Psalm 1

 

 

 

Wir hören auf den Predigttext. Ich lese uns Psalm 1 in der Fassung vor, die am bekanntesten ist, und zwar nach der Übersetzung von Martin Luther:

 

Wohl dem, der nicht wandelt im Rat der Gottlosen noch tritt auf den Weg der Sünder noch sitzt, wo die Spötter sitzen, sondern hat Lust am Gesetz des HERRN und sinnt über seinem Gesetz Tag und Nacht! Der ist wie ein Baum, gepflanzt an den Wasserbächen, der seine Frucht bringt zu seiner Zeit, und seine Blätter verwelken nicht. Und was er macht, das gerät wohl. Aber so sind die Gottlosen nicht, sondern wie Spreu, die der Wind verstreut. Darum bestehen die Gottlosen nicht im Gericht noch die Sünder in der Gemeinde der Gerechten. Denn der HERR kennt den Weg der Gerechten, aber der Gottlosen Weg vergeht.

 

 

 

Liebe Gemeinde,

 

dieser Text ist ganz schön provokant, er polarisiert und er provoziert. Denn der Psalm zeichnet klare, schroffe Gegensätze auf. Da ist auf der einen Seite von den Gottlosen, den Sündern und den Spöttern die Rede. Und die werden mit der nutzlosen Spreu im Wind verglichen, ihr Leben hat vor Gott keinen Bestand, ihr Lebensweg kommt nicht zum Ziel. Auf der anderen Seite werden die Gerechten genannt, die Tag und Nacht die Bibel studieren, die fest verwurzelt und gut versorgt sind, denen alles gelingt, um die Gott sich kümmert und die am Ende bei ihm bekannt sind.

 

Das ist eine Schwarz-Weiß Skizze, in der es keine Graustufen gibt. Das ist sehr einfach gestrickt. Den Frommen geht es gut, den anderen geht es schlecht. Den Gerechten gelingt das Leben, die Bilanz über das Leben der Gottlosen ist vernichtend. Die einen werden glücklich gepriesen, die anderen werden noch nicht mal mehr bedauert. Ist das Leben wirklich so einfach? Gleichen alle frommen, gläubigen, gerechten Menschen einem prächtigen Baum? Und alle anderen, sind die nur Spreu?

 

Das sind berechtigte Fragen. Aber in dem Psalm treten Differenzierungen und Detailfragen in den Hintergrund, damit Raum und Platz ist für grundlegende Überlegungen. Was gibt meinem Leben Orientierung, nach welchen Werten gestalte ich meinen Alltag? Von wem oder was lasse ich mich lenken und leiten und was lässt mein Leben gelingen? Zusammenfassend stellt der Psalm 1 die Frage, wer wirklich und tatsächlich glücklich ist.

 

Denn mit der Formulierung beginnt der Text: „Wohl dem, der ….“ In der Bibelausgabe „Hoffnung für alle“ steht an der Stelle „Glücklich ist, wer …“. Tja, das ist wohl eine wichtige Frage: Wer ist denn glücklich? Bedenken wir mal nach unseren herkömmlichen Vorstellungen. Viele meinen ja, sie könnten glücklich werden, wenn nur die Lebensumstände etwas besser wären. Diese Annahme aber ist ein Irrtum. Das Empfinden von Glück und die Lebensumstände haben nur sehr bedingt miteinander zu tun. Arme können glücklich und Reiche kreuzunglücklich sein. Und wer sein Glück auf jenen Tag verschiebt, an dem endlich alles stimmt, der wird vergeblich warten. Wer meint, man könne das Glück direkt, unmittelbar anstreben – „ich will jetzt endlich wunschlos glücklich werden!“ –, auch der wird vergeblich warten. Glück ist nichts, was wir direkt erreichen können. Glück ist eine schöne Nebenerscheinung, wenn wir in unserem Leben etwas haben, für das wir brennen und uns einsetzen.

 

Die Amerikaner haben zwar das Streben nach Glück, „the pursuit of happiness“, zum Grundrecht erklärt. Aber ein erfolgreicher Autor hat das auf den Kopf, vielmehr auf die Beine gestellt: „The happiness of pursuit“, so formuliert er: das Glück, etwas zu suchen, nach etwas zu streben und sich für etwas hingeben zu können. Wir merken also, so einfach ist es nicht mit dem Glück.

 

Der Psalm beglückwünscht Menschen. Glücklich zu nennen ist, wer hier angesprochen wird. Aber wer ist das?

 

Zunächst wird der Mensch als glücklich bezeichnet, der so manches NICHT tut. In der „Hoffnung für alle“ wird etwas verständlicher ausgedrückt, was hier gemeint ist: „Glücklich ist, wer nicht lebt wie Menschen, die von Gott nichts wissen wollen. Glücklich ist, wer sich kein Beispiel an denen nimmt, die gegen Gottes Willen verstoßen. Glücklich ist, wer sich fern hält von denen, die über alles Heilige herziehen.“

 

Wie leben die Menschen, die von Gott nichts wissen wollen? Da gibt es unterschiedliche Spielarten, aber unterm Strich richten sich diese Menschen nicht nach Gott. Zum Teil wissen sie nicht viel von ihm, wollen auch nichts von ihm wissen und haben auch kein Interesse daran, ihn näher kennen zu lernen. Aber bei leidvollen Erfahrungen, da fällt er ihnen wieder ein, da klagen sie Gott an und fragen, warum er das zugelassen hat. Aber alles Gute und jeden Erfolg schreiben sie sich selbst zu. Kürzlich hatten wir in der AWO ein wunderschönes Sommerfest. Und man kann es ja kaum glauben, aber an dem Mittwochnachmittag war es richtig schön sonnig und warm. Da sagte dann jemand: „Na, das herrliche Wetter, das haben wir uns aber auch wirklich verdient!“ Und ich dachte nur: womit haben wir uns dieses schöne Wetter verdient?

 

Wie leben die Menschen, die von Gott nichts wissen wollen? Manche behaupten steif und fest, dass es gar keinen Gott gibt, der mit ihnen etwas zu tun haben könnte. Oder wenn es einen gibt, dann kümmert der sich nicht um uns, also müssen wir uns auch nicht um ihn kümmern. Gott spielt in ihrem Leben keine Rolle, geschweige denn, dass er in deren Leben die Regie führt. Darum soll er auch nicht das Lebenskonzept prägen und bestimmen. Aber nach welchen Prinzipien und Grundätzen leben sie dann? Für manche lautet das Lebensmotto ethisch hochstehend: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeingültiges Gesetz werde.“ Der kategorische Imperativ nach Immanuel Kant ist sicher nicht schlecht. Aber der alleinige Maßstab ist und bleibt letztlich der Mensch mit seiner ganzen Unvollkommenheit und Begrenzung. Andere leben nicht so respektvoll oder rücksichtsvoll. Sie handeln nach dem Grundsatz, dass der Mensch des Menschen Wolf ist. Wenn du demnach nicht gefressen werden willst, musst du die anderen fressen.

 

Die Menschen, die mit den Begriffen „Gottlose“, „Sünder“ und „Spötter“ bezeichnet werden, sind natürlich nicht alles Monster oder Unmenschen. Die sind unter Umständen sehr nett, hilfsbereit, großzügig, engagiert, auf eine gewisse Weise auch fromm. Aber im Prinzip sind sie doch praktische Atheisten. Der Psalmist beglückwünscht alle, die sich einer solchen Lebensweise verweigern. Wohl dem, der sich nicht von denen raten lässt, die von Gott nichts wissen wollen. Das ist mit dem ersten Vers im Psalm 1 gemeint.

 

Dem wird ein anderes Lebenskonzept gegenübergestellt. Darin werden Menschen glücklich gepriesen, die Freude am Gesetz des HERRN haben und Tag und Nacht darüber nachdenken. Auf den ersten Blick klingt das verstaubt und langweilig und absolut unrealistisch. Wer, bitte schön, hat Freude an Gesetzestexten und wer meditiert diese Tag und Nacht? Bei „Gesetz des Herrn“ denken wir doch alle an Vorschriften und Verbote. Aber im Hebräischen steht hier das viel umfassendere Wort „Tora“. Es bezeichnet nicht nur die 5 Bücher Mose, es bezeichnet nicht nur die einzelnen Gebote, sondern der Begriff hat die Bedeutung von „gute Lebensanweisungen“ Gottes. Die Bibel insgesamt ist gemeint mit ihren Geschichten und Erzählungen über Gott und die Menschen. Die Bibel mit ihren Worten von Gott an die Menschen. Die Bibel mit den Erfahrungen, die Menschen mit Gott gemacht haben. Die Bibel mit den Lebensangeboten, die Gott den Menschen macht. Die Bibel mit dem Evangelium, dass Gott durch seinen Sohn Jesus zu uns gekommen ist.

 

Wie lesen wir die Bibel? Manche gar nicht. Manche nur sporadisch. Manche husch-husch und schnell und oberflächlich. Manche regelmäßig und routiniert. Manche so, wie es die Worte im Psalm 1 Vers 2 ausdrücken: mit Lust, mit Neugier, mit Leidenschaft, mit Hingabe und Sorgfalt. Mit „happiness of pursuit“, mit dem Glück des Entdeckens, mit dem Glück, neue Erkenntnisse zu gewinnen. Aber wie geht das? Ich schlage vor, klein und realistisch zu beginnen. Es gibt das Andachtsbuch „Die Losungen“. Selbst Ende August kann man noch ein Exemplar für 2021 im Buchhandel oder im Internet bekommen. Darin stehen für jeden Tag zwei Zitate aus der Bibel drin. Die kann man Tag für Tag lesen, meditieren, für sich in Anspruch nehmen und sich dem Anspruch dieser Aussagen stellen. Dann gibt es Hilfen und Anleitungen für die Lektüre von biblischen Büchern. Es gibt diverse Andachtsbücher, in denen Aussagen oder Abschnitte aus der Bibel erläutert werden. In unseren Gemeinden und Gemeinschaften treffen wir uns regelmäßig (alle zwei Wochen oder wöchentlich), um miteinander einen Abschnitt aus der Bibel zu lesen und darüber ins Gespräch zu kommen. Ich erlebe das Glück der Entdeckungen, wenn mir die Worte zu Herzen gehen. Wenn ich aus ihnen Gott vernehme. Wenn ich durch sie gewiss werde. Wenn ich bei ihnen getrost werde. Wenn ich in ihnen Mut finde und Richtung. Weil ich in ihnen Gott begegne. Herzlichen Glückwunsch, wer so seine Freude und Lust an den guten Weisungen Gottes hat!

 

Was passiert, wenn wir uns dem Wort Gottes aussetzen? Vielleicht geschieht dies: Wir sehen unser Leben und die Welt klarer, schärfer, aber auch kritischer im Licht der Bibel. Schärfer, weil wir erfassen, wie sehr es Gott unter die Haut geht, wenn der Mensch des Menschen Wolf ist, wenn Menschen Menschen abschlachten, verhungern lassen, um ihres Glaubens willen verfolgen, vertreiben, demütigen. Wir sehen klarer und spüren Gottes Herzschlag.

 

Vielleicht geschieht dies: Wir sehen unser Leben und die Welt demütiger und zugleich stärker im Licht der Bibel. Wir sind nur Menschen, keine Götter. Mehr müssen wir auch nicht sein. Ich bin auch nur ein Mensch unter Gott. Übermenschliches ist von uns nicht zu fordern. Ich bin ein von Gott gewollter und geliebter Mensch. Und der andere neben mir in der Familie, in der Nachbarschaft, in der Gemeinde, ist es auch, nicht weniger, nicht mehr. Wenn es nach Gott und seinem Wort geht, werde ich stark wie ein Baum. Und es soll etwas gelingen bei dem, was ich anfange. Wer werden demütiger und erkennen, wer wir in den Augen Gottes sind.

 

Vielleicht geschieht dies: Wir sehen unser Leben und die Welt dankbarer und darum auch zuversichtlicher im Licht der Bibel. Was ich bin ist Gabe, dieses Leben, meine Zeit, jedes Essen, jeder gute Schluck, die Sonne, der Wind, der freundliche Mitmensch, der Nachbar, die Verkäuferin und der Straßenbahnführer, die Wohnung und der Wald, (bitte gern noch weiter ergänzen!). Ich verdanke mich und alles nicht mir selbst, ich verdanke mich und alles Gott, und er wird für mich sorgen, in knappen und in reichen Zeiten. Wir werden dankbarer und entdecken zuversichtlich, dass wir Gott sei Dank von Gott abhängig sind.

 

So sehen wir vielleicht unser Leben und die Welt im Licht der Bibel: schärfer und kritischer, demütiger und stärker, dankbarer und zuversichtlicher. Im Lesen, Beten, Reflektieren der Schrift wartet das Glück: unter Gott und mit Gott.

 

Und was bewirkt es noch, wenn wir uns der gottlosen Lebensweise verweigern, uns dafür aber den göttlichen Lebensanweisungen aussetzen? Wir lernen den Gott immer besser kennen, der uns schon lange kennt. Denn dass Gott alle Menschen kennt, das steht fest. Aber nicht alle Menschen kennen Gott. Und mit „kennen“ ist nicht nur ein Wissen um Gott, nicht nur eine intellektuelle Einsicht gemeint. Sondern „kennen“ hat mit Vertrautheit, mit Beziehung, mit alltäglichem Umgang zu tun. Darum beruht „kennen“ auch auf Gegenseitigkeit. Wer Ihn kennt und wen Er kennt, kann auch vor Ihm bestehen. Denn wer Ihn kennt und wen Er kennt, weiß, dass wir auf Gottes Gnade im Gericht am jüngsten Tag angewiesen sind. Wer Ihn kennt und wen Er kennt, gehört zu denen, die Gott gerecht spricht, die er freispricht. Wer Ihn kennt und wen Er kennt, ist schon hier bei Gott verwurzelt und gehalten und zuhause und wird in der ewigen himmlischen Heimat von Ihm erwartet.

 

Und das nenne ich Glück. Wohl dem, der das glaubt und lebt.

 

AMEN