann muss er nicht leiden!

 

Hier stoßen wir auf ein Geheimnis, das ich in der nächsten Predigt noch ausführlicher beleuchten will. Soviel will ich zum Abschluss aber noch sagen: Gott liebt uns Menschen. Und er will, dass wir ihn lieben. Unsere Liebe will er sich nun allerdings nicht erkaufen oder einfach so nehmen. Er will unsere Liebe weder durch Manipulation noch durch Zwang oder Gewalt erlangen. Er will uns nicht ködern und nicht erpressen, auch nicht mit Geschenken locken und mit Gaben nötigen. In seiner freiwilligen Selbstbeschränkung aus Liebe ringt er darum, dass wir ihm um seinetwillen lieben. Denn das ist die Frage: Lieben wir Gott, weil er uns beschenkt und vor Leid bewahrt? Oder lieben wir ihn und leben mit ihm, weil der Gott ist? Darauf werde ich in der nächsten Predigt nochmal eingehen.

 

AMEN