Hiobs Botschaft – mehr als ein Happy-End

 

 

 

Liebe Freunde,

 

auf meine Predigten über Hiobs Botschaft habe ich einige dankbare Rückmeldungen bekommen. Bei den Reaktionen war auch eine E-Mail mit folgenden Fragen: „Warum spricht Gott nie seine Wette mit dem Teufel an? Er betont seine Größe, erklärt Hiob aber nicht, warum ihm all das Unglück passiert ist. Was meinst du, warum das nicht zur Sprache kommt? Merkwürdig finde ich auch, das Hiob zwar danach wieder Kinder bekommt, aber ich den Eindruck habe, dass sie austauschbar sind (die ersten sind tot - nehmen wir halt einfach neue). Hast du dafür eine Erklärung?“

 

Vielen Dank für die Fragen. Ich werde im Lauf der Predigt darauf eingehen und hoffe, dass ich befriedigende Antworten finde.

 

Das erste Wort übrigens in der Frage aus der Mail lautet „Warum“. So fangen fast alle Fragen an. Auch die von kleinen Kindern. „Warum?“ Je nach Alter klingt das so: „W’rummm?“ Sagst du dem Kind, was es tun oder lassen soll, kommt „W’rummm?“. Erklärst du, dass es Zeit ist, ins Bett zu gehen: „W’rummm?“. Musst du ihm was wegnehmen: „W’rummm?“. Nur wenn du deinem Kind etwas gibst oder tust, worüber es sich freut, dann kommt keine „Warum-Frage“.

 

Eltern kennen die große Herausforderung und Problematik, diese Warum-Fragen befriedigend zu beantworten. Manchmal scheitern wir an unserer mangelnden Geduld. Oder wir verzweifeln an der Unfähigkeit, komplexe Sachverhalte kindgerecht zu erklären. Aber meistens ist es schlichtweg nicht möglich, einem Zweijährigen die schwierigen Zusammenhänge und weitreichenden Konsequenzen zu erklären. Das ist nicht ganz so einfach, wenn das Kind den Kippschalter von der Mehrfachsteckdose auf „Aus“ stellt und dann dem Computer und dem Router Knall auf Fall der Saft abgedreht wird. Für ein kleines Kind ist es eine Überforderung, das alles mit dem elektrischen Strom und Computer zu verstehen (das ist für viele von den Erwachsenen auch zu hoch).

 

Wir fragen ja auch „W’rumm?“, wenn es um die umfassenden und komplizierten Fragen rund um das Leid geht. Und Hiob hat das auch getan. Aber Gott beantwortet dem Hiob diese Frage bis zum Schluss nicht. Es könnte sein, dass er das deswegen nicht tut, weil Hiob und wir es gar nicht begreifen können. In Jesaja 55 sagt Gott, dass seine Gedanken nicht unsere Gedanken sind, dass unsere Wege nicht seine Wege sind. Sondern so viel der Himmel höher ist als die Erde, so sind auch seine Wege höher als unsere Wege und seine Gedanken höher als unsere Gedanken.

 

Aber wir verstehen Gott nicht und fragen und klagen, wir werfen die Warum-Frage auf und wir beschweren uns bei Gott über Gott. Wir machen das wie ein Zweijähriger. Wenn der keine Antwort bekommt, die er begreift, dann schimpft er und regt sich auf. Er beklagt sich auf das heftigste. Könnt ihr euch vorstellen, wie sich das anhört, wenn der Wortschatz des Kindes noch nicht so groß ist? Hädide hä bäh, (hier versagen die Möglichkeiten des Schreibens, weil das so herrliche Laute der kindlichen Empörung sind). Und was denkt die Mama? Tut mir leid, mein Kleiner, aber ich kann’s dir nicht erklären. Du wirst es nämlich nicht verstehen. Und er Knirps motzt und schimpft weiter. Und das darf er. Weil er das Kind seiner Eltern ist. Und je nach Dicke des Geduldsfadens halten das die Eltern auch aus. Irgendwann ist der Dreikäsehoch größer und er wird Worte finden, mit denen er sich bei seinen Eltern beschwert. Er wird fragen „Warum?“. Und das ist ok. Denn Kinder haben die Vertrauensbeziehung zu den Eltern.

 

So ist das bei Hiob und Gott. Hiob versteht es nicht. Nein, er kann es auch nicht verstehen. Darum klagt er Gott an. Und das hält Gott aus, weil er darin sieht, dass Hiob eine Beziehung zu ihm hat.

 

Aber in seinen Leiderfahrungen und in den unmittelbaren Reden Gottes lernt Hiob ihn noch auf eine ganz neue und viel tiefere Weise kennen. Hiob erkennt an, dass Gott so viel größer und herrlicher ist, als er es sich jemals überhaupt ausmalen konnte. Darum bekennt Hiob sich schuldig. „Darum spreche ich mich schuldig und tue Buße in Staub und Asche“ (Hiob 42,6).

 

Was ist passiert? Seinen vermeintlichen Freunden gegenüber hat er immer seine Unschuld betont. Welcher Schuld bezichtigt er sich jetzt selbst? Hiob ist nicht schuldig, weil er geklagt hat. Der Frust und der Ärger über das Leid sind auch nicht seine Schuld. Auch sonst kann man ihm kein Fehlverhalten vorwerfen.

 

Sondern das ist seine Schuld, dass er Gottes Wesen und Handeln mit den Mitteln der menschlichen Weisheit begreifen wollte. Hiob wollte Gott mit menschlichen Maßstäben beurteilen. Schuld ist nicht zuallererst und ausschließlich das, was wir falsch gemacht haben. Wir denken ja meistens, dass wir doch ganz anständige Menschen sind und dass Gott mit uns keine Probleme hat. Lügen, stehlen, betrügen, töten und so weiter, das machen wir ja gar nicht. Aber Gott fragt nicht zuerst nach den Taten, sondern nach unserer Haltung, nach der Herzenseinstellung. Wie sehen wir Gott? Welche Herzenshaltung nehmen wir ihm gegenüber ein? Hiob sagt, dass er eine viel zu kleine Sicht auf Gott hatte. Er sagt: Gott, ich hatte von dir nur vom Hörensagen vernommen. Meine Kenntnis von dir beruhte auf einer verkürzten Sichtweise.

 

Wenn Hiob damals schon 3D-Kino gekannt hätte, dann hätte er es so ausgedrückt. Ich habe dich so gesehen, als wollte man einen 3D-Film im Kino ohne 3D-Brille anschauen. Habt ihr das mal gemacht? Man sieht schon was von dem Film. Aber natürlich längst nicht so klar und faszinierend, als wenn man die Brille aufhätte, sondern sehr unscharf. Entsprechend fällt dann das Urteil aus: Der Film ist blöd. Dabei ist nicht der Film blöd, sondern dir fehlt die 3D-Brille. Und Hiob sagt: Ich hatte die 3D-Brille nicht. Hiob kannte Gott, er vertraute Gott, er lebte mit Gott und für Gott. Hiob wusste viel. Und Gott nennt ihn schon am Anfang seinen Vertrauten. Seinesgleichen gibt es nicht auf Erden. Und doch hat Hiob den Eindruck, dass er eine zu kurze Sicht von Gott hat. „Vom Hörensagen“ hatte ich eine Ahnung von dir.

 

Wenn Hiob das schon von sich so sagt, wie sehr muss das auf viele Menschen heute zutreffen. Die Kenntnis über Gott ist in unserer Gesellschaft so gering und das Wissen über ihn ist so verkürzt. Selbst das Konfirmandenwissen ist unterirdisch minimal. Viele wissen tatsächlich nichts mehr über die großen christlichen Feste. Viele setzen die großen Erzählungen der Bibel mit Grimms Märchen gleich. Dem entsprechend sind die Vorstellungen über Gott nichts anderes als Zerrbilder. Und dann werden über ihn die wildesten Gerüchte in die Welt gesetzt. Was er sagt, wird in Zweifel gezogen. Was er tut, wird lächerlich gemacht. Da hat natürlich der Teufel auch seine Finger im Spiel. Der setzt zum Beispiel ein Gerücht in die Welt, dass Gottes Großzügigkeit nichts anderes ist als ein Lockmittel, damit die Menschen an ihn glauben. Er zieht Gottes Anweisungen in Zweifel. „Sollte Gott das wirklich so genau gesagt und gemeint haben?“ Schließlich pflanzt er den Hochmut ins Herz der Menschen ein, dass sie ja eigentlich genau so sein können wie Gott. Und so setzen sich Halbwahrheiten und Gerüchte durch.

 

Jetzt stell dir doch mal bitte vor, du bist Chef einer Firma. Und einer von deinen Leuten findet deine Entscheidungen nicht gut und schreibt eine Rundmail an die anderen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Darin kritisiert er dein Tun und Lassen und deinen Führungsstil. Und er bringt dich in Misskredit, bringt üble Gerüchte und rufschädigende Lügen über dich in Umlauf. Und du erfährst von dieser E-Mail. Du weißt also, was dieser Kerl über dich in die Welt setzt. Was tust du? Du zitierst wahrscheinlich diesen Mitarbeiter in dein Büro, stellst ihn zur Rede und gibst ihm 5 Minuten, die Firma zu verlassen. Dann rufst du deinen Internet- und Computerfachmann an und sagst ihm, er soll alle Mails mit diesem rufschädigende Inhalt zurückrufen und auf dem Server löschen. Das würde jeder und jede von uns so machen.

 

Genau das passiert Gott. Der Teufel und böswillige Menschen und leider auch ganz schön fromme Menschen verbreiten haarsträubende Irrlehren über ihn. Und was macht er? Er macht nichts dergleichen, er lässt es zu, dass die ganzen Gerüchte und Falschmeldungen über ihn verbreitet werden. Er sagt: „Wartet nur ab, ihr werdet mich schon noch kennenlernen!“ Aber das ist bei ihm keine Drohung, sondern ein Versprechen. Ja, ihr werdet mich kennenlernen, und zwar so, wie ich wirklich bin. Den Gerüchten begegnet Gott so, dass er den Menschen zeigt, wie er wirklich ist. Er wird selbst Mensch und zeigt den Menschen auf Augenhöhe, wie Gott ist. Jesus, der Sohn Gottes tritt den wilden Gerüchten über seinen Vater entgegen und sagt: So, wie ich bin, so ist Gott. Wer mich sieht, der sieht Gott. Wer mich hört, der hört die Stimme Gottes.

 

Der Firmenchef, von dem ich dir eben erzählt habe, der könnte auch so handeln. Er spricht mit seinen Mitarbeitern, die aufgrund der bösartigen Falschmeldung innerlich schon gekündigt haben. Und er lädt sie zu sich nach Hause ein. Er will ihnen zeigen, wie er wirklich ist. Er lädt sie zum Essen und will ihnen vor Augen führen, was für ein Mensch er, der Firmenchef in Wahrheit ist.

 

Das macht Gott. Er lädt dich und mich ein, ihn besser kennenzulernen. Aber dazu drückt er uns nicht eine theologische Abhandlung in die Hand und sagt: Hier, das lies dir mal durch, wenn du das kapiert hast, dann weißt du, wer und wie ich bin. Nein, er will uns persönlich begegnen, so dass wir ihn sehen. Wobei unser „Sehen“ in der Regel nicht mit den zwei Augen im Kopf passiert, sondern es ist ein viel tieferes Sehen. Ein Sehen mit den Augen des Herzens. Das ist ein Sehen mit der 3D-Brille des Glaubens und Vertrauens. Bei Glauben und Vertrauen geht es vor allem darum, dass ich Jesus für glaubwürdig und vertrauensvoll erachte. Der erste Schritt ist nicht, Glaubenssätze für wahr zu halten. Sondern sich Jesus, dem Sohn Gottes, vertrauensvoll zu nähern. Es ist ein Sehen mit der 3D-Brille der Beziehung und der Gemeinschaft. Sich mit ihm beschäftigen, seine Geschichten und Erzählungen und Predigten im Original lesen und nicht Gerüchten oder Legenden auf den Leim gehen. Mit ihm reden, mit ihm in Kontakt treten, ganz einfach beten. Das ist ein Sehen mit der 3D-Brille der Demut und Bescheidenheit. Erkennen und anerkennen, dass Gott Gott ist. Und dass ich auf seine Zuwendung und Gnade, Barmherzigkeit und Rücksicht, auf seine Weisheit und Herrlichkeit angewiesen bin. Das ist ein Sehen mit der 3D-Brille des Staunens und der Anbetung. Je mehr ich von ihm sehe, desto mehr gebe ich ihm die Ehre und Anerkennung, die ihm gebühren. Es ist ein Sehen mit der göttlichen 3D-Brille, weil er uns durch die Vergebung die Augen für seine Herrlichkeit geöffnet hat.

 

Solch ein Sehen hat Hiob geschenkt bekommen. Als er das sieht, erübrigt sich für ihn die Warum-Frage. Deswegen ist es auch gar nicht mehr nötig, dass die Wette mit dem Teufel noch mal erwähnt wird. Zum einen glaube ich, dass Gott den Teufel einfach mit Verachtung straft und schlichtweg ignoriert. Zum anderen gibt es keinen abschließenden Gesprächsgang mit ihm, weil Gott sich am Ende vor niemandem rechtfertigen und erklären muss.

 

Was Hiob aber erlebt und erkannt hat, das verändert ihn. Ich will drei Beobachtungen noch kurz erwähnen. Erstens lesen wir, dass er für die drei Freunde betet. Das ist deswegen so erstaunlich, weil die drei Männer sich nicht wie Freunde benommen haben, sondern wie Feinde. Sie haben Hiob quasi den Glauben abgesprochen, sie haben ihn überhaupt nicht verstanden geschweige denn getröstet. Sie haben ihm im Leid noch mehr seelisches Leid zugefügt. Hiob aber betet für sie. Das kann Hiob deshalb, weil er die Herrlichkeit und Größe Gottes mit seinen eigenen Augen des Herzens und der göttlichen 3D-Brille gesehen hat.

 

Zweitens ist bemerkenswert, dass Hiob seine Geschwister und Freunde zum Essen einlädt. Die haben ihn reihenweise verlassen, sich von ihm abgewendet und ihn verachtet. Wenn Hiob sie jetzt wieder in sein Haus lässt und mit ihnen Tischgemeinschaft hat, dann beweist er, dass er ihnen vergeben hat.

 

Und drittens lesen wir, dass Hiob wieder Kinder bekommen hat. Darauf hat sich ja eine Frage bezogen, die ich eingangs erwähnt hatte. Der Eindruck, dass für Hiob seine Kinder austauschbar sind, ist natürlich falsch. Dafür hat er viel zu sehr unter dem Verlust seiner ersten Kinder gelitten. Aber Ausdruck für seine neue Lebensperspektive und Zuversicht, Zeichen seines Friedens und dafür, dass er nicht mehr verbittert ist, sind die Namen der drei Töchter. Ein griesgrämiger, verhärmter, mürrischer, verdrossener Vater hätte seine Tochter nicht Täubchen, sondern Aasgeier genannt; nicht Zimtblüte, sondern Herbstzeitlose; und auch nicht Schmuckkästchen, sondern Mülleimer genannt. Aber Hiob ist im Reinen mit Gott. Und er ist im Reinen mit seinen Mitmenschen. Und der ist im Reinen mit sich. Das ist weit mehr als nur ein Happy-End der Geschichte, sondern das ist Gnade Gottes.

 

AMEN