Gott mit allen Sinnen erfahren und genießen – SEHEN

 

Liebe Gemeinde,

der heutige Sonntag hat zwei Bezeichnungen. Die eine lautet: Totensonntag. Denn am Ende des Kirchenjahres denken wir an diejenigen, die in den letzten 12 Monaten verstorben sind. Das ist wichtig und richtig. Im Psalm 90 bittet der Beter Gott, uns zu lehren, dass wir sterben müssen. Das soll uns aber nicht kopflos machen oder in Panik versetzen, sondern das soll uns klug und weise machen. Darum ist dieser Sonntag mit dem Blick auf das Ende des Lebens ein notwendiger Tag. Aber ebenso notwendig ist auch der andere Aspekt, der mit der zweiten Bezeichnung unterstrichen wird: Ewigkeitssonntag. Am Ende des Kirchenjahres freuen wir uns auf den Himmel. Und wir freuen uns, dass wir nicht mehr nur glauben und hoffen, sondern dass wir dann endlich den sehen, an den wir geglaubt und auf den wir gehofft haben.

Ums Sehen geht es darum in der letzten Predigt der Reihe „Gott mit allen Sinnen erfahren und genießen“. Es gibt keinen besseren Sonntag für dieses Thema als den heutigen.

Diese Aussicht ist für uns von ganz großer Bedeutung! Denn wir sehnen uns im tiefsten Inneren danach, dass wir die Person auch sehen können, an der uns so viel liegt. „Ich muss dich unbedingt mal wieder sehen“ sagen Freundinnen oder Freunde zueinander. Denn beim Sehen nehmen wir noch viel mehr wahr als beim Hören. Wir sehen die Augen, das Gesicht, die Mimik. Wir sehen die Haare, die Haut, den Körper und die Körperhaltung. Natürlich sind alle fünf Sinnesorgane wichtig und bedeutsam, aber die meisten Menschen sagen, dass Blindheit die schrecklichste Beeinträchtigung ist, die sie sich vorstellen können. Jetzt stellt euch doch mal vor, wie ermutigend und tröstlich und hoffnungsgeladen es ist, dass wir in der Ewigkeit den sehen können, der uns erdacht und erfunden hat. Gott, der uns ins Leben gesetzt hat, der uns liebt, weil es uns gibt, diesen Gott werden wir sehen. In unserem irdischen Dasein ist es uns nicht möglich, Gott zu sehen. Zu Mose hat er gesagt: Kein Mensch wird leben, der mich sieht. Aber im Himmel, wenn wir vollendet sind, wenn alles Trennende, alles Sündenbehaftete weg sein wird, dann können wir Gott sehen. Und wir werden den endlich von Angesicht zu Angesicht sehen, der sich mit Leib und Seele für uns eingesetzt und geopfert hat: Jesus Christus! In 1. Johannes 3,2 lesen wir: „Ja, liebe Freunde, wir sind Gottes Kinder, wir sind es hier und heute. Und das ist erst der Anfang! Was darin alles eingeschlossen ist, ist uns vorläufig noch nicht enthüllt. Doch eines wissen wir: Wenn Jesus in seiner Herrlichkeit erscheint, werden wir ihm gleich sein; denn dann werden wir ihn so sehen, wie er wirklich ist.“

Wir werden ihn so sehen, wie er wirklich ist! Das ist eine herausragende Hoffnung und eine fantastische Perspektive.

Aber nicht erst dann können wir sehen. Wir sollen ihn hier schon sehen. Die Glaubensbeziehung zu Jesus ist ja auch quasi ein Sehen. Christen sehen und erkennen was, was andere nicht sehen und erkennen. „Ich sehe was, was du nicht siehst.“ Das könnte eine Aussage sein, die beschreibt, was Christen von noch-nicht-Christen unterscheidet. Christen sehen vor allem Christus. Der Apostel Paulus hat es sich zum Grundsatz gemacht, dass er in seiner Verkündigung einen klaren Akzente setzt auf die Botschaft von Jesus Christus. Die christlichen Gemeinden in Galatien erinnert er daran, dass er ihnen Christus als den Gekreuzigten vor Augen gemalt hat. An einer anderen Stelle betont er, dass er sich vorgenommen hatte, die Aufmerksamkeit seiner Zuhörer einzig und allein auf Jesus Christus, den Gekreuzigten zu lenken. Christen sehen Christus am Kreuz. Und sie erkennen darin die Liebe Gottes und den Weg hinein in die Freiheit. Das Kreuz erkennen wir als den Ort, an dem uns Vergebung zugesprochen wird und wir Versöhnung mit Gott erfahren. Denn hier hat Jesus den Preis dafür bezahlt, damit wir erlöste Kinder Gottes sein können. Wir sehen den, der sich selbst für uns gegeben hat.

Ich will eine kleine Geschichte erzählen, die das illustriert.

Vom Perserkönig Cyrus wird erzählt, dass er auf einem seiner Eroberungszüge einen Fürsten mit Frau und Kindern gefangen nahm. Als man sie Cyrus vorführte, fragte dieser den Fürsten: „Was gibst du mir, wenn ich dir deine Freiheit zurückgebe?“

„Die Hälfte meines Reiches“, war die Antwort.

„Und wenn ich auch deine Kinder freilasse?“

„Mein ganzes Reich.“

„Aber was gibst du für die Freiheit deiner Gattin?“

„Mich selbst!“

Cyrus gefiel diese Antwort so gut, dass er die ganze Familie ohne Lösegeld freigab. Auf der Heimreise fragte der Fürst seine Frau, ob sie beobachtet habe, was für ein edler, schöner Mann Cyrus sei. Darauf erwiderte sie: „Ich sah nur den, der bereit war, sich selbst als Lösegeld für meine Freiheit zu geben.“

Wir sehen den, der nicht nur bereit war, sich selbst als Lösegeld zu geben, sondern der es tatsächlich auch getan hat. Und deswegen, weil Jesus das für uns getan hat, können wir ihn im Himmel sehen.

Wir sehen ihn. Und wir ziehen entsprechende Konsequenzen daraus. Wir danken Jesus für seine aufopfernde Liebe. Wir beten ihn an. Wir fallen vor ihm nieder. Wir vertrauen uns ihm an, wir sehen ein, dass er Herr und König ist, dem wir mit unserem ganzen Leben gehören.

Das alles sehen wir, weil es uns verkündigt wurde und wird. Und das sehen wir, wenn wir in die Bibel schauen. Das heißt, wir sehen es mit geöffneten Augen des Herzens. Denn mit den zwei Augen, die Gott uns als wunderbares Sinnesorgan in unserem Kopf installiert hat, können wir das alles nicht sehen. Und manchmal lässt er uns etwas in einer Weise sehen, die sich mit Worten nicht beschreiben lässt. Manchmal schenkt er uns ein inneres Bild, eine Schau, eine Vision. Auf diese besondere Sichtweise will später nochmal kurz eingehen.

Jetzt aber müssen wir uns damit befassen, dass es ja viel zu viele Menschen gibt, die das nicht so sehen wie wir. Sehen sie nicht, weil sie nicht darauf hingewiesen werden? Oder übersehen sie Gott und sein Wesen und Wirken, seine Liebe und Leidenschaft? Gibt es so viele tausend andere Probleme und Vorlieben, Herausforderungen und Aufgaben, Ziele und Werte, die allesamt den Blick auf Jesus versperren? Oder sehen sie zwar das Kreuz, aber sie wissen nichts damit anzufangen? Wollen sie das alles gar nicht sehen? Oder sie sehen es nicht ein, dass das alles mit ihnen zu tun hat, und sie ziehen keine Konsequenzen daraus? Diese letztgenannte Option will mal noch etwas entfalten. Es gibt schon noch Menschen, die um Gott wissen. Die wissen um Weihnachten, die wissen um Karfreitag und Ostern. Die wissen auch um die Frage von Schuld und Sühne, von Vergebung und Erlösung. Aber sie gleichen nach meinem Gefühl solchen Menschen, die sehen, aber nichts damit anfangen. Sie sehen, und ziehen keine Konsequenzen. Jesus kritisiert das mal im Gespräch mit den ehrenwerten Gutbürgern, den Braven, den Anständigen, den Wohlsituierten. Er hält ihnen zugute, dass sie aus den Zeichen des Himmels ablesen können, wie sich das Wetter entwickelt und dass sie sich dann auch entsprechend verhalten. Die Zeichen der Zeit und seine Worte und Taten aber nehmen sie zwar wahr, machen aber nicht das, was gefordert ist. Viele sehen – und machen so weiter wie bisher. Wenn aber die Ampel rot ist, bremse ich ab. Wenn es regnet, ziehe ich mich entsprechend an und nehme einen Regenschirm, wenn ich rausgehe. Wenn ich krank bin, suche in medizinischen Rat und lasse mich behandeln. Wenn ich am Ertrinken bin, greife ich nach dem Rettungsring, der mit zugeworfen wird. Viele aber sehen, und sehen doch nicht!

Wie kann es aber dazu kommen, dass Menschen anfangen zu sehen? Was vermutlich nicht besonders gut funktioniert ist, wenn die Sehenden den Blinden Vorhaltungen machen und sie vehement und nachdrücklich und lautstark auffordern, endlich die Augen aufzumachen. Sondern ich meine, dass es bei den Menschen so sein muss, wie beim blinden Bartimäus[1]. Der hat gewusst, dass er blind ist. Und er hat sich nicht damit abgefunden oder zufrieden gegeben. Der hat seine Bitte laut rausgeschrien. Der hat Jesus gebeten, ihm die Augen zu öffnen. Wer immer auch den Eindruck hat, Tomaten auf den geistlichen Augen zu haben, der darf beten: Jesus, öffne mir die Augen, damit ich dich erkenne, damit ich sehe und einsehe, was ich dir bedeute und wie sehr du mich liebst. Wer so betet, wer sich so an Jesus wendet, der wird mit Sicherheit erleben, wie Jesus darauf antwortet.

Das ist dann der Anfang eines lebenswichtigen und lebenslangen Entwicklungs- und Lernprozesses. Denn es geht darum, dass wir unsere geistlichen Sehfähigkeiten stetig verbessern. Denn wer zum Glauben gekommen ist, der fängt ja erst an, vieles zu erkennen und zu entdecken, zu sehen und zu verstehen. Damit wir aber immer besser sehen, müssen wir die geistlichen Augen trainieren und die Sinne schärfen. Es gibt allerdings auch Kinder Gottes, deren Horizont und Perspektiven ziemlich eingeschränkt und bescheiden sind. Die haben gar keine Sehnsucht danach, Jesus immer mehr zu erkennen, tiefere Einsichten zu gewinnen und einen besseren Durchblick zu bekommen. Warum ist das aber nötig? Es ist nötig, weil wir immer mehr hineinwachsen in die Anbetung, je besser wir sehen und einsehen, wer und wie Gott ist. Es ist nötig, damit wir Jesus immer ähnlicher werden. Deswegen sollen wir uns Jesus immer genauer anschauen ihn immer intensiver betrachten. Und je mehr wir sehen und erkennen, desto besser werden wir auch einsehen, was zu tun, wie wir seinen Auftrag in unserem Leben erfüllen.

Wie können wir also nun besser sehen und Einsichten gewinnen? Eine wesentliche Sehhilfe ist der Blick in die Bibel. Sie ist die erste Quelle für gute und hilfreiche Information über Gott. Wie wir in der letzten Predigt festgestellt haben, finden wir in der Bibel ganz viele Selbstoffenbarungsbotschaften Gottes. Und wir erkennen ganz viele Beziehungsbotschaften. Und wir hören die Anweisungen, die Appelle Gottes. Letzten Endes sehen wir immer mehr von Gott, wenn wir aufmerksam in das Buch der Bücher schauen. Der Beter vom Psalm 119 bittet Gott: Herr, öffne mir die Augen, damit ich die Wunder, die herrlichen Wahrheiten, erkennen kann, die dein Gesetz enthält. Wie viele Kinder Gottes bleiben hinter ihren Möglichkeiten und hinter den Aufträgen Gottes zurück, weil sie so wenig hineinschauen ins Wort Gottes. Sie stricken sich ihre eigene christliche Welt und vernachlässigen es, mal genauer hinzusehen, was Gott uns in der Bibel zeigen möchte.

Insbesondere halte ich es für eine wichtige Blickrichtung, aufs Kreuz zu schauen. Ich hatte vorhin schon mal Paulus zitiert, der in seiner Verkündigung den Zuhörern Jesus, den Gekreuzigten vor Augen gemalt hat. Dieser Fokus auf das Kreuz ist nicht nur am Beginn unseres Christseins nötig. Sondern zeitlebens tun wir gut daran, es nie aus den Augen zu verlieren, dass Jesus für uns gestorben ist. Selbst in der Ewigkeit werden wir Jesus als den sehen und erkennen, der für uns geopfert, regelrecht geschlachtet wurde. Wenn wir immer mehr auf Jesus schauen, werden wir ihn auch immer mehr lieben. Und manchmal schenkt es uns der Herr, dass wir eine Schau geschenkt bekommen. Ich kann mich noch sehr gut an eine solche Schau erinnern, die Jesus mir geschenkt hat. Wir waren auf einem Kongress, an dem wir viel gelernt haben, viele gute Erkenntnisse und Impulse mitgenommen haben. Aber neben den Nahrung für den Kopf und den Verstand wurden wir in die Gegenwart Gottes geführt und vor das Kreuz gestellt. Und da habe ich ihn gesehen, meinen Herrn Jesus am Kreuz. Ich hab ihn gesehen. Und ich war überwältigt, es hat mich zu Tränen gerührt. Tiefer als ein Gemälde von der Kreuzigung, tiefer als eine eindrückliches Filmszene hat sich diese Vision in mein Herz geprägt und in mir verankert. Ich habe ihn am Kreuz gesehen.

Ein weiteres wichtiges Anliegen des Heiligen Geistes ist es, dass wir erleuchtete Augen des Herzen bekommen. In Epheser 1,18 steht es nach der Übersetzung der „Neues Leben“ Bibel folgendermaßen: Ich bete, dass eure Herzen hell erleuchtet werden, damit ihr die wunderbare Zukunft, zu der er euch berufen hat, begreift und erkennt, welch reiches und herrliches Erbe er den Gläubigen geschenkt hat. Herzensaugen, die mehr sehen als nur das, was die irdischen Augen sehen. „Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.“ Dieses Zitat aus dem Buch „Der Kleine Prinz“ ist mittlerweile weltweit bekannt. Christen sollten es am besten verstehen und erleben. Erkennen wir die wunderbare Zukunft, zu der Christus uns berufen hat? Sehen wir vor unserem inneren Auge den Himmel, wie er uns in der Offenbarung beschrieben wird? Sind wir am Ewigkeitssonntag erfüllt von der Vorfreude auf die Herrlichkeit, wenn wir Jesus sehen und erkennen?

Ich wünsche uns, dass wir das und vieles mehr noch besser sehen und erkennen, einsehen und danach leben.

AMEN



[1] Markus 10,46-52