Erntedankpredigt über Markus 8,1-9

 

 

 

Liebe Freunde!

 

Bei manchen Festen und Feiertagen ist es so, dass ich in den Kalender schaue und denke: „Huch, stimmt, da ist ja dieser oder jener Feiertag.“ Also, mit Fronleichnam geht mir das immer so, oder früher bei dem Buß- und Bettag. Ich vermute, dass manche das Erntedankfest ähnlich erleben. Stimmt, da ist doch jedes Jahr im Herbst so ein besonderer Sonntag. Und dann wird das Fest routinemäßig abgespult, weil es im Kalender steht und weil es zur kirchlichen Folklore gehört. Wenn wir aber dieses Jahr Erntedank feiern, dann tun wir auch das unter den Vorzeichen von Corona. Gut, die Landwirtschaft ist in diesem Jahr vergleichsweise glimpflich davongekommen. Aber für viele ist 2020 in mancherlei Hinsicht ein Horror. Kurzarbeit, Kontaktbeschränkungen, längere Zeit keine öffentlichen Veranstaltungen, damit einhergehend manch psychische Belastungen. Bei einigen von uns kamen massive gesundheitliche Sorgen hinzu. Ich glaube, dass viele den Eindruck haben, dass sie ganz schön heftig gebeutelt sind. Und mancherorts spüre ich eine sich breitmachende Unzufriedenheit und Spannungen und Streit und Stress. Und nicht jede und jeder ist in der Lage oder der Stimmung, Danke zu sagen.

 

Vielleicht eröffnet uns der Predigttext für den heutigen Sonntag eine Perspektive und einen hilfreichen Blick auf unsere Situation und wie wir damit umgehen können.

 

Markus 8,1-9

 

1 Zu der Zeit, als wieder eine große Menge da war und sie nichts zu essen hatten, rief Jesus die Jünger zu sich und sprach zu ihnen: 2 Mich jammert das Volk, denn sie haben nun drei Tage bei mir ausgeharrt und haben nichts zu essen. 3 Und wenn ich sie hungrig heimgehen ließe, würden sie auf dem Wege verschmachten; denn einige sind von ferne gekommen. 4 Seine Jünger antworteten ihm: Wie kann sie jemand hier in der Wüste mit Brot sättigen? 5 Und er fragte sie: Wie viel Brote habt ihr? Sie sprachen: Sieben.

 

6 Und er gebot dem Volk, sich auf die Erde zu lagern. Und er nahm die sieben Brote, dankte und brach sie und gab sie seinen Jüngern, damit sie sie austeilten, und sie teilten sie unter das Volk aus. 7 Und sie hatten auch einige Fische, und er dankte und ließ auch diese austeilen. 8 Sie aßen aber und wurden satt und sammelten die übrigen Brocken auf, sieben Körbe voll. 9 Und es waren etwa viertausend; und er ließ sie gehen.

 

Der biblische Text nimmt uns mit in eine Situation, die der unseren irgendwie ähnlich ist. Die Versorgungslage ist prekär. Viele wissen nicht, wie sie satt werden können und der Weg nach Hause, der Weg zur Normalität ist sehr weit („einige sind von ferne gekommen“). Angesichts von 4000 Personen sind die sieben Brote und ein paar Fische so gut wie nichts. Da gibt es allemal genug Grund zur Klage und Anlass für ein inbrünstiges Bittgebet, dass Gott in dieser Notlage doch irgendwie Hilfe verschaffen möge.

 

Es hat einen schon nachdenklich gemacht und es war auch irgendwie so unwirklich, als im März die Regale mit Mehl und Nudeln und Klopapier leer waren. Das hat sich alles wieder reguliert und wir werden auch alle satt. Aber der Weg zur Normalität ist auch bei uns noch sehr, sehr lang. So manches fehlt uns immer noch schmerzlich. Der Magen im Bauch knurrt zwar nicht, aber die Seele stöhnt.

 

 

Auf der anderen Seite müssen wir aber auch festhalten, dass die Notsituation damals in Galiläa nur eine zeitlich begrenzte gewesen ist. Das war ja nicht der permanente Dauerzustand, die Leute hatten nicht grundsätzlich nichts zu Essen. In dem Moment, in dieser recht kurzen Zeitspanne war die Gesamtlage angespannt. Aber die Menschen haben nicht in einer Dauerkrise gelebt.

 

Wenn wir an unsere aktuelle Gesamtsituation denken, dann stellen wir doch ähnliches fest. Auch wir leben nicht in einer Dauerkrise! Die Corona-Pandemie hat uns nicht unser ganzes Leben lang geprägt und eingeschränkt und geplagt. Auch mit Blick auf andere Krisen und Belastungszeiten halten wir fest, dass es nicht immer und dauerhaft so gewesen ist. Und es wird auch nicht immer so sein und bleiben. Ja, es geht vorbei. Wir „wandern“ im finsteren Tal (siehe Psalm 23,4), wir sitzen darin nicht bis in alle Ewigkeit fest.

 

Wenn wir in solch spannenden Zeiten leben, wenn wir besonderen Belastungen ausgesetzt sind, wenn die Regale urplötzlich leer sind, wenn die Kontaktbeschränkungen greifen, dann fällt uns auf, was uns bisher immer so selbstverständlich gewesen ist. Natürlich haben wir selbstverständlich alles einkaufen können, was wir benötigt haben. Natürlich haben wir Besuche machen können und konnten auch an allen Gemeindeveranstaltungen teilnehmen. Aber wie das dann so ist: wenn alles möglich ist, dann denke ich nicht mehr so bewusst drüber nach. Und wenn ich immer in den Gottesdienst gehen kann, dann muss ich ja nicht jeden Sonntag gehen. Wenn ich immer in den Gesprächskreis gehen kann, die Bibelstunde besuchen kann, dann kann ich es auch mal sein lassen. Darum ist so mancher hellhörig geworden, dass das auf einmal zumindest für einen gewissen Zeitraum überhaupt nicht mehr geht. Manchmal weiß man erst, was man hat, wenn man es verliert.

 

Ich glaube, das ist ein ganz hilfreicher Aspekt einer jeden Krise. Dann fällt uns nämlich auf, wie gut wir es normalerweise haben! Und es besteht immer die Hoffnung, dass wir uns diese Erkenntnis auch dann noch bewahren, wenn die Krise vorüber ist. Deswegen ist ein Erntedankfest inmitten der besonderen Zeiten, die wir gerade durchleben, ganz wichtig und überhaupt nicht fehl am Platz! Im Gegenteil!

 

 

Beim genaueren Blick auf den Bericht aus dem Markusevangelium habe ich eine interessante Beobachtung gemacht. Ok, die Leute hatten nach drei Tagen verständlicherweise Hunger, aber sie haben drei Tage lang von Jesus das Beste gehört, was man nur hören kann. Wenn Jesus predigt, dann kann man schon mal Zeit und Raum vergessen, dann werden die Prioritäten neu gesetzt, dann verändert sich der Fokus, dann bekommt man eine neue Blickrichtung. Ich stelle mir das im ganz positiven Sinn wie eine Fastenklausur vor. Alle Konzentration ruht auf dem, was Jesus betrifft. Was einen ablenken kann, wird ausgeblendet.

 

So sehe ich das auch, wenn manche in der Corona-Krise plötzlich mehr Zeit zur Verfügung haben. Chöre fallen aus, Kino ist nicht möglich, viele Treffen finden nicht statt. Dafür aber gibt es Angebote, im Internet oder im Fernsehen Gottesdienste zu erleben. Es gibt die Möglichkeit, kopierte Predigten oder Andachten oder Impulse fürs Bibelstudium zu lesen. Wie in einer Fastenklausur kann man sich auf Jesus konzentrieren. Und gerade in den Zeiten der Isolation, der Einsamkeit, der Reduktion kann man die Freiräume nutzen, um sich mit Gott und Jesus, der Bibel und dem Trost des Evangeliums zu befassen. Ich bin sehr dankbar, dass wir unterschiedliche Wege und Möglichkeiten haben, das gute Wort von Gott zu teilen, zu verteilen, anderen mitzuteilen.

 

 

In dem Bericht des Markus geht es aber nun dann doch auch darum, dass die vielen Menschen was zu beißen kriegen. Jesus selbst nimmt ja die Not wahr, er sieht ja, was die Menschen brauchen. Er macht eine nüchterne Bestandsaufnahme und Analyse der Situation. Dabei sieht Jesus die ganz profane und alltägliche Notwendigkeit der Menschen. Er hat nicht nur den Blick für die geistlichen und spirituellen Bedürfnisse. Er ist nicht nur der zuständige Experte für das geistliche Wohl, sondern er ist auch Fachmann für ganz banale Alltagsfragen.

Wie beglückend ist es, wenn wir das bei so ganz irdischen Problemen erfahren, dass Jesus das sehr wohl interessiert. Robert Schmidt hat kürzlich so eine Erfahrung gemacht und er hat mir gestattet, dass ich seine kleine Geschichte hier erzähle. Schmidts haben in Fürstenhagen ein Grundstück, das sie gern verkaufen wollen. Es verursacht nur Arbeit und liegt ansonsten brach. Robert hat sich ein bisschen schwer damit getan, dafür zu beten, dass sich doch ein Käufer findet. Andere haben in dazu aber ermutigt und selbst einfach auch dieses Anliegen im Gebet vor Gott gebracht. Vor nicht allzu langer Zeit hat dann jemand Interesse bekundet und mündlich den Kauf zugesagt. Damit aber standen Robert und Brigitte vor den nächsten Herausforderung. Auf der Wiese steht eine alte Scheune, in der noch so allerhand altes Gerümpel lagert. Die Scheune muss aber ausgeräumt werden, Schutt muss entsorgt werden und alte landwirtschaftliche Geräte – wohin damit? Da war noch ein Leiterwagen und eine alte Mähmaschine. Zwei Interessenten haben sich gefunden, sie wollten die jeweiligen Stücke abholen. Der eine wollte um 14.30 Uhr an einem bestimmten Tag kommen, der andere abends um 18 Uhr am gleichen Tag. Dann aber ergab es sich, dass beide gegen 15 Uhr bei der Scheune waren, beide haben Verstärkung mitgebracht und zusammen haben sie sich gegenseitig geholfen beim Zusammenbauen des Wagens und dabei, die Mähmaschine, die schon ziemlich stark mit dem Erdboden verwachsen war, rauszuholen.

 

Ich freue mich immer noch über einen strahlenden Robert und eine dankbare Brigitte, weil Jesus ihnen gezeigt hat, dass ihm auch die alltäglichen und profanen Dinge nicht gleichgültig sind.

 

So auch hier in dieser Geschichte. Jesus sieht und benennt die Not. Und die Jünger machen das, was wir auch so gern machen. Sie betonen die Unmöglichkeiten. „Woher sollen wir hier in dieser Einöde genügend Brot bekommen, damit sie alle satt werden?“ Diese Frage können wir verstehen, diese Haltung können wir nachvollziehen. Wie soll das denn funktionieren? Wie sollen wir das denn schaffen und bewältigen? Wir haben doch nichts, wir können doch nichts, deswegen geht das alles doch nicht.

 

 

Jesus aber fragt: Was habt ihr denn zur Verfügung? Da entdecken die Jünger, dass sie ja nicht mit leeren Händen dastehen. Sieben Brote, das ist nicht die Welt. Aber immerhin. Und Jesus verachtet das bisschen nicht, was die Jünger haben. Er nimmt es und dankt.

 

Auch wir stehen doch nicht mit leeren Händen da. Wir haben ja alle etwas, womit wir dazu beitragen können, dass es anderen Menschen etwas besser gehen kann. Wir haben alle etwas, womit wir die Welt ein bisschen besser machen können. Das Entscheidende in der Geschichte von damals ist allerdings nicht, dass die Jünger die sieben Brote und kurze Zeit später dann auch noch einige Fische rausrücken und teilen. Das Wunder ereignet sich, als Jesus für das wenige dankt. Jesus dankt für das Wenige! Er dankt nicht erst dann, wenn der Überfluss exorbitant ist, nicht nur, wenn das Buffet sich biegt und der Ranzen spannt. Er dankt für sieben Brote und ein paar Fische.

 

Wunder wie in diesem Bericht ereignen sich dann, wenn wir das Wenige, was wir haben, dankbar vor Gott bringen und ihn um seinen Segen bitten. Mit dem Wenigen, was wir haben und was wir Gott zur Verfügung stellen, werden wir erfahren, dass es mehr ist, als wir auf den ersten Blick wahrnehmen können.

 

Darum möchte ich uns bitten, der Frage von Jesus nicht auszuweichen, wenn er sie uns stellt: „Was habt ihr? Was könnt ihr? Was könnt ihr einbringen und beitragen?“

 

„Nichts“ ist garantiert die falsche Antwort. Ein freundliches Wort zu den Menschen, denen ich im Alltag begegne, das kann jeder beitragen. Ein stilles Gebet für die, die mir am Herzen liegen, das kann jeder leisten. Ein paar Euro, vielleicht auch ein paar mehr Euro für die Gemeindearbeit unserer Gemeinschaft, für Hilfsprojekte, für sozial-diakonische Arbeiten, das können wir alle einbringen.

 

 

Ich sehe für uns als Gemeinde in den Zeiten der Einschränkungen immer auch die spannende Frage, wie wir gemeinsam Menschen mit der guten Nachricht vertraut machen können. Und als alle Gottesdienste und alle Bibelstunde und Kinder- und Jugendkreise und alles einfach nicht mehr stattfinden konnte, da habe ich mich auch ernsthaft gefragt: Was können wir dazu beitragen, dass es nicht zu einer geistlichen Unterversorgung kommt. Und zuerst habe ich das gesehen, was wir nicht haben. Wir haben keine digitale Technik für einen livestream-Gottesdienst, wir keinen Mitarbeiterstab, der entsprechende Formate produziert kein High-Technik.

 

Aber wir haben Telefon für die Bibelgesprächskreise. Immerhin haben etliche von uns WhatsApp, E-Mail-Adressen, Drucker und Papier. Und wir haben Hände und Füße, mit denen wir empfangenes und gedrucktes weiterreichen. Was wir haben, stellen wir dankbar Gott zur Verfügung, damit möglichst viele versorgt werden können.

 

 

Erntedank ist gerade in diesem Jahr ein ganz nötiger Feiertag. Denn besonders in belastenden und herausfordernden Lebensphasen ist es nötig, den Geber aller guten Gaben in den Blick zu nehmen, sich auf das Wesentliche und den Wesentlichen zu konzentrieren und ihm dankbar zu vertrauen. Wenn er uns mit dem, was wir beitragen können, einbeziehen will, damit andere versorgt werden, dann lasst uns ihm dankbar zutrauen, dass er Wunder wirkt und Segen wachsen lässt.

 

AMEN